Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuordnung der Heilbehandlung im Ausland wegen eines Arbeitsunfalles. Rückerstattung einer zu Unrecht erfolgten Erstattung. Ausschlußfrist

 

Orientierungssatz

1. Die Zuständigkeit der Krankenkasse für Leistungen wegen Erkrankungen, die nicht Folgen eines Arbeitsunfalles sind, wird durch die auf Leistungen wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles beschränkten Vereinbarungen zwischen den Verbindungsstellen der Krankenversicherung und der Unfallversicherung aus den Jahren 1972 und 1985 (abgedruckt in den Rundschreiben Nr 39/1972 und Nr 27/1985 der deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland) nicht berührt.

2. § 112 SGB 10 legt für Erstattungen allgemein gültige Grundsätze fest und findet damit über die §§ 102ff SGB 10 hinaus auf alle Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern Anwendung (vgl BSG vom 26.11.1987 - 2 RU 7/87 = SozR 2200 § 776 Nr 8).

3. Der Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB 10 ist nicht wegen Zeitablaufs ausgeschlossen. § 111 SGB 10 findet keine Anwendung.

 

Normenkette

SGB 10 § 105 Abs 1 S 1, §§ 111-112; RVO § 565 Abs 1; RVO § 565 Abs 2 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 13.12.1989; Aktenzeichen L 3 U 103/89)

SG Mainz (Entscheidung vom 14.06.1989; Aktenzeichen S 5 U 158/87)

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob der Anspruch der klagenden Berufsgenossenschaft gegen die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse auf Rückzahlung zu Unrecht geleisteter Kostenerstattung nach § 105 Abs 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) iVm § 111 SGB X teilweise ausgeschlossen ist.

einen Krankenhausaufenthalt und anschließende Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. Unter dem 8. und 11. November 1983 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie seit dem 6. Januar 1983 Krankengeld zahle und bat um Mitteilung, ob der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt werde. Auf mehrere Abrechnungen hin zahlte die Klägerin der Beklagten am 5. Dezember 1984 den Betrag des geltend gemachten Krankengeldes für die Zeit vom 6. Januar 1983 bis zum 13. Juni 1984 in Höhe von 36.262,05 DM. Mit Schreiben vom 12. Februar 1985 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Rückerstattungsanspruch an, da ihrer Meinung nach nicht die gesamte Zeit der Arbeitsunfähigkeit unfallbedingt gewesen sei. Aufgrund eines medizinischen Zusammenhangsgutachtens konkretisierte sie den Erstattungsanspruch auf die Zeit vom 15. Juli 1983 bis zum 13. Juni 1984. Die Beklagte erkannte daraufhin den Erstattungsanspruch für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 13. Juni 1984 an. Hinsichtlich der früheren Leistungszeiträume lehnte sie eine Erstattung mit der Begründung ab, daß insoweit der Anspruch, der seine Grundlage allein in § 105 SGB X finde, nach § 111 SGB X ausgeschlossen sei.

Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Rückerstattung ihrer Zahlung für die Zeit vom 15. Juli 1983 bis zum 31. Dezember 1983 in Höhe von 11.053,54 DM erhoben. Das Sozialgericht Mainz hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin 11.053,54 DM zu erstatten, da die Frist des § 111 SGB X zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs durch die Klägerin noch nicht abgelaufen gewesen sei (Urteil vom 14. Juni 1989). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. Dezember 1989) und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe der Beklagten ursprünglich die Kosten nach § 1504 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung erstattet. Soweit dies zu Unrecht geschehen sei, müsse die Rückabwicklung über § 112 SGB X erfolgen. Die Überweisung von Krankengeld an den Versicherten durch die Beklagte gelte nicht als eine Leistung der Klägerin. Denn diese habe die Heilbehandlung nicht als berufsgenossenschaftliche übernommen, auch nicht im Rahmen bestimmter Verfahrensarten (Durchgangsarzt-, Beratungsfacharzt-, Augen- und Ohrenarzt- und Verletzungsartenverfahren). Selbst die Beklagte sei nicht von einer Auftragsleistung im Namen der Klägerin ausgegangen. So habe sie das Krankengeld in eigenem Namen gezahlt und der Klägerin gegenüber die Erstattungsbeträge nach § 1504 RVO aF und nicht als Auftragsleistungen abgerechnet, obwohl diese Möglichkeit in dem Formblatt über die Abrechnung der Erstattungsansprüche vorgesehen sei. Damit sei Grundlage des Erstattungsanspruchs allein § 112 SGB X, auf den § 111 SGB X keine Anwendung finde.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 111 SGB X. Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch habe seine Grundlage allein in § 105 SGB X und nicht in § 112 SGB X. Dies ergebe sich aus einer zwischen den Verbindungsstellen der Krankenversicherung und der Unfallversicherung getroffenen Vereinbarung (abgedruckt im Rundschreiben Nr 27/1985 der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland, Bundesverband der Ortskrankenkassen), die für den hier vorliegenden Fall bestimme, daß Leistungen der Krankenkasse, wenn der Arbeitsunfall Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen zur Folge habe, als solche der Unfallversicherung zu gelten hätten. Diese Vereinbarung habe das LSG nicht berücksichtigt und damit dem in § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) niedergelegten Untersuchungsgrundsatz nicht in ausreichendem Maße genügt. Der Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X sei gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen. Denn die Zahlungen von Krankengeld gliederten sich in mehrere Bewilligungsabschnitte, weil nach jedem Ablauf des vorangegangenen Bezugszeitraums die Arbeitsunfähigkeit neu geprüft werden müsse. Deshalb sei für den Beginn der Ausschlußfrist auch der Ablauf jedes einzelnen Bewilligungsabschnitts maßgebend und nicht das Ende der Gesamtdauer der Arbeitsunfähigkeit.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht der von ihr geltend gemachte Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten zu.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Teil der Gesamtforderung der Klägerin, den die Beklagte noch nicht befriedigt hat. Er betrifft die Rückzahlung des Betrages, den die Klägerin an die Beklagte im Hinblick auf deren Krankengeldzahlungen an den Versicherten für die Zeit vom 15. Juli 1983 bis zum 31. Dezember 1983 erbracht hat.

Grundlage des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs ist § 112 SGB X und nicht § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Klägerin hat der Beklagten das dem Versicherten gezahlte Krankengeld für die Zeit vom 15. Juli 1983 bis 13. Juni 1984 zu Unrecht erstattet, so daß die erstatteten Beträge insoweit zurückzuerstatten sind.

Der Versicherte hat das Krankengeld für diesen Zeitraum nicht von der Klägerin, sondern von der Beklagten als dem zuständigen Leistungsträger erhalten. Die Klägerin hatte nicht die Zahlung der während der Heilbehandlung zu zahlenden Geldleistungen übernommen (§ 565 Abs 2 Satz 1 RVO). Das Krankengeld für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 13. Juni 1984 galt auch nicht nach den Vereinbarungen zwischen den Verbänden der Unfallversicherung und der Krankenversicherung als Leistung der Klägerin.

Es kann dahinstehen, ob die von der Beklagten zitierte Vereinbarung aus dem Jahre 1985 (s die Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 9. Mai 1985 VB 38/85 und der Deutschen Verbindungsstelle - Krankenversicherung - vom 21. Mai 1985 Nr 27/1985) anwendbar ist. Diese Vereinbarung wurde erst nach Ende des hier maßgebenden Zeitraumes geschlossen. Zwar enthält das Rundschreiben 27/1985 am Schluß den Hinweis, die neue Regelung sei auf alle noch nicht abgeschlossenen Fälle anwendbar. Ob dieser im Rundschreiben VB 38/85 nicht enthaltene Hinweis Teil der Vereinbarung oder nur eine Auslegung der Verbindungsstelle ist, bedarf ebenso keiner Entscheidung wie die Frage, ob sich dieser Hinweis auf die nicht abgeschlossenen Behandlungsfälle oder auf die - hier wesentlichen - Erstattungsfälle bezieht. Die hier anstelle der Vereinbarung von Mai 1985 in Betracht kommende Vereinbarung zwischen den Verbindungsstellen der Krankenversicherung und der Unfallversicherung zum Deutsch-Jugoslawischen Abkommen über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, S 1438) idF des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, S 390) enthält insoweit mit der Vereinbarung von Mai 1985 inhaltlich übereinstimmende Regelungen (s Rundschreiben Nr 39/1972 der Deutschen Verbindungsstelle - Krankenversicherung - vom 11. Juli 1972). Danach galten bei einer Behandlung im Ausland, der keine Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland vorausgegangen war, die Leistungen als solche der Unfallversicherung, wenn der Arbeitsunfall Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen zur Folge hatte. Dieser Teil der Vereinbarung grenzt jedoch nur die Zuständigkeit des zunächst Leistungspflichtigen bei Arbeitsunfällen in Anlehnung an § 565 Abs 1 und 2 RVO ab. § 565 Abs 1 RVO bestimmt, daß, auch wenn eine Erkrankung auf einen Arbeitsunfall oder einen ihm rechtlich gleichgestellten Tatbestand zurückzuführen ist, für die Heilbehandlung zunächst der Träger der Krankenversicherung zuständiger Leistungsträger ist. Seine Zuständigkeit für die Durchführung der Heilbehandlung und die Zahlung der während der Heilbehandlung zu gewährenden Leistungen geht erst dann auf den Träger der Unfallversicherung nach § 565 Abs 2 RVO über, wenn dies durch den Unfallversicherungsträger erklärt wird oder im Rahmen bestimmter vom LSG genannter Verfahrensarten erfolgt. Da die Voraussetzungen, unter denen die Berufsgenossenschaften im Inland bei Arbeitsunfällen die Heilbehandlung nach dieser Vorschrift übernehmen, im Ausland regelmäßig nicht gegeben sind, wurde die angeführte Vereinbarung geschlossen. Sie enthält keine materiell-rechtliche von den Regelungen der RVO abweichende Zuordnung der Leistungen der Heilbehandlung im Ausland an den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie erfaßt nur die Fälle, in denen die Heilbehandlung im Ausland wegen eines Arbeitsunfalles erfolgt. Nur bei einer Heilbehandlung wegen eines Arbeitsunfalles gilt diese als Leistung der zuständigen Berufsgenossenschaft ungeachtet dessen, daß sie tatsächlich von dem Träger der gesetzlichen Krankenkasse erbracht worden ist. Dies ergibt sich nicht nur aus Sinn und Zweck dieser Vereinbarungen, sondern schon aus deren Wortlaut. Die Fiktion, daß die von der Krankenkasse tatsächlich erbrachten Leistungen als solche der Berufsgenossenschaft gelten, soll nur eintreten, wenn "der Arbeitsunfall" Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen verursacht "hat". Soweit nach einem Arbeitsunfall die Krankenkasse Leistungen erbringt wegen Erkrankungen, die nicht Folgen des Arbeitsunfalles sind, ist sie der zuständige Leistungsträger. Diese Zuständigkeit wird durch die auf Leistungen wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles beschränkten Vereinbarungen aus den Jahren 1972 und 1985 (aaO) nicht berührt.

Die Beklagte zahlte nur für die Zeit bis zum 14. Juli 1983 das Krankengeld als aufgrund § 565 Abs 2 RVO iVm den Vereinbarungen (aaO) unzuständiger Leistungsträger, da nur bis zu diesem Zeitpunkt die Arbeitsunfähigkeit unfallbedingt war. Vom 15. Juli 1983 an erbrachte die Beklagte Leistungen als zuständiger Leistungsträger, da die Arbeitsunfähigkeit nunmehr unfallunabhängig war. Die Klägerin erstattete durch ihre Zahlung am 5. Dezember 1984 in Höhe von insgesamt 36.262,05 DM der Beklagten iS des § 1504 RVO aF deren Aufwendungen, die diese für den gesamten Zeitraum als vermeintlich erstattungsberechtigter Leistungsträger erbracht hatte. Von einem solchen Erstattungsanspruch ging auch die Beklagte ausweislich der in ihren Verwaltungsakten befindlichen Erstattungsabrechnungen aus. Als sich dann aufgrund weiterer Ermittlungen herausstellte, daß die Arbeitsunfähigkeit nicht für den gesamten Zeitraum unfallabhängig war, und damit die Erstattung für die Zeit vom 15. Juli 1983 bis zum 13. Juni 1984 zu Unrecht erfolgt war, forderte die Klägerin die für diesen Zeitraum zu Unrecht erstatteten Beträge zurück. Rechtsgrundlage hierfür ist § 112 SGB X. Nach dieser Vorschrift sind die gezahlten Beträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. § 112 SGB X legt für Erstattungen allgemein gültige Grundsätze fest (BT-Drucks 9/95, S 17, 24) und findet damit über die §§ 102 ff SGB X hinaus auf alle Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern Anwendung (Brackmann, aa0, S 968g; Schellhorn, GK-SGB X 3, § 112 RdNr 7; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 112 Anm 1; vgl auch die Entscheidung des erkennenden Senats zur Anwendbarkeit des § 112 SGB X auf Erstattungsansprüche nach § 1504 RVO aF, SozR 2200 § 776 Nr 8).

Der Rückerstattungsanspruch ist, wie das LSG zu Recht festgestellt hat, auch nicht wegen Zeitablaufs ausgeschlossen. So findet § 111 SGB X nach allgemeiner Ansicht auf § 112 SGB X keine Anwendung (Brackmann, aa0, S 968g; Schellhorn, aa0, § 112 RdNr 18; Pickel, aa0, § 112 Anm 4; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens aaO § 111 Anm 1; Ergänzende Anmerkungen der Spitzenverbände der Krankenkassen, DOK 1984, S 413). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 111 SGB X, wonach nur Erstattungsansprüche erfaßt werden, während hingegen die Verjährungsvorschrift des § 113 SGB X Erstattungs- und Rückerstattungsansprüche erfaßt, und entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der einen Vorschlag des Bundesrates, auch Rückerstattungsansprüche in § 111 SGB X aufzunehmen, nicht gefolgt ist (BT-Drucks 9/95 S 40 und 47 jeweils Nr 27 zu Art I § 117). Der Rückerstattungsanspruch ist auch nicht verjährt, da von der Erstattung der Klägerin an die Beklagte bis zum Ablauf des Jahres, in dem sie Klage auf Rückerstattung erhoben hat, weniger als vier Jahre vergangen waren. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob dem Vorbringen der Beklagten überhaupt die Einrede der Verjährung entnommen werden könnte.

Die Kostenerstattung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650910

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