Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Sachaufklärungspflicht. Ermessen bei der Beweiserhebung. Urteilsergänzung. bewußtes Übergehen eines Beweisantrags

 

Orientierungssatz

1. Das Ausmaß, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, steht zwar im Ermessen des Gerichts (vgl BSG Beschluß des Großen Senats vom 11.12.1969 - GS 2/68 = BSGE 30, 192, 205), es müssen jedoch alle Tatsachen ermittelt werden, die entscheidungserheblich sind. Dabei muß das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die zur Verfügung stehen und möglicherweise eine Aufklärung erwarten lassen (BSG aaO). Der Sachverhalt muß soweit aufgeklärt werden, daß entweder eine Tatsache als erwiesen oder eine Behauptung als widerlegt angesehen werden kann oder weitere Beweismittel, die weitere Aufklärung bringen könnten, nicht zur Verfügung stehen.

2. § 140 SGG sieht ein Urteilsergänzungsverfahren vor, soweit das Urteil einen von den Beteiligten erhobenen Anspruch übergangen hat (§ 140 SGG). Diese Norm gilt jedoch nicht für Fälle, in denen das Gericht einen Punkt bewußt ausgeklammert hat (vgl BSG vom 29.6.1979 - 8b RK 4/79 = BSGE SozR 5310 § 6 Nr 2). In diesen Fällen (bewußte Ausklammerung) liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (vgl BSG vom 14.12.1967 - 2 RU 163/67). Soweit gelegentlich unter Hinweis auf Rechtsprechung des BSG, die bewußte Nichtentscheidung als ein (die Berufung nicht eröffnender) Verstoß gegen materielles Verfahrensrecht angesehen wird (so wohl Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl § 123 RdNr 6), beruht dies auf einer ungenauen Bezugnahme. Die Entscheidungen des 8. Senats des BSG vom 7.3.1958 - 8 RV 707/56 = SozR Nr 3 zu § 123 SGG und vom 20.7.1973 - 8 RU 43/73 = SozR Nr 15 zu § 123 SGG) wie auch die Entscheidung des 4. Senats vom 9.1.1969 - 4 RJ 91/68 = SozR Nr 48 zu § 150 SGG betrafen insoweit lediglich den Grundsatz "ne ultra petita".

3. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 5.3.2003 - 1 BvR 318/03).

 

Normenkette

SGG §§ 103, 140 Abs. 1, § 150 Nr. 2

 

Verfahrensgang

SG Bayreuth (Entscheidung vom 17.07.1991; Aktenzeichen S 9 Ar 87/90)

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 04.06.1992; Aktenzeichen L 7 Ar 767/91)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Waisenrente, hilfsweise Beitragserstattung. Umstritten ist, ob die Berufung entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) zulässig war.

Der im Jahre 1962 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebt in der Türkei. Seine am 20. Juli 1978 verstorbene Mutter, S. R. , war zwischen 1973 und 1978 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Aufgrund eines auf den im Jahre 1965 geborenen Bruder des Klägers, E. T. , beschränkten Antrags gewährte die Beklagte vom 1. Januar 1981 bis 31. Mai 1983 Halbwaisenrente aus dieser Versicherung.

Der Kläger selbst stellte erstmals am 9. November 1989 über den türkischen Versicherungsträger einen Antrag auf Gewährung von Halbwaisenrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Dezember 1989 mit der Begründung ab, der Kläger habe bereits 1987 das 25. Lebensjahr vollendet.

Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Bayreuth (SG), die er persönlich erhob und begründete. Der Vorsitzende forderte die Beklagte zunächst auf, ihren Bescheid noch einmal zu überprüfen, da ein Waisenrentenanspruch bis 1987 in Betracht komme, wenn der Kläger sich weiter in Schul- oder Berufsausbildung befunden habe. Die Beklagte teilte daraufhin unter Übersendung der Ablichtung eines Fragebogens mit, der Kläger könne dazu keine Angaben machen. Auf dem Fragebogen befindet sich in türkischer Sprache (und deutscher Übersetzung durch eine andere Person) die vom Kläger unterschriebene Erklärung, er habe aus familiären Gründen häufig die Schule gewechselt und könne sich an die Namen nicht mehr erinnern.

In einem späteren - in türkischer Sprache abgefaßten, vom Kläger und seinem Bruder E. unterschriebenen - Schriftsatz vom 12. April 1991, den das SG übersetzen ließ, hieß es ferner (ua): "Wir bitten, bei der Beitragserstattung unserer Mutter den Anteil von 34% auszuzahlen." Dem war ein Schreiben des E. T. an die Beklagte vorausgegangen, in dem dieser schrieb, er bitte "die erstattende Versicherungsbeiträge meiner Mutter S. R. auszustellen und an mich mitzuteilen". Die Beklagte behandelte dieses Schreiben lediglich als Anfrage und teilte mit Schreiben vom 10. April 1990 mit, daß wegen bereits erfolgter Leistungsgewährung (Waisenrente) eine Beitragserstattung nicht mehr möglich sei.

Mit Urteil vom 17. Juli 1991 wies das SG die Klage ab, die Begründung bezieht sich jedoch ausschließlich auf den geltend gemachten Waisenrentenanspruch. Zur Begründung führte das SG aus, eventuelle Ansprüche des Klägers aus der Zeit vor dem 1. Januar 1985 seien im Hinblick auf § 45 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) verjährt. Für den Zeitraum vom 1. Januar 1985 bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres habe der Kläger die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere eine Schul- oder Berufsausbildung, nicht nachgewiesen.

Gegen dieses Urteil legte der ebenfalls in der Türkei lebende Bruder des Klägers, E. T. , in dessen Namen fristgemäß Berufung ein. Eine schriftliche Prozeßvollmacht wurde aber nie eingereicht. Im Berufungsschriftsatz vom 15. Oktober 1991 bat der Bruder des Klägers, die "Klage wieder genau zu untersuchen und die Formalitäten für Waisenrente und Beitragsrückerstattung zu erledigen und an mich mitzuteilen".

Mit Schriftsatz vom 26. Dezember 1991 erklärte E. T. ferner, er wolle in der Sache aussagen und bitte um Mitteilung über Möglichkeiten und Formalitäten für eine solche Anhörung.

Das LSG bestimmte den 4. Juni 1992 als Termin zur mündlichen Verhandlung und lud den Bruder des Klägers hierzu per Einschreiben mit Rückschein vom 7. Mai 1992. Laut Rückschein hat er dieses Schreiben am 18. Mai 1992 erhalten. Durch Telefax vom 26. Mai 1992 teilte er daraufhin dem LSG mit, daß er den Termin wahrnehmen und aussagen wolle. Hierzu bitte er das LSG, möglichst per Fax Datum und Ort der mündlichen Verhandlung dem deutschen Generalkonsulat in I. /Türkei mitzuteilen. Das LSG veranlaßte nichts; für den Kläger erschien zum Termin niemand.

Mit Urteil vom 4. Juni 1992 verwarf das LSG die Berufung des Klägers als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, die Berufung sei gemäß § 146 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig, soweit sie sich auf die Gewährung der Waisenrente beziehe, da insoweit nur um Rente für abgelaufene Zeiträume gestritten werde. Soweit auch Beitragsrückerstattung begehrt werde, sei die Berufung unzulässig, weil die Beklagte diesbezüglich keinen Bescheid erteilt und auch das SG hierüber nicht entschieden habe. Daher könne dieses Begehren auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sein.

Hiergegen wendet sich der - mittlerweile durch schriftlich bevollmächtigten Anwalt vertretene - Kläger mit der vom Senat zugelassenen Revision. Das angefochtene Urteil beruhe sowohl auf Verfahrensmängeln als auch auf einer Verletzung des materiellen Rechts.

Der Kläger - bzw sein Bruder - sei nicht ordnungsgemäß geladen worden. Die Ladung per Einschreiben mit Rückschein entspreche nicht den Anforderungen des § 14 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) an eine Auslandszustellung. Es hätte mittels Ersuchens der zuständigen Behörde der Türkei oder der konsularischen Vertretung des Bundes zugestellt werden müssen. Außerdem sei das zugestellte Schriftstück auf dem Rückschein noch nicht einmal genau bezeichnet.

Des weiteren rügt der Kläger eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör. Soweit eine mündliche Verhandlung stattfinde, müsse den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt dort darzulegen. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung müsse aufgehoben werden, wenn einem Beteiligten die Teilnahme aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, nicht möglich sei. Vorliegend habe der Bruder des Klägers deutlich gemacht, daß er am Termin unbedingt teilnehmen wolle und hierzu ein Einreisevisum des Generalkonsulats benötige. Das LSG hätte daher entweder selbst das Generalkonsulat in I. einschalten oder aber den Termin verlegen müssen. Zumindest habe es den Klägervertreter darauf hinweisen müssen, daß es ihm bei der Visumsbeschaffung nicht helfen werde und er sich selbst bemühen müsse. Wäre der Bruder des Klägers zur mündlichen Verhandlung erschienen, hätte er vortragen können, daß der Kläger sich bis zu seinem 25. Lebensjahr in Berufsausbildung befunden habe.

Das LSG habe die Berufung nicht als insgesamt unzulässig verwerfen dürfen. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Beitragsrückerstattung sei bereits vom SG abgewiesen worden, insoweit sei die Berufung unbeschränkt zulässig gewesen.

Die angefochtenen Urteile könnten auch in der Sache keinen Bestand haben. Eine teilweise Verjährung sei nämlich nicht eingetreten, weil der Kläger zum Zeitpunkt des Todes der Mutter minderjährig gewesen sei, was die Verjährung unterbrochen habe. Außerdem sei der Antrag des Bruders Esref Tozar aus dem Jahre 1985 auch für den Kläger gestellt worden. Schließlich sei die Berufung der Beklagten auf die Einrede der Verjährung arglistig. Der Kläger habe nicht wissen können, daß Rente nur auf Antrag gewährt werde und darauf vertraut, daß die Rente ihm von Amts wegen zugebilligt würde.

Der Kläger beantragt,

1.

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Juni 1992 und das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 17. Juli 1991 aufzuheben,

2.

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Dezember 1989 Halbwaisenrente aus der Versicherung der verstorbenen S. R. zu gewähren, hilfsweise die von dieser eingezahlten Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit bezieht sich auf zwei Streitgegenstände. Soweit der Kläger Waisenrente geltend macht, ist die Revision zulässig und begründet und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Die Revision war durch Zulassung statthaft und ist in gesetzlicher Frist und Form eingelegt worden. Sie ist auch begründet, da das LSG zu Unrecht nicht in der Sache entschieden hat.

Dem LSG ist zwar darin zu folgen, daß gem § 146 SGG in Angelegenheiten der Rentenversicherung die Berufung nicht statthaft ist, wenn diese nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Dies war hier der Fall, weil die begehrte Waisenrente gem § 1267 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) maximal bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes gewährt werden konnte und der Kläger im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung (21. Oktober 1991), auf den es hier ankommt (BSGE 16, 134; 37, 64), dieses Alter bereits überschritten hatte. Es ist auch nicht erkennbar, daß der Kläger, nachdem diese Begrenzung bereits durch das Urteil des SG verdeutlicht wurde, Waisenrente über diesen Zeitpunkt hinaus begehren wollte, so daß hier dahinstehen kann, ob dies überhaupt zur Statthaftigkeit der Berufung führen könnte.

Die Berufung war jedoch entgegen der Auffassung des LSG gem § 150 Nr 2 SGG statthaft, weil der Kläger sinngemäß einen Verfahrensmangel des SG gerügt hat, der auch vorliegt. Der Verfahrensfehler des SG bestand darin, daß es seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt hat. Der Sachverhalt ist von Amts wegen zu erforschen. Das Ausmaß steht zwar im Ermessen des Gerichts (BSGE 30, 205), es müssen jedoch alle Tatsachen ermittelt werden, die entscheidungserheblich sind. Dabei muß das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die zur Verfügung stehen und möglicherweise eine Aufklärung erwarten lassen (BSG aaO). Der Sachverhalt muß soweit aufgeklärt werden, daß entweder eine Tatsache als erwiesen oder eine Behauptung als widerlegt angesehen werden kann oder weitere Beweismittel, die weitere Aufklärung bringen könnten, nicht zur Verfügung stehen.

Das SG hatte zu klären, ob dem Kläger Waisenrente über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu gewähren war, weil er sich in dieser Zeit noch in Schul- und Berufsausbildung befand (§ 1267 Abs 1 Satz 2 RVO). Es hat indes zu dieser Frage überhaupt keine Ermittlungen angestellt, sondern sich mit den Ermittlungen der Beklagten begnügt, die lediglich darin bestanden, den Kläger zur Ausfüllung eines Fragebogens zu veranlassen, wobei unklar blieb, wie dieser zustande gekommen ist und ob dem Kläger die Bedeutung seiner Aussagen hinreichend deutlich waren. Es war auch keineswegs so, daß weitere Beweismittel nicht zur Verfügung standen. Abgesehen davon, daß das SG durch gezielte Fragestellungen und Erläuterungen möglicherweise vom Kläger doch noch nähere Anhaltspunkte hätte erhalten können, standen jedenfalls die Familienmitglieder des Klägers als Zeugen zur Verfügung, und es war auch nicht fernliegend, daß der Kläger auf Rückfragen weitere Zeugen hätte benennen können.

Diesen Verfahrensfehler des SG hat der Kläger im Berufungsverfahren dem Sinne nach gerügt, in dem er erklärt hat, er wolle aussagen und gebeten hat, die nötigen Formalitäten und die Möglichkeiten für eine Anhörung zu erfahren. Darin kommt eine Unzufriedenheit mit dem Verfahren des LSG zum Ausdruck und der Wille, die Beweisaufnahme im Wege der Berufung durchzusetzen.

Die Berufung und die Rüge waren auch nicht deshalb unbeachtlich, weil der Klägervertreter seine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatte. Denn der Kläger hat die Prozeßführung nachträglich genehmigt (BSG SozR 1500 § 73 Nr 5).

Da das LSG somit zu Unrecht die Berufung als unzulässig angesehen hat, muß eine Entscheidung in der Sache ergehen. Da der erkennende Senat die hierfür erforderlichen Feststellungen nicht nachholen kann (§ 163 SGG), war die Sache, soweit Waisenrente im Streit ist, an das LSG zurückzuverweisen.

Soweit der Kläger Beitragserstattung begehrt, war die Revision nur in dem Sinne begründet, daß die Berufung statt als unzulässig als unbegründet zurückzuweisen war.

Zwar war die Berufung auch insoweit gem § 144 Abs 1 Nr 1 SGG nicht statthaft, weil es sich bei der Rückerstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge um eine einmalige Leistung handelt (BSG SozR § 144 Nrn 14, 17, 22).

Auch insoweit liegt aber ein Verfahrensfehler des SG vor, der gem § 150 Nr 2 SGG zur Zulässigkeit der Berufung führte. Das SG hat nämlich zu Unrecht eine Entscheidung über die Beitragserstattung für nicht erforderlich gehalten. Zwar sieht das Gesetz ein Urteilsergänzungsverfahren vor, soweit das Urteil einen von den Beteiligten erhobenen Anspruch übergangen hat (§ 140 SGG). Diese Norm gilt jedoch nicht für Fälle, in denen das Gericht einen Punkt bewußt ausgeklammert hat (BSGE 9, 80, 83; 15, 232; BSG SozR 5310 § 6 Nr 2). In diesen Fällen (bewußte Ausklammerung) liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (BSG 21. Dezember 1961 - 9 RV 1202/59; BSG 10. Oktober 1963 - 10 RV 767/62; BSG 14. Dezember 1967 - 2 RU 163/67). Soweit gelegentlich, unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die bewußte Nichtentscheidung als ein (die Berufung nicht eröffnender) Verstoß gegen materielles Verfahrensrecht angesehen wird (so wohl Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl § 123 RdNr 6), beruht dies auf einer ungenauen Bezugnahme. Die Entscheidungen des 8. Senats des BSG (SozR Nrn 3 und 15 zu § 123 SGG) wie auch die Entscheidung des 4. Senats (SozR Nr 13 zu § 123 SGG) betrafen insoweit lediglich den Grundsatz "ne ultra petita".

Die bewußte Ausklammerung der Entscheidung über die Beitragsrückerstattung ergibt sich zwar nicht aus dem Urteil des SG, jedoch aus der Tatsache, daß das SG bereits in einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens (Schriftsatz der Beklagten vom 23. April 1990) von dem Vorgang Kenntnis erhalten hat und auch kurz vor der mündlichen Verhandlung durch selbst veranlaßte Übersetzung vom 18. April 1991 noch einmal auf das diesbezügliche Begehren des Klägers hingewiesen worden ist. Da es sich im übrigen um eine nur wenige Blätter umfassende Akte handelt, ist nicht anzunehmen, daß das Gericht ohne genaue Kenntnis dieses Vorganges entschieden hat. Der dem SG unterlaufene Verfahrensfehler (bewußte Nichtentscheidung über die Beitragserstattung) ist vom Kläger auch in der Berufungsinstanz gerügt worden, indem er erneut die Beitragserstattung geltend gemacht hat.

Da somit entgegen der Auffassung des LSG die Berufung nicht als unzulässig angesehen werden konnte, weil das SG über diese Frage nicht entschieden hatte, sondern gerade deshalb ein Verfahrensfehler vorlag, der die Berufung eröffnete, mußte das LSG eine Entscheidung in der Sache treffen. Einer Zurückverweisung an das LSG bedarf es aber insoweit nicht, weil weitere Tatsachenfeststellungen nicht erforderlich sind (§ 163 SGG) und deshalb die Entscheidung auch in der Revisionsinstanz getroffen werden kann.

In der Sache konnte die Berufung jedoch keinen Erfolg haben. Dabei mag hier dahinstehen, ob es zutrifft, daß die Beklagte über die Beitragserstattung noch nicht entschieden hat. Wäre dies der Fall, so wäre die Klage unzulässig, weil keine Verwaltungsentscheidung vorausgegangen war (§ 54 SGG). Die Berufung müßte deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden, denn der Kläger hätte in erster Instanz wegen dieses prozessualen Mangels keinen Erfolg haben können.

Selbst wenn man aber das Schreiben des E. T. an die Beklagte vom Februar 1990 als Antrag auch im Auftrag des Klägers und die Antwort der Beklagten vom 10. April 1990 als Bescheid auch gegenüber dem Kläger ansähe, könnte die Klage nicht zum Erfolg führen. Die Beklagte hat in diesem Schreiben zutreffend darauf hingewiesen, daß gem § 1303 Abs 5 RVO eine Beitragserstattung ausgeschlossen war, weil in Form der Waisenrente für E. T. (Bescheid vom 13. März 1986) bereits eine Regelleistung gewährt worden war. Daß damals nur für Esref Tozar Waisenrente beantragt wurde, nicht aber für den Kläger, begründet weder ganz noch teilweise einen Anspruch auf Rückerstattung zu Recht entrichteter Beiträge.

Die Kostenentscheidung war insgesamt aufzuheben und auch insoweit der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen, weil dieses in der abschließenden Entscheidung unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens über die Kosten zu entscheiden hat (§ 193 SGG; BSG SozR 5870 § 2 Nr 61 S 201 f).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173243

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