Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 23.02.1989; Aktenzeichen L 3 Ar 92/88)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 23. Februar 1989 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Mitgliedsbeiträge des Klägers zum Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerk für Rechtsanwälte (Versorgungswerk) für die Zeit von März bis November 1986 zu tragen hat.

Der im Juni 1954 geborene Kläger war von Oktober 1982 bis November 1985 als Referendar Beamter auf Widerruf. Nach bestandenem zweiten juristischen Staatsexamen bezog er ab 2. Dezember 1985 bis 30. November 1986 Arbeitslosenhilfe (Alhi) von der Beklagten, wobei der Umfang der ab März 1986 aufgenommenen Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt seine Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nicht ausschloß. Seinen Antrag auf Übernahme der Beiträge zum Versorgungswerk, dessen Pflichtmitglied er mit seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft geworden ist, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 17. September 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 1986).

Das Sozialgericht (SG) Kiel hat die ua auf Aufhebung dieser Bescheide und Verurteilung zur Beitragstragung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Juli 1988). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers durch Urteil vom 23. Februar 1989 zurückgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Beiträge zum Versorgungswerk, weil er nicht nach der hier allein in Betracht zu ziehenden Alternative des § 166b Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gem § 7 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) von der Versicherungspflicht befreit worden sei. Er sei zu keiner Zeit abhängig beschäftigter Angestellter gewesen, der sich wegen der Mitgliedschaft im Versorgungswerk von der Angestelltenversicherungspflicht habe befreien lassen. Der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung reiche allein nicht für die Übernahme der Beiträge aus. Dem stünden der Wortlaut, der Zweck und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift entgegen. Auch verstoße diese nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz -GG-). Denn wenn der Gesetzgeber Selbständige von den Vergünstigungen des § 166b Abs 1 AFG ausnehme, so sei dies insbesondere nicht deshalb willkürlich, weil nach § 36 Abs 1 Nr 3a AVG die Zeit des Bezuges von Arbeitslosengeld (Alg) oder Alhi als Ausfallzeit Anrechnung finden könne, wenn die BA für den Bezieher dieser Leistungen keine Beiträge an die Versorgungseinrichtung zahle.

Der Kläger begründet seine – vom LSG zugelassene – Revision mit der Verletzung des § 166b AFG.

Er beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Kiel vom 5. Juli 1988 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 23. Februar 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1986 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beiträge zum Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerk für Rechtsanwälte für die Zeit von März bis November 1986 zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, weil das Verfahren vor diesem Gericht an einem vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigenden Mangel leidet, und zwar der fehlenden und im Revisionsverfahren nicht nachholbaren (§ 168 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) notwendigen Beiladung des Versorgungswerks (BSG, ständige Rechtsprechung, vgl insbesondere SozR 1500 § 75 Nrn 1, 21, 49, 51, 56; SozR 3 – 1500 § 75 Nr 2).

Nach § 75 Abs 2, 1. Fall SGG sind Dritte zum Rechtsstreit beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die zu erwartende Entscheidung zugleich in die Rechtssphäre des Dritten unmittelbar eingreift (BSGE 11, 262, 265; 46, 232, 233 = SozR 2200 § 658 Nr 3; SozR 1500 § 75 Nr 49). Würde dieser nicht am Rechtsstreit beteiligt werden, so würde die Rechtskraft der Entscheidung ihn nicht binden (§ 141 Abs 1 SGG), und es könnte ihm gegenüber später anders entschieden werden. Um dies zu vermeiden, ist er zum Rechtsstreit beizuladen (vgl Urteile des erkennenden Senats vom 24. Juni 1981 – SozR 1500 § 75 Nr 36; vom 15. Februar 1989 – SozR 5425 § 2 Nr 1 – und vom 21. Februar 1990 – SozR 3 – 1500 § 75 Nr 2).

Im vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich die Notwendigkeit der Beiladung des Versorgungswerks nach § 75 Abs 2, 1. Fall SGG aus § 166b Abs 1 AFG. Nach dieser Vorschrift trägt die BA ua die Beiträge zur Versorgungseinrichtung für Empfänger von Alhi, die nach § 7 Abs 2 AVG befreit sind, bis zu der Höhe, in der sie Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten hätte, wenn der Leistungsempfänger nicht von der Versicherungspflicht befreit worden wäre, höchstens jedoch bis zur Höhe des vom Leistungsempfänger aufgrund der Satzung der Versorgungseinrichtung geschuldeten Beitrags (Satz 1). Der Leistungsempfänger wird insoweit von der Verpflichtung befreit, Beiträge zu dieser Einrichtung zu entrichten (Satz 2).

„Trägt” also die BA die Beiträge, so wird der Empfänger von Alg usw „insoweit” von der eigenen Verpflichtung zur Beitragszahlung frei. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist das „Tragen der Beiträge” in § 166b Abs 1 Satz 1 AFG dahingehend zu verstehen, daß auf die rechtliche Verpflichtung und nicht auf das tatsächliche Zahlen der Beiträge abzustellen ist. Sind die Voraussetzungen des Satzes 1 der genannten Vorschrift erfüllt, so tritt die daran in Satz 2 geknüpfte Wirkung unabhängig vom Zeitpunkt der Beitragszahlung ein. Der Empfänger von Alg oder Alhi ist von seiner Verpflichtung, Beiträge zu entrichten, befreit, sobald die entsprechende Pflicht der Beklagten beginnt (so auch Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, 2. Aufl RdNr 20 zu § 166b; Schelter, Komm zum AFG, RdNr 9 zu § 166b: aA Schiekel/Grüner/Dalichau, Komm zum AFG Anm II 3 zu § 166b ohne nähere Begründung).

Damit aber würde, falls der Kläger obsiegte, die Entscheidung über den Rechtsstreit einen Schuldnerwechsel herbeiführen, nämlich die Beitragspflicht des Klägers gegenüber dem Versorgungswerk für die fragliche Zeit ausschließen und an deren Stelle die der Beklagten treten lassen. Somit griffe eine positive Entscheidung über die Beitragspflicht der Beklagten unmittelbar in die Rechtssphäre des Versorgungswerks ein und könnte daher ihm gegenüber auch nur einheitlich ergehen. Entsprechendes gilt, wenn die Beitragspflicht der Beklagten verneint würde. Dann nämlich hätte die Entscheidung gegenüber dem Versorgungswerk die Wirkung, daß ihm nur gegen den Kläger, nicht aber gegen die Beklagte Beitragsansprüche zustünden. Ohne Beiladung könnte sich die Beklagte aber nicht auf die Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils berufen, falls das Versorgungswerk von ihr die Beiträge verlangte.

Die Verpflichtung der Beklagten zur Beitragsleistung bliebe auch bei einer etwaigen Beitragszahlung durch den Kläger unberührt: denn er hätte für die fragliche Zeit ohne Rechtsgrund geleistet und könnte die Beiträge zurückerstattet verlangen (so auch Schelter, aa0, RdNr 9 zu § 166b; Schiekel/Grüner/Dalichau, aa0, Anm II 3 zu § 166b).

Eine notwendige Beiladung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist dagegen nicht erforderlich. Zwar könnte die BfA vom Ausgang des Rechtsstreits insoweit betroffen werden, als sie möglicherweise für die Zeit, in der der Kläger Alhi bezogen hat, Beiträge für Ausfallzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 112a AVG von der Beklagten erhalten hat und diese im Falle des Obsiegens des Klägers der Beklagten nach § 26 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Sozialversicherung – (SGB IV) erstatten müßte. In einem etwaigen Rechtsstreit zwischen BA und BfA über die Erstattung der Beiträge wäre jedoch der Streitgegenstand ein anderer als der im vorliegenden Verfahren, denn die hier den Streitgegenstand bildende Frage, ob die BA die Mitgliedsbeiträge des Klägers zum Versorgungswerk für die Zeit von März bis November 1986 zu tragen hat, wäre in einer zwischen BA und BfA geführten Erstattungsstreitigkeit nur Vorfrage. Die im vorliegenden Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung greift somit nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der BfA ein und muß ihr gegenüber nicht einheitlich ergehen.

Die unterbliebene notwendige Beiladung des Versorgungswerks mußte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG führen. Nach dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 18. Januar 1990 (BSGE 66, 144, 146, 147 = SozR 3 – 5795 § 6 Nr 1) zieht dieser Verfahrensfehler zwar dann keine Zurückverweisung an die Vorinstanz nach sich, wenn aus der Sicht des Revisionsgerichts die Klage in jedem Fall abgewiesen werden muß. Letzteres konnte der Senat nicht eindeutig bejahen.

Da somit ohne Beiladung des Versorgungswerks in der Sache nicht entschieden werden kann, ist diese nunmehr vom LSG nachzuholen.

Das LSG wird bei einer erneuten Entscheidung auch darüber zu befinden haben, ob – einschließlich des Revisionsverfahrens – außergerichtliche Kosten zu erstatten sind.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172915

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