Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld. Ausbildung. Berufsausbildung. Au-pair. Sprachkurs. Ausland. Dolmetscher. Fremdsprachenkorrespondent/in. Fremdsprachensekretär/in. Alternative. Berufsalternative. Einkommen. Arbeitsentgelt

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob ein Au-pair-Aufenthalt im Ausland mit Besuch eines Sprachkurses eine Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG darstellen kann.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2; SGB IV § 14 Abs. 1; SGB X §§ 45, 48 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 24.04.1992; Aktenzeichen L 5b Kg 3/91)

SG Itzehoe (Urteil vom 12.12.1990; Aktenzeichen S 2 Kg 23/89)

 

Tenor

Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. April 1992 aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt Kindergeld für Zeiträume, in denen seine Töchter in Frankreich während einer Au-pair-Tätigkeit einen Sprachkurs besuchten.

Die Tochter K.… des Klägers, geb. 1966, hielt sich nach ihrem Abitur und dem einjährigen Besuch einer Fremdsprachenschule von September 1987 bis Juli 1988 als Au-pair-Mädchen in Paris auf. Sie besuchte von Oktober 1987 bis Mai 1988 zwei jeweils viermonatige Sprachkurse mit einem zeitlichen Umfang von je 12 Stunden/Woche bei einer täglichen Vorbereitungszeit von etwa 2 Stunden. Die Einschreibgebühr für die Kurse betrug jeweils FF 3.450,--. Von den Gasteltern erhielt K.… als Gegenleistung für Kinderbetreuung und Mithilfe im Haushalt neben freier Kost und Wohnung ein monatliches Taschengeld von FF 1.400,-- (etwa DM 411,--). Der Gesamtwert von Kost, Wohnung und Taschengeld betrug DM 839,67 monatlich.

Die Tochter S.… des Klägers, geb. 1968, hielt sich im Anschluß an ihr 1988 abgelegtes Abitur von August 1988 bis Juni 1989 gleichermaßen als Au-pair-Mädchen in Paris auf. Sie besuchte von Oktober 1988 bis Mai 1989 ebenfalls zwei Sprachkurse mit dem gleichen Zeitaufwand wie ihre Schwester (Einschreibgebühr jeweils FF 3.650,--). Die – denen ihrer Schwester entsprechenden – Gegenleistungen der Gasteltern hatten einen Gesamtwert von DM 824,02/Monat.

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war das Berufsziel von K.… Dolmetscherin und das von S.… Dolmetscherin bzw Fremdsprachensekretärin.

Durch Bescheid vom 9. Februar 1989, Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 1989 und Ergänzungsbescheide vom 28. Juli 1989 lehnte die Beklagte es ab, dem Kläger für seine beiden Töchter während derer Auslandsaufenthalte Kindergeld zu zahlen.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 12. Dezember 1990 den Bescheid vom 9. Februar 1989 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 1989 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, “dem Kläger Kindergeld für K.… und S.… auch während der Zeit als ‘Au-pair-Mädchen’ zu gewähren”.

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 24. April 1992 – unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils – die Klage insoweit abgewiesen, als “Kindergeld für K.… und S.… für die Zeit zuerkannt worden ist, in denen diese nicht an Sprachkursen teilgenommen haben”. Als Berufsausbildung könne jedoch der systematische theoretische Sprachunterricht angesehen werden; hierfür sei ein Zeitaufwand von mindestens 28 Stunden/Woche (einschließlich der Wegezeiten) erforderlich gewesen. Insoweit stehe das Einkommen aus den Au-pair-Verhältnissen einer Kindergeldgewährung nicht entgegen. Selbst wenn man das Au-pair-Verhältnis und den Sprachunterricht als einheitliche Ausbildung ansehe, ergäben sich Bezüge von weniger als DM 750,--/Monat, da die Kosten für die Sprachkurse von den Einkünften abgesetzt werden müßten.

Hiergegen richtet sich die Revision beider Beteiligten. Der Kläger rügt sinngemäß eine Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Die Au-pair-Tätigkeiten seiner Töchter seien jeweils als Einheit zu werten, da auch während der Zeit ohne förmlichen Sprachunterricht eine praktische Sprachausbildung stattgefunden habe. Stelle man das für die jeweils elfmonatige Au-pair-Tätigkeit erzielte Taschengeld den Ausgaben für den Sprachunterricht gegenüber, seien den Töchtern jeweils weniger als DM 750,--/Monat an Bezügen verblieben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. April 1992 insoweit aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, als es das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe aufgehoben und die Klage abgewiesen hat, sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. April 1992 insoweit aufzuheben, als es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat, und das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe deshalb insgesamt aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie rügt eine Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 BKGG. Berücksichtige man mit dem LSG nur die Sprachkurse als Berufsausbildung, so hätten diese die – volljährigen – Töchter des Klägers nur in einem Umfang in Anspruch genommen, in welchem es ihnen zumutbar gewesen sei, daneben eine Halbtagstätigkeit auszuüben. Gehe man demgegenüber mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) von einer einheitlichen Ausbildungsmaßnahme, bestehend aus Au-pair-Tätigkeit und Sprachunterricht, aus (Hinweis auf BSG vom 29. Oktober 1969 – 12 RJ 440/63), stehe dem Anspruch auf Kindergeld die Einkommensgrenze des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG entgegen. Als Bruttobezüge aus dem Ausbildungsverhältnis seien Sachbezüge und Taschengeld zu berücksichtigen (Hinweis auf BSG vom 17. Mai 1989  – 10 RKg 5/88). Diese hätten jeweils den Grenzbetrag von monatlich DM 750,-- erreicht. Außer Betracht zu bleiben hätten hierbei Werbungskosten wie die Kosten der Sprachkurse.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Die Revisionen der Beteiligten sind zulässig und auch im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob es sich bei den Aufenthalten der Töchter des Klägers als Au-pair-Mädchen in Paris und/oder den von ihnen besuchten Sprachkursen um eine Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG handelte; mit dem LSG ist jedoch davon auszugehen, daß während der Monate ohne Sprachkurs (September 1987 sowie Juni und Juli 1988 für K.… sowie August/September 1988 und Juni 1989 für S.…) von vornherein kein Anspruch auf (Ausbildungs-) Kindergeld bestand (1). Weiterhin ist bisher ungeprüft geblieben, ob dem Kläger das streitige Kindergeld nicht einerseits – teilweise – bereits aus verwaltungsverfahrensrechtlichen Gründen zusteht oder aber andererseits schon deshalb nicht, weil er es bereits erhalten hat (2).

(Zu 1) Der Senat geht in seiner Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs “Berufsausbildung” in § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG – ebenso wie die Rechtsprechung des BSG zu den Vorschriften über den Kinderzuschuß und die Waisenrente – von folgenden Grundsätzen aus, die er bereits in seinem Urteil vom 23. August 1989 (BSGE 65, 250, 251 = SozR 5870 § 2 Nr 66) in dieser Form zusammengestellt hat:

1. Eine Aus-, Weiter- oder Fortbildung ist nur dann eine Berufsausbildung, wenn sie dazu dient, die Fähigkeiten zu erlangen, die die Ausübung des zukünftigen Berufes ermöglichen (BSG SozR 5870 § 2 Nr 39 mwN).

2. Sind Betätigungen, die diesem Ziel dienen, in einer Ausbildungsordnung abschließend festgelegt, besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, weitere Betätigungen als Kindergeld-Leistungszeiten wegen Berufsausbildung anzuerkennen (BSG aaO; SozR 5870 § 2 Nr 41).

3. Gibt es für eine bestimmte berufliche Tätigkeit keinen vorgeschriebenen oder wenigstens von den beteiligten Kreisen allgemein anerkannten oder üblichen Ausbildungsweg, so ist Berufsausbildung nur der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, die für die Ausübung des angestrebten Berufs unverzichtbare Voraussetzung sind (BSG SozR 5870 § 2 Nr 32).

4. Es muß – in Abgrenzung von einem normalen Beschäftigungsverhältnis – ein echtes Ausbildungsverhältnis vorliegen, welches planmäßig ausgestaltet ist und sich an einem bestimmten Ausbildungsziel orientiert. Dazu gehört in der Regel, daß ein sachkundiger verantwortlicher Ausbilder bestellt ist, der den Auszubildenden anleitet, belehrt und ihn mit dem Ziel unterweist, ihm die für den erstrebten Beruf notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln (BSG SozR 5870 § 2 Nr 51 mwN).

5. Die Dauer der Ausbildung darf nicht allein im Belieben der am Ausbildungsverhältnis Beteiligten stehen (vgl BSGE 43, 44, 47).

Schließlich muß durch die Ausbildung Zeit und Arbeitskraft des Kindes zumindest überwiegend in Anspruch genommen sein (BSGE 65, 243 = SozR 5870 § 2 Nr 65).

Auf der Grundlage des vom LSG festgestellten Sachverhalts kann weder für K.… noch für S.… festgestellt werden, ob es sich bei ihrem jeweiligen Aufenthalt in Paris als Au-pair-Mädchen, verbunden mit einem Sprachkurs, um eine Berufsausbildung handelte.

Nach den oben dargelegten Grundsätzen bedürfen zunächst die konkreten Berufsziele von K.… und S.… und die hierfür bestehenden Ausbildungswege einer näheren Klärung, da nur so der maßgebende Ausbildungsweg festgestellt werden kann (a). Fraglich könnte auch sein, ob die Ausbildung in den streitigen Zeiträumen Zeit und Arbeitskraft von K.… und S.… überwiegend in Anspruch genommen hat (b). Die Einkommensgrenze des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG aF steht jedoch dem geltend gemachten Kindergeldanspruch nicht von vornherein entgegen, soweit die Töchter des Klägers neben ihrer Au-pair-Tätigkeit noch einen Sprachkurs besuchten und die entsprechenden Gebühren zu entrichten hatten (c).

(Zu a) Das LSG ist für K.… von einem Berufsziel als Dolmetscherin ausgegangen, was die Beklagte nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffen hat. Es fehlen jedoch jegliche Feststellungen des LSG dazu, ob es für diesen Beruf eine Ausbildungsordnung oder einen allgemein anerkannten oder üblichen Ausbildungsweg gibt, zu dem ein derartiger Auslandsaufenthalt gehört. Die Nachholung entsprechender Feststellungen ist dem Senat nicht möglich. Denn die Tätigkeit eines Dolmetschers gehört zu keinem derjenigen Ausbildungsberufe, für die eine bundeseinheitliche Ausbildungsordnung besteht (vgl Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe nach § 6 Abs 2 Nr 5 des Berufsbildungsförderungsgesetz, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Stand: 1. Oktober 1992). Im Gegenteil ist das Berufsbild eines Dolmetschers nicht einheitlich und kann auf sehr unterschiedlichen Niveaustufen mit naturgemäß unterschiedlicher Ausbildung und unterschiedlichen Ausbildungsvoraussetzungen ausgeübt werden. So gibt es zB den Dolmetscher und Übersetzer auf Hochschulniveau (vgl die von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebenen Blätter zur Berufskunde 3-X E 01, Stand: 1992); für die entsprechenden Studiengänge dürften in der Regel Studienordnungen aufgestellt sein (s § 11 Hochschulrahmengesetz). Ferner können Dolmetscher auch auf Fachhochschulniveau ausgebildet werden (vgl Blätter zur Berufskunde, 2-X E 30, Stand: 1992), weiterhin auch an sonstigen Ausbildungsstätten; schließlich nehmen auch Industrie- und Handelskammern Prüfungen für Dolmetscher und Übersetzer ab. Daß sich K.… während ihres Auslandsaufenthaltes bereits in einer, wie auch immer gearteten, Ausbildung zur Dolmetscherin befand, hat das LSG nicht festgestellt. Nähere Feststellungen zum konkreten angestrebten Ausbildungsgang könnten sich jedoch allenfalls dann erübrigen, wenn bereits für die Zulassung zu jeder derartigen Ausbildung ein Auslandsaufenthalt, wie von K.… absolviert, Voraussetzung wäre. Dies ist jedoch bisher nicht ersichtlich.

Nichts anderes gilt für S.… – auch soweit sie nach den Feststellungen des LSG, alternativ, den Beruf einer Fremdsprachensekretärin anstrebte. Denn bei alternativen Berufszielen ist jedenfalls zu fordern, daß die Betätigungen, die eine Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG darstellen sollen, übereinstimmend für alle Berufsalternativen gefordert werden. Hiervon kann im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht ausgegangen werden, da – wie aufgezeigt – bereits für den Beruf einer Dolmetscherin das Erfordernis eines Auslandsaufenthalts der hier durchgeführten Art nicht festgestellt ist. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Beruf einer Fremdsprachensekretärin ebensowenig um einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer bundeseinheitlichen Ausbildungsordnung, so daß auch hier der Senat nicht feststellen kann, inwieweit eine Au-pair-Tätigkeit mit bzw ohne Sprachunterricht nach den oben genannten Maßstäben als Ausbildung gewertet werden kann.

(Zu b) Selbst wenn – mit dem LSG – auch nach den obigen Maßstäben (allein) die Sprachkurse als Berufsausbildung in Betracht kämen, reichen die Feststellungen nicht aus, um einen Kindergeldanspruch des Klägers zu begründen. Denn es bleibt offen, ob die Sprachkurse Zeit und Arbeitskraft seiner Töchter, wie erforderlich, überwiegend in Anspruch genommen haben. Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, befanden sich in den hier streitigen Jahren nach der auch vom LSG zitierten Rechtsprechung des BSG allenfalls dann in Berufsausbildung, wenn diese (einschließlich Wegezeit) insgesamt mehr als 28 Stunden/Woche beanspruchte. Nur dann war ihnen eine daneben ausgeübte Halbtagsbeschäftigung von 20 Stunden/Woche nicht mehr zumutbar (BSG vom 23. August 1989, SozR 5870 § 2 Nr 64; s auch aaO S 209 zur Frage, ob nicht ab 1988 insoweit von 18 Stunden/Woche auszugehen ist, so daß die Ausbildung mehr als 30 Stunden/Woche hätte dauern müssen). Im vorliegenden Fall hat das LSG jedoch lediglich festgestellt, daß der Zeitaufwand für die Ausbildung “mindestens” 28 Stunden/Woche (24 Stunden Unterricht und häusliche Vor- und Nacharbeit, mindestens 4 Stunden Wegezeit) betragen habe. Es hat dabei übersehen, daß mit diesem Grenzwert die von ihm vorausgesetzten Anforderungen gerade noch nicht erfüllt werden und überdies nicht geprüft, ob in den streitigen Zeiträumen nicht darüber hinaus ein Zeitaufwand von mehr als 30 Stunden/Woche erforderlich war.

(Zu c) Denkbar bleibt jedenfalls, daß die Auslandsaufenthalte der Töchter des Klägers trotz der Einkommensgrenze des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG (Fassung bis zum 31. Dezember 1993; für die Zeit danach gilt die Neufassung durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar- und Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 ≪1. SKWPG≫, BGBl I 2353) einen Kindergeldanspruch des Klägers begründeten. Dies gilt jedoch von vornherein nur für diejenigen Monate, in denen K.… und S.… neben ihrer Au-pair-Tätigkeit einen Sprachkurs besuchten.

Der Gewährung von Kindergeld für K.… bzw S.… während jener Monate, in denen sie keinen Sprachkurs besuchten, steht bereits die angeführte Einkommensgrenze entgegen, sollte die Au-pair-Zeit als solche bereits eine Ausbildung darstellen. Ein Kindergeldanspruch für eine Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (§ 2 Abs 2 Satz 5 BKGG – in der streitigen Zeit, vor Inkrafttreten des 12. ÄndG BKGG vom 30. Juni 1989 ≪BGBl I 1294≫ noch § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG) kommt jedenfalls von vornherein dann nicht in Betracht, wenn – was angesichts der anzunehmenden Vielzahl von Anbietern von Sprachkursen naheliegt – auch die Wahl eines Sprachkurses mit anderer Dauer möglich war. Denn die genannte Vorschrift rechnet nur unvermeidbare Zwangspausen der Ausbildung zu (s BSG vom 30. März 1994, SozR 3-2200 § 1267 Nr 3 S 14 f mwN).

Durch die den Töchtern des Klägers gewährte freie Unterkunft und Verpflegung sowie das ihnen gezahlte Taschengeld wurde nach den Feststellungen des LSG der Grenzbetrag von DM 750,-- erreicht und überschritten (zur Anwendung der Werte der SachBezV auch auf Au-pair-Verhältnisse im Ausland s BSG vom 30. Oktober 1991, SozR 3-5870 § 2 Nr 17). Dabei ist unerheblich, ob die Einnahmen aus dem Au-pair-Verhältnis als steuer- und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt zu werten sind (das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob K.… und S.… der französischen Sozialversicherungspflicht unterlagen). Zwar hat der Senat bereits entschieden, daß unter den ” Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis “ iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG das Arbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 SGB IV zu verstehen ist (BSG vom 22. November 1988, SozR 5870 § 2 Nr 59; BSG vom 24. September 1986, SozR 5870 § 2 Nr 47). In den zitierten Entscheidungen waren jedoch jeweils Ausbildungsvergütungen im Rahmen einer betrieblichen Ausbildung im Streit, die steuer- und sozialversicherungspflichtig waren; fraglich war damals lediglich, ob zu den Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis auch Nebenleistungen (vermögenswirksame Leistungen/der Wert kostenfreier Mahlzeiten/Erstattung tatsächlich entstandener Fahrtkosten/pauschales Wegegeld) gehören. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß nur Arbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 SGB IV zu den “Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis” zählt. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 17. Mai 1989 (10 RKg 5/88) Einnahmen aus einem Au-pair-Verhältnis ohne Prüfung einer Steuer- oder Sozialversicherungspflicht dahingehend überprüft, ob sich hieraus Bruttobezüge aus dem Ausbildungsverhältnis in Höhe von wenigstens DM 750,-- ergaben (s auch BSG vom 12. Juni 1986, SozR 5870 § 2 Nr 45 zu den Ausbildungsbeihilfen während des zweiten Studienabschnittes der einstufigen Juristenausbildung in Hamburg). Eine Prüfung, ob ein isoliertes Au-pair-Verhältnis überhaupt – dem Wesen nach – Ausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG sein kann, erübrigt sich damit.

Die Einkommensgrenze von DM 750,--/Monat könnte jedoch uU in jener Zeit unterschritten sein, in der die Töchter des Klägers die Gebühren für die Sprachkurse aufbringen mußten. Ein entsprechender Abzug ist dann angezeigt, wenn nach den oben genannten Maßstäben – aufgrund einer Ausbildungsordnung, eines allgemein anerkannten oder üblichen Ausbildungsweges bzw als unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung des angestrebten Berufs – die Au-pair-Tätigkeit in Verbindung mit dem Besuch eines Sprachkurses als (Teil der) Berufsausbildung zu gelten hat. Dann rechtfertigt sich die vom LSG angesprochene einheitliche Betrachtungsweise , bei der die Gebühren für die Sprachkurse von dem Entgelt für die Au-pair-Tätigkeit abgesetzt werden. In einem solchen Fall darf es keinen Unterschied machen, ob – was denkbar wäre – die Gasteltern im Ausland als Gegenleistung für die Au-pair-Tätigkeit, neben freier Unterkunft und Verpflegung und einem (entsprechend niedrigeren) Taschengeld, auch den Besuch eines Sprachkurses gewähren, für den sie aufkommen, oder ob das Kind die Gebühren für jenen Sprachkurs aus seinen Einkünften für die Au-pair-Tätigkeit selbst bestreiten muß.

Zu Recht weist die Beklagte zwar darauf hin, daß der Gesetzgeber in § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG auch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung auf Brutto- und nicht Nettobezüge abgestellt hat (BT-Drucks 7/4243 S 15 zu Art 42b). Dem entspricht, daß zB bei den regelmäßig während eines betrieblichen Ausbildungsverhältnisses bezogenen Ausbildungsvergütungen nicht im einzelnen zu prüfen ist, welche Werbungskosten (zB Fahrtkosten) dem Auszubildenden entstehen. Nach Auffassung des Senats kann dies jedoch dann nicht gelten, wenn aus einem einheitlichen Ausbildungsverhältnis zwar einerseits Einkünfte erzielt werden, andererseits aber hierfür wiederum nicht unerhebliche Aufwendungen gemacht werden müssen.

Das LSG hat keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, welche Beträge K.… und S.… während jener Monate, in denen sie den Sprachkurs besuchten, als Bezüge aus dem Ausbildungsverhältnis – bei Abzug der Gebühren für den Sprachkurs – verblieben. Geht man jedoch von den festgestellten Einschreibgebühren von FF 3.450,-- (für K.…) bzw FF 3.650,-- (für S.…) für die jeweils viermonatigen Sprachkurse aus und berücksichtigt einen Umrechnungskurs von DM 29,36/FF 100 (dies entspricht der vom LSG vorgenommenen Umrechnung von FF 1.400,-- in DM 411,--; der am 1. Juli 1989 in Kraft getretene § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG ≪idF des 12. ÄndG BKGG vom 30. Juni 1989 – BGBl I 1294≫ gilt für die streitigen Zeiträume noch nicht), so ergeben sich Kursgebühren von ca. DM 253,--/Monat (für K.…) bzw DM 268,--/Monat (für S.…). Insgesamt errechnen sich daraus sowohl für K.… als auch für S.…, zieht man von den Sachbezügen und dem Taschengeld (auf der Grundlage der Feststellungen des LSG insgesamt ca. DM 840,--/Monat für K.…, DM 824,--/Monat für S.…) die Kosten für die Sprachkurse ab, Bezüge von jeweils weniger als DM 600,--/Monat.

Eine Gegenrechnung des Entgelts aus dem Au-pair-Verhältnis mit den Gebühren für die Sprachkurse verbietet sich dagegen für den Fall, daß als Berufsausbildung nur die Au-pair-Tätigkeit und nicht der Besuch eines Sprachkurses verlangt wird. Dann nämlich gehörte der Sprachkurs nicht zum Ausbildungsverhältnis iS des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG, so daß ein Kindergeldanspruch wegen Überschreitens der DM 750,--Grenze entfiele (s.o.).

Das LSG wird daher auf die Zurückverweisung jeweils das ernstliche Berufsziel von K.… und S.… in der fraglichen Zeit zu ermitteln haben. Auf der dabei gewonnenen Grundlage kann geklärt werden, inwieweit für die angestrebten Berufe Ausbildungsordnungen bzw übliche Ausbildungswege bestanden, ob diese einen Au-pair-Aufenthalt im Ausland mit begleitendem Sprachkurs oder einen isolierten Sprachkurs vorsahen und, wenn ja, ob dieser auch vor dem Beginn der förmlichen Ausbildung als Dolmetscherin bzw Fremdsprachenkorrespondentin durchzuführen war bzw zumindest als ein erforderlicher oder dringend empfohlener Ausbildungsabschnitt anerkannt werden konnte (s hierzu BSG vom 17. Mai 1989  – 10 RKg 5/88). Kann lediglich der Sprachkurs als Ausbildung gewertet werden, bleibt zu prüfen, ob er Zeit und Arbeitskraft der Kinder zumindest überwiegend in Anspruch nahm.

Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht iS des § 41 Abs 2 SGG von früheren Entscheidungen des BSG über den Ausbildungscharakter eines Au-pair-Verhältnisses ab. Die Urteile des BSG vom 18. Dezember 1964 (BG 1965, 155, 7. Senat), vom 29. Oktober 1969 (MittLVA BE 1970, 65, 12. Senat) und vom 30. Januar 1973 (FEVS 21, 468, 7. Senat) gingen für die auch im vorliegenden Fall interessierenden Berufe einer Dolmetscherin bzw einer Fremdsprachenkorrespondentin jeweils davon aus, daß keine verbindlichen Ausbildungsrichtlinien bestanden. Ungeprüft kann daher bleiben, inwieweit der erkennende Senat auch ohne das Verfahren nach § 41 Abs 2 und 3 SGG von diesen Urteilen abweichen könnte.

(Zu 2) Auch wenn seine Töchter in den streitigen Zeiträumen die Einkommensgrenze des § 2 Abs 2 Satz 2 BKGG überschritten oder sich von vornherein nicht in Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG befunden hätten, könnte dem Kläger – teilweise – Kindergeld zustehen. Denn auf der Grundlage der Feststellungen des LSG läßt sich nicht von vornherein ausschließen, daß auch verwaltungsverfahrensrechtliche Gründe zu einem Anspruch auf (Weiter-) Gewährung dieser Leistung führen könnten. Ebenso erscheint möglich, daß der Kläger das streitige Kindergeld bereits – teilweise – erhalten hat, was wiederum einen entsprechenden, noch zu erfüllenden, Anspruch ausschlösse.

Denkbar bleibt, daß die Beklagte nicht lediglich einen Kindergeldantrag abgelehnt, sondern – zu welchem Zeitpunkt auch immer – die Kindergeldzahlungen für K.… bzw S.… eingestellt hat, ohne sich auf einen bereits bindenden Entziehungsbescheid oder eine Anzeige nach § 25 Abs 2 Nr 1 BKGG stützen zu können. Hierauf könnte hindeuten, daß das LSG keinen Kindergeldantrag des Klägers festgestellt hat. Ferner spricht der Widerspruchsbescheid von einem einzuleitenden Erstattungsverfahren “aufgrund der Zahlung von Kindergeld für K.… für die Zeit von September 1987 bis Januar 1988” und der Ergänzungsbescheid vom 28. Juli 1989 davon, daß – ua in Abänderung eines bisher nicht festgestellten Bescheides vom 11. April 1989 – “die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld für K.… und S.… ab August 1987 bzw August 1988 nicht vorlagen”.

Hat der Kläger in der Tat bereits Kindergeld auch für K.… bis Januar 1988 erhalten, so erwiese sich die Revision der Beklagten insoweit allein deshalb als begründet. Hat die Beklagte aber mit den angefochtenen Bescheiden (auch) frühere Bewilligungen zurückgenommen bzw aufgehoben, so könnte dies dazu führen, daß dem Kläger auch ohne materielle Berechtigung (s≪zu 1≫) Kindergeld zustand. Das LSG wird zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen nach § 45 bzw § 48 Abs 1 SGB X für eine Rücknahme bzw Aufhebung der Kindergeldbewilligung vorlagen. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, daß iS der genannten Vorschriften eine Rücknahme bzw Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit jeweils nur unter besonderen Voraussetzungen möglich ist. In diesem Sinne gehören alle Zeiträume vor Erlaß des Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheides zur Vergangenheit. Hätte also die Beklagte – was aufgrund der obigen Hinweise denkbar erscheint – für K.… Kindergeld bis einschließlich Januar 1988 gewährt und diese Leistung erst mit Bescheid vom 9. Februar 1989 entzogen, so läge der Zeitraum von Februar 1988 bis Februar 1989 iS des § 45 Abs 4 Satz 1 bzw § 48 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 SGB X in der Vergangenheit.

Auch insoweit wird das LSG noch Feststellungen zu treffen haben. Ihm obliegt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Fundstellen

BB 1995, 627

SozSi 1997, 78

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