Entscheidungsstichwort (Thema)

Inkrafttreten. Entstehen eines Anspruchs. Fälligkeit. Ablauf eines Monats. Altersruhegeld

 

Leitsatz (amtlich)

Die Höhe eines Anspruchs auf Altersruhegeld für langjährig Versicherte ist nach den Vorschriften der RVO festzusetzen, wenn der Versicherte – bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen im übrigen – seine letzte versicherungspflichtige Beschäftigung mit Ablauf des 31.12.1991 aufgegeben hat.

Auch der Zeitpunkt des Ablaufs eines Monats gehört rechtlich noch zu diesem Monat (Anschluß an BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3).

 

Normenkette

SGB VI § 300; RRG 1992 Art. 6 Nr. 24; SGB I § 40; RVO §§ 1248, 1297

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.05.1995; Aktenzeichen L 14 J 77/94)

SG Dortmund (Urteil vom 29.04.1994; Aktenzeichen S 11 J 130/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29. April 1994 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Änderung ihres Bescheides vom 2. März 1992 verurteilt, dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte nach Maßgabe der Berechnungsvorschriften der Reichsversicherungsordnung zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger gewährten Altersrente für langjährig Versicherte. Streitig ist, ob die Rente nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zu berechnen ist oder noch die für den Kläger günstigeren Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden sind.

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen teilte dem am 6. Dezember 1928 geborenen Kläger am 2. Februar 1988 in einer Rentenauskunft mit, die Pflichtbeiträge der ersten vier Jahre seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung würden mit 9,13 Werteinheiten berücksichtigt. Auf seinen am 30. September 1991 gestellten Antrag gewährte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 2. März 1992 Altersrente für langjährig Versicherte ab 1. Januar 1992. Bei der nach den Vorschriften des SGB VI berechneten Rente wurden die Pflichtbeiträge der ersten vier Jahre nur mit 7,5 Werteinheiten berücksichtigt. Dadurch beläuft sich die monatliche Altersrente des Klägers nach einer bezogen auf den 1. April 1995 durchgeführten Vergleichsberechnung der Beklagten auf 2.648,99 DM, während sich eine nach den Vorschriften der RVO berechnete gleichwertige Rente auf 2.712,93 DM beliefe.

Die auf das Ziel der Berücksichtigung einer pauschalen Ausfallzeit nach Maßgabe des § 1255a Abs 2 RVO idF bis zum 31. Dezember 1991 gerichtete Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Dortmund vom 29. April 1994; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1995). Zur Begründung seines Urteils hat das LSG ausgeführt: Voraussetzung für die Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte sei neben der Erfüllung der Wartezeit und der Vollendung des 63. Lebensjahres, daß der zulässige Hinzuverdienst nicht überschritten werde (§ 1248 Abs 4 RVO; § 34 Abs 2 SGB VI). Da der Kläger bis einschließlich 31. Dezember 1991 ein die Gewährung der Altersrente ausschließendes Einkommen bezogen habe, habe er im Dezember 1991 zu keinem Zeitpunkt – auch nicht für eine logische Sekunde – die Voraussetzungen für die Altersrente erfüllt. Die ihm ab 1. Januar 1992 zustehende Rente habe er nicht bereits im Dezember 1991 von der Beklagten fordern können, so daß diese auch nicht gehalten gewesen sei, die Rentenzahlung nach den bis Dezember 1991 geltenden Berechnungsvorschriften zu bewirken.

Der Kläger rügt mit seiner – vom LSG zugelassenen – Revision sinngemäß eine Verletzung der § 1248 Abs 1 und 4, § 1290 Abs 1 Satz 2 1. Alternative RVO, § 300 Abs 2, § 263 SGB VI iVm Art 3 Abs 1 und Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Er ist der Ansicht, er habe die Altersrente bereits im Dezember 1991 – zumindest für eine logische Sekunde – beanspruchen können; denn der Anspruch auf Vergütung aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung habe am 31. Dezember 1991 geendet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29. April 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 2. März 1992 zu verurteilen, ihm Altersrente für langjährig Versicherte nach Maßgabe der Berechnungsvorschriften der RVO zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten ist ihm Altersruhegeld für längjährig Versicherte (§ 1248 Abs 1 RVO) in der Höhe zu gewähren, wie sie sich unter Anwendung der Vorschriften der RVO, nicht derjenigen des SGB VI, ergibt.

Gemäß § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Abweichend davon sind nach § 300 Abs 2 SGB VI die durch das SGB VI ersetzten Vorschriften (hier: die Bestimmungen der RVO über Altersruhegeld) auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung (Beginn des 1. Januar 1992, s unten) noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn dieser bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Der Fall des Klägers unterfällt der letztgenannten Regelung.

Der Kläger hat seinen Altersruhegeldantrag am 30. September 1991 und damit vor Ablauf der Frist des § 300 Abs 2 SGB VI gestellt.

Sein Anspruch auf Altersruhegeld hat auch bereits im Zeitpunkt der Aufhebung des 4. Buches der RVO bestanden. Gemäß Art 6 Nr 24 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) wurden die Vorschriften des 4. Buches RVO gestrichen. Nach Art 85 Abs 1 RRG 1992 trat dieses Gesetz – von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen – “am 1. Januar 1992 in Kraft”. Hieraus ergibt sich als Zeitpunkt der Streichung des 4. Buches RVO und damit auch der Aufhebung iS des § 300 Abs 2 SGB VI der “Beginn des 1. Januar 1992”. Dies hat zur Folge, daß auf einen Anspruch, der bis zum Beginn des 1. Januar 1992 entstanden ist, noch die aufgehobenen Vorschriften anzuwenden sind. Der Anspruch des Klägers ist schon vorher, nämlich “bis zum Ablauf des 31. Dezember 1991”, entstanden, so daß er noch nach den Bestimmungen des 4. Buches der RVO zu beurteilen ist.

Gemäß § 40 Abs 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Aligemeiner Teil – (SGB I) entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Aufgrund von § 1248 Abs 1 RVO erhielt derjenige auf Antrag Altersruhegeld für langjährig Versicherte, der das 63. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit des § 1248 Abs 7 Satz 1 RVO erfüllt und einen Rentenantrag gestellt hatte. Nach Abs 4 der Vorschrift bestand der Anspruch auf Altersruhegeld des Abs 1 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres allerdings neben einer Beschäftigung gegen Entgelt nur, wenn die Beschäftigung nicht zeitlich unbeschränkt oder zwar regelmäßig wiederkehrend ausgeübt wurde, das monatliche Durchschnittsentgelt aber 1.000,-- DM nicht überschritt. Diese Leistungsvoraussetzungen erfüllte der Kläger noch im Jahr 1991.

Er hatte das 63. Lebensjahr am 5. Dezember 1991 vollendet und Antrag auf Rente mehr als zwei Monate vorher gestellt. Daß er die Wartezeit erfüllte, war – und ist – zwischen den Beteiligten nicht streitig. Ebenso lag das für Altersruhegeld vor dem 65. Lebensjahr (als sog negative Anspruchsvoraussetzung, Kasseler-Komm Niesel, RdNr 4 zu § 34 SGB VI mwN; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung – SGB VI RdNr 6 zu § 34) in § 1248 Abs 4 RVO vorgeschriebene Erfordernis vor, daß die Hinzuverdienstgrenze eingehalten oder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgegeben war. Eine Beschäftigung gegen Entgelt ist aufgegeben, wenn das Beschäftigungsverhältnis beendet ist (Kaltenbach/Maier in Koch/Hartmann. Das Angestelltenversicherungsgesetz, Bd IVa Anm E III zu § 25 AVG). Der Kläger war nach den – nicht angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden – Feststellungen des Berufungsgerichts “bis zum 31.12.1991 bei vollem Gehalt versicherungspflichtig beschäftigt”. Hieraus ergibt sich, daß sein Beschäftigungsverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 1991 beendet, also auch die negative Voraussetzung seines Anspruchs zu diesem Zeitpunkt erfüllt war. Da der Versicherungsfall vom zeitlich zuletzt eintretenden Ereignis ausgelöst wird (Kaltenbach/Maier aaO Anm B III 1 zu § 25 AVG), zeitlich letztes Ereignis in diesem Sinn beim Kläger die Aufgabe seiner entgeltlichen Beschäftigung war, kann der Eintritt des Versicherungsfalles auf keinen anderen Zeitpunkt als ebenfalls den Ablauf des 31. Dezember 1991 datiert werden. Damit aber ergibt sich folgerichtig für die Entstehung des Anspruchs des Klägers eine Zeit, die vor dem Zeitpunkt der Aufhebung des § 1248 RVO lag. Diese Herkunft aus dem alten Recht bedeutete auch nicht, daß der Anspruch mit Inkrafttreten des neuen Rechts aufgehoben wurde. Denn gemäß § 300 Abs 4 Satz 1 SGB VI entfiel der Anspruch auf eine Leistung, der am 31. Dezember 1991 bestand, nicht allein deshalb, weil die Vorschriften, auf denen er beruhte, durch Vorschriften des SGB VI ersetzt wurden.

Daß zwischen dem Ablauf eines bestimmten Zeitraumes und dem Beginn eines nachfolgenden Zeitraumes im dargestellten Sinn rechtlich zu unterscheiden ist und dementsprechend auch die Rechtsfolgen, die an das eine oder das andere Kriterium geknüpft sind, voneinander zu trennen sind, selbst wenn Ablauf und Beginn in tatsächlicher Hinsicht zusammenfallen, zeigt die Regelung des § 1290 RVO. Wenn hier der Gesetzgeber für die Rentengewährung einerseits in Abs 1 Satz 1 auf den “Ablauf des Monats” abhob, andererseits in Abs 1 Satz 2 2. Alternative, Abs 2 und Abs 3 Satz 1 den “Beginn des Antragsmonats” für maßgebend erklärte, konnte dieser differenzierte Wortgebrauch in unmittelbarem gesetzessystematischen Zusammenhang nur so verstanden werden, daß damit auch unterschiedliche Sinngehalte und Normierungswirkungen gemeint waren. Wenn § 1290 Abs 1 Satz 1 RVO bestimmte, daß die Rente grundsätzlich vom Ablauf des Monats an zu gewähren war, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt waren, hieß das demzufolge, daß es für die Frage der Erfüllung des Leistungstatbestands auf einen anderen Zeitraum ankam als für die reale Durchführung der Leistung. Der “Ablauf” eines Monats als dessen letzter zeitlicher Abschnitt gehört aber noch zu diesem Monat. Denn für die Zeiteinheit “Monat” kann nichts anderes gelten als für die Zeiteinheit “Tag”, für die anerkannt ist, daß auch der Zeitpunkt des Ablaufs rechtlich noch zu ihr gehört (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Juni 1966 – 5 AZR 521/65 – BAGE 18, 345).

Mit der dargelegten Differenzierung stimmte auch überein, daß der Kläger die Zahlung des Altersruhegeldes schon vor Beginn des Januar 1992 fordern konnte. Denn § 1297 Satz 1 RVO bestimmte, daß die Rente in monatlichen Beträgen “im voraus” zu zahlen war, dh jeweils vor Beginn des Monats, für den die einzelnen Monatszahlungen als Unterhaltsersatzleistungen gedacht waren. Damit setzte die RVO gedanklich voraus, daß der Einzelanspruch auf die monatliche Rentenleistung noch im letzten Augenblick des vorangehenden Monats entstand und fällig wurde (so für § 74 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes, BSG, Urteile vom 23. Juni 1994 – 4 RA 70/93 – SozR 3-2600 § 300 Nr 3 Satz 6 und vom 22. Februar 1995 – 4 RA 88/94 – nicht veröffentlicht).

Nach alledem konnten die vorinstanzlichen Urteile und die streitigen Verwaltungsentscheidungen, soweit diese die Höhe der Rente des Klägers nach den Vorschriften des SGB VI festgesetzt haben, keinen Bestand haben. Darüber hinaus war die Beklagte gemäß § 130 Satz 1 iVm § 165 Satz 1, § 153 Abs 1 SGG dem Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger das nach den Vorschriften der RVO berechnete – und deshalb für ihn im Vergleich zur Anwendung der §§ 63 ff SGB VI höhere – Altersruhegeld für langjährig Versicherte zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 956154

Breith. 1997, 228

SozSi 1997, 158

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge