Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.07.1996)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).

Der 1942 geborene Kläger erlernte ab 1956 das Schmiedehandwerk und bestand die Abschlußprüfung. Seit August 1959 arbeitete er bei der Deutschen Bundesbahn als Schmied, dann ab November 1959 als Schlosser. Er wurde zunächst als Rohrbläser eingesetzt und nach Lohngruppe VI entlohnt, ab März 1960 als Schlosser nach Lohngruppe IV, ab Oktober 1968 als E-Lok-Schlosser nach Lohngruppe IV 5 a, ab November 1969 nach Lohngruppe III und dann ab Januar 1976 als qualifizierter Facharbeiter nach Lohngruppe III 2.1 eingestuft. Nach einem im Herbst 1987 durchgeführten Heilverfahren scheiterte der ca halbjährige Versuch, den Kläger in der Werkzeugausgabe einzusetzen. Nachdem er ab Februar 1989 Arbeitslosengeld (Alg) bezogen hatte, wurde er ab April 1989 im Wege des Berufsförderungsverfahrens beim Einbessern der Buchfahrpläne eingesetzt. Weitere Beschäftigungsversuche als Magazinverwalter und Hausreiniger scheiterten. 1991 wurde der Kläger „überzählig” im Lager beschäftigt. Seit Oktober 1991 ist er arbeitsunfähig krank.

Ein 1988 gestellter Rentenantrag des Klägers blieb ohne Erfolg. Seinen erneuten Antrag von Dezember 1992 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. März 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 1993 ab. Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) Mainz verurteilte die Beklagte, ihm ab 1. Januar 1993 Rente wegen BU zu gewähren (Urteil vom 17. November 1994). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat sein Urteil vom 12. Juli 1996 im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Der Kläger könne seinen bisherigen Beruf als Schlosser, insbesondere als E-Lok-Schlosser, gesundheitsbedingt nicht mehr ausüben. Er könne aber noch eine zumutbare Verweisungstätigkeit nach einer bis zu drei Monate dauernden Einarbeitung verrichten. Eine Tätigkeit als Montierer in der Metall- und Elektroindustrie bzw als Kontrolleur von Linsen sei sozial unzumutbar. Für den Facharbeiter „dürfte” hingegen die Verweisung auf den nach dem Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn (DB) AG (ETV), Anlage 1, in Entgeltgruppe 3 (E 3) eingruppierten Fernsprechvermittler bei der DB bzw ab 1. Januar 1996 bei der DBKom, einer Tochter der DB-Gruppe, sozial zumutbar sein.

Jedenfalls sei die in E 4 eingestufte Tätigkeit eines Zugansagers bei der DB AG für einen Facharbeiter sozial zumutbar. Nach einer am 22. November 1995 von der DB AG, Zentralbereich Tarifpolitik, Betriebsverfassungsrecht, Soziales, gegenüber dem SG Chemnitz gegebenen Auskunft reiche für die sachgerechte Ausführung der Tätigkeit des Zugansagers eine Einarbeitungszeit von drei Monaten in der Regel aus. Nach der Aufgabenbeschreibung handele es sich um technisch einfache Vorgänge, die allerdings eine gewisse Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit erforderten, insbesondere bei der Durchsage von Verspätungen oder Gleisansagen. Diesem Einsatz sei der Kläger körperlich und geistig gewachsen, denn er könne nach dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Sozialmediziners Dr. E … vom 25. März 1994 durchaus noch leichte körperliche Arbeiten in witterungsgeschützten Räumen vollschichtig verrichten. Die vom Sachverständigen angegebenen Einsatzbeschränkungen würden gewahrt, denn der Zugansager müsse weder Lasten von mehr als 5 Kilogramm heben oder tragen, noch sich häufig bücken oder in die Hocke gehen. Länger dauernde Zwangshaltungen würden selbst dann nicht auftreten, wenn der Zugansager über einige Zeit an seinem Schalt- und Ansagepult sitze und dabei auch auf dem Bildschirm die entsprechenden Angaben ablesen müsse. Auch soweit der Kläger bereits vorgealtert wirke, lasse sich nach dem Sachverständigengutachten und den übrigen ärztlichen Berichten eine über das Alter hinausgehende Einschränkung der geistig-seelischen Leistungsfähigkeit nicht annehmen, so daß eine entsprechende Begutachtung nicht erforderlich sei. Der Arbeitsmarkt sei für den Kläger als Bahnangehörigen offen, selbst wenn es sich beim Zugansager um Schonarbeitsplätze handeln sollte.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 43 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowie wesentliche Verfahrensmängel geltend. Dazu trägt er im wesentlichen vor: Wenn für die Tätigkeit eines Zugansagers eine Einarbeitungszeit von drei Monaten ausreichend sei, so gehöre sie nicht zu den Berufen, die durch den Leitberuf des angelernten Arbeiters gekennzeichnet und damit einem Facharbeiter zumutbar seien. Der Zugansager sei auch nicht wegen der seiner Tätigkeit innewohnenden Qualität den Anlernberufen tariflich gleichgestellt. Die Tätigkeit sei insbesondere nicht in der Liste der Richtbeispiele zu E 4 aufgeführt. Die Tarifvertragsparteien hätten somit keine tarifliche Bewertung dieser Tätigkeit vorgenommen.

Auch wenn die Tätigkeit des Zugansagers für eine zumutbare Verweisungstätigkeit gehalten werden sollte, seien die tatsächlichen Feststellungen, er, der Kläger, eigne sich hierfür und könne sich die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb von drei Monaten aneignen, unter Verstoß gegen §§ 62, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) zustande gekommen. Die Verweisungstätigkeit des Zugansagers sei ihm erst drei Tage vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden. Wegen der Kürze der Zeit habe er sich zu dieser bisher unbekannten Verweisungstätigkeit nicht substantiiert äußern können. Fehlerhaft sei, daß sein Vertagungsantrag nicht beschieden worden sei. Da das LSG sich zu dem Vertagungsantrag auch in den Urteilsgründen nicht geäußert habe, sei das Urteil insoweit nicht mit Gründen versehen.

Darüber hinaus werde gerügt, daß kein Sachverständigengutachten zur Frage seiner Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf körperlich leichte, aber intellektuell nicht ganz einfache Büroarbeiten eingeholt worden sei. Das Ergebnis einer solchen Untersuchung hätte bewiesen, daß er sich nicht mehr innerhalb von drei Monaten auf die Tätigkeit eines Zugansagers hätte umstellen können. Auch hätte getestet werden müssen, ob er stimmlich und sprachtechnisch in der Lage sei, die Tätigkeit eines Zugansagers auszuüben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Mainz vom 17. November 1994 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die berufungsgerichtlichen Feststellungen reichen für die abschließende Beurteilung, ob der Kläger einen Anspruch auf BU-Rente hat, nicht aus. Es sind ergänzende Ermittlungen zur Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers und zu den in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten erforderlich.

Der Anspruch des Klägers auf BU-Rente richtet sich nach § 43 SGB VI, weil er sich ausschließlich auf Zeiten nach dem 31. Dezember 1991 bezieht (vgl § 300 Abs 1 und 2 SGB VI).

Berufsunfähig sind nach § 43 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenige von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der „bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 130, 164). Nach diesen Grundsätzen hat das LSG – unter Bezugnahme auf das SG-Urteil – im Ergebnis zutreffend als bisherigen Beruf des Klägers den eines Schlossers, insbesondere E-Lok Schlossers, angenommen. Die im Anschluß an die Aufgabe der Schlossertätigkeit jeweils kurzfristigen Tätigkeiten des Klägers (Einbessern von Buchfahrplänen, als Magazinverwalter, Hausreiniger und Lagerarbeiter) hat das LSG für die Bewertung des „bisherigen Berufs” zu Recht außer acht gelassen. Denn zum einen hatten diese offensichtlich einen geringeren betrieblichen Wert (soweit sie überhaupt vollwertig ausgeübt worden sind), und zum anderen ist davon auszugehen, daß beim Kläger gesundheitliche Gründe für die Aufgabe der Arbeit als E-Lok-Schlosser bestimmend gewesen sind (vgl zB BSGE 2, 182, 187; BSG SozR Nr 33 zu § 1246 Reichsversicherungsordnung). Dazu hat das Berufungsgericht nämlich festgestellt, daß der Kläger in seinem Beruf als Schlosser, insbesondere E-Lok-Schlosser, gesundheitsbedingt nicht mehr eingesetzt werden kann. Da die Beteiligten insoweit keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben, ist der erkennende Senat an diese Feststellung gebunden (vgl § 163 SGG). Damit ist der Kläger allerdings noch nicht berufsunfähig. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn es keine andere Tätigkeit gibt, die ihm sozial zuzumuten ist und die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich zu bewältigen vermag.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, weil es durch die in § 43 Abs 2 Satz 2 am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 27, 33).

Wie die bisherige Tätigkeit des Klägers zu qualifizieren ist, kann aufgrund der Tatsachenfeststellungen des LSG, das insoweit auf das SG-Urteil Bezug genommen hat, nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilt werden. Das SG hat nur auf die mit Erfolg abgeschlossene Ausbildung als Schmied sowie die anschließende jahrzehntelange hauptberufliche Schlossertätigkeit bei der Deutschen Bundesbahn abgestellt und den Kläger als (einfachen) Facharbeiter eingestuft. Der Ausbildungsabschluß im Schmiedehandwerk reicht insoweit für einen Berufsschutz als Facharbeiter nicht aus, weil der Kläger zuletzt nicht als Schmied, sondern als Schlosser tätig gewesen ist. Der Hinweis auf die jahrelange Schlossertätigkeit läßt wiederum offen, ob es sich dabei um die wettbewerbsfähige Ausübung eines anerkannten Ausbildungsberufes (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 164, 168, 169) oder um eine geringerwertige Tätigkeit gehandelt hat, die nur zur Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters gehört haben könnte (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Schließlich hilft auch die Angabe im Tatbestand des Berufungsgerichts, der Kläger sei „als E-Lok-Schlosser” ab Januar 1976 „als qualifizierter Facharbeiter nach Lohngruppe III 2.1. eingestuft” gewesen, in diesem Zusammenhang nicht weiter. Denn weder wird der Gegenstand dieser Tätigkeit näher beschrieben noch der Regelungsinhalt der betreffenden Lohngruppe des einschlägigen Tarifvertrages wiedergegeben. Sollte der Kläger mit dieser Eingruppierung zur Spitzengruppe der Lohnskala gehört haben, käme bei entsprechenden qualitativen Anforderungen der tatsächlich verrichteten Arbeit im Rahmen des Mehrstufenschemas sogar eine Einstufung als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter in Betracht (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 79, 103).

Die Wertigkeit des bisherigen Berufs bestimmt die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit in der Weise, daß ein Versicherter im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf nur auf die nächstniedrigere Stufe verwiesen werden darf (vgl BSGE 55, 45, 46f = SozR 2200 § 1246 Nr 107, 143 mwN; SozR 3-2200 § 1246 Nr 3). Sollte der Kläger Berufsschutz als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter genießen, sind ihm demnach grundsätzlich nur solche Verweisungstätigkeiten sozial zuzumuten, die zumindest dem Leitberuf des Facharbeiters entsprechen. Ist der Kläger hingegen als (einfacher) Facharbeiter einzustufen, so müßte eine Verweisungstätigkeit zumindest dem Leitberuf des angelernten Arbeiters entsprechen. In dem – allerdings unwahrscheinlichen – Fall, daß der Kläger nur zum oberen Bereich der Gruppe der angelernten Arbeiter gehört, ist ihm eine Verweisungstätigkeit zu benennen, die sich zumindest innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters durch besondere Qualitätsmerkmale auszeichnet (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Im Hinblick auf diese Gegebenheiten ist hier eine weitere Aufklärung der Wertigkeit des bisherigen Berufs des Klägers nicht entbehrlich; denn dem Berufungsurteil läßt sich nicht entnehmen, daß es eine Tätigkeit gibt, auf die er auch als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter verwiesen werden kann. Das LSG hat in der Annahme, der Kläger sei (einfacher) Facharbeiter, die Tätigkeiten als Fernsprechvermittler und Zugansager für sozial zumutbar gehalten. Auf die erstgenannte Tätigkeit ist schon deshalb nicht weiter einzugehen, weil das LSG insoweit nicht festgestellt hat, daß diese auch den Kräften und Fähigkeiten des Klägers entspricht. Aber auch was den Beruf des Zugansagers anbelangt, reichen die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht aus, um eine Verweisung des Klägers darauf bestätigen zu können.

Insbesondere läßt sich die genaue Wertigkeit der Zugansagertätigkeit auf der Grundlage der Feststellungen des LSG noch nicht sicher beurteilen. Das LSG ist davon ausgegangen, daß für diese Tätigkeit in der Regel eine Einarbeitungszeit von drei Monaten genüge. Danach würde ein Zugansager nur zur Gruppe der ungelernten Arbeiter gehören. Das Gesamtbild dieses Berufes kann aber auch durch andere Merkmale bestimmt sein. Insoweit mißt die Rechtsprechung des BSG der Einstufung eines Berufes durch die Tarifvertragsparteien eine besondere Bedeutung zu (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 14). Die tarifvertragliche Einstufung ist nicht nur für den Wert des bisherigen Berufes, sondern in gleicher Weise auch für den Wert der in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten maßgeblich (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 17). Dies gilt, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, nicht nur dann, wenn eine bestimmte Berufstätigkeit ausdrücklich in der Lohngruppe eines Tarifvertrages erwähnt wird, sondern (für diejenigen Berufe, die nicht in den Richtbeispielen aufgeführt sind) auch für die Abgrenzung durch allgemeine Eingruppierungsmerkmale, wenn der Tarifvertrag – wie dies hier der Fall ist – eine Eingruppierung nicht allein nach Berufen, sondern auch nach Tätigkeitsmerkmalen vorsieht (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 21).

Das LSG hat angenommen, daß Zugansager nach E 4 ETV (Anlage 1) eingestuft seien. Dazu hat es festgestellt, daß in E 4 ETV eingruppiert seien „Tätigkeiten, die zu ihrer Ausführung eine abgeschlossene Berufsausbildung mit einer Regelausbildungsdauer von weniger als zweieinhalb Jahren oder Fachkenntnisse und Fertigkeiten, die durch entsprechende betriebliche Ausbildung erworben wurden, erfordern oder sich gegenüber E 3 durch gesteigerten Arbeitsinhalt abheben”. Daraus ergibt sich nicht, daß der Beruf des Zugansagers von den Tarifvertragspartnern der E 4 zugeordnet worden ist, insbesondere daß er als Richtbeispiel in dieser Entgeltgruppe genannt ist. Fehlt eine ausdrückliche Nennung, so hätte das LSG die Eingruppierung eines Zugansagers in E 4 anhand der abstrakten Tätigkeitsmerkmale dieser Gruppe im einzelnen prüfen müssen. Denn soweit der einschlägige Tarifvertrag für die Eingruppierung von Arbeitnehmern nicht den Beruf aufführt, sondern nur allgemeine Tätigkeitsmerkmale enthält, hat die tarifvertragliche Eingruppierung anhand des Tarifvertrages durch den Rentenversicherungsträger oder das Gericht selbst zu erfolgen (vgl BSGE 70, 56, 60 = BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 21; vgl auch BSG vom 16. Juni 1994 – 13 RJ 55/93). Soweit der Beruf des Zugansagers keine abgeschlossene Berufsausbildung von mehr als zwei Jahren erfordert, hätte das LSG deshalb prüfen müssen, ob dieser Beruf Fachkenntnisse usw verlangt, die durch eine entsprechende betriebliche Ausbildung erworben werden. Sofern dies nicht der Fall ist, wäre weiter zu prüfen gewesen, ob sich die Tätigkeit des Zugansagers gegenüber E 3 durch gesteigerten Arbeitsinhalt abhebt, ob also zur Ausführung der Tätigkeit Vorkenntnisse im Arbeitsgebiet und aufgabenbezogene Fertigkeiten vorausgesetzt werden sowie selbständige Handlungsentscheidungen im Rahmen vorgegebener Alternativen erforderlich sind und darüber hinausgehende Arbeitsinhalte vorliegen. Die insoweit entscheidungserheblichen Feststellungen hat das LSG nicht getroffen.

Da der erkennende Senat die nach alledem noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht selbst nachholen kann (vgl § 163 SGG), ist das angefochtene Urteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler vorliegen, insbesondere ob dem Kläger rechtliches Gehör versagt wurde, indem über seinen Vertagungsantrag weder durch Beschluß noch im Urteilstenor oder in den Urteilsgründen entschieden worden ist.

Das LSG wird nunmehr zunächst weitere Ermittlungen zur Wertigkeit des bisherigen Berufs anzustellen haben. Sollte es sodann den Beruf des Zugansagers weiterhin als Verweisungstätigkeit in Betracht ziehen, müßte sowohl zur sozialen Zumutbarkeit als auch zur Eignung des Klägers eine ergänzende Sachverhaltsaufklärung durchgeführt werden. Insoweit könnte insbesondere die Leistungs- und Umstellungsfähigkeit des Klägers für diese Tätigkeit fraglich sein. In diesem Zusammenhang erscheinen die Ausführungen in den Urteilsgründen, trotz Voralterung des Klägers sei aufgrund des von Dr. E … erstatteten Sachverständigengutachtens eine weitere Begutachtung nicht erforderlich, da eine über das Alter hinausgehende Einschränkung der geistig-seelischen Leistungsfähigkeit nicht vorliege, als unzureichend, zumal der medizinische Sachverständige zum Beruf des Zugansagers nicht befragt worden ist. Je weiter sich die in Aussicht genommene Verweisungstätigkeit von dem bisherigen Beruf entfernt, desto höhere Anforderungen stellt sie an die Umstellungsfähigkeit (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 33, 38). Bei einem Versicherten, der während seines gesamten Berufslebens schwere körperliche Arbeit überwiegend in Werkstätten, Zügen und im Freien geleistet hat und sich bereits im fortgeschrittenen Lebensalter befindet, kann jedenfalls nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, daß er sich auf eine Schreibtischtätigkeit mit PC-Bedienung umstellen kann. Vielmehr sind dazu grundsätzlich genauere Ermittlungen (zB durch eine psychologische Eignungsuntersuchung) anzustellen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 37 S 142). Dies gilt um so mehr, als nach der von der Beklagten vorgelegten Stellenbeschreibung des Zugansagers das Bestehen eines psychologischen Einstellungstests gefordert wird. Entsprechend verhält es sich hinsichtlich der besonderen Anforderungen an das Sprechvermögen, die im Beruf des Zugansagers gestellt werden. Auch insoweit wird das LSG die Eignung des Klägers prüfen müssen, da eine solche Fähigkeit in seinem alten Beruf keine Bedeutung hatte. Darüber hinaus erscheint es angebracht, der Frage nachzugehen, ob der Beruf des Zugansagers von fachfremden Berufswechslern – wie dem Kläger – wirklich nach einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten vollwertig ausgeübt werden kann. Jedenfalls insoweit erscheint die Auskunft der DB AG vom 22. November 1995, wonach eine Einarbeitungszeit von drei Monaten in der Regel ausreiche, wenig aussagekräftig. Diese Angabe dürfte sich nämlich nur auf solche Bewerber beziehen, die das Anforderungsprofil der Stellenbeschreibung voll erfüllen, dh auf eine besondere Auslese.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173237

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge