Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechtigung. Partner der Gesamtverträge. niedrigere Erhöhung der Gesamtvergütung für 1993 als Grundlohnsummenanstieg. gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen der Landesschiedsämter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Berechtigung der Partner der Gesamtverträge, die Gesamtvergütungen für die vertragsärztlichen Leistungen im Jahre 1993 um einen Vomhundertsatz zu erhöhen, der hinter dem Anstieg der Grundlohnsumme im Bundesgebiet zurückbleibt.

2. Zu den Maßstäben der gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen der Landesschiedsämter (Anschluß an BSG vom 30.10.1963 – 6 RKa 4/62 = BSGE 20, 73, 76 f = SozR Nr 1 zu § 368h RVO).

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

SGB V § 85 Abs. 3, 3a S. 1, § 89 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

SG Mainz (Urteil vom 06.03.1996; Aktenzeichen S 1 Ka 205/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 6. März 1996 sowie der Beschluß des Beklagten vom 3. Mai 1994 zu Ziffer I.1 aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, insoweit über den Antrag der Beigeladenen zu 2) vom 3. Dezember 1993 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Im November 1993 scheiterten die Verhandlungen zwischen dem klagenden BKK-Landesverband und der zu 2) beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) über eine Vergütungsvereinbarung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1993. Die KÄV rief am 3. Dezember 1993 das beklagte Landesschiedsamt mit dem Antrag an, gemäß § 89 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) über den Inhalt der Vergütungsvereinbarung ab dem 1. Januar 1993 eine Einigung herbeizuführen bzw deren Inhalt festzusetzen. Mit Beschluß vom 3. Mai 1994 setzte der Beklagte den Vertrag über die Gesamtvergütung zwischen den genannten Beteiligten in der Weise fest, daß unter Ziff I.1. angeordnet wurde, daß die Gesamtvergütung auf der Grundlage des Honorars von 1991, erhöht um den Grundlohnsummenanstieg von 1992 iHv 5,1 %, um 3,1 % angehoben wird. Bei diesem Prozentsatz orientierte er sich an der im Bundesanzeiger vom 18. Februar 1993 veröffentlichten Vorausschätzung der Veränderung der Grundlohnsumme auf Bundesebene und lehnte es ausdrücklich ab, einen unter diesem Prozentsatz liegenden Erhöhungsbetrag im Hinblick auf eine schlechtere Grundlohnsummenentwicklung der Mitgliedskassen des Klägers festzusetzen. Er schloß aus § 85 Abs 3a SGB V, daß Erhöhungen der Gesamtvergütung unterhalb der bundesweit festgesetzten Steigerungsrate der Grundlohnsumme weder vereinbart noch festgesetzt werden könnten.

Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, seit 1993 sei es Ziel des Gesetzgebers, eine einheitliche Grundlohnsummenentwicklung der Anpassung der Gesamtvergütung zugrunde zu legen. Deshalb könne sich der Erhöhungsbetrag konsequenterweise nur auf Einnahmen aller Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet beziehen, so daß für variierende Erhöhungsprozentsätze aufgrund kassenindividuell geringerer Grundlohnsummensteigerungen kein Raum sei. Der Gesetzgeber habe bewußt hingenommen, daß es Krankenkassen gebe, deren Grundlohnsummenentwicklung hinter der Erhöhung der Grundlohnsumme im Bundesdurchschnitt zurückbleibe. Dieses für die einzelne Krankenkasse möglicherweise nachteilige Ergebnis könne indessen nicht durch die Vergütungsvereinbarung nach § 85 Abs 3a SGB V selbst vermieden, sondern allenfalls durch Korrekturen auf der Grundlage des § 85 Abs 3c SGB V in Folgezeiträumen ausgeglichen werden (Urteil vom 6. März 1996).

Dieses Urteil greift der Kläger mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision an und rügt, das SG habe § 85 Abs 3a Satz 1 SGB V falsch ausgelegt. Der Wortlaut der Vorschrift lasse erkennen, daß das Gesetz lediglich einen Rahmen für die maximal zulässige Erhöhung der Gesamtvergütungen für die Jahre 1993, 1994 und 1995 festgelegt habe. Aus der Verwendung des Wortes „höchstens” folge zwingend, daß die Vertragspartner auf regionaler Ebene berechtigt seien, Erhöhungsbeträge unterhalb der bundesweit festgesetzten Grundlohnsummensteigerung vorzusehen. Diese Gesetzesauslegung sei auch deshalb geboten, weil andernfalls die für den Gesetzgeber entscheidende Zielvorgabe, nämlich durch die Begrenzung des Anstiegs der Gesamtvergütungen zur Beitragssatzstabilität beizutragen, nicht erreichbar sei. Da Schuldner der Gesamtvergütung nach § 85 Abs 1 SGB V die einzelne Krankenkasse sei und diese auch für die Festsetzung der Höhe ihrer Beiträge die Verantwortung trage, müsse die wirtschaftliche Situation der einzelnen Krankenkasse beim Abschluß von Verträgen über die Erhöhung der Gesamtvergütungen berücksichtigt werden. Eine Kasse, deren kassenindividuelle Grundlohnsummensteigerung geringer ausfalle als die bundesweit festgesetzte Steigerung, müsse letztlich ihre Beiträge erhöhen, wenn sie gezwungen wäre, aus dem nur geringer gewachsenen Beitragsaufkommen eine stärker erhöhte Gesamtvergütung zu entrichten. Der vom SG gewiesene Ausweg, nämlich durch Anpassungvereinbarungen auf der Grundlage des § 85 Abs 3c SGB V in Folgezeiträumen zu hoch vereinbarte Gesamtvergütungen zu korrigieren, sei nicht gangbar. § 85 Abs 3c SGB V stelle nicht auf die kassenindividuelle Grundlohnsummenentwicklung ab, sondern wolle lediglich der Situation Rechnung tragen, daß häufig die bereits am 15. Februar eines jeden Jahres für das gesamte Kalenderjahr vorausgeschätzte Steigerung der Grundlohnsummenentwicklung auf Bundesebene mit der tatsächlichen Steigerung, die jeweils erst zum 1. Juli des Folgejahres verbindlich festgestellt werde, nicht übereinstimme. Kassenindividuelle Aspekte könnten insoweit nach bisher ganz einheitlicher Praxis nicht berücksichtigt werden. Deshalb sei die ursprüngliche Vereinbarung über die Anpassung der Gesamtvergütung zwischen Krankenkassen-Landesverband und KÄV verfahrensmäßig die einzige Möglichkeit, kassenindividuellen Aspekten bei der Festsetzung des Erhöhungsprozentsatzes Rechnung zu tragen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 6. März 1996 und Ziff I.1 des Schiedsspruchs des Beklagten vom 3. Mai 1994 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts insoweit einen neuen Schiedsspruch zu erlassen,

hilfsweise,

das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 6. März 1996 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht oder das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückzuverweisen.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte führt aus, zwar könne das Wort „höchstens” in § 85 Abs 3a SGB V auf eine kassenindividuelle Grundlohnsummenentwicklung hinweisen. Diese Gesetzesauslegung sei jedoch mit der Absicht des Gesetzgebers unvereinbar, durch die Ausgabenbegrenzung auch eine Stabilisierung der Beitragssätze zu erreichen. Dem Gesetzgeber sei durchaus bewußt gewesen, daß die Berücksichtigung der Einnahmenentwicklung bei einzelnen Krankenkassen zu einer Erhöhung des Beitrags dieser Krankenkasse führen könne. Er habe dies aber im Interesse einer generalisierenden Beitragsentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung in Kauf genommen. Als Regulativ habe er in § 85 Abs 3c SGB V die Möglichkeit einer anderen Vereinbarung für die nachfolgenden Jahre zugelassen und im übrigen durch die Wahlfreiheit der Mitglieder hinsichtlich ihrer Krankenkasse (§ 173 SGB V) auf eine weitere Angleichung der Beiträge hinwirken wollen. Die in § 85 Abs 3a SGB V zum Ausdruck kommende Einengung der Abschlußfreiheit der Partner der Gesamtvergütungsvereinbarungen im Hinblick auf die Vorgabe von Steigerungsbeträgen gelte nicht nur dort, sondern auch bei den Budgets für Arznei und Hilfsmitteln gemäß § 84 SGB V. Auch bei der Fortentwicklung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) von 1997, die sich gegenwärtig im Beratungsstadium befinde, werde in § 17b KHG bei der Anpassung der landesweiten Gesamtvergütung für stationäre Leistungen die Entwicklung der beitragspflichtigen Einkommen der Mitglieder aller Krankenkassen zugrunde gelegt. Das weise auf die Tendenz hin, kassenindividuelle Verhältnisse generell außer Betracht zu lassen.

Die Beigeladene zu 2) ist der Auffassung, die Verwendung des Wortes „höchstens” in § 85 Abs 3a SGB V sei im Sinne von „nur” oder „dürfe nur” zu verstehen. Die Ansicht des Klägers, nach der die kassenindividuelle Grundlohnsummenentwicklung immer dann zu berücksichtigen sei, wenn sie unterhalb der bundesweiten Grundlohnsummenentwicklung liege, laufe im Ergebnis darauf hinaus, daß die Krankenkassenseite Vorteile daraus ziehen wolle, wenn bei bestimmten Krankenkassen die Grundlohnsummenentwicklung unterhalb des bundesweit geltenden Satzes bleibe. Im umgekehrten Fall einer kassenindividuell überdurchschnittlich gestiegenen Grundlohnsumme solle der damit verbundene wirtschaftliche Vorteil bei der Krankenkasse verbleiben und nicht zur weiteren Erhöhung der Gesamtvergütung verwendet werden. Zur Rechtfertigung dieser einseitigen Begünstigung der Krankenkassen könne der Kläger sich nicht darauf berufen, daß der Gesetzgeber mit der strikten Budgetierung der Gesamtvergütungen auch das Ziel verfolgt habe, Spielraum für Beitragssatzsenkungen bei einzelnen Krankenkassen zu schaffen. Der Beklagte habe Recht mit seiner Auffassung, daß die Budgetierungsregelung des § 85 Abs 3a SGB V die früher geltende Vertragsgestaltungsfreiheit eingeschränkt und durch bundeseinheitliche Kriterien ersetzt habe, die nur begrenzt auf kassenindividuelle Aspekte Rücksicht nehmen könnten.

Das zu 1) beigeladene Land Rheinland-Pfalz hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet. Das SG hat die Klage gegen den Beschluß des beklagten Schiedsamtes vom 3. Mai 1994 zu Unrecht abgewiesen. Dieser Schiedsspruch ist jedenfalls mit der ihm beigegebenen Begründung nicht rechtmäßig und verletzt die rechtlich geschützten Belange des klagenden Krankenkassenverbandes.

Zutreffend hat das SG angenommen, daß der Kläger berechtigt ist, den auf der Grundlage des § 89 Abs 1 SGB V ergangenen Beschluß des beklagten Landesschiedsamtes im Wege der Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzugreifen, um einen neuen Schiedsspruch zu erreichen. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages zwischen einer KÄV und einer Krankenkasse durch das Schiedsamt einen Verwaltungsakt dar (vgl § 19 der Verordnung über die Schiedsämter für die kassenärztliche ≪kassenzahnärztliche≫ Versorgung), den die Partner des Gesamtvertrages zulässigerweise im Klagewege angreifen können, wenn sie substantiiert geltend machen und geltend machen können, der Schiedsspruch sei rechtswidrig (BSGE 20, 73, 75 = SozR RVO § 368h Nr 1). In Übereinstimmung mit dieser Entscheidung (im Ergebnis zustimmend Düring, Das Schiedswesen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1992, S 143) hat der Kläger nicht beantragt, den Beklagten zum Erlaß eines Schiedsspruchs mit einem bestimmten Inhalt zu verurteilen, sondern sich auf einen Bescheidungsantrag beschränkt. Dieser Antrag hat Erfolg.

Der Beklagte hat seine Entscheidung, für den Zeitraum vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 1993 die Gesamtvergütung auf der Grundlage des Honorars von 1991, erhöht um den Grundlohnsummenanstieg von 1992 iHv 5,1 %, um weitere 3,1 % anzuheben, damit begründet, er sei verpflichtet gewesen, den in § 85 Abs 3a Satz 1 SGB V gesetzlich vorgegebenen Erhöhungsrahmen im Umfang der im Februar 1993 festgesetzten Höhe der zu erwartenden Grundlohnsummensteigerung auf Bundesebene zugunsten der beigeladenen KÄV auszuschöpfen. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu.

§ 85 Abs 3a Satz 1 SGB V idF des Art 1 Nr 43 lit f des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 BGBl 2266) bestimmt, daß sich die nach § 85 Abs 3 SGB V zu vereinbarenden Veränderungen der Gesamtvergütungen als Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leistungen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 höchstens um den Vomhundertsatz verändern dürfen, um den sich die nach den § 270 und § 270a SGB V zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder aller Krankenkassen mit Sitz im Bundesgebiet außerhalb des Beitrittsgebietes je Mitglied verändern. Die Vorschrift legt lediglich eine Obergrenze für den Anstieg der Gesamtvergütungen fest, trifft aber keine Regelung des Inhalts, daß die Vertragspartner nach § 85 Abs 3 SGB V verpflichtet sind, diesen Erhöhungsrahmen stets auszuschöpfen (vgl Kasseler Komm-Hess, § 85 SGB V RdNr 38). Das folgt schon aus dem Wortlaut der Norm, ergibt sich aber auch aus ihrem Zweck im Regelungszusammenhang der Vorschriften über die Festsetzung der Gesamtvergütung und wird schließlich auch durch die Gesetzesmaterialien bestätigt.

Die in § 85 Abs 3a Satz 1 SGB V enthaltene Wendung, wonach sich die zu vereinbarenden Veränderungen der Gesamtvergütungen „höchstens” um den näher erläuterten Vomhundertsatz verändern „dürfen”, legt vom Wortsinn her zwanglos das Verständnis nahe, daß die Steigerung der Gesamtheit der beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohnsumme im Bundesgebiet) die strikte und ausnahmslos zu beachtende Obergrenze für die von den Partnern der Gesamtverträge zu vereinbarende Anhebung der Gesamtvergütungen darstellt. Bei der von der Beklagten vertretenen Interpretation der Vorschrift würde hingegen unterstellt werden müssen, daß das Gesetz mit der Verwendung des Begriffs „höchstens” mißverständlich formuliert sei, es also etwas geregelt habe, was es nicht habe regeln wollen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, wie ein Vergleich mit weiteren Vorschriften des GSG zeigt, die die Begrenzung von Vergütungen oder Ausgaben betreffen.

Nach Art 23 Abs 1 GSG dürfen sich die jährlichen Verwaltungsausgaben der Krankenkasse je Mitglied im Bundesgebiet außerhalb des Beitrittsgebietes in den Jahren 1993, 1994 und 1995 höchstens um den Betrag verändern, der sich durch Multiplikation der durchschnittlichen Verwaltungsausgaben aller Krankenkassen im Bundesgebiet außerhalb des Beitrittsgebietes je Mitglied mit der Veränderungsrate der nach den §§ 270 und 270a SGB V zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder aller Krankenkassen im Bundesgebiet außerhalb des Beitrittsgebiets je Mitglied ergibt. Aus der Verwendung des Begriffs „höchstens” im Gesetzestext folgern zu wollen, wie das für die vergleichbar ausgestaltete Vorschrift des § 85 Abs 3a S 1 SGB V geltend gemacht wird, daß sich die Verwaltungsausgaben um den Betrag verändern müssen, der sich bei der Berechnung nach Satz 1 aaO ergibt, kann angesichts des Normzwecks der Regelung ernstlich nicht vertreten werden. Die Vorschrift will – insoweit in Übereinstimmung mit § 85 Abs 3a SGB V – ersichtlich eine Höchstgrenze für den Anstieg der Verwaltungsausgaben festlegen.

Der Regelungszweck des § 85 Abs 3a SGB V wird an dem Beispiel anderer Vorschriften des GSG deutlich, die den zulässigen Erhöhungssatz bei Kosten bzw Entgelten bestimmen. Nach Art 29 Abs 1 Satz 5 GSG, der die Festlegung des Heil- und Arzneimittelbudgets für 1993 betrifft, werden die Ausgaben für Heilmittel um den Vomhundertsatz erhöht, um den sich in den Jahren 1992 und 1993 die nach den §§ 270 und 270a SGB V zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder aller Krankenkassen mit Sitz im Bundesgebiet außerhalb des Beitrittsgebiets je Mitglied erhöhen. In dieser Vorschrift ist die Veränderung nicht auf „höchstens” den Vomhundertsatz beschränkt, um den die beitragspflichtigen Einnahmen steigen. Eine dem Art 29 Abs 1 Satz 5 SGB V von der Struktur her vergleichbare Regelung enthält die Vorschrift des GSG über die Bemessung der Krankenhauspflegesätze in den Jahren 1993 bis 1995 (§ 17 Abs 1a Krankenhausfinanzierungsgesetz idF des Art 11 Nr 7 lit b GSG). Dort ist bestimmt, daß die Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der Krankenkassenmitglieder der Bemessung der Pflegesätze zugrunde zulegen ist. Auch insoweit fehlt es an einer Begrenzung auf einen Anstieg um höchstens der Veränderungsrate. Die Zusammenschau der verschiedenen Regelungen, nämlich des § 83 Abs 3a Satz 1 SGB V und des Art 23 Abs 1 Satz 1 GSG sowie des Art 29 Abs 1 GSG und des Art 11 Nr 7 lit b GSG, zeigt die unterschiedlichen Regelungsabsichten auf, nämlich einerseits nur eine Obergrenze für eine zulässige Erhöhung von Vergütungen oder Kosten festzulegen, andererseits den zulässigen Erhöhungssatz unter Rückgriff auf Veränderungen der beitragspflichtigen Einnahmen selbst zu bestimmen.

Schließlich belegen weitere Regelungen über die Veränderungen der Gesamtvergütung, daß der Gesetzgeber in § 85 Abs 3a Satz 1 SGB V lediglich die Regelung einer Obergrenze und nicht die gesetzliche Vorgabe einer bestimmten prozentualen Erhöhung vorgesehen hat. Nach den Sätzen 6 bis 8 des § 85 Abs 3a SGB V sind die Vergütungsanteile für bestimmte ärztliche Leistungen, die aus gesundheitspolitischen Gründen in besonderer Weise gefördert werden sollen (zB ambulantes Operieren, Mutterschaftsvorsorge), zusätzlich zu den in § 85 Abs 3a Satz 1 SGB V angesprochenen Veränderungen in den Jahren 1993 bis 1995 um bestimmte gesetzlich festgelegte Steigerungssätze zu erhöhen gewesen. Diese teilweise zum 1. Januar 1993 in Kraft getretenen, teilweise durch spätere Änderungsgesetze eingefügten Ergänzungen in den Sätzen 6 bis 8 des § 85 Abs 3a SGB V machen deutlich, daß dem Gesetzgeber der Unterschied zwischen der Festlegung einer maximalen prozentualen Steigerungsrate zur Relation zum Vorjahr der strikten Anordnung der Erhöhung bestimmter Gesamtvergütungsanteile um einen starren Vomhundertsatz durchaus bewußt gewesen ist.

Nur die hier vertretene Auffassung entspricht der Zielrichtung des Gesetzes, bei Vergütungsvereinbarungen dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs 1 SGB V) Rechnung zu tragen. Das gesetzgeberische Ziel der generellen Vermeidung von Beitragssatzerhöhungen (§ 141 Abs 2 Satz 3 SGB V) kann nur erreicht werden, wenn möglichst wenige Krankenkassen in Folge von Einnahmeausfällen oder Ausgabenerhöhungen gezwungen sind, ihre Beiträge anzuheben. Beitragserhöhungen wären jedoch zu erwarten, wenn die Veränderungsrate des § 85 Abs 3a Satz 1 SGB V als zwingende Erhöhungsrate verstanden würde, die durch vertragliche Vereinbarungen nicht unterschritten werden darf; denn gemäß § 85 Abs 1 SGB V entrichtet jede einzelne Krankenkasse über ihren Landesverband mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung. Jede einzelne Krankenkasse muß ihre Beiträge so bemessen, daß sie in der Lage ist, die vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen (§ 220 Abs 1 Satz 2 SGB V). Sie muß die Beträge erhöhen, wenn die gesetzlichen Ausgaben nicht mehr gedeckt sind (§ 220 Abs 2 Satz 1 SGB V). Es kann deshalb von Gesetzes wegen nicht ausgeschlossen sein, die Einnahmesituation einer bestimmten Krankenkasse oder eines Kassenlandesverbandes bei den Verhandlungen über die Steigerungsrate der Gesamtvergütungen für die ambulante vertragsärztliche Tätigkeit zu berücksichtigen. Dem läßt sich nicht mit der Beigeladenen zu 2) entgegenhalten, auf diese Weise würden die Auswirkungen einer unterschiedlichen Grundlohnsummenentwicklung bei einzelnen Krankenkassen bzw Kassenarten einseitig der KÄV und mittelbar den Vertragsärzten aufgebürdet, weil bei schwacher Einnahmeentwicklung einer Krankenkasse die maximal zulässige Steigerungsrate der Gesamtvergütungen nicht ausgeschöpft werden könne, während bei einer überdurchschnittlichen Steigerung der Grundlohnsumme bei einer Krankenkasse eine Erhöhung der Gesamtvergütung in gleicher Höhe gesetzlich ausgeschlossen sei. Hierbei wird verkannt, daß die unterschiedliche Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen der Krankenkassen im regionalisierten Krankenkassensystem schon immer und auch notwendigerweise unterschiedliche Vergütungen der gleichen ärztlichen Leistungen im Bundesgebiet zur Folge gehabt hat, die sich in deutlichen Schwankungen der Auszahlungspunktwerte verwirklicht haben. Im übrigen bedeutet die hier vertretene Rechtsauffassung, wonach von Gesetzes wegen Veränderungsraten unterhalb der Steigerung der bundesweit festgestellten Grundlohnsummenerhöhung vereinbart werden können, nicht eine strikte Bindung der Zuwachsraten der Gesamtvergütungen an die Grundlohnsummenentwicklung jeder einzelnen Krankenkasse bzw jedes einzelnen Landesverbandes. Das fordert die gesetzliche Regelung ebenfalls nicht. Sie ermöglicht aber Vereinbarungen, bei denen die besonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Krankenkasse, soweit sie auf einen im bundesweiten Vergleich niedrigeren Anstieg der Grundlohnsumme zurückzuführen sind, bei den Verhandlungen über die Höhe der Gesamtvergütungen für die Jahre 1993 bis 1995 berücksichtigt werden.

Die hier getroffene Auslegung des § 85 Abs 3a S 1 SGB V wird auch durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Die Regelung war bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesundheitsstrukturgesetz vom 25. September 1993 enthalten (BT-Drucks 12/3209 S 7). Sie ist der amtlichen Begründung dahin erläutert worden, daß die Zuwachsrate der Gesamtvergütung der Ärzte und Zahnärzte die Zuwachsrate der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen dürfe. Damit solle gewährleistet werden, daß von der Entwicklung der Ausgaben für die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung keine beitragssatzsteigernden Effekte ausgehen (BT-Drucks 12/3209 S 48). Der gemeinsame Gesetzentwurf eines GSG der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD vom 5. November 1992 hat insoweit weder im Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung eine Änderung erbracht (BT-Drucks 12/3608 S 12 und S 87). Im Allgemeinen Teil der Begründung der Bundesregierung ist schließlich ausgeführt, die Budgetierung bedeute nicht, daß die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen außer Funktion gesetzt werde. Sie könne weiterhin die Zuwächse der Gesamtvergütung aushandeln, müsse allerdings als Obergrenze den Zuwachs der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung beachten (BT-Drucks 12/3209 S 41). Es fehlt damit jeder Anhaltspunkt für die Annahme, das Gesetz habe den Partnern der Gesamtverträge eine Erhöhung der Gesamtvergütungen jeweils um den Steigerungssatz der Erhöhung der Grundlohnsumme im (alten) Bundesgebiet vorschreiben wollen. Etwas anderes kann auch nicht aus dem letzten Absatz der Begründung zu § 85 Abs 3a SGB V im GSG-Entwurf der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD vom 5. November 1992 abgeleitet werden. Dort wird der Zuschlag für die Leistungen des ambulanten Operierens damit begründet, daß im Hinblick auf die gewünschte Förderung des ambulanten Operierens der Teil der Gesamtvergütung für ärztliche Leistungen, der auf bestimmte, im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) definierte Leistungen des ambulanten Operierens entfällt, in den Jahren 1993 bis 1995 um den zu erwartenden Anstieg der Grundlohnsumme zuzüglich einer Steigerung erhöht werden soll (BT-Drucks 12/3608 S 87/88). Aus dieser Wendung kann nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe den Partnern der Gesamtverträge vorgeben wollen, daß sie die Gesamtvergütungen stets um den zu erwartenden Anstieg der Grundlohnsumme erhöhen müßten. Allenfalls kann diese Passage der Gesetzesbegründung im Sinne einer Prognose des Gesetzgebers verstanden werden, daß sich die Erhöhungen der Gesamtvergütungen im Rahmen des zu erwartenden Anstiegs der Grundlohnsumme bewegen werden.

Die demgegenüber im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung, Abweichungen hinsichtlich der Steigerung der Grundlohnsumme bei den einzelnen Krankenkassen von der bundesweit ermittelten Veränderung der Grundlohnsumme könnten über § 85 Abs 3c SGB V berücksichtigt werden, verkennt den Regelungsgehalt der Vorschrift. § 85 Abs 3c SGB V stellt nicht auf die kassenindividuelle Grundlohnsummenentwicklung ab, sondern trägt der Tatsache Rechnung, daß die zu erwartende Steigerungsrate der Grundlohnsummenentwicklung im gesamten Bundesgebiet jeweils zum 15. Februar des laufenden Jahres für das gesamte Jahr vom Bundesminister für Gesundheit festgestellt und im Bundesanzeiger publiziert wird, auch um den Vertragspartnern Anhaltspunkte für ihre Vereinbarungen zu geben. Ergibt sich bei der endgültigen Festlegung der Steigerungsrate zum 1. Juli des Folgejahres, daß die Schätzung im Februar des laufenden Jahres zu hoch oder zu niedrig ausgefallen ist, wird das in den Folgejahren berücksichtigt (Kasseler Komm-Hess, § 85 SGB V RdNr 47) Die Vorschrift bietet indessen keine Handhabe, kassenindividuelle Besonderheiten hinsichtlich der Grundlohnsummenentwicklung nachträglich zu berücksichtigen. Das kann nur bei der ursprünglichen Vereinbarung der Gesamtvergütungen geschehen.

Der Beklagte hat demnach zu Unrecht angenommen, er sei bei der Entscheidung über die Erhöhung der Gesamtvergütung an die bundeseinheitlich festgesetzte Steigerungsrate der Grundlohnsumme gebunden. Das führt zur Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs in Ziff I.1., der insoweit aufzuheben war. Der Beklagte war zu verpflichten, hinsichtlich der Erhöhung der Gesamtvergütung für 1993 neu zu entscheiden. Das ergibt sich aus folgendem.

Dem Schiedsamt kommt nach der Rechtsprechung des Senats bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages über die vertrags(zahn)ärztliche Vergütung gemäß § 89 Abs 1 SGB V ein besonders weiter Beurteilungsspielraum zu. Seine Vertragsgestaltungsfreiheit, die der gerichtlichen Nachprüfung Grenzen setzt, ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner bei einer im Wege freier Verhandlungen erzielten Vereinbarung (BSGE 20, 74, 76 f = SozR RVO § 368h Nr 1; BSGE 36, 151, 152 f = SozR RVO § 368g Nr 7; BSGE 51, 58, 62 = SozR 2200 § 368h Nr 3). Die gerichtliche Kontrolle der Festsetzung von Vergütungsvereinbarungen durch das Schiedsamt ist dementsprechend auf die Prüfung beschränkt, ob der Entscheidung zutreffend ermittelte Tatsachen zugrunde gelegt worden sind, ob das Schiedsamt die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten und sein Gestaltungsermessen – soweit ihm ein solches zukommt – sachgerecht ausgeübt hat (vgl Düring, Das Schiedswesen in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1992, S 149 f). Da dem Beklagten hinsichtlich der Höhe der Steigerungsrate der Gesamtvergütung für 1993 ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung stand, er sich aber gesetzlich gebunden sah, einen bestimmten Prozentsatz festzusetzen, ist seine Entscheidung wegen Ermessensnichtgebrauch fehlerhaft (vgl zum Ermessensnichtgebrauch als Ermessensfehler Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Aufl 1996, § 45 RdNr 6 und zu den Konsequenzen für die Entscheidungsbegründung Schroeder-Printzen, aaO, § 35 RdNr 6 sowie Kasseler Komm-Krasney, § 35 SGB X, RdNr 6). Es ist nunmehr seine Pflicht, zu ermitteln und zu bewerten, ob die – unterstellt – besonders ungünstige Entwicklung der Grundlohnsumme bei den dem Kläger angehörenden Krankenkassen ein Zurückbleiben der Steigerungsrate der Gesamtvergütung hinter dem vom Gesetz zugelassenen Steigerungssatz rechtfertigt oder nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Da keiner der Beteiligten sich durch Bevollmächtigte hat vertreten lassen und die Kosten des Beklagten von den Krankenkassen und der Beigeladenen zu 2) gemeinsam zu tragen sind, hat der Senat von der Anordnung einer Kostenerstattungspflicht Abstand genommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174362

SozR 3-2500 § 85, Nr.20

SozSi 1998, 74

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