Beteiligte

Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V.

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. November 1993 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 1995 sowie der Bescheid des Beklagten vom 23. August 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1990 aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Krankengymnastin zuzulassen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

 

Gründe

I

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Zulassung zur Erbringung krankengymnastischer Leistungen.

Die Klägerin, eine niederländische Staatsangehörige, hat im Juni 1983 in den Niederlanden ihre dort durchgeführte Ausbildung zur Krankengymnastin abgeschlossen. In der Folgezeit hat sie von Juni bis September 1983 und von Mai bis September 1984 in zwei niederländischen physiotherapeutischen Praxen sowie von Januar bis April 1984 in einem deutschen Institut für Heilgymnastik, Massage und physikalische Therapie als Krankengymnastin gearbeitet. Im Januar 1984 wurde ihr vom Oberkreisdirektor des Landkreises Heinsberg die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung Krankengymnastin verliehen. In der Zeit von Februar 1985 bis Oktober 1989 war die Klägerin abhängig als Krankengymnastin in einem Kurbad/Sauna-Betrieb in Deutschland beschäftigt. Der Inhaber dieses Betriebes ist Masseur und medizinischer Bademeister und in dieser Eigenschaft als Heilmittelerbringer zugelassen. Seit Ende Oktober 1989 ist die Klägerin in Herzogenrath als selbständige Krankengymnastin tätig. Mit Bescheid vom 31. Oktober 1989 ist ihr – rückwirkend ab Antragstellung am 19. Mai 1989 – die Zulassung zur Abgabe krankengymnastischer Leistungen von den Landesverbänden der Krankenkassen erteilt worden. Im November 1989 beantragte sie auch bei dem beklagten Ersatzkassen-Verband die Zulassung zur Abgabe krankengymnastischer Leistungen. Das lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 23. August 1990; Widerspruchsbescheid vom 23. November 1990). Er ist der Auffassung, die Klägerin weise die gemäß § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erforderliche zweijährige, vor Antragstellung abzuleistende berufspraktische Erfahrungszeit als Angestellte in einer geeigneten krankengymnastischen Einrichtung nicht auf. Die Tätigkeit der Klägerin als selbständige Krankengymnastin könne weder auf diese Erfahrungszeit angerechnet werden noch sie ersetzen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. November 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 1. Juni 1995). Es fehle an der in § 124 Abs 2 Satz 1 SGB V normierten Voraussetzung einer zweijährigen berufspraktischen Erfahrungszeit in unselbständiger Tätigkeit bei einer geeigneten Einrichtung. Die Klägerin habe nur insgesamt rund zwölf Monate in den Niederlanden und in Deutschland in geeigneten Einrichtungen (krankengymnastische Praxen) als angestellte und somit unselbständig tätige Krankengymnastin gearbeitet. Durch die viereinhalb Jahre währende unselbständige Tätigkeit als Krankengymnastin in einem Kurbad/Sauna-Betrieb sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, da es sich dabei nicht um eine geeignete Einrichtung iS von § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V handele. Die in den Niederlanden zurückgelegte praktische Tätigkeit sei nicht als berufspraktische Erfahrungszeit anzusehen, da sie nicht, wie erforderlich, nach Abschluß der Ausbildung erfolgt sei. Ihre im Oktober 1989 begonnene selbständige Tätigkeit könne das Erfordernis der unselbständigen Tätigkeit nicht ersetzen. Das Gesetz schreibe zwingend vor, daß die berufspraktische Erfahrungszeit nur in unselbständiger Tätigkeit, also unter fremder Leitung, erworben werden könne. Eine Ausnahme hiervon sei nicht vorgesehen. Die Verweigerung der Zulassung verstoße auch weder gegen die in Art 52 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) vom 25. März 1957 garantierte Niederlassungsfreiheit noch gegen die in Art 60 EGVtr normierte Dienstleistungsfreiheit für Angehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU).

Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V. Sie begehrt ihre Zulassung zur Abgabe krankengymnastischer Leistungen für die Zukunft und ist der Auffassung, daß die im Gesetz dazu geforderte berufspraktische Erfahrungszeit auch durch selbständige Tätigkeit erworben werden könne. Dies komme auch in der im Jahre 1989 noch geltenden ersten Fassung der gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen zu § 124 SGB V zum Ausdruck, die zum Nachweis der berufspraktischen Erfahrungszeit auch eine gleichwertige freiberufliche Tätigkeit genügen ließen. Die berufspraktische Erfahrungszeit habe den Zweck, daß der Krankengymnast den allgemeinen Betrieb einer Praxis und das kassenrechtliche Abrechnungswesen kennenlerne. Wenn eine Krankengymnastin aber bereits seit Jahren als Selbständige – mit Zulassung der gesetzlichen Krankenkassen zur Heilmittelerbringung – arbeite und damit diese Fähigkeiten erworben habe, könne nicht verlangt werden, sich aus lediglich formalen Gründen nochmals in eine unselbständige Tätigkeit zu begeben. Vielmehr gelte § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V nur für die erstmalige Zulassung eines Leistungserbringers. Im übrigen sei aber auch ihre Beschäftigung als angestellte Krankengymnastin des Kurbad/Sauna-Betriebes als berufspraktische Erfahrungszeit anzuerkennen, da es sich hierbei aufgrund der Leitung dieses Betriebes durch einen zugelassenen Masseur und medizinischen Bademeister um eine geeignete Einrichtung iS des § 124 Abs 2 SGB V gehandelt habe. Zudem stehe auch die Regelung in Art 52 und 60 EGVtr der restriktiven Zulassungspraxis des Beklagten entgegen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 1995 abzuändern und auf die Berufung der Klägerin den Beklagten zu verurteilen,

  1. den Bescheid des Beklagten vom 23. August 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. November 1990 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin als Krankengymnastin nach § 124 SGB V zuzulassen,
  2. hilfsweise,

    den Widerspruchsbescheid vom 23. November 1990 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, erneut einen Widerspruchsbescheid zu erteilen,

  3. hilfsweise,

    den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin als Krankengymnastin zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die vorinstanzlichen Urteile für zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die entgegenstehenden Entscheidungen der Vorinstanzen und des Beklagten waren deshalb aufzuheben. Der Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin für die Zukunft als Krankengymnastin zuzulassen.

Bei der von der Klägerin erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die rechtliche Beurteilung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend, und zwar auch dann, wenn sich der Rechtsstreit in der Revisionsinstanz befindet (BSGE 76, 59, 60 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1; BSGE 72, 148, 153 = SozR 2500 § 15 Nr 1; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, IX RdNr 379; Meyer-Ladewig, Komm zum Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫, 5. Aufl 1993, § 54 RdNr 34). Dieser Grundsatz gilt jedoch uneingeschränkt nur für die Berücksichtigung von Änderungen in der Rechtslage (BSGE 76, 59, 61 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1). Hinsichtlich der maßgebenden Sachlage ist dagegen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen (BSGE 60, 230, 231 = SozR 6100 Allg Nr 1 = NJW 1987, 604; BGH DNotZ 1994, 333; Kopp, Komm zur Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫, 10. Aufl 1994, § 137 RdNr 2), da das Revisionsgericht Änderungen des entscheidungserheblichen Sachverhalts nach Ergehen des angefochtenen Urteils nicht mehr berücksichtigen kann (Meyer-Ladewig aaO RdNr 2 vor § 160 SGG). Da im vorliegenden Rechtsstreit nicht die Frage einer Änderung der gesetzlichen Grundlage für den Anspruch der Klägerin auf Zulassung zur Abgabe krankengymnastischer Leistungen (§ 124 SGB V) aufgeworfen ist, sondern die Frage, ob die Klägerin in tatsächlicher Hinsicht die von § 124 Abs 2 Nr 2 SGB V (wortgleich mit § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V idF des am 1. Juni 1994 in Kraft getretenen § 16 Abs 6 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie ≪Masseur- und Physiotherapeutengesetz – MPhG -≫ vom 26. Mai 1994, BGBl I S 1084, durch den dem § 124 Abs 2 SGB V zwei Sätze angefügt worden sind) geforderte berufspraktische Erfahrungszeit erbracht hat, ist diesbezüglich auf die Sachlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz, also auf die Berufungsverhandlung des LSG vom 1. Juni 1995, abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte die Klägerin alle in § 124 Abs 2 Satz 1 SGB V geforderten Voraussetzungen der Zulassung, was für die in § 124 Abs 2 Satz 1 Nrn 1, 3 und 4 SGB V geforderten Voraussetzungen unzweifelhaft und zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist aber auch der in § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V geforderte Nachweis einer berufspraktischen Erfahrungszeit von mindestens zwei Jahren, die innerhalb von zehn Jahren vor Beantragung der Zulassung in unselbständiger Tätigkeit und in geeigneten Einrichtungen abgeleistet worden sein muß, erbracht. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG war diese Voraussetzung mit der selbständigen Tätigkeit der Klägerin in der Zeit von Oktober 1989 bis 1. Juni 1995 erfüllt. Die selbständige Tätigkeit ist unter den hier vorliegenden Umständen anzurechnen.

Dem steht nicht entgegen, daß nach § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V die berufspraktische Erfahrungszeit „vor Beantragung der Zulassung” zu absolvieren ist. Das Gesetz enthält keine Definition dieses Tatbestandsmerkmals. Auch in den Gesetzesmaterialien wird der Zeitpunkt der Antragstellung nicht erläutert (BR-Drucks 200/88 S 204, 205, BT-Drucks 11/2237 S 204, 205, jeweils zu § 133 des Entwurfs). Der Senat legt das Tatbestandsmerkmal „vor Beantragung der Zulassung” dahingehend aus, daß die Frist für die berufspraktische Erfahrungszeit von mindestens zwei Jahren nicht nur bis zum Eingang des Antrages bei der über die Zulassung entscheidenden Stelle erfüllt werden kann, sondern – ganz oder teilweise – bis zum Zeitpunkt des in Bestandskraft (Verwaltungsentscheidung) oder Rechtskraft (gerichtliche Entscheidung) erwachsenden Ausspruchs über die Zulassung. Der Zulassungsantrag gilt als bis zum Ausspruch über die Zulassung fortlaufend gestellt. Insbesondere enthalten die entsprechenden Klage- und Berufungsanträge eines die Zulassung begehrenden Leistungserbringers die konkludente Wiederholung des ursprünglichen Zulassungsantrages. Da der im November 1989 erstmals gestellte Zulassungsantrag somit als bis zum 1. Juni 1995 fortlaufend gestellt gilt, liegt die gesamte Zeit der selbständigen Tätigkeit der Klägerin als Krankengymnastin von Oktober 1989 bis zum 1. Juni 1995, die für die berufspraktische Erfahrungszeit heranzuziehen ist, „vor Beantragung der Zulassung”.

Mit ihrer selbständigen Tätigkeit hat die Klägerin die zweijährige berufspraktische Erfahrungszeit nachgewiesen. Sinn und Zweck der Regelung des § 124 SGB V ist es, daß zur Heilmittelerbringung nur derjenige zugelassen wird, der die berufsrechtliche und berufspraktische Befähigung dazu nachgewiesen hat (BR-Drucks 200/88 S 204; BT-Drucks 11/2237 S 204, jeweils zu § 133 des Entwurfs; BSG SozR 3-2500 § 124 Nrn 1, 2) und damit eine sachgerechte und effektive Leistungserbringung im Sinne der Versicherten (Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung; Stand: Oktober 1995, § 124 RdNr 12) gewährleistet. Zur Sicherstellung dieser Voraussetzungen müssen die in § 124 Abs 2 Satz 1 SGB V aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sein. Nach Nr 2 dieser Vorschrift genügt es dann, der Zwecksetzung des Gesetzes folgend, nicht allein, daß der Antragsteller als Krankengymnast tätig war. Vielmehr muß die berufspraktische Erfahrungszeit in einer geeigneten Einrichtung abgeleistet worden sein. Geeignet können dabei neben den in § 124 Abs 3 SGB V genannten Einrichtungen nur solche sein, in denen ein selbständiger zugelassener Leistungserbringer mit gleichem Leistungsspektrum tätig ist (Knittel aaO § 124 RdNr 9). Denn nur in diesen Einrichtungen ist es möglich, neben der Berufspraxis auch Kenntnisse auf dem Gebiet der Heilmittelerbringung im Rahmen des in Deutschland vorhandenen öffentlich-rechtlichen Versorgungssystems zu sammeln. Das Erfordernis einer Zulassung zur Heilmittelerbringung und die an die Erteilung einer Zulassung geknüpften Voraussetzungen stellen damit eine Einschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit auf der zweiten Stufe nach der sog Stufentheorie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu Art 12 des Grundgesetzes (GG) dar (BVerfGE 7, 377, 404; subjektive Zulassungskriterien zur Berufswahl). Eine solche ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter dies erfordert und zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird (Heinze in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1, 1994, § 40 RdNr 27 S 1054/1055; Knittel aaO § 124 RdNr 5; für den kassen- bzw vertragsärztlichen Bereich: BSGE 53, 291, 292 = SozR 5520 § 21 Nr 1; BVerfG SozR 2200 § 122 Nr 10). Das Erfordernis einer berufspraktischen Erfahrungszeit dient zum einen dem Interesse der zu behandelnden Versicherten an einer fachkundigen und sachgerechten Behandlung ihrer Beschwerden und Krankheiten mit Heilmitteln und zum anderen einer effektiven und an den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 Abs 1 und § 124 Abs 2 Satz 1 Ziff 3 SGB V) orientierten Leistungserbringung bei der Versorgung mit Heilmitteln. Dies sind wichtige Gemeinschaftsgüter, die eine Beschränkung der Berufsfreiheit in der durch § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V vorgenommenen Weise rechtfertigen.

Angesichts der Vielzahl an zu erlernenden Fähigkeiten und Kenntnissen ist auch die Forderung nach einer zweijährigen Dauer der berufspraktischen Erfahrungszeit nicht als unverhältnismäßig anzusehen (so für den ärztlichen Vorbereitungsdienst: BSGE 65, 89, 94 = SozR 5525 § 3 Nr 1). Die Regelung des § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V verstößt daher nicht gegen Art 12 GG. Dies gilt jedoch uneingeschränkt nur für Fallkonstellationen, in denen zum erstenmal überhaupt eine Zulassung zur Heilmittelerbringung beantragt wird. In Fällen, in denen der Antragsteller, wie im vorliegenden Rechtsstreit die Klägerin, bereits zur Versorgung mit Heilmitteln zugelassen ist, muß die in § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V getroffene Regelung dagegen verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß die berufspraktische Erfahrungszeit zumindest dann auch in selbständiger Tätigkeit erbracht werden kann, wenn anderenfalls die Selbständigkeit vorübergehend aufgegeben bzw unterbrochen und eine entsprechende abhängige Beschäftigung aufgenommen werden müßte, um den Nachweis einer berufspraktischen Tätigkeit von mindestens zwei Jahren in unselbständiger Tätigkeit innerhalb von zehn Jahren vor Beantragung der Zulassung zu erbringen. Einer solchen durch den Grundrechtsschutz des Art 12 GG gebotenen verfassungskonformen Auslegung steht auch nicht der Wille des Gesetzgebers entgegen. Er hat bei der Formulierung des § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V ersichtlich nur an die Fälle der erstmaligen Zulassung eines Heilmittelerbringers gedacht, nicht aber an die Fälle der weiteren Zulassung durch einen anderen Krankenversicherungsträger und an die Fälle der erneuten Zulassung durch einen die Zulassung bereits einmal erteilenden Krankenversicherungsträger (zB bei Wechsel der Praxisräume).

Daß § 124 Abs 2 Satz 1 Ziff 2 SGB V nicht lediglich dem reinen Wortlaut folgend restriktiv ausgelegt werden kann, zeigt sich auch in den Fällen, in denen ein bereits zugelassener Heilmittelerbringer, zB ein zugelassener Masseur und medizinischer Bademeister, zusätzlich eine weitere Qualifikation im Heilmittelbereich erwirbt, zB durch eine Zusatzausbildung als Physiotherapeut. Hier gilt die eigentlich erforderliche berufspraktische Erfahrungszeit gemäß der durch § 16 Abs 6 MPhG eingeführten Regelung des § 124 Abs 2 Satz 3 SGB V fiktiv als erfüllt, weil der zugelassene Leistungserbringer bereits während seiner bisherigen (in der Regel selbständigen) Tätigkeit ausreichend praktisch-qualifikatorische und unternehmerische Fähigkeiten erworben hat (BT-Drucks 12/6998 S 20). Damit wird vermieden, daß sich ein bereits zugelassener selbständiger Leistungserbringer nochmals unselbständig betätigen müßte, um eine Zulassung entsprechend seiner zusätzlichen Qualifikation zu erlangen. Mit Blick auf Art 12 GG wäre eine derartige Forderung unverhältnismäßig.

Dieser Aspekt trifft in vergleichbarer Weise auch auf jene Fälle zu, in denen ein die Zulassung beantragender selbständiger Anbieter bereits länger als zwei Jahre zur Heilmittelerbringung in seinem Berufsfeld zugelassen ist. Dabei ist die Rechtmäßigkeit der erteilten Zulassung nicht erneut zu überprüfen. Mit einer mindestens zwei Jahre dauernden selbständigen Tätigkeit eines bereits zugelassenen Heilmittelerbringers wird die für die Zulassung durch einen weiteren Krankenversicherungsträger ebenfalls notwendige Voraussetzung einer „berufspraktischen Erfahrungszeit in unselbständiger Tätigkeit” jedenfalls dann erfüllt, wenn die Auffassung der anderen Krankenversicherungsträger vertretbar erscheint, daß der Antragsteller schon im Zeitpunkt der durch sie ausgesprochenen (ersten) Zulassung mit Zeiten in abhängiger Beschäftigung bei einer geeigneten Einrichtung die geforderte berufspraktische Erfahrungszeit aufwies, und die bisherige selbständige Tätigkeit als zugelassener Heilmittelerbringer beanstandungsfrei ausgeübt worden ist. Beides ist hier der Fall.

Als die Landesverbände der Krankenkassen der Klägerin am 31. Oktober 1989 die Zulassung zur Abgabe krankengymnastischer Leistungen erteilten, war die Klägerin seit etwa viereinhalb Jahren als angestellte Krankengymnastin in einem Kurbad/Sauna-Betrieb beschäftigt, der von einem zugelassenen Masseur und medizinischen Bademeister geleitet wurde. Die Berufe des Krankengymnasten und des Physiotherapeuten einerseits und des Masseurs und medizinischen Bademeister andererseits sind von der Ausbildung und dem Tätigkeitsbereich her verwandt (vgl §§ 1, 3, 7, 8, 12, 16 MPhG). Dies zeigt sich ua daran, daß Personen mit abgeschlossener Ausbildung als Masseur und medizinischer Bademeister die zusätzliche Ausbildung zum Physiotherapeuten in 18 Monaten absolvieren können, die ansonsten drei Jahre dauert (§§ 9, 12 Abs 1 MPhG). Die bis zum 31. Mai 1994 mögliche Ausbildung zum Krankengymnasten und die seit dem 1. Juni 1994 allein mehr zugelassene Ausbildung zum Physiotherapeuten sind gleichgestellt (§§ 1 und 16 Abs 1 bis 4 MPhG). Die in unselbständiger Tätigkeit zurückgelegte berufspraktische Erfahrungszeit als Masseur und medizinischer Bademeister ersetzt vollständig die berufspraktische Erfahrungszeit als Physiotherapeut (§ 124 Abs 2 Satz 3 SGB V). Schon vor diesem Hintergrund kann die Ansicht der Landesverbände der Krankenkassen als vertretbar bezeichnet werden, daß die Klägerin im Oktober 1989 eine zweijährige berufspraktische Erfahrungszeit als Angestellte in einer geeigneten Einrichtung nachgewiesen hat. Es kann offenbleiben, ob und in welchem Umfang die davor liegenden Zeiten (13 Monate) abhängiger Beschäftigung in krankengymnastischen Einrichtungen in den Niederlanden (9 Monate) und in Deutschland (4 Monate) anrechnungsfähig gewesen wären bzw von den Landesverbänden der Krankenkassen bei ihrer Zulassungsentscheidung berücksichtigt worden sind. Die von der Klägerin aufgeworfenen europarechtlichen Fragen erübrigen sich ebenfalls.

Die Klägerin hat somit Anspruch auf ihre Zulassung als Krankengymnastin. Die Zulassung hat auch im Heilmittelbereich konstitutive Wirkung und kann sich nur auf die Zeit nach dem Zugang der Zulassungentscheidung bei der Klägerin beziehen (BSGE 51, 126, 131 f = SozR 2200 § 371 Nr 4 für die Statusbegründung als Vertragskrankenhaus durch die Annahme der Bereiterklärung; BSG Urteil vom 29. Mai 1996 – 3 RK 26/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen, für die Statusbegründung als Vertragskrankenhaus durch den Abschluß eines Versorgungsvertrages; BSG SozR 3-5525 § 32b Nr 1 für die Zulassung eines Zahnarztes zur Kassenversorgung; BVerwG Buchholz 451.74 § 8 KHG Nrn 3 und 7 zur Aufnahme in einem Krankenhausplan). Dem entspricht der Antrag der Klägerin. Eine Rückwirkung der Zulassung, etwa zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Zulassungsantrages oder zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG, wird von ihr nach ihrer klarstellenden Erklärung in der Revisionsverhandlung nicht beansprucht.

Ob vom Rückwirkungsverbot in Fällen erneuter Zulassung bei vorausgegangener befristeter Zulassung („Kettenzulassung”) eine Ausnahme zu machen ist, bleibt offen.

Die Kostenentscheidung, die auch die Kosten des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde umfaßt, beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 651681

Breith. 1997, 864

SozSi 1997, 437

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