Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 20.03.1991; Aktenzeichen L 13 An 125/88)

SG Landshut (Urteil vom 26.04.1988)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. März 1991 und des Sozialgerichts Landshut vom 26. April 1988 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verpflichtet wurde, auch die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Mai 1960 als Versicherungszeit anzurechnen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Höhe des dem Kläger gewährten Altersruhegeldes (ARG) unter Berücksichtigung einer weiteren Versicherungszeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Mai 1960.

Der am 12. Juli 1907 in P. … (CSFR) geborene Kläger ist anerkannter Vertriebener. Er arbeitete, unterbrochen durch eine Tätigkeit als selbständiger Unternehmer (Handwerker) von 1948 bis 1960, im erlernten Beruf eines Feinmechanikers. Am 10. September 1983 kam er in die Bundesrepublik Deutschland. Die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb er durch Einbürgerung am 19. Juli 1985.

Auf seinen Antrag vom 20. September 1983 gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 7. August 1985 ARG ab dem 1. August 1985. Der Bescheid enthielt einen Hinweis, daß hinsichtlich einer Zeit vom 1. Januar 1957 bis 6. März 1960 die Ermittlungen über die Tätigkeit des Klägers als selbständiger Unternehmer noch nicht abgeschlossen seien.

Mit Widerspruch vom 27. August 1985 wandte sich der Kläger gegen die Festsetzung des Rentenbeginns und beantragte darüber hinaus die Anrechnung weiterer Zeiten. Während des Widerspruchsverfahrens gelangte die Beklagte zu der Auffassung, die bereits anerkannte Zeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Dezember 1956 sei keine Beitragszeit nach dem Fremdrentengesetz (FRG). Mit Bescheid vom 15. Januar 1987 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers insoweit ab, als sie den Rentenbeginn antragsgemäß auf den 10. September 1983 festsetzte. Hinsichtlich der Anrechnung der Zeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Dezember 1956 aber nahm sie den Bescheid vom 7. August 1985 zurück.

Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und begehrte die Anerkennung des gesamten Zeitraumes vom 1. Oktober 1952 bis 31. Mai 1960 als Beitragszeit. Die Beklagte wies mit Bescheid vom 8. April 1987 den Widerspruch zurück: In der Zeit vom September 1948 bis Mai 1960 sei der Kläger selbständiger Unternehmer in der Tschechoslowakei gewesen. Die Selbständigen seien zwar auch nach dem 30. September 1952 bei der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung geführt worden, ihre soziale Sicherung sei aber nach besonderen beitrags- und leistungsrechtlichen Vorschriften außerhalb der allgemeinen Arbeitnehmerversicherung durchgeführt worden. Da ein Sondersystem für Selbständige bestanden habe, das nicht von § 15 Abs 2 FRG erfaßt werde, könne der streitige Zeitraum weder nach § 15 Abs 1 noch nach § 16 FRG angerechnet werden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Mai 1960 als Versicherungszeit anzuerkennen (Urteil vom 26. April 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Es sei nicht erkennbar, daß mit der Rechtsentwicklung ab 1952 für Selbständige wie den Kläger ein Sondersystem geschaffen worden sei, vielmehr sei diese Personengruppe nach wie vor im einheitlichen System der tschechoslowakischen Nationalversicherung versichert gewesen. Nach der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung erarbeiteten Definition gelte als soziales Sicherungssystem iS des FRG „jedes soziale Sicherungssystem, das im wesentlichen auf eine öffentlich-rechtlich geregelte Pflichtzugehörigkeit für einen bestimmten Personenkreis mit einem irgendwie gestalteten Beitragsaufkommen aufgebaut ist und das gesetzlich oder satzungsmäßig Renten für den Fall einer vorzeitigen Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters oder des Todes vorsieht” (Hinweis auf BSGE 6, 263 = Breithaupt, 1958, 436; BSG SozR Nr 16 zu § 15 FRG und SozR 5050 § 15 Nr 7). Diesen Anforderungen genügten die vom Kläger in der tschechoslowakischen Nationalversicherung zurückgelegten Zeiten. Mit Einführung der genannten Versicherung am 1. Oktober 1948 seien Selbständige jeder Art versicherungspflichtig und vollständig in die allgemeine gesetzliche Rentenversicherung integriert gewesen. Der Beitrag habe nach § 30 Abs 2 der Regierungsverordnung (Regierungs-VO) Nr 56/1956 10 vH der Bemessungsgrundlage, die im § 11 der Kundmachung Nr 67/1957 festgesetzt gewesen sei, betragen. Mit Inkrafttreten der Regierungs-VO Nr 56/56 am 1. Januar 1957, mit der die Regierungs-VO Nr 46/1952 aufgehoben worden sei, habe für Selbständige Anspruch auf Alters- und Invalidenrente, Hinterbliebenenversorgung, Leistungen bei Arbeitsunfall, Erziehungsbeitrag, Erhöhung der Rente wegen Hilflosigkeit, kostenlose Behandlung der Kinder (bis 15 Jahre) bei Krankheit und Sicherung der Rente bei Krankheit (§§ 20 ff) bestanden. § 15 Abs 2 Satz 1 FRG verlange im Hinblick auf die Gleichstellung „von Beiträgen aufgrund einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbständigen Tätigkeit” gemäß § 15 Abs 1 Satz 2 FRG lediglich ein Einbezogensein in das System abhängig Beschäftigter. Der Bezug auf die für diesen Personenkreis geltenden Vorschriften sei ein Beweis für die Einheitlichkeit des Systems. Auch habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits in der Entscheidung vom 26. April 1977 (SozR 5050 § 15 Nr 7) dargetan, daß die einheitliche Ausgestaltung des Beitragsaufkommens für die selbständig Erwerbstätigen nicht den Ausschluß aus dem Sozialversicherungssystem zu begründen vermöge. Bei diesem Ergebnis habe ungeprüft bleiben können, ob die Rücknahme des Bescheides vom 7. August 1985 im Hinblick auf die Zeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Dezember 1956 zu Recht erfolgt sei.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 15 Abs 2 FRG: Zu Unrecht habe das LSG zur Entscheidung der Frage, ob ein „System der sozialen Sicherheit” vorliege, ausschließlich auf die organisatorische Zugehörigkeit der Selbständigen zur tschechoslowakischen Nationalversicherungsanstalt abgestellt und das Vorliegen eines eigenständigen Systems verneint. Ausschlaggebend sei vielmehr, daß – im Gegensatz zu den freiberuflich tätigen Schriftstellern und Künstlern – die soziale Sicherung der übrigen Selbständigen nach besonderen beitrags- und leistungsrechtlichen Vorschriften außerhalb der allgemeinen Arbeitnehmerversicherung durchgeführt worden sei. So würden in der CSFR die Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung nicht direkt, sondern im Wege einer erhöhten Lohnsteuer aufgebracht, während die Beiträge der Selbständigen nach festen Vomhundertsätzen erhoben würden. Im Leistungsrecht zeigten sich Unterschiede darin, daß bestimmte Leistungen (zB Teilinvalidenrenten) für Selbständige nicht vorgesehen seien und auch das Rentenniveau deutlich niedriger liege. Für die Annahme getrennter Systeme spreche ferner das Vorhandensein von Koordinierungsvorschriften, die beispielsweise die Zusammenrechnung von Beitragszeiten im Arbeitnehmer- und im Selbständigensystem regelten.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Bayerischen LSG vom 20. März 1991 sowie des SG Landshut vom 26. April 1988 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision ist nur zum Teil begründet. Hinsichtlich der Zeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Dezember 1956 hat das LSG zu Recht entschieden, daß diese Zeit als Beitragszeit nach § 15 Abs 1 FRG bei der Berechnung des ARG rentensteigernd zu berücksichtigen ist. Die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Mai 1960 wurde dagegen in einem Sondersystem zurückgelegt, das nicht den Kriterien des § 15 Abs 2 FRG entspricht.

Gegenstand des Verfahrens sind der Bescheid der Beklagten vom 7. August 1985 sowie nach § 86 Abs 1 SGG der Bescheid vom 15. Januar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 1987, womit der frühere Bescheid hinsichtlich des Rentenbeginns zugunsten und hinsichtlich der Rentenhöhe zu Lasten des Klägers ersetzt wurde.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war die ursprüngliche Berücksichtigung der Zeit vom 1. Oktober 1952 bis 31. Dezember 1956 nicht rechtswidrig. Nach § 15 Abs 1 FRG in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung (vgl Art 6 § 4 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz ≪FANG≫ vom 25. Februar 1960 ≪BGBl I S 93≫ idF des Art 16 Nr 1 Rentenreformgesetz ≪RRG≫ 1992 vom 18. Dezember 1989 ≪BGBl I S 2261, ber 1990 I S 1337≫) stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt worden sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Dazu bestimmt Abs 2 Satz 1 der genannten Vorschrift in Anlehnung an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15. Januar 1958 (BSGE 6, 263, 265), daß als gesetzliche Rentenversicherung iS des Abs 1 jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen ist, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern. Der Begriff „System der sozialen Sicherheit” stammt aus der internationalen Sozialpolitik bzw dem zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht und erfaßt die auf Beiträgen beruhenden Systeme der Sozialversicherung, nicht dagegen die beitragsfreien Systeme (zB öffentliche Fürsorge oder Kriegsopferversorgung). Entscheidungserheblich ist deshalb, ob

  • die Nationalversicherungsanstalt, an die Beiträge für den Kläger abgeführt worden sind, als ein beitragsfinanziertes System der sozialen Sicherheit iS des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG aF anzusehen ist,

    und bejahendenfalls,

  • ob der Kläger in dieses System für abhängig Beschäftigte direkt einbezogen war oder ob er als Selbständiger einem Sondersystem angehört hatte, das von der tschechoslowakischen Nationalversicherungsanstalt lediglich (mit-)verwaltet wurde.

Zur Finanzierung des Systems hat das LSG im Hinblick auf abhängig Beschäftigte lediglich festgestellt, es habe „ein Sonderkapitel im Staatsbudget” gegeben (Hinweis auf Bulletin der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit 1960, Nr 3, S 114) und die Beiträge der Arbeitnehmer seien nicht mehr direkt, sondern im Wege erhöhter Lohnsteuer bei progressiv gestaffeltem Steuertarif aufgebracht worden (§ 1 bzw § 6 des Gesetzes Nr 76/1952). Aus diesen Feststellungen wird nicht klar, ob es ein beitragsfinanziertes soziales Sicherungssystem (und ab wann) in der Tschechoslowakei gegeben hat. Zwar beruht ein Sicherungssystem auf Beitragsentrichtung nicht nur dann, wenn die Leistungen zur Gänze aus einem Beitragsaufkommen gespeist werden, sondern auch dann, wenn das Beitragsaufkommen durch Zuschüsse des Staates oder Dritter ergänzt wird. In keinem Fall reicht es aber aus, wenn die Leistungen allein aus dem Staatshaushalt bestritten werden (so der 11a Senat im Urteil vom 12. März 1985, SozR 5050 § 15 Nr 29 zu Zeiten der Zugehörigkeit zum rumänischen Sicherungssystem für Berufssoldaten). Die Mittel für Rentenausgaben müssen stets in irgendeiner Weise aufgebracht werden. Das Beitragsaufkommen ist ein brauchbares Abgrenzungsmerkmal nur dann, wenn es anderen Formen der Finanzierung, insbesondere einer aus allgemeinen Steuermitteln und sonstigen Staatseinkünften, gegenübergestellt werden kann. Damit ist es ausgeschlossen, Mittel, die zur Deckung der laufenden Ausgaben aus dem allgemeinen Staatshaushalt bereitgestellt werden, als Beiträge anzusehen (BSG, aaO).

Wenngleich die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Klärung nicht ausreichen, bedurfte es dennoch keiner Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Obwohl grundsätzlich eine Bindung an die Feststellungen des LSG zum tschechoslowakischen Recht besteht, weil es sich insoweit um irrevisibles Recht handelt (§§ 162, 163 SGG, § 202 SGG iVm § 562 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫; BSGE 44, 221, 222 = SozR 5050 Nr 8; BSG in SozR 5050 § 15 Nrn 37 und 38 mwN; Urteil des Senats vom 13. Oktober 1992 – 4 RA 40/91 –, zur Veröffentlichung bestimmt), kann die Revisionsinstanz dann Feststellungen zum ausländischen Recht treffen, wenn eine Rechtsnorm übersehen wurde. Es handelt sich dann nämlich nicht mehr um die Überprüfung einer Auslegung, die das Berufungsgericht einer irrevisiblen Norm gegeben hatte, sondern um die Anwendung des geltenden Rechts auf einen vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt (vgl BGHZ 40, 197, 201 mwN).

Das am 1. Januar 1953 in Kraft getretene Gesetz vom 11. Dezember 1952 über die Lohnsteuer (Gesetz Nr 76/1952 Gesetzblatt der CSSR – Sb –) betraf nur den Arbeitnehmeranteil der Beiträge zur Rentenversicherung. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile blieb es bei den Erhebungsvorschriften des Gesetzes über die Nationalversicherung vom 15. April 1948 (Gesetz Nr 99/1948 Sb). Näheres regelte die Regierungs-VO vom 30. Dezember 1952 (VO Nr 109/1952 Sb). § 1 Abs 2 der VO bestimmte:

„der Versicherungsbeitrag wird durch einen Prozentsatz der Summe der Bemessungsgrundlagen aller Arbeitnehmer desselben Arbeitgebers bestimmt und beträgt:

c) 10% bei den übrigen Arbeitnehmern.”

Diese Beitragssätze erfuhren durch die Regierungs-VO vom 28. September 1953 (VO Nr 84/1953 Sb) eine Änderung mit Rückwirkung vom 1. Juni 1953 dahingehend, daß nunmehr der Beitragssatz 15 vH für die „übrigen Arbeitnehmer” gültig war. Da es auf die Höhe des Beitrages nicht ankommt, reicht der Arbeitgeberanteil aus, um seit dem 1. Januar 1953 ein soziales dh beitragsfinanziertes Sicherungssystem iS des § 15 Abs 2 FRG aF anzunehmen, wie dies auch die Vorinstanzen getan haben.

Dies gilt auch für die davorliegende Zeit ab 1. Oktober 1952. Das LSG hat zur Finanzierung der am 1. Oktober 1948 eingeführten Nationalversicherung keine Feststellungen getroffen. Das tschechoslowakische Rentenrecht hat nach dem Kriege erstmals durch das Gesetz über die Nationalversicherung vom 15. Mai 1948 (Gesetz Nr 99/1948 Sb) eine wesentliche Änderung (Einheitsversicherung) erfahren, wovon aber die Aufbringung der Mittel nicht betroffen war. Nach § 117 Abs 3 Satz 1 aaO betrug der Versicherungsbeitrag der Rentenversicherung 10%. § 120 Abs 1 aaO bestimmte hierzu: „Der Arbeitgeber deckt den ganzen Versicherungsbeitrag für den Arbeitnehmer.” Diese Vorschrift ist jedoch nicht mit den übrigen Bestimmungen über die Rentenversicherung am 1. Oktober 1948 in Kraft getreten; der Zeitpunkt des Inkrafttretens sollte nach § 279 Abs 4 aaO durch eine Regierungs-VO bestimmt werden. Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des § 120 Abs 1 bestimmte § 255 Abs 1 Buchst a aaO: „Vom Versicherungsbeitrage decken der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer jenen Teil, welche die Regierung durch Verordnung bestimmt.” Nach § 1 der Regierungs-VO vom 21. September 1948, „womit die Teile bestimmt werden, welche den Versicherungsbeitrag in der Nationalversicherung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer decken” (VO Nr 220/1948 Sb), war der Betrag je zur Hälfte zu tragen. Diese Regelung galt zunächst auch noch nach Verkündung des Gesetzes vom 19. Dezember 1951 über die Umgestaltung der Nationalversicherung (Gesetz Nr 102/1951 Sb) weiter.

Daraus ergibt sich, daß die tschechoslowakische Nationalversicherung seit ihrer Gründung ein System der sozialen Sicherheit iS des § 15 Abs 2 FRG aF dargestellt hat. Davon ist das LSG auch – im Ergebnis zutreffend – ausgegangen. Insoweit hält der erkennende Senat an seiner zur tschechoslowakischen Nationalversicherung bereits ergangenen Rechtsprechung fest (Urteil vom 26. April 1977, SozR 5050 § 15 Nr 7; oa Urteil des Senats vom 13. Oktober 1992).

Nur solche Systeme der sozialen Sicherheit, in die in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, gelten nach § 15 Abs 2 FRG als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des Abs 1. Damit ist aber nicht zum Ausdruck gebracht, daß nur abhängig Beschäftigte in den Genuß von Beitragszeiten nach § 15 FRG gelangen. Dies würde § 15 Abs 1 FRG widersprechen, in dem Beiträge aufgrund einer abhängigen oder selbständigen Tätigkeit ausdrücklich gleichgestellt sind. Es reicht deshalb aus, wenn die Selbständigen in das allgemeine Rentenversicherungssystem der abhängig Beschäftigten eingebunden sind. Sonderregelungen zur Abgrenzung der versicherungspflichtigen Personen, im Beitrags- und Leistungsrecht, die sich aus den Besonderheiten der selbständigen Tätigkeit (zB schwankendes, mit zeitlicher Verzögerung feststellbares Einkommen, keine Arbeitgeberbeiträge) oder berufsständischen Eigenheiten (zB die teilweise Selbstversorgung selbständiger Landwirte durch Austragsleistungen oder Erträgnisse des Hofes) ergeben, führen noch nicht dazu, von einem Sondersystem für Selbständige (oa Urteil vom 13. Oktober 1992) zu sprechen, das vom allgemeinen Sozialversicherungssystem für die abhängig Beschäftigten losgelöst ist (vgl Urteil des erkennenden Senats SozR 5050 § 15 Nr 7).

Besondere Regelungen unterschiedlicher Normqualität (Verwaltungsvorschriften, Rechtsverordnungen, Gesetze), gesonderte Organisationsformen bis zur Schaffung eigenständiger Sozialversicherungsträger für die Selbständigen sind immer nur Indizien für das Vorliegen eines Sondersystems. Die fließenden, sich aus der historischen Entwicklung ergebenden Übergänge und die mehr oder weniger starken Verzahnungen mit dem allgemeinen System für die Arbeitnehmer erschweren die Abgrenzung. Dies zeigt ein Blick auf die Sicherungssysteme der Selbständigen in der Bundesrepublik. Die berufsständischen Versorgungen der zB Architekten, Ärzte, Rechtsanwälte sind Sondersysteme, losgelöst von der allgemeinen Rentenversicherung. Die in § 2 Nrn 1 bis 8 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) angeführten Selbständigen sind dagegen in die allgemeine Rentenversicherung der Arbeitnehmer eingegliedert, obwohl auch hier Besonderheiten hinsichtlich der Versicherungspflicht (zB für Handwerker, vgl § 6 Abs 1 Nr 4 SGB VI) sowie der Beitragsentrichtung bestehen und für Künstler und Publizisten darüber hinaus die Bestimmungen des Künstlersozialversicherungsgesetzes vom 27. Juli 1981 (BGBl I S 705) gelten, mit völlig eigenständigen Regelungen hinsichtlich der Versicherungspflicht, der Aufbringung der Mittel und teilweise auch der Organisation durch die Errichtung der Künstlersozialkasse als selbständiger Behörde. Die Rentenversicherung der Landwirte ist dagegen durch das Gesetz über die Altershilfe für Landwirte (GAL) idF der Bekanntmachung vom 14. September 1965 (BGBl I S 1448) in der Bundesrepublik als Sondersystem außerhalb der allgemeinen Rentenversicherung geregelt. Auch hier gibt es Verzahnungen mit dem allgemeinen Rentenversicherungssystem, die Qualifizierung als Sondersystem ergibt sich erst bei Berücksichtigung der besonderen sozialpolitischen und agrarpolitischen Zielsetzung des Gesetzes. Rentenleistungen nach weitgehend mit der allgemeinen Rentenversicherung identischen Versicherungsfällen sind in der Regel an die Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens geknüpft, die Leistungen sollen nur eine „Hilfe” in besonderen Lebenslagen darstellen. Der hohe Finanzierungsanteil des Bundes ist mit dem in der allgemeinen Rentenversicherung auch nicht annähernd zu vergleichen.

Entscheidend für die Qualifizierung als Sondersystem außerhalb der Rentenversicherung für Arbeitnehmer ist deshalb eine Gesamtbetrachtung. Immer muß aber erkennbar sein, daß ein Sondersystem mit selbständigen Rechtsgrundlagen geschaffen werden sollte (so Abendroth, DAngVers 1986, 278 ff).

Eine solche Gesamtwürdigung hat das LSG vorgenommen, dabei jedoch die den herangezogenen und ausgewerteten Regierungs-VOen (Nr 46/1952 Sb und Nr 56/1956 Sb iVm der Kundmachung Nr 67/1957, Amtsblatt der CSSR – Ul –) zugrunde liegenden Gesetze unbeachtet gelassen, so daß dem Senat (vgl die obenstehenden Ausführungen) eine Überprüfungskompetenz zusteht. Es handelt sich um das Gesetz über den Umbau der Nationalversicherung vom 19. Dezember 1952 (Gesetz Nr 102/1951 Sb) und das Sozialversicherungsgesetz vom 30. November 1956 (Gesetz Nr 55/56 Sb).

Selbständige und Freiberufler waren seit dem 1. Oktober 1948 nach dem Gesetz über die Nationalversicherung vom 15. Mai 1948 (Gesetz Nr 99/1948 Sb) im Rahmen des allgemeinen Rentenversicherungssystems versicherungspflichtig (§ 2 Abs 1 Buchst b, § 4 aaO). Bis auf die notwendigen beitragsrechtlichen Besonderheiten galten für sie die gleichen Rechte und Pflichten. Das Gesetz vom 19. Dezember 1951 über den Umbau der Sozialversicherung (Gesetz Nr 102/1951 Sb), das am 1. Januar 1952 in Kraft getreten ist, löste die Selbständigen noch nicht aus der allgemeinen Rentenversicherung heraus. Der maßgebliche § 6 aaO regelt in Abs 1 lediglich, daß Kriegsopfer und Opfer des Faschismus durch die Nationalversicherung entschädigt werden. Abs 2 enthält eine Absichtserklärung, die Rentenversicherung so umzubauen, daß sie sich den Bedürfnissen der Arbeitnehmer annähert, leistungsbezogen ist, der Produktivität entspricht und vereinfacht und effektiv gestaltet wird. Abs 3 bestimmt, daß der Umbau der Rentenversicherung durch Regierungsanordnung erfolgt. Der Wille des tschechoslowakischen Gesetzgebers, für die Selbständigen ein Sondersystem unter dem Dach der Nationalversicherung zu schaffen, kann aus diesen Regelungen nicht entnommen werden. Dies gilt auch für die aufgrund des § 6 Abs 3 erlassene Regierungsanordnung (Nr 46/1952 Sb), welche die Bestimmungen des Gesetzes über die Nationalversicherung vom 15. Mai 1948 hinsichtlich der Versicherungspflicht der Selbständigen grundsätzlich unangetastet läßt. Es war lediglich erforderlich, die Mitglieder der landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften des I. und II. Typs und die mitarbeitenden Familienmitglieder einzubeziehen. Ausgenommen von den Sonderregelungen der Verordnung (VO) waren Schriftsteller, bildende Künstler und die wissenschaftlichen Angestellten der Volksversicherung (§ 16 Abs 2 aaO), deren Rechte und Pflichten sich allein nach dem Gesetz vom 15. Mai 1948 richteten. Eine Analyse der einzelnen Regelungen zeigt, daß – ohne die Einbindung in das allgemeine Sozialversicherungssystem aufzugeben – lediglich den besonderen Bedürfnissen der Selbständigen beim Eintritt des Versicherungsfalles, der Beitragsbemessung und davon abgeleitet der Rentenhöhe Rechnung getragen wurde. Ansonsten blieben sämtliche Regelungen des Gesetzes vom 15. Mai 1948 in Kraft (§ 17 Abs 1 Satz 1 aaO). § 27 Abs 1 aaO enthält zwar die Regelung, daß alle Bestimmungen des Gesetzes vom 15. Mai 1948, die dieser VO widersprechen, aufgehoben werden. Damit wird aber noch kein Sondersystem geschaffen; eine solche Generalklausel dient vielmehr der Praktikabilität. Daß das Gesetz vom 15. Mai 1948 im übrigen für die Selbständigen unangetastet blieb, zeigen die sonst nicht notwendigen Einzelregelungen des § 27 Abs 2 aaO. Auch die Koordinierungsvorschriften des § 21 aaO sind nicht so ausgestaltet, wie sie bei einem Sondersystem zu erwarten wären. Die Anrechnung von Versicherungszeiten und die Berücksichtigung der erworbenen Anwartschaften beim Wechsel zur Angestelltentätigkeit sind vielmehr kennzeichnend für eine „Wanderversicherung” (vgl §§ 87 ff Angestelltenversicherungsgesetz ≪AVG≫), die das Vorliegen eines Sondersystems ausschließt. Typisch für ein Sondersystem wären zB getrennte Leistungen, ggf mit teilweiser Anrechnung und die Möglichkeit, sich im anderen System nachzuversichern.

Mit dem Sozialversicherungsgesetz vom 30. November 1956 (Gesetz Nr 55/1956 Sb), in Kraft getreten am 1. Januar 1957, wurde dagegen die gesamte Sozialversicherung der Tschechoslowakei auf eine neue Grundlage gestellt. Das Gesetz über die Nationalversicherung vom 15. Mai 1948 wurde aufgehoben (§ 91 Abs 1 Buchst b aaO). Entscheidend ist, daß in diesem Gesetz die Versicherungspflicht der Selbständigen und LPG-Bauern nicht mehr verankert ist und nur der in § 3 Abs 3 Buchst b aaO bezeichnete Personenkreis den Arbeitnehmern gleichgestellt ist. Es sind dies Schriftsteller, Komponisten, bildende Künstler, Architekten, wissenschaftliche Forscher, Künstler und Schauspieler, soweit sie von den zuständigen Organen anerkannt sind. § 90 Abs 1 aaO ermächtigt die Regierung, die Rentenversicherung der Mitglieder der (landwirtschaftlichen) Produktionsgenossenschaften, der selbständig wirtschaftenden Bauern und anderer selbständig wirtschaftender Personen durch Regierungs-VO zu regeln. Eine Anbindung an das allgemeine Sozialversicherungssystem besteht damit für diesen Personenkreis nicht mehr. Die rechtliche Trennung von der allgemeinen Sozialversicherung, die sich mit der VO Nr 46/1952 Sb nur angebahnt hatte, wurde damit vollzogen.

Entsprechend ist auch die aufgrund der Ermächtigungsnorm erlassene Regierungs-VO Nr 56/1956 Sb iVm der Kundmachung Nr 67/1957 Ul aufgebaut. Die Regierungs-VO Nr 46/1952 Sb wurde aufgehoben (§ 36 Abs 1 aaO), die Verbindung zur allgemeinen Sozialversicherung ist auf organisatorischer Ebene nur noch indirekt gegeben, indem dem Vorsitzenden des Staatsamtes für soziale Sicherung im Einvernehmen mit den beteiligten Regierungsmitgliedern die Durchführung der VO übertragen wird, § 37 aaO. Die Verweisung auf das Sozialversicherungsgesetz vom 30. November 1956 beschränkt sich nach § 35 aaO auf den „allgemeinen Teil” (Ende des Anspruchs, Rückzahlungen, Änderung der Leistung, Verjährung, Versteuerung etc), von einer Vernetzung von Gesetz und Rechts-VO, wie es noch bei der Regierungs-VO Nr 46/1956 Sb der Fall war, kann nicht mehr gesprochen werden. Weder enthält das Sozialversicherungsgesetz vom 30. November 1956 Anrechnungsvorschriften (vgl § 6 Abs 1 aaO) noch finden sich in der Regierungs-VO Nr 56/1956 Sb entsprechende Regelungen. Soweit das LSG den § 34 aaO erwähnt, handelt es sich dabei um eine Übergangsregelung zugunsten von Arbeitnehmern, die bis zum 30. September 1952 gleichzeitig als Selbständige versichert waren. Die Bestimmung verlängert lediglich die Übergangsregelung des § 21 Abs 1 der Regierungsanordnung Nr 46/1952 Sb. Statt dessen stellt sich nunmehr die Regierungs-VO Nr 56/1956 Sb als eigenständige in sich geschlossene Regelung der Rentenversicherung der Selbständigen dar: § 19 aaO grenzt in Abs 1 die „nach dieser VO” versicherten Selbständigen und mitarbeitenden Familienmitglieder von dem in einem Dauerbeschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitnehmern ab, die nach dem Sozialversicherungsgesetz vom 30. November 1956 versichert sind. Abs 2 definiert den Kreis der selbständig erwerbstätigen Personen. Die Mitglieder der landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften des I. und II. Typs sind ausdrücklich gleichgestellt. Zur näheren Abgrenzung wurde zudem aufgrund der Ermächtigung in § 31 mit der Kundmachung Nr 67/1957 Ul bis in alle Einzelheiten festgelegt, wer als Selbständiger anzusehen ist (§§ 1, 3 aaO) und ab wann eine abhängige Beschäftigung die Versicherungspflicht nach der Regierungs-VO verdrängt (§ 2 aaO). Hinsichtlich der Leistungen und der einzelnen Versicherungsfälle enthalten die §§ 20 bis 29 aaO völlig eigenständige Regelungen, zB ist die Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit Voraussetzung für eine Altersrente. Auch das Beitragsrecht ist in § 30 aaO iVm den §§ 5 bis 15 der Kundmachung Nr 67/1957 Ul umfassend geregelt. Der Senat kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß die selbständig erwerbstätigen Personen iS des § 19 Abs 2 der Regierungs-VO Nr 56/1956 Sb ab 1. Januar 1957 in einem Sondersystem für Selbständige versichert waren, das von § 15 Abs 2 FRG nicht erfaßt wird. Der Senat hält insoweit nicht mehr an seinem Urteil vom 26. April 1977 (SozR 5050 § 15 Nr 7) fest. Auf die Änderungen des tschechoslowakischen Rechts nach dem hier streitigen Zeitraum bis 31. Mai 1960 ist nicht einzugehen.

Die Revision der Beklagten ist deshalb nur hinsichtlich des Zeitraums ab 1. Januar 1957 begründet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei berücksichtigt wurde, daß der Kläger mit dem Großteil seiner Klage Erfolg hatte und die Beklagte durch die unvollständige Recherche des ausländischen Rechts zum Klageverfahren Anlaß gegeben hatte.

 

Fundstellen

BSGE, 163

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