Entscheidungsstichwort (Thema)

Brillengestell. Kostenzuschuß. Aufarbeitung. Vertragspreis. Höchstpreis. laufende Verträge. Kündigungserfordernis. Gesundheitsreformgesetz. Eigentumsgarantie. Bestimmtheit von Gesetzen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Begrenzung der Leistungspflicht der Krankenkassen für Brillengestelle auf einen Kostenzuschuß von 20,00 DM durch das Gesundheitsreformgesetz gilt auch für die Arbeitsleistung der Anpassung eines vorhandenen Brillengestells an neue Gläser.

2. Soweit in Verträgen zwischen Hilfsmittelerbringern und Krankenkassen oder deren Verbänden für diese Arbeitsleistung eine höhere Vergütung vereinbart war, gilt dies nicht für nach dem Inkrafttreten der Zuschußregelung vom Versicherten erteilte Bestellungen.

3. Dieser gesetzliche Eingriff in laufende Verträge ist verfassungsgemäß.

 

Normenkette

SGB V § 33 Abs. 4; GG Art. 12, 14, 20

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 17.12.1992; Aktenzeichen VI KRBf 1/92)

SG Hamburg (Entscheidung vom 15.05.1991; Aktenzeichen 23 KR 282/89)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 17. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) eingeführte Begrenzung des Zuschusses für ein neues Brillengestell auf 20,00 DM auch für den Fall gilt, daß Versicherte kein neues Brillengestell erhalten, sondern ein vorhandenes Brillengestell neu aufarbeiten lassen. Die Klägerin, ein Optikunternehmen, hatte in der ersten Jahreshälfte 1989 zahlreichen Mitgliedern der beklagten Krankenkasse (KK) zur Anpassung neuer Gläser vorhandene Brillenfassungen aufgearbeitet und der Beklagten im Rahmen monatlicher Gesamtabrechnungen von Februar bis Juli 1989 dafür pro Brille 22,00 DM (zwei Gläser à 11,00 DM) in Rechnung gestellt. Dies war der Preis, der nach der Position Nr. 710 der seit dem 1. April 1986 gültigen Preisliste, die zum Vertrag von 1962 zwischen dem Zentralverband der Augenoptiker für das Bundesgebiet und den Verbänden der Angestellten-Krankenkassen eV gehörte, für das Aufarbeiten einer vorhandenen Brillenfassung vereinbart war. Die Beklagte vertrat die Auffassung, daß die vertragliche Regelung durch die gesetzliche Anordnung eines Zuschusses von höchstens 20,00 DM außer Kraft getreten sei, und kürzte die Rechnungen pro Behandlungsfall um 2,00 DM, insgesamt um 122,00 DM. Die Klage auf Zahlung des offenstehenden Rechnungsbetrages blieb in den Vorinstanzen erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 15. Mai 1991; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 17. Dezember 1992). Das LSG hat die Rechtsansicht des SG bestätigt, daß sich die gesetzliche Zuschußregelung für Brillengestelle sowohl auf neue als auch auf gebrauchte Brillengestelle beziehe. Durch die gesetzliche Neuregelung seien die entgegenstehenden vertraglichen Bestimmungen außer Kraft getreten. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Dagegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung des § 33 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Fünftes Buch – (SGB V). Das Tatbestandsmerkmal „Kosten des Brillengestelles” umfasse nur die Neuanschaffung, nicht die Kosten der Instandhaltung oder einer Anpassung.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 122,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. September 1989 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 1 beantragt ebenfalls,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene zu 2 stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen.

Die Berufung war zulässig, obwohl die Klägerin ihren Antrag auf Zulassung der Sprungrevision, der zur Wahrung der Berufungsfrist geeignet ist (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), anstatt an das SG an das LSG gerichtet hat. Der Eingang an die gemeinsame Postannahmestelle des LSG und des SG hat die Frist nicht gewahrt (vgl BVerfG, Beschluß vom 17. Februar 1993 – 1 BvR 1666/92 – und Beschluß vom 7. September 1984 – 2 BvR 1633/82 –). Der Antrag ist dennoch rechtzeitig bei dem SG eingegangen, wie sich aus einer Verfügung des SG vom 4. Oktober 1991 entnehmen läßt. An diesem Tag lief erst die Antragsfrist ab. Die Zustellung des Urteils ist am 3. September 1991 erfolgt, und der 3. Oktober 1991 war ein gesetzlicher Feiertag.

Das LSG hat zu Recht trotz des geringen Gegenstandswertes in der Sache entschieden. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50), wonach bei Klagen auf eine Geld- oder Sachleistung mit einem Wert bis zu 1.000,00 DM die Berufung ausgeschlossen ist, ist auf das vorliegende Verfahren noch nicht anwendbar, weil es erst nach Abschluß des Berufungsverfahrens am 1. März 1993 in Kraft getreten ist. Nach der bis dahin geltenden Fassung des § 144 SGG war die Berufung nicht ausgeschlossen. Danach galt ein Berufungsausschluß nur bei Ansprüchen auf einmalige Leistungen und auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monaten). Es kann dahinstehen, ob der Auffassung des LSG beizutreten ist, daß dieser Berufungsausschluß nur für Sozialleistungen gilt, nicht aber für Zahlungsansprüche von Leistungserbringern. Beigetreten werden kann aber der Auffassung, daß der Berufungsausschlußgrund deshalb hier nicht eintritt, weil jedenfalls wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten im Streit sind. Der in einer Summe geltend gemachte Klageanspruch setzt sich aus Einzelleistungen zusammen, die regelmäßig anfallen und hier über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten für Versicherte der Beklagten erbracht worden sind. Die Zusammenfassung in einer Summe macht daraus nicht eine einmalige Leistung (vgl dazu BSGE 22, 226 = SozR Nr. 27 zu § 144 SGG; BSG SozR 1500 § 144 Nr. 35).

Das LSG hat zu Recht die Auffassung des SG bestätigt, daß der Klägerin der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zusteht. Der nach dem abgeschlossenen Rahmenvertrag und dem zuletzt gültigen Preisverzeichnis für die Aufarbeitung eines Brillengestells dem Augenoptiker zustehende Anspruch auf 22,00 DM ist durch den am 1. Januar 1989 mit dem GRG in Kraft getretenen § 33 Abs. 4 Satz 1 SGB V auf 20,00 DM herabgesetzt worden. Nach dieser Vorschrift zahlt die KK zu den Kosten des Brillengestells einen Zuschuß von 20,00 DM, soweit nicht für Brillengestelle geringere Festbeträge nach § 36 SGB V festgesetzt sind. Diese Vorschrift, die in einem Abschnitt steht, der den Leistungsanspruch des Versicherten behandelt, hat nicht nur bewirkt, daß der Versicherte von der KK für das Brillengestell nur noch einen Zuschuß von 20,00 DM verlangen kann, sondern auch zur Folge gehabt, daß der Optiker die Mehrkosten für ein höherwertiges Brillengestell nicht mehr gegenüber der KK, sondern nur noch dem Versicherten gegenüber geltend machen kann, obwohl dies im Gesetz nicht ausdrücklich erklärt worden ist. Wegen des zwingenden Zusammenhanges zwischen dem Leistungsanspruch des Versicherten und der Abwicklung mit den Leistungsträgern muß die Gesetzesanwendung insoweit einheitlich sein. Die bis dahin bestehenden Preisvereinbarungen für die Ausstattung der Versicherten mit Brillengestellen sind durch das GRG obsolet geworden.

Vor dem GRG war die Leistungspflicht der KKn bei Sehhilfen nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 b Reichsversicherungsordnung nur durch die grundsätzliche Beschränkung des Anspruchs auf Krankenpflege nach dem Maß des Notwendigen begrenzt (vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr. 93). Aufgrund von Verträgen der Spitzenverbände der KKn mit dem Zentralverband der Augenoptiker wurden den Versicherten bestimmte Brillengestelle – gegen Entrichtung einer Verordnungsblattgebühr (für Sehhilfen eingeführt durch das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1578) – kostenfrei zur Verfügung gestellt. Wählte der Versicherte eine aufwendigere Ausführung, ohne daß dies ärztlich verordnet war, so hatte er die Kostendifferenz zwischen dem notwendigen und dem aufwendigeren Brillengestell selbst zu tragen (zur Zulässigkeit dieses Verfahrens vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr. 93). Seit dem 1. Januar 1989 werden dem Versicherten kostenfrei Brillengestelle nur zur Verfügung gestellt, sofern sie nicht mehr als 20,00 DM kosten. Nur insoweit hat der Optiker einen Vergütungsanspruch gegen die KK; bei Lieferung eines höherwertigeren Brillengestells hat der Versicherte den Differenzbetrag zu zahlen. Dies entspricht der bislang unangefochtenen Praxis zwischen den leistungserbringenden Optikern und den KKn.

Zutreffend hat das LSG auch die Kosten der Anpassung eines vorhandenen Brillengestells an neue Gläser als „Kosten des Brillengestells” iS von § 33 Abs. 4 Satz 1 SGB V angesehen. Für eine einengende Auslegung dieses Begriffs in dem Sinne, daß es sich nur um Materialkosten handele, wie sie bei der Lieferung eines neuen Brillengestells in erster Linie anfallen, und nicht um Personalkosten, wie sie mit der Aufarbeitung eines Brillengestells verbunden sind, bietet entgegen der Ansicht der Klägerin weder der Wortlaut noch der systematische Zusammenhang noch der erkennbare Gesetzeszweck, wie er in den Gesetzesmaterialien, in der Entwicklung der Vorschrift und im Regelungszusammenhang zum Ausdruck kommt, einen Anhaltspunkt.

Der Wortlaut des Gesetzes spricht allgemein von Kosten des Brillengestells, ohne zwischen Anschaffungs- und Änderungskosten zu unterscheiden. Auch Änderungskosten werden deshalb entgegen der Auffassung der Klägerin vom Wortlaut gedeckt. Zutreffend ist zwar, daß das Gesetz ua in § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich klarstellt, daß der Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch umfaßt. Daraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, daß immer dort, wo diese ausdrückliche Klarstellung fehlt, Änderungskosten ausgeschlossen sind. In dem genannten Fall handelt es sich um eine klarstellende Regelung, nicht um eine Ausweitung des Versorgungsanspruchs des Versicherten. Änderungskosten sind auch nicht auszunehmen, weil es sich um „Dienstleistungen” handele, die von den „Sachleistungen” zu unterscheiden und von anderer Kostenstruktur seien. Die unterschiedliche Kostenstruktur schließt nicht aus, sie dennoch einer Kostenbegrenzung und Pauschalierung zu unterwerfen, wie der Senat bereits im Zusammenhang mit der individuellen Anpassung von neuen Brillengestellen entschieden hat (vgl Urteile vom 14. September 1994 – 3/1 RK 53/93 und 3/1 RK 36/93 – zur Veröffentlichung bestimmt). Die für die Aufarbeitung der Brillengestelle bei neuen Gläsern bis dahin gültigen pauschalen Vertragspreise beweisen das. Aus der allgemeinen Systematik des Gesetzes oder der Natur der Sache ergibt sich danach nicht der von der Klägerin gezogene Schluß.

Auch die Entstehungsgeschichte läßt nicht erkennen, daß der Gesetzgeber versehentlich eine zu weit gehende Formulierung gewählt hat. Der Entwurf zum GRG enthielt noch keine spezielle Festbetrags- oder Zuschußregelung für Brillengestelle (BT-Drucks 11/2237, S 174 f). Die Einführung der Zuschußregelung wurde im Gesetzgebungsverfahren durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik veranlaßt (BT-Drucks 11/3120, dort § 33 Abs. 5). Eine nähere Begründung wurde nicht abgegeben (BT-Drucks 11/3480, S 52 und S 33). Ein von Mitgliedern des Bundesrates gestellter Antrag, von einer solchen Regelung abzusehen, weil diese Einschränkung unter sozialen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen sei (BR-Drucks 595/6/88), wurde nicht aufgegriffen. Die Frage der Anpassung von Brillengestellen ist im Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht behandelt worden.

Entwicklung und Regelungszusammenhang sprechen nicht gegen, sondern für die nach dem Wortlaut gebotene Einbeziehung auch der Anpassung eines Brillengestells in die Zuschußregelung. Das Ziel des GRG, die Kosten nach Möglichkeit zu senken und dauerhaft zu stabilisieren, wurde in der Beschlußempfehlung des Ausschusses als Anliegen aller Fraktionen besonders herausgestellt (BT-Drucks 11/3320, S 11). Durch die Begrenzung der Kosten für die Aufarbeitung eines Brillengestells auf 20,00 DM wird diesem Ziel ebenfalls Rechnung getragen. Die Absenkung der Kosten ist zwar gegenüber den bis dahin gültigen Vertragspreisen nur geringfügig; es ist auch einzuräumen, daß eine Kostenbegrenzung für die Aufarbeitung eines Brillengestells weniger dringlich erscheinen kann als die Kostenbegrenzung für die Neuanschaffung eines Brillengestells, weil hier die Gefahr, daß aus sachfremden Gesichtspunkten eine aufwendigere Ausstattung als notwendig gewählt wird, erheblich größer ist. Eine unterschiedliche Behandlung verstieße aber gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Grundgesetz ≪GG≫). Es besteht kein einleuchtender Grund dafür, den Versicherten, der sein bisheriges Brillengestell weiter tragen will, in stärkerem Maße von Eigenkosten zu entlasten als denjenigen, der ein neues Brillengestell wählt. Die allgemein wirtschaftlich sinnvollere Weiterbenutzung eines gebrauchten Gestells ist kein Grund, die KKn in stärkerem Maße heranzuziehen. Bei wertvollen Brillengestellen bleibt der Anreiz, dieses bei dem Erfordernis neuer Gläser weiter zu benutzen, auch dann erhalten, wenn der Versicherte für die Anpassung einen geringen Eigenanteil zu tragen hat; dieses ist in der Regel immer noch günstiger als die Anschaffung eines gleichwertigen neuen Gestells mit entsprechend hohem Eigenkostenanteil. Das wirtschaftlich vernünftige Weitertragen eines vorhandenen brauchbaren Brillengestells wird von der Verwaltungspraxis der KKn auch zu Recht gefördert. Soweit die Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vom 13. Dezember 1989 (BGBl I 2237) – HilfsmVO – in § 3 Instandsetzungen von Brillengestellen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, einschließlich der Aufarbeitung einer vorhandenen Fassung gänzlich von der Leistungspflicht der KK ausgeschlossen hat, gilt dies nach der mit dem jetzt zuständigen Minister für Gesundheit abgestimmten Praxis der KKn nicht in den Fällen, in denen der Versicherte wegen erheblicher Veränderung der Sehschärfe einen Anspruch auf Ausstattung mit einer neuen Brille hat. In diesen Fällen erhält er auch bei Aufarbeitung eines vorhandenen Gestells einen Zuschuß bis zu 20,00 DM.

Wenn die Beklagte für den umgekehrten Fall – Einarbeiten vorhandener Gläser in eine neue Fassung – die in der Position 723 der Preisliste vorgesehene Vergütung neben der Brillenfassung zahlt und sich nicht durch den gesetzlichen Höchstbetrag für Brillenfassungen daran gehindert sieht, ist daraus für den vorliegenden Fall nichts herzuleiten. Es mag sein, daß der Arbeitsaufwand des Optikers in beiden Fällen vergleichbar ist. Der KK ist dadurch nicht verwehrt, die unterschiedlichen Sachverhalte anders zu bewerten, um dadurch einen finanziellen Anreiz dafür zu bieten, vorhandene, gebrauchsfähige Gläser weiter zu benutzen. Das Interesse der KK an der Weiterbenutzung des Brillengestells ist auf 20,00 DM beschränkt. Ihr Interesse an der Weiterbenutzung der Gläser kann diesen Betrag übersteigen.

Der Vorinstanz ist auch darin zu folgen, daß die gesetzliche Regelung ebenso wie für die Lieferung von Brillengestellen auch für die Aufarbeitung einer vorhandenen Brillenfassung mit unmittelbarer Wirkung auf bestehende Verträge in Kraft getreten ist. Es bedurfte insoweit entgegen der Auffassung der Revision nicht erst einer Kündigung der bestehenden Preisvereinbarungen. Vertragsrecht ist nur insoweit erhalten geblieben, als die gesetzliche Regelung nicht entgegensteht. Das sofortige Wirksamwerden des Gesetzes zur Erreichung einer raschen Kostendämpfung war vom Gesetzgeber gewollt. Für Brillengestelle hat er die Festsetzung von Festbeträgen nur insoweit zugelassen, als sie den Betrag von 20,00 DM unterschreiten. Selbst für den Fall der Festlegung von Festbeträgen, die für Brillengestelle bislang nicht erfolgt ist, hat er angeordnet, daß Klagen gegen die Gruppeneinteilung nicht zulässig sind und im übrigen keine aufschiebende Wirkung haben (§ 36 Abs. 3 iVm § 35 Abs. 7 SGB V). § 127 Abs. 2 Satz 2 SGB V läßt Verträge über Preise nur zu, soweit Festbeträge noch nicht festgelegt sind oder nicht festgelegt werden können. Soweit hiernach Preisvereinbarungen mit der Festsetzung des Festbetrages unzulässig werden, gilt das auch für vor der Festpreisfestsetzung vereinbarte Preise, auch wenn diese schon vor dem GRG vereinbart waren. Das gilt für den Zuschuß beim Brillengestell entsprechend. Daß auch damit in laufende Verträge eingegriffen werden sollte, liegt auf der Hand. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung dieser Rechtsfolge kann nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber von der Fortgeltung der Verträge bis zu einer vertragsgemäßen Kündigung ausgegangen wäre. Die Klägerin räumt selbst ein, daß sie bei neuen Brillengestellen auch ohne weiteres davon ausgegangen ist, ab 1. Januar 1989 nur noch höchstens 20,00 DM von den Kassen fordern zu können, obwohl auch insoweit Verträge bestanden haben. Sie zieht damit nicht in Zweifel, daß der Gesetzgeber auch unmittelbar in laufende Verträge eingreifen darf. Soweit sie dazu verlangt, daß dies ausdrücklich und zweifelsfrei erfolgen müsse, um diese Wirkung zu erzielen, und ebendies hinsichtlich der Aufarbeitung von Brillengestellen nicht geschehen sei, ist dem nicht beizutreten. Dem insoweit gebotenen Vertrauensschutz ist auf andere Weise Rechnung zu tragen. Die Klägerin mußte zumindest damit rechnen, daß die Rechtsfragen zum Anwendungsbereich der Zuschußregelung und zur Auswirkung auf bestehende Verträge in diesem Sinne beantwortet wurden. Die gesetzliche Regelung, die die Kassen nur noch zu einem „Zuschuß” bis zu 20,00 DM verpflichtete, hat es anders als die frühere Preisvereinbarung nicht ausgeschlossen, bis zum Inkrafttreten neuer Preisvereinbarungen die Versicherten für Mehrkosten in Anspruch zu nehmen. Die Regelung entsprach einem gesetzlichen Höchst-Festbetrag. Wenn die Klägerin es in Verkennung der Rechtslage bei der Aufarbeitung von Brillengestellen im Unterschied zur Lieferung eines neuen Brillengestells versäumt hat, die Versicherten in Anspruch zu nehmen, hat sie den Nachteil zu tragen. Insoweit kann dahinstehen, ob die Klägerin bei einer an die KK gerichteten Antrage, ob sie einen höheren Preis mit dem Versicherten vereinbaren dürfe, von der KK die Auskunft erhalten hätte, daß die Vereinbarung weiterhin gelte und eine Inanspruchnahme des Versicherten ausschließe. Die von den KKn früher geäußerten Rechtsauffassungen mögen es nahelegen, daß eine solche Auskunft erteilt worden wäre. Nur wenn die Klägerin tatsächlich bei den KKn angefagt und tatsächlich diese Auskunft erhalten hätte, könnte es treuwidrig sein, wenn die Beklagte nunmehr den Wegfall der Verträge geltend macht. Im übrigen blieb es der Klägerin unbenommen, wegen ihrer Unsicherheit über die Rechtslage mit den Versicherten aufschiebend bedingte privatrechtliche Vereinbarungen über die Übernahme der Mehrkosten zu treffen für den Fall, daß sich die Kassen zu Recht auf die gesetzliche Kostengrenze berufen.

Die Beteiligten haben zu der streitigen Gesamtabrechnung für Februar bis Juli 1989 klargestellt, daß diese nur nach dem 1. Januar 1989 erfolgte Bestellungen umfaßt. Die Frage, ob die Zuschußregelung auch vorher erteilte Bestellungen ergreift, und ob ein derartig rückwirkender Eingriff in Verträge zulässig wäre, kann damit offenbleiben.

Der unmittelbare Eingriff des Gesetzgebers in bestehende Verträge, soweit er hier streitig ist, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Prüfungsmaßstab sind insoweit Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 GG. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Rechtsordnung; sie kann im Rahmen des Verhältnismäßigen eingeschränkt werden (vgl BVerfGE 6, 32, 38; 68, 193, 218; stRspr). Die durch Art. 12 GG gewährleistete Berufsfreiheit, die hier nur in Form der freien Berufsausübung tangiert sein kann, kann bereits durch vernünftige Interessen des Gemeinwohls eingeschränkt werden (vgl BVerfGE 63, 354 = SozR 2200 § 368 n Nr. 25). Art. 14 GG läßt einen Eingriff in Positionen, die in der Vergangenheit begründet worden sind, dagegen nur zu, wenn er durch überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (BVerfGE 31, 275, 290; 36, 281, 293; 58, 81, 110, 114). Soweit Art. 14 GG als Eigentumsgarantie einen besonderen Vertrauensschutz gegenüber staatlichen Eingriffen gewährleistet, bedarf es eines zusätzlichen Rückgriffs auf das in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegte allgemeine Rechtsstaatsprinzip nicht (BVerfGE 31, 275, 293; 58, 81, 120 f = SozR 2200 § 1255 a Nr. 7). Auch nach diesem strengsten unter den hier in Betracht kommenden Maßstäben für staatliche Eingriffe ist die gesetzliche Neuregelung durch das GRG nicht zu beanstanden. Die dadurch eingetretene Herabsetzung der Vergütung um ca 10 % – soweit keine entsprechenden Zuzahlungen von Versicherten geleistet worden sind – für die Aufarbeitung eines Brillengestells ist als geringfügig zu werten. Das Vertrauen der Optiker auf Beibehaltung der vertraglichen Vergütungssätze stand ohnehin unter dem Vorbehalt der vertragsgemäß möglichen Kündigung durch die KKn, letztlich aber auch unter dem Vorbehalt eines gesetzgeberischen Eingreifens zur Aufrechterhaltung der Finanzierbarkeit der GKV, die nicht nur ein überragendes Interesse der Allgemeinheit ist, sondern auch den daran beteiligten Leistungserbringern zugute kommt. Die Einschätzung des Gesetzgebers, daß zur Erzielung einer Kostendämpfung auch rasche Eingriffe in laufende Verträge geboten waren, läßt ein Überschreiten des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes nicht erkennen. Der Eingriff ist verhältnismäßig; er hat lediglich eine Umsatzminderung der betroffenen Optiker bei einer bestimmten Leistung zur Folge und ist weit davon entfernt, ihre Existenz ernstlich zu gefährden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

AusR 1995, 20

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