Entscheidungsstichwort (Thema)

Kannversorgung. multiple Sklerose. Regelung der Ermessensausübung. wehrdiensteigentümliche Belastungen. Beweiserleichterung. Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wegen einer nicht auf einem plötzlichen Ereignis beruhenden Krankheit ist Soldatenversorgung nur zu gewähren, wenn diese Krankheit entweder nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung als Berufskrankheit zu entschädigen wäre oder außerordentliche, kriegsähnliche Belastungen festzustellen sind, die eine "Kann-Versorgung" rechtfertigen.

2. Eine "Kann-Versorgung" ist nur gerechtfertigt, wenn in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit über die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs besteht. Nach wenigstens einer medizinischen Lehrmeinung muß der Ursachenzusammenhang wahrscheinlich, nicht nur möglich sein.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 3 S. 2; SVG § 81 Abs. 6 S. 2

 

Verfahrensgang

SG Mainz (Entscheidung vom 21.03.1989; Aktenzeichen S 6 V 10/88)

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 23.10.1992; Aktenzeichen L 4 V 46/89)

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Krankheit, als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden darf, obwohl der Ursachenzusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden kann.

Der Kläger war von 1977 bis 1989 als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Seit Juli 1982 war er als verantwortlicher Feldwebel in einem Offizierskasino tätig. Im Oktober 1986 beantragte er die Anerkennung einer Multiplen Sklerose (MS) als Wehrdienstbeschädigung. Er meint, die Krankheit sei durch die starken physischen und psychischen Belastungen ausgelöst worden, denen er im Offizierskasino ausgesetzt gewesen sei. Dort habe seine Arbeitszeit regelmäßig um 8.00 Uhr morgens begonnen und teilweise bis 23.00 Uhr, in Ausnahmefällen sogar bis zum nächsten Morgen, gedauert. Er habe oft an Magenschleimhautentzündung und nervösen Störungen gelitten. Er beruft sich auf die im sozialen Entschädigungsrecht geltende Sonderregelung, wonach bei Krankheiten, über deren Ursachen in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums Entschädigung gewährt werden kann, wenn entschädigungsrechtlich erhebliche Einflüsse auch nur möglicherweise ursächlich waren. Die erforderliche Zustimmung bei MS sei in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" für bestimmte Fallgruppen, zu der auch sein Fall gehöre, erteilt worden (Nr 39 Abs 7 und Nr 64 der Anhaltspunkte). Nachdem der Antrag und auch die Beschwerde von der Beklagten zurückgewiesen worden waren (Bescheide vom 13. August 1987 und vom 26. Januar 1988), erhob der Kläger erfolgreich Klage vor dem Sozialgericht Mainz (SG). Das SG meinte, der Kläger sei, wie es die Anhaltspunkte verlangten, in der Zeit seiner Tätigkeit im Offizierskasino körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet gewesen seien, die Resistenz gegen MS herabzusetzen (Urteil vom 21. März 1989). Auf die Berufung der Beklagten und des Beigeladenen hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, es sei zwar davon auszugehen, daß über den Wortlaut der Anhaltspunkte hinaus auch psychische Belastungen für die Begründung eines Entschädigungsanspruches ausreichten. Es sei auch mit den Sachverständigen anzunehmen, daß die Belastungen des Klägers geeignet gewesen seien, MS hervorzurufen. Die Anhaltspunkte verlangten aber wesentlich stärkere Belastungen. Es müsse sich um Belastungen handeln, die mit den Strapazen einer Kriegsgefangenschaft vergleichbar seien.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe die Anhaltspunkte falsch ausgelegt, denn dort werde die Vergleichbarkeit der resistenzmindernden Belastungen mit den extremen Lebensbedingungen einer Kriegsgefangenschaft nicht als Voraussetzung für die Kann-Versorgung gefordert. Wenn man dem LSG folge, seien die Beweiserhebungen, insbesondere die ärztlichen Gutachten, überflüssig gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Oktober 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 21. März 1989 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Krankheit als Wehrdienstbeschädigung hat. Es kann nicht nachgewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht werden, daß die MS, an der er leidet, durch schädigende Vorgänge im Wehrdienst hervorgerufen worden ist. Das folgt aus den Feststellungen des LSG und wird auch vom Kläger selbst nicht behauptet. Der Kläger kann sich aber auch nicht auf die Vorschriften berufen, nach denen im sozialen Entschädigungsrecht unter besonderen Voraussetzungen Entschädigung sogar gewährt werden kann, wenn der Zusammenhang einer Krankheit mit einem entschädigungsrechtlich erheblichen Vorgang nur möglich ist (vgl § 1 Abs 3 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫, § 81 Abs 6 Satz 2 Soldatenversorgungsgesetz ≪SVG≫, § 4 Abs 5 Satz 2 Häftlingshilfegesetz, § 47 Abs 7 Satz 2 Zivildienstgesetz, § 21 Abs 5 Satz 2 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz). Nach § 81 Abs 6 Satz 2 SVG kann mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht. Die Zustimmung des BMA fehlt; es fehlt auch die für die Zeit vor dem Ausscheiden aus dem Wehrdienst erforderliche Zustimmung des Bundesverteidigungsministers, die im Einvernehmen mit dem BMA nach § 85 Abs 3 SVG erteilt werden müßte. Keiner der beiden Minister hat die Zustimmung erteilt oder ist verpflichtet, sie zu erteilen.

Die Zustimmung für Fälle der hier vorliegenden Art ist nicht in der Zustimmung enthalten, die der BMA für MS allgemein erklärt hat und an die sich der Bundesminister der Verteidigung schon im voraus angeschlossen hat (vgl Nr 6 Abs 2 der Richtlinien zu § 85 SVG vom 23. Mai 1975 - BAnz Nr 98 vom 3. Juni 1975 -). Der BMA hat allerdings für eine Reihe von Krankheiten, deren Entstehung in der medizinischen Wissenschaft ungewiß ist und für die somit nach dem Gesetz eine Kann-Leistung in Frage kommt, eine allgemeine Zustimmung erklärt. Er hat diese Zustimmung im Bundesversorgungsblatt (BVBl 1968, 82) und mit einigen Änderungen in den von ihm herausgegebenen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht 1983" veröffentlicht (Nr 39 Abs 7 der Anhaltspunkte). Obwohl die Zustimmung ausdrücklich nur auf § 1 Abs 3 Satz 2 BVG gestützt ist, gilt sie entsprechend auch für das Soldatenversorgungsrecht (vgl Hinweis in der in BVBl 1968, 82 veröffentlichten Richtlinie). Die Zustimmung bezüglich der MS ist aber nicht einschränkungslos erteilt. Sie ist vielmehr an die Voraussetzungen geknüpft, die in den Anhaltspunkten als Hinweise für die Begutachtung der Krankheiten gegeben werden (hier Nr 64). Allgemein ist deshalb nicht die Zustimmung als solche geregelt; allgemein sind vielmehr die Voraussetzungen geregelt, unter denen im Einzelfall angenommen werden kann, daß sie erteilt ist.

Das ist auch der Sinn der Ermächtigung, die Verwaltungsspitze zur allgemeinen Regelung der Zustimmung zu veranlassen und damit auch zu einer einheitlichen Ermessensausübung beizutragen. Die Ermächtigung soll eine dem Gleichheitssatz entsprechende Praxis bundeseinheitlich auf einem Rechtsgebiet gewährleisten, das auf Änderungen allgemeiner Tatsachen, hier der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, möglichst schnell reagieren soll. Das Gesetzgebungsverfahren wäre zu schwerfällig.

Bei einer allgemeinen Zustimmung muß die Verwaltung vor einer positiven Ermessensausübung die Zustimmung im Einzelfall nicht einholen. Ihre Aufgabe ist es zu prüfen, ob die in den Anhaltspunkten beschriebenen Voraussetzungen der Zustimmung vorliegen. Liegen sie vor, ist die Verwaltung verpflichtet, die Anerkennung auszusprechen. Denn es besteht kein Gesichtspunkt, der es rechtfertigen könnte, eine Ablehnung auszusprechen, obwohl der BMA bereits zugestimmt hat. Die Kann-Leistung verdichtet sich in diesen Fällen zu einer Pflichtleistung. Die Kann-Leistung ist jedoch zu versagen, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt die in den Anhaltspunkten aufgeführten Voraussetzungen für die Zustimmung nicht vorliegen. Denn die Anhaltspunkte für die Begutachtung der einzelnen Krankheiten sind in Verbindung mit der allgemeinen Zustimmung lückenlos. Sie enthalten nicht nur die Festlegung des BMA, wann die Zustimmung erteilt wird, sondern auch die Festlegung, wann sie nicht erteilt wird.

Die Voraussetzungen der Zustimmung sind hier nicht erfüllt.

Nicht erfüllt ist insbesondere die Voraussetzung, die in § 64 Abs 3 Buchst a der Richtlinien wie folgt formuliert ist: "Körperliche Belastungen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet sind, die Resistenz herabzusetzen". Mit dieser ausdrücklich auf § 1 Abs 3 Satz 2 BVG gestützten Regelung sind zunächst nur solche Belastungen gemeint, die dem militärischen oder militärähnlichen Dienst eigentümlich sind und Kriegsopferversorgung auslösen (§ 1 Abs 1 Satz 1 BVG). Die Regelung findet zwar auch Anwendung bei entsprechenden Verhältnissen in den anderen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts, vor allem auch des Soldatenversorgungsrechts. Sie ist aber nicht anzuwenden, wenn solche Verhältnisse nicht vorliegen. Solche Verhältnisse liegen nicht vor, soweit ein Soldat in der in Frage kommenden Zeit nicht wehrdiensttypischen Belastungen ausgesetzt war, sondern, wie hier, in einer zivilen Beschäftigung verwendet worden ist.

Daran ändert sich nichts, wenn festgestellt wird, daß der in zivilen Verhältnissen beschäftigte Soldat ausnahmsweise ebensolchen Belastungen ausgesetzt war, wie sie den Soldaten sonst nur im Kriegsdienst, in der Gefangenschaft, beim Grundwehrdienst oder bei Manövern zugemutet werden. In solchen Fällen kann Entschädigung nur gewährt werden, wenn, wie es das Gesetz grundsätzlich verlangt, die Krankheit mit Wahrscheinlichkeit auf diese Belastungen zurückgeführt werden kann.

Diese enge Auslegung der Nr 64 Abs 3 Buchst a der Anhaltspunkte folgt zwar nicht zwingend aus dem Wortlaut. Die Auslegung allein des Wortlauts kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, wie die Urteile der beiden Vorinstanzen zeigen.

Zur engen Auslegung zwingt indessen die Ermächtigung, die ihrerseits eng auszulegen ist. Die Verwaltung ist nach § 81 Abs 6 Satz 2 SVG und den obengenannten entsprechenden Vorschriften ausdrücklich nur für eine eng begrenzte Fallgruppe ermächtigt, Leiden anzuerkennen, obwohl sie nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf ein schädigendes Ereignis zurückgeführt werden können. Es handelt sich um Fälle, bei denen die "erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht". Schon an diesem Wortlaut wird deutlich, daß nicht die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs ausreicht. Es muß vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs vertritt. Wird eine solche Meinung überhaupt nicht vertreten, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewißheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein. Das wird in Nr 9 der Verwaltungsvorschriften zu § 1 BVG verdeutlicht, wonach gerade "wegen der Ungewißheit in der medizinischen Wissenschaft" die Feststellung der Wahrscheinlichkeit nicht möglich ist. Die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl Rauschelbach, BVBl 1967, 84 in Erwiderung auf Scholmann, BVBl 1967, 23; vgl jetzt auch Rösner, MedSach 1990, 4, der von "qualifizierter Möglichkeit" spricht).

Die enge Auslegung des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG folgt aus der durch das Grundgesetz beschränkten Befugnis des Bundesgesetzgebers, die ihm obliegende Normsetzung zu delegieren. Sogar die Normsetzung durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats setzt voraus, daß Inhalt, Zweck und Umfang im Bundesgesetz selbst festgesetzt sind (Art 80 Grundgesetz). Soll, wie hier, die Verwaltungsspitze ermächtigt werden, die Ermessensausübung im Leistungsrecht allgemein zu regeln, so kann diese Ermächtigung nicht den Inhalt haben, Ansprüche über das hinaus zu erweitern, was im Gesetz angelegt ist (vgl BSG SozR 3-4100 § 40 Nr 5 zur Anordnungsbefugnis der Bundesanstalt für Arbeit; vgl zu diesem Urteil auch Steinmeyer, SGb 1992, 558). Die Kompetenz des untergesetzlichen Normgebers wird durch die Ermächtigung eingegrenzt. Im Gesetz angelegt ist nicht nur die Entschädigung für plötzliche schädigende Ereignisse, dh Unfälle, und damit für Verletzungen und ihre Folgen, sondern auch für Krankheiten, die nicht durch ein plötzliches Ereignis, sondern durch längerdauernde Einwirkungen hervorgerufen worden sind. Es ist aber praktisch ausgeschlossen, mit Hilfe der herkömmlichen Beweismittel festzustellen, daß eine solche Krankheit (unfallunabhängige Krankheit) mit Wahrscheinlichkeit auf dienstliche Einflüsse als wesentliche Ursache zurückzuführen ist. Unfallunabhängige Krankheiten entwickeln sich aufgrund vielfältiger Einflüsse, denen der einzelne im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist. Als Mitursachen kommen zB die persönliche Lebensweise und mannigfaltige Umwelteinwirkungen in Betracht. Bei vielen Krankheiten wird auch diskutiert, ob und in welchem Umfang Erbanlagen für die Entstehung und Entwicklung der Krankheit verantwortlich sind. Wenn trotz dieser Schwierigkeiten die Anerkennung einer sich langsam entwickelnden Krankheit als Wehrdienstbeschädigung nicht ausgeschlossen ist, so liegt das daran, daß die Grundsätze heranzuziehen sind, die bei der Entschädigung von Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung angewandt werden (vgl Urteile des erkennenden Senats in SozR 3-3200 § 81 Nr 8 = SGb 1993, 238 mit Anm von Schroth; SozR 3-3200 § 81 Nrn 6 und 8).

Das Berufskrankheitenrecht bietet allerdings keine Grundlage für die Anerkennung einer MS. Eine Anerkennung ist auch nicht bei entsprechender Anwendung dieses Rechts möglich. Dies auch dann nicht, wenn feststeht, daß ein besonderer Streß vorlag, der geeignet gewesen ist, MS hervorzurufen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht für das Beamtenversorgungsrecht bereits geklärt (BVerwG Buchholz 232 § 135 Bundesbeamtengesetz ≪BBG≫ Nr 59 = DÖV 1979, 105 = USK 7895). Nichts anderes gilt im Soldatenversorgungsrecht, wenn die Belastungen nicht auf den Wehrdienst im engeren Sinn zurückgeführt werden, sondern nur Belastungen in Betracht kommen, die ähnlich auch bei Ausübung eines zivilen Berufes vorkommen können.

Mit der durch das Berufskrankheitenrecht geschaffenen Beweiserleichterung sind aber nicht alle Fallgruppen erfaßt, die nach der Vorstellung des Gesetzes als Krankheiten entschädigt werden sollen. Da die für die Anerkennung von Berufskrankheiten maßgebenden Erkenntnisse in zivilen Berufen gewonnen werden, umfassen sie nur zivile Belastungen. Sie blenden die besonderen Anforderungen aus, die der Staat an Bürger stellt, die er zur Erfüllung wehrdiensttypischer Aufgaben heranzieht. Diese Anforderungen gehen oft über das hinaus, was im Zivilleben zu ertragen ist. Ist in zeitlichem Zusammenhang mit einer solchen außerordentlichen Belastung eine Krankheit aufgetreten, die auch in ursächlichem Zusammenhang mit dieser Belastung stehen kann, so kann dem Kranken nicht die volle Beweislast für die Ursächlichkeit auferlegt werden. Dieser Rechtsgedanke hat den Gesetzgeber auf dem Gebiet des Wiedergutmachungsrechts veranlaßt, bei verfolgungsbedingten Belastungen während einer Deportation oder Freiheitsentziehung eine Beweislastumkehr einzuführen, wenn die Krankheit während der Verfolgung oder in unmittelbarem Anschluß daran aufgetreten ist (vgl §§ 15 Abs 2 und 28 Abs 2 Bundesentschädigungsgesetz). Die mit § 1 Abs 3 Satz 2 BVG eingeführte Anerkennung von Leiden, die nur möglicherweise auf bestimmte kriegsbedingte Belastungen zurückgehen, hat dieselbe Zielsetzung: Beweiserleichterung für außerordentliche Belastungen, die regelmäßig nur im Krieg oder in Kriegsgefangenschaft zu ertragen sind. Mit der hier einschlägigen Vorschrift des § 81 Abs 6 Satz 2 SVG soll die Beweiserleichterung auch auf solche Verhältnisse übertragen werden, in denen im Frieden kriegsähnliche Anforderungen gestellt werden. Die Beschränkung auf kriegsähnliche Belastungen entspricht auch dem Charakter dieser Vorschrift als Härtefallregelung. Sie war ursprünglich Teil der Härtefallvorschrift des § 89 BVG (vgl zur Geschichte Fehl/Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl § 1 RdNr 99). Sie ist auch nach der Übernahme in § 1 BVG und § 81 SVG eine Härtefallregelung geblieben (vgl Ausschuß-Bericht in BT-Drucks III, 1825 S 3). Sie ist auf Fälle beschränkt, in denen es eine Härte wäre, die Anerkennung der Krankheit von dem normalen Grad der Wahrscheinlichkeit abhängig zu machen. Eine Härte ist es aber nicht, den in einer zivilen Tätigkeit eingesetzten Soldaten ebenso zu behandeln wie einen Arbeitnehmer in einem zivilen Beruf. Da bei ihm beruflicher Streß, sei er noch so stark, nicht ausreicht, MS als Berufskrankheit anzuerkennen, besteht kein Grund anzunehmen, das Gesetz treffe für den Soldaten eine andere Regelung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 190

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