Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen der Rente wegen Berufsunfähigkeit

 

Beteiligte

…, Kläger und Revisionskläger

Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein,Lübeck, Kronsforder Allee 2 - 6, Beklagte und Revisionsbeklagte

Bundesanstalt für Arbeit,Nürnberg, Regensburger Straße 104

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht das Ruhen der Rente des Klägers für die Zeit vom 1. September 1986 bis 31. Dezember 1986 festgestellt hat.

Der Kläger erhielt von der Beklagten mit Bescheid vom 10. September 1985 Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) auf Zeit vom 20. September 1985 bis 31. Dezember 1986 bewilligt. Arbeitslosengeld (Alg) erhielt der Kläger vom 26. September 1985 bis 30. Juni 1986 und erneut vom 20. August bis 31. Dezember 1986. Nach dem 31. Dezember 1986 erhielt der Kläger von der Beklagten zunächst noch Berufsunfähigkeitsrente bis 3. Januar 1987 (Bescheid vom 3. Februar 1987) und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit vom 4. Januar 1987 bis 31. März 1989 (Bescheide vom 26. Januar 1987, 9. Dezember 1988). Seit 1. April 1989 bezieht der Kläger Rente wegen BU (Bescheid vom 30. März 1989).

Mit Bescheid vom 21. Juli 1986 hob die Beklagte zunächst den Bescheid vom 10. September 1985 über die Gewährung einer Rente wegen BU gemäß § 48 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) mit Wirkung ab 1. Oktober 1985 wegen Bezug von Alg ganz auf. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 8. September 1986 entschied die Beklagte, daß "nach Einstellung der Alg-Zahlung die Rente ab 1. Juli 1986 in voller Höhe zu zahlen" sei. Unter dem 17. November 1986 erließ die Beklagte sodann einen Bescheid, wonach wegen erneuter Zahlung des Alg die Ruhenswirkung (des § 1283 Reichsversicherungsordnung [RVO]) ab 1. Sepember 1986 festgestellt wird. Die Rente ruhe ab 1. September 1986 in voller Höhe. Die Mitteilung vom 8. September 1986 werde aufgehoben. Als Rechtsmittel gegen diesen Bescheid ist der Widerspruch angegeben. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 2. Dezember am 3. Dezember 1986 Widerspruch ein.

Am 31. Oktober 1988 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben mit dem Antrag ihm für die Zeit von September 1986 bis Dezember 1986 die Rente wegen BU auszuzahlen. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte am 18. Februar 1991 einen Widerspruchsbescheid erlassen und den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Als Gegenstand des Widerspruchsverfahrens hat sie das Begehren des Widerspruchsführers bezeichnet, die für die Zeit vom 1. September 1986 bis 31. Dezember 1986 gemäß § 1283 RVO ruhende Rente an ihn auszuzahlen. Der Widerspruch richte sich gegen den Bescheid vom 17. November 1986.

Mit Urteil vom 18. Juli 1991 hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 17. November 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 1991 zurückgewiesen. Die vom SG zugelassene Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 5. Oktober 1992 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist lediglich ausgeführt, daß auch nach Überzeugung des Senats durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die letztlich hier allein streitige Verfassungsmäßigkeit von § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO nicht bestehen. Zu Recht bestehe unter den Beteiligten kein Streit darüber, daß nach dem Inhalt dieser Vorschrift die BU-Rente des Klägers in der Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 1986 bis zur Höhe des Alg und deshalb rechnerisch hier voll für die gesamte Dauer des Zusammentreffens dieser beiden Leistungen ruhte. Die Voraussetzungen des § 1283 Abs 1 Satz 2 Nr 2 RVO seien nicht erfüllt, denn der Kläger habe das Alg in der Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 1986 aufgrund einer früheren erworbenen Anwartschaftszeit erhalten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Der Kläger macht mit seiner Revision allein geltend, daß das Urteil des LSG ihn in seinen Grundrechten aus Art 14 und 3 Grundgesetz (GG) verletze. § 1283 Abs 1 RVO sei verfassungswidrig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 5. Oktober 1992, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 18. Juli 1991 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. November 1986 in

der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 1991 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Entscheidungen des LSG und des SG.

Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, daß der Bescheid vom 17. November 1986 als Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes zu beurteilen sein könnte.

II

Der Senat konnte in Abwesenheit eines Bevollmächtigten des Klägers und der Beigeladenen verhandeln und entscheiden, denn der Prozeßbevollmächtigte des Klägers und die Beigeladene sind in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte hat bei der Ruhensfeststellung im Bescheid vom 17. November 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 1991 die Voraussetzungen des § 45 SGB X für die Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes nicht beachtet. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 17. November 1986 beurteilt sich nach § 45 SGB X, denn mit seinem Erlaß ist ein Bescheid geändert worden, der bereits bei seinem Erlaß unrichtig war. Der Senat hat mit Urteil vom 9. April 1987 (5b RJ 36/86 = SozR 1300 § 45 Nr 29) entschieden, daß ein Bescheid dann nach § 45 Abs 1 SGB X zurückzunehmen ist, wenn er bereits bei seinem Erlaß unrichtig war, weil die Rente wegen BU nach § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO wegen des Zusammentreffens mit Alg ruhte. Maßgebender Bescheid für die Beurteilung ist hier der, vom LSG nicht erwähnte, aber in den Akten befindliche Bescheid vom 8. September 1986, mit dem die Beklagte feststellte, daß die Rente des Klägers ab 1. Juli 1986 in voller Höhe zu zahlen ist. Dieser Bescheid ist bei seinem Erlaß rechtswidrig gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt bestand zumindest schon der Anspruch auf Alg ab 20. August 1986, wenn nicht sogar das Alg bereits gezahlt worden war. Für den Zeitraum vom 1. September bis 31. Oktober 1986 ändert sich hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 45 SGB X auch nichts dadurch, daß die Beklagte im Bescheid vom 8. September 1986 zwar die Zahlung der Rente ab 1. Juli 1986 bewilligt, gleichzeitig aber ausgeführt hat, daß für die Zeit bis 31. Oktober 1986 die Rente noch nicht ausgezahlt werde. Auch wenn man diesen Vorbehalt so versteht, daß mit dem Bescheid für die Zeit bis 31. Oktober 1986 nur der Grundanspruch auf Rente anerkannt, aber noch geprüft werden sollte, ob nicht Einwendungen gegen den Zahlungsanspruch bestanden, so ist dieser Vorbehalt für das Ruhen der Rente nach § 1283 RVO nicht ausgesprochen worden. Da im Gegenteil mit dem Bescheid vom 8. September 1986 gerade die Wiedergewährung der Rente wegen Fortfalls der Ruhensvoraussetzungen ausgesprochen wurde, wäre ein gleichzeitig gemachter Vorbehalt der Auszahlung zur Feststellung der Ruhensvoraussetzungen eine widersprüchliche Entscheidung gewesen.

Die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X ist eine Ermessensentscheidung (vgl zB BSG Urteil vom 4. Februar 1988 - 11 RAr 26/87 = SozR 1300 § 45 Nr 34). Ermessen hat die Beklagte weder im Bescheid vom 17. November 1986 noch im Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1991 ausgeübt. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats sind die angefochtenen Bescheide allein wegen der fehlenden Ermessensausübung rechtswidrig und aufzuheben (vgl Urteil vom 13. Juli 1988 in SozR 1300 § 45 Nr 39 mwN). Die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob § 1283 Abs 1 Satz 1 RVO verfassungswidrig ist, soweit er das Ruhen einer BU-Rente bei gleichzeitigem Bezug von Alg anordnet, konnte und brauchte der Senat deshalb nicht entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517852

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