Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg), hilfsweise Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der Kläger ist gelernter Kfz-Schlosser. Bis Juni 1985 war er als Omnibusverkäufer versicherungspflichtig beschäftigt, danach bezog er Alg. Ab Mai 1986 arbeitete er nach seinen Angaben als Busfahrer in der seiner Ehefrau gehörenden Firma G. . Zwischen den Beschäftigungszeiten, die jeweils vom Frühjahr bis zum Herbst dauerten, bezog er Alg. Mit - bestandskräftigem - Bescheid vom 20. November 1987 bewilligte ihm das Arbeitsamt (ArbA) Wesel Alg ab 1. November 1987 für eine Dauer von 338 Tagen, die der Kläger 1987/88 und 1988/89 bis auf 148 Tage in Anspruch nahm.

Wegen seiner Arbeitsaufnahme hob das ArbA mit Bescheid vom 4. April 1989 die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 15. März 1989 auf.

Den erneuten Antrag des Klägers, ihm ab 1. November 1989 Alg zu gewähren, lehnte das ArbA mit der Begründung ab, er habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Er sei nicht beitragspflichtig beschäftigt gewesen, sondern habe das Unternehmerrisiko mitgetragen; seine Tätigkeiten seien mehr durch familienhafte Rücksichtnahme und durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander als durch einen für ein Arbeitnehmerverhältnis typischen Interessengegensatz zum Arbeitgeber gekennzeichnet gewesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi erfülle er ebenfalls nicht (Bescheid vom 18. Dezember 1989, Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1990).

Das Sozialgericht (SG) hat die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) verurteilt, ab 1. November 1989 bis 28. Februar 1990 Alg zu zahlen (Urteil vom 21. Juli 1992). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 28. Juli 1993 zurückgewiesen. Sowohl das SG als auch das LSG sahen die Tätigkeit des Klägers im Betrieb seiner Ehefrau nicht als beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis an. Aufgrund des bestandskräftigen Bescheids vom 20. November 1987 stehe dem Kläger indes noch ein Restanspruch auf Alg für 148 Tage zu. Diesem Restanspruch stehe nicht entgegen, daß der Vorbezug rechtswidrig gewesen sei. Die BA habe die Möglichkeit gehabt, mit der Ablehnung des Antrags auf Neubewilligung von Alg ab 1. November 1989 gleichzeitig die alte Bewilligung vom 20. November 1987 gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit der Restanspruch von 148 Tagen betroffen gewesen sei. Von dieser Möglichkeit habe sie jedoch keinen Gebrauch gemacht. Die auf § 48 SGB X gestützte Aufhebung der Leistungsbewilligung anläßlich der Arbeitsaufnahme ab 15. März 1989 berühre das durch die Bewilligung begründete Stammrecht nicht. Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten stehe auch in Widerspruch zu § 125 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), der das Erlöschen des Stammrechts regele. Der vorübergehende Wegfall von Anspruchsvoraussetzungen, nämlich hier das Ausscheiden aus dem Bezug von Alg wegen Arbeitsaufnahme, lasse das Stammrecht nicht erlöschen. Bei erneutem Eintritt aller Anspruchsvoraussetzungen entstehe ein Leistungsanspruch für die bisher noch nicht verbrauchte Anspruchsdauer.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 151 Abs. 2 AFG sowie § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 104 Abs. 1 Satz 1, 168 Abs. 1 AFG. Sie trägt vor, gegen die Richtigkeit der Entscheidung des LSG spreche bereits § 151 Abs. 2 AFG, wonach im Falle der Aufhebung der Leistungsbewilligung die Leistung von neuem nur gewährt werden dürfe, wenn sie erneut beantragt werde. Ein eventueller Restanspruch auf Alg lebe bei Eintritt erneuter Arbeitslosigkeit somit nicht ohne weiteres auf, sondern eine erneute Bewilligung setze eine erneute Antragstellung und Prüfung aller Anspruchsvoraussetzungen voraus. Dies folge auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. Juli 1992 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 1993 zurückzuweisen, hilfsweise, die Beklagte zur Zahlung von Arbeitslosenhilfe zu verurteilen.

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Alhi sei begründet, da er in dem betreffenden Zeitraum auch bedürftig gewesen sei.

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg für die Zeit ab 1. November 1989 bis 28. Februar 1990. Soweit er allerdings hilfsweise einen Anspruch auf Alhi geltend gemacht hat, vermag der Senat hierüber nicht abschließend zu entscheiden. Denn es fehlt insbesondere an Feststellungen zur Bedürftigkeit, die das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht -bisher nicht getroffen hat.

1. Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen kann der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Alg nicht auf einen Restanspruch aus dem bestandskräftigen Bewilligungsbescheid vom 20. November 1987 stützen. Denn dieser Bescheid hat ein sog. "Stammrecht" auf Alg für 338 Tage weder begründet noch zuerkannt. Vielmehr ist dem Kläger durch den Bescheid nur ein Zahlungsanspruch für maximal 338 Tage für den konkret eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit ab 1. November 1987 zuerkannt worden.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG beschränkt sich die Bindungswirkung eines Bescheids (§ 77 SGG) auf die bewilligte Leistung oder, anders ausgedrückt, auf den Verfügungssatz - d.h. die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe einer Leistung -. Sie erstreckt sich nicht auf die Begründung, auch nicht auf deren tragende Elemente (BSGE 72, 206, 207 = SozR 3-4100 § 103a Nr. 1 m.w.N.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom SG zitierten Entscheidung des 7. Senats des BSG vom 13. Mai 1987 (BSGE 61, 286 = SozR 4100 § 134 Nr. 31). Hiernach reicht die Bindungswirkung des Bescheids so weit, wie über den Anspruch entschieden ist. Ein Verwaltungsakt, der einen geltend gemachten Anspruch bewilligt, besagt somit, daß der Anspruch aufgrund bestimmter Tatsachen von Rechts wegen begründet ist. Hieraus läßt sich im konkreten Fall des Klägers jedoch lediglich herleiten, daß die Beklagte an die Zuerkennung des Leistungsanspruchs ab 1. November 1987 gebunden war, solange der Bewilligungsbescheid vom 20. November 1987 Bestand hatte. Es ist deshalb zwischen der materiellen Anspruchsberechtigung (dem Stammrecht) und dem Leistungsanspruch im engeren Sinne, also dem Anspruch auf Zahlung der Leistung (Zahlungsanspruch) zu unterscheiden (vgl. BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 8, S. 26 - zum Begriff des Stammrechts; ebenso die Literatur, vgl. Eckert in GK-AFG § 100 Anm. 25, 26; Gagel/Ebsen, AFG, § 134 Rdnr. 17; Knigge, AFG, Vor § 100 Anm. 9). Während das Stammrecht entsteht, sobald die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, wird durch den Bewilligungsbescheid (Verwaltungsakt) der Anspruch auf Alg für den Einzelfall konkretisiert (Zahlbarmachung). Der Bewilligungsbescheid begründet also nicht - wie dies in den Entscheidungen der Vorinstanzen zum Ausdruck kommt - das Stammrecht; der Erwerb des Stammrechts ist vielmehr Grund oder - anders ausgedrückt - Begründungselement der jeweiligen Bewilligung. Diese erkennt ein Stammrecht auch nicht zu; zuerkannt wird nur das zu zahlende Alg.

Hieraus folgt, daß der Rechtsmeinung der Vorinstanzen auch nicht darin beigepflichtet werden kann, der auf § 48 SGB X gestützte Aufhebungsbescheid vom 4. April 1989 habe lediglich den durch die Arbeitsaufnahme geänderten tatsächlichen Verhältnissen Rechnung getragen, das durch den Bewilligungsbescheid vom 20. November 1987 begründete Stammrecht auf einen Anspruch auf Alg jedoch nicht berührt. Spätestens der Bescheid vom 4. April 1989 hat den Bewilligungsbescheid vom 20. November 1987 mit Wirkung ab 15. März 1989 aufgehoben, wenn dies nicht schon im Frühjahr 1988 bei der Wiederaufnahme der Tätigkeit durch den Kläger geschehen ist; er hat damit das zwischen der Beklagten und dem Kläger bestehende Rechtsverhältnis in der Weise gestaltet, daß er die zugunsten des Klägers erfolgte und mit Bindungswirkung versehene Zubilligung eines konkreten Anspruchs auf Zahlung der Leistung (Zahlungsanspruch) beseitigte. Diese rechtliche Bedeutung des (bindend gewordenen) Aufhebungsbescheids vom 4. April 1989 ergibt sich zweifelsfrei aus seinem Inhalt, wonach die Entscheidung über die Bewilligung der Leistung mit Wirkung ab 15. März 1989 wegen Arbeitsaufnahme des Klägers in vollem Umfang aufgehoben wurde.

Auf dieser Grundlage aber kann kein neuer Anspruch auf Alg allein deshalb entstehen, weil dem Kläger noch ein - bislang weder entzogenes noch erschöpftes -"Stammrecht" zuerkannt sei. Vielmehr waren anläßlich der erneuten Arbeitslosigkeit des Klägers und seines Antrags auf Alg ab 1. November 1989 die materiellen Anspruchsvoraussetzungen i.S. von § 100 AFG erneut zu prüfen; dies hat die Beklagte mit Bescheid vom 18. Dezember 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 1990 getan.

b) Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG. So hat der 7. Senat bereits in drei Entscheidungen (Urteile vom 3. Juni 1975 - 7 RAr 10/73 -, nicht veröffentlicht; 22. September 1976, BSGE 42, 199, 200 = SozR 4100 § 151 Nr. 5 und 17. März 1981 - 7 RAr 20/80 - nicht veröffentlicht) zu § 151 Abs. 1 AFG in der bis zum Inkrafttreten des SGB X (1. Januar 1981) geltenden Fassung ausgeführt, daß die Aufhebung der früheren Alg-Bewilligung die mit Bindungswirkung versehene Zubilligung eines konkreten Anspruchs auf Alg-Zahlung beseitigt. Die durch das SGB X abgelöste Regelung des § 151 Abs. 1 AFG a.F. sah vor, daß Leistungsbewilligungen nach dem AFG insoweit aufzuheben waren, als die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorgelegen hatten oder weggefallen waren. § 151 Abs. 1 AFG a.F. regelte also sowohl den Fall der Aufhebung eines von Anfang an rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts (jetzt: § 45 SGB X) als auch den Fall der Aufhebung wegen Änderung der Verhältnisse (jetzt: § 48 Abs. 1 SGB X). Nach § 151 Abs. 2 AFG, der insoweit unverändert fortgilt, darf nach völliger Aufhebung einer Leistungsbewilligung die Leistung "von neuem" nur gewährt werden, wenn sie erneut beantragt ist. Demgemäß gehen die genannten Entscheidungen davon aus, daß nach Aufhebung der früheren Leistungsbewilligung für den erneuten Leistungsbezug eine erneute persönliche Antragstellung erforderlich ist. Ein automatisches Wiederaufleben des Alg-Anspruchs kommt dann nicht in Betracht (vgl. BSG-Urteil vom 17. März 1981 - 7 RAr 20/80 - zu den verschiedenen Fallgestaltungen).

In einer weiteren Entscheidung vom 18. Februar 1987 (- 7 RAr 41/85 -, nicht veröffentlicht) hat der 7. Senat des BSG ausgeführt, daß die zu § 151 Abs. 1 AFG a.F. entwickelte Rechtsprechung auch hinsichtlich solcher Aufhebungsbescheide Geltung hat, die nach dem SGB X ergangen sind. Der Umfang der materiellen Bindungswirkung eines Verwaltungsakts bestimme sich nach § 77 SGG, der nicht geändert worden sei. Der Senat nahm in diesem Zusammenhang Bezug auf eine bereits in mehreren Entscheidungen entwickelte Rechtsprechung, wonach sich die Bindungswirkung eines Aufhebungsbescheids nach § 151 AFG a.F. nicht nur auf die (formelle) Beseitigung des früheren Bewilligungsbescheids, sondern auch auf die (materielle) Aussage erstreckt, daß die Bewilligung der Leistungen zu Unrecht erfolgt sei (BSG SozR 1500 § 77 Nr. 20; BSGE 45, 38, 45 = SozR 4100 § 40 Nr. 17; BSGE 46, 20, 22 = SozR 4100 § 117 Nr. 2).

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kommt es für den Bestand des Stammrechts nicht darauf an, ob sich der Aufhebungsbescheid auf § 45 SGB X oder - wie hier - auf § 48 SGB X stützt. Die Entscheidung des 7. Senats vom 13. Mai 1987 (BSGE 61, 286 = SozR 4100 § 134 Nr. 31), auf die sich die Vorinstanzen beziehen, hatte nicht einen Anspruch auf Alg, sondern einen Anspruch auf Alhi zum Gegenstand und befaßte sich in diesem Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit des Vorbezugs von Alg aufgrund eines bindenden Bewilligungsbescheids und der daraus resultierenden Erfüllung der Anwartschaft nach § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AFG. Nach dieser Bestimmung genügt zur Begründung einer Anwartschaft auf Alhi, daß der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, Alg bezogen hat, ohne daß der Anspruch nach § 119 Abs. 3 AFG erloschen ist. Diese Regelung - die, wie im folgenden noch dargestellt wird, für den vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Alhi von Bedeutung ist - knüpft also für die Erfüllung der Anwartschaft an den (rechtmäßigen) Vorbezug von Alg an (BSGE 47, 241, 244 = SozR 4100 § 134 Nr. 11). Hierfür genügt - wie in der Entscheidung vom 13. Mai 1987 ausgeführt wird - ein auf einer bindenden Bewilligung begründeter Leistungsbezug. Kein Alg-Bezug i.S. des § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AFG liegt danach dann vor, wenn das Alg zwar bewilligt und gezahlt, die Bewilligung aber rückwirkend wieder nach § 45 SGB X aufgehoben wurde. Nur insoweit kommt es darauf an, ob eine mit bindendem Bewilligungsbescheid zuerkannte Leistung von der Beklagten mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 45 SGB X oder - wie hier - nur mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X aufgehoben worden ist. Denn in letzterem Fall bleibt die Alg-Bewilligung bindend bis zu dem Zeitpunkt, ab dem sie wegen Änderung der Verhältnisse aufgehoben worden ist. Diese Bindungswirkung beschränkt sich - wie in der Entscheidung vom 13. Mai 1987 klargestellt worden ist - nicht nur auf die im Bewilligungsbescheid geregelte Leistung selbst und hat nicht nur als Rechtsgrund für das Behaltendürfen der darauf gezahlten Leistungen Bestand. Vielmehr hat die insoweit bestehende materielle Bindungswirkung des Bescheids zur Folge, daß die Bewilligung - im Fall des Klägers bis 15. März 1989 - rechtmäßig ist, solange der Bewilligungsbescheid Bestand hat. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch allein auf die Frage der Rechtmäßigkeit des Vorbezugs von Alg als Voraussetzung für die Anwartschaftserfüllung nach § 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG und lassen sich auf das insoweit ganz anders geregelte Alg nicht übertragen.

c) Schließlich ist die vom LSG ins Feld geführte Vorschrift des § 125 AFG ebenfalls kein Argument für die Richtigkeit seiner Rechtsauffassung. Es ist zwar zutreffend, daß erst durch Erfüllung (Verbrauch) oder mit dem Erlöschen nach § 125 AFG das Stammrecht bzw. die materielle Anspruchsberechtigung untergeht. Doch daraus kann nicht gefolgert werden, daß demzufolge die Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 SGB X - hier anläßlich der Arbeitsaufnahme ab 15. März 1989 - das Stammrecht nicht habe erlöschen lassen. Denn dabei wird übersehen, daß weder der Bewilligungsbescheid vom 20. November 1987 noch ein später ergangener Bewilligungsbescheid ein "Stammrecht" begründet, sondern nur einen Zahlungsanspruch aus Anlaß eines eingetretenen Versicherungsfalls zuerkannt haben; die letzte Zubilligung aber ist durch den Aufhebungsbescheid vom 4. April 1989 beseitigt worden.

Gegen dieses Ergebnis lassen sich deshalb auch nicht Gründe des Vertrauensschutzes oder der Verwaltungspraktikabilität anführen. Denn eine Einschränkung des Antragserfordernisses nach § 151 Abs. 2 AFG oder/und des Prüfungsumfangs auf das Vorliegen einzelner, aber nicht aller in § 100 AFG genannten Anspruchsvoraussetzungen liefe der Wirkung des Aufhebungsbescheides entgegen. Für ein solches Vorgehen findet sich im Gesetz keine Stütze.

2. Da somit der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Alg ab 1. November 1989 nicht auf einen verbliebenen Restanspruch von 148 Tagen stützen kann, hängt sein erneuter Leistungsbezug davon ab, ob er die Anspruchsvoraussetzungen nach § 100 AFG erfüllt. Dies ist bei ihm jedenfalls mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht der Fall.

Die Anwartschaftszeit hat nach § 104 Abs. 1 Satz 1 AFG erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat. Die Rahmenfrist, die dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorausgeht, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt sind, beträgt drei Jahre (§ 104 Abs. 3 AFG); sie reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (§ 104 Abs. 3 2. Halbsatz AFG).

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die dreijährige Rahmenfrist vom 31. Oktober 1986 bis zum 31. Oktober 1989 zugrunde zu legen ist oder - wie dies das SG in seiner Entscheidung ausgeführt hat - im Hinblick auf eine vorangegangene Rahmenfrist, die der Leistungsbewilligung vom 20. November 1987 zugrunde lag, von einer verkürzten Rahmenfrist ab 1. November 1987 bis zum 31. Oktober 1989 auszugehen ist. Denn im einen wie im anderen Falle hat der Kläger nicht 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Er war zwar ab Mai 1986 - abgesehen von bestimmten Unterbrechungszeiten - bei der Firma G. eingesetzt. Bei dieser Tätigkeit handelte es sich jedoch nach den Feststellungen des SG, auf die das LSG in seiner Entscheidung Bezug genommen hat, nicht um eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung i.S. von § 168 AFG. An diese tatsächlichen Feststellungen, die vom Kläger im Revisionsverfahren nicht mit einer Gegenrüge angegriffen worden sind (vgl. dazu BSG SozR 1500 § 161 Nr. 18; § 164 Nr. 24), ist das Revisionsgericht nach § 163 SGG gebunden. Das SG hat bei seiner Entscheidung, auf deren Begründung das LSG gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen hat, die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Kriterien zum Begriff des Beschäftigungsverhältnisses und zum sog. Ehegatten-Arbeitsverhältnis beachtet (vgl. dazu BSG SozR 3-4100 § 168 Nr. 11 m.w.N.). Die vom SG getroffenen Feststellungen reichen auch aus, um im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung zu dem Ergebnis zu kommen, daß es sich bei der vom Kläger innerhalb der zugrunde zu legenden Rahmenfrist verrichteten Tätigkeit um eine selbständige Tätigkeit gehandelt hat.

Schließlich kann der Kläger zur Begründung seines geltend gemachten Anspruchs auf Alg ab 1. November 1989 auch nicht auf den Alg-Anspruch ab 1. Juli 1985 zurückgreifen. Denn nach § 125 Abs. 2 AFG kann der Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre vergangen sind. Dies ist hier der Fall.

3. Obwohl dem Kläger somit kein Anspruch auf Alg ab 1. November 1989 zustand, kommt bei ihm - wie bereits dargestellt - aufgrund des Vorbezugs von Alg ein Anspruch auf Alhi nach § 134 AFG in Betracht, zu dessen Feststellung der Voraussetzungen die Sache an das LSG zurückverwiesen wird.

Zwar hat der Kläger erst im Revisionsverfahren ausdrücklich hilfsweise Alhi beantragt. Doch der Antrag auf Alg schließt nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung den Antrag auf Alhi ein, wenn er nicht ausdrücklich auf die beantragte Leistungsart beschränkt wurde (BSGE 44, 164, 167 = SozR 4100 § 134 Nr. 4; 49, 114 = SozR 4100 § 100 Nr. 5). Dieser Grundsatz wird auch durch § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG bestätigt, wonach der Anspruch auf Alg und auf Alhi als ein einheitlicher Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit gelten. Der Kläger begehrt Leistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit, auch die Beklagte hat den Antrag auf Alg ab 1. November 1989 bereits unter dem Gesichtspunkt der Alhi geprüft.

Nach § 134 Abs. 1 AFG setzt der Anspruch auf Alhi u.a. voraus, daß der Antragsteller keinen Anspruch auf Alg hat, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat (§ 134 Abs. 1 Nr. 2 AFG), bedürftig ist und innerhalb eines Jahres vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi erfüllt sind (Vorfrist), Alg bezogen hat, ohne daß der Anspruch nach § 119 Abs. 3 AFG erloschen ist (§ 134 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 Buchst a AFG). Erfüllt ist hier die Voraussetzung des § 134 Abs. 1 Nr. 2 AFG, denn der Kläger hat - wie oben dargelegt -keinen Anspruch auf Alg, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat. Erfüllt ist ferner die Anwartschaft für die Alhi nach § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst a AFG, weil er bis 14. März 1989 Alg bezogen hat und die bindende Leistungsbewilligung erst anläßlich der Arbeitsaufnahme ab 15. März 1989 mit Bescheid vom 4. April 1989 gemäß § 48 SGB X aufgehoben worden ist.

Um dieses Ergebnis zu vermeiden, hätte die Beklagte - wie in der bereits zitierten Entscheidung des BSG vom 13. Mai 1987 (BSGE 61, 286 = SozR 4100 § 134 Nr. 31) ausgeführt worden ist - die das Alg in der Vorfrist regelnden Bewilligungen gemäß § 45 SGB X zurücknehmen müssen. Nur dann wäre der Alg-Bezug des Klägers bis 14. März 1989 rechtswidrig und nicht geeignet, den Anspruch auf Alhi zu begründen. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Die tatsächlichen Feststellungen des LSG lassen allerdings eine Entscheidung darüber nicht zu, ob die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi - insbesondere die Bedürftigkeit des Klägers (§§ 134 Abs. 1 Nr. 3, 137, 138 AFG) -vorliegen. In diesem Zusammenhang wird auch zu berücksichtigen sein, ob - wie die Beigeladene im Revisionsverfahren vorgetragen hat - die Firma G. im gemeinsamen Eigentum des Klägers und seiner Ehefrau steht oder allein der Ehefrau des Klägers gehört.

Die Sache ist daher, soweit der Kläger Alhi für die Zeit vom 1. November 1989 bis 28. Februar 1990 begehrt, an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.11 RAr 41/94

BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Haufe-Index 518399

BSGE, 235

BB 1995, 784

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