Beteiligte

…, Kläger und Revisionskläger

Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg); der Kläger wendet sich gegen die Berücksichtigung von Gesetzesänderungen, die nach Bewilligung der Leistung in Kraft getreten sind.

Der 1935 geborene Kläger war von 1962 bis 1992 als Versandkaufmann beschäftigt. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) erzielte er in den letzten drei vor seinem Ausscheiden abgerechneten Monaten September bis November 1992 ein festes Monatsgehalt von 4.686,-- DM sowie 52,-- DM vermögenswirksame Leistung bei einer tariflichen Wochenarbeitszeit von 38 Stunden. Auf seiner Lohnsteuerkarte war die Lohnsteuerklasse III eingetragen. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag vom 18. Dezember 1992 mit einer Abfindung von 28.000,-- DM. Am 22. Dezember 1992 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg.

Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte Alg ab 22. Februar 1993 auf der Grundlage eines gerundeten Bruttoarbeitsentgelts von 1.090,-- DM nach Leistungsgruppe C und einem Leistungssatz von 63 vH mit einem Zahlbetrag von 468,60 DM (Bewilligungs-Änderungs-Bescheid vom 12. März 1993; Bewilligungsbescheid vom 18. Mai 1993).

Mit Änderungsbescheid vom 9. Dezember 1993 dynamisierte die BA das wöchentliche Bruttoarbeitsentgelt auf 1.150,-- DM und stellte den Zahlbetrag ab 1. Dezember 1993 mit 490,20 DM fest. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 5. Januar 1994 stellte sie die Leistung ab 1. Januar 1994 mit 459,-- DM wöchentlich fest. Der Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1994). Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 28. Juli 1994).

Während des Berufungsverfahrens hat die BA mit Bescheid vom 8. Dezember 1994 das Bemessungsentgelt erneut dynamisiert und das Alg ab 1. Dezember 1994 auf 468,60 DM festgestellt. Mit weiterem Bescheid vom 4. Januar 1995 hat es dem in der AFG-Leistungsverordnung 1995 berücksichtigten Beitrag zur Pflegeversicherung und dem Solidaritätszuschlag Rechnung getragen und die Leistung ab 1. Januar 1995 auf 460,80 DM festgestellt.

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen die Bescheide vom 8. Dezember 1994 und 4. Januar 1995 abgewiesen (Urteil vom 30. März 1995). In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Bemessung des Alg entspreche den gesetzlichen Vorschriften, denn die Absenkung der Nettolohnersatzquote ab 1. Januar 1994 und die Berücksichtigung weiterer Abzüge ab 1. Januar 1995 sei aufgrund gesetzlicher Übergangsvorschriften geboten. Diese gesetzliche Regelung verletze auch nicht die Eigentumsgarantie, unter deren Schutz auch das Alg stehe. Dem Gesetzgeber sei es bis zur Grenze der Unzumutbarkeit für Betroffene nicht verwehrt, im öffentlichen Interesse erforderliche Kürzungen bewilligter Leistungen vorzunehmen. Insoweit mache der Gesetzgeber von seiner Befugnis Gebrauch, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Die Zumutbarkeitsgrenze werde nicht dadurch überschritten, daß es hier zu einer Kumulierung von Leistungskürzungen aus verschiedenen Gründen gekommen sei. Der Gesetzgeber sei nicht verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen, eine Übergangsregelung zu treffen, die bewilligte Leistungen von den Kürzungen verschone.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung der Art 14, 20 Abs 3 (Rückwirkungsverbot) und 20 Abs 1 (Sozialstaatsgrundsatz) Grundgesetz (GG). Dazu führt er aus, die Kumulierung von drei Kürzungen verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und sei damit für ihn nicht mehr zumutbar. Die Kürzung der bereits bewilligten Leistung verletze das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. Sozialstaatswidrig seien die Kürzungen, "weil die Summe der gezahlten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung stets höher war als alle Versicherungsleistungen zusammen". Das Defizit der BA entstehe allein aufgrund der Ausgaben für arbeitspolitische Maßnahmen, die als allgemeine staatliche Aufgabe aus Steuern und Abgaben von allen Bürgern aufzubringen seien. Ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Eingriff und den für seine Rechtfertigung vorgetragenen Gründen sei hier nicht gegeben.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

1.

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. März 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Juli 1994 aufzuheben sowie den Bescheid vom 5. Januar 1994 idF des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 1994 und die Bescheide vom 8. Dezember 1994 und 4. Januar 1995 zu ändern.

2.

Die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld nach den bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Leistungssätzen zuzüglich Dynamisierung zu gewähren.

3.

Das Verfahren nach Art 100 GG auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 111 Abs 1 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz in der seit dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung und § 242q Abs 5 Arbeitsförderungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Feststellung des Alg für gesetz- und verfassungsmäßig. Dazu bezieht sie sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Urteil des LSG beruht nicht auf einer Rechtsverletzung. Die Feststellung des dem Kläger ab 1. Januar 1994 zustehenden Alg entspricht den gesetzlichen Vorschriften. Diese stehen mit der Verfassung - insbesondere der Eigentumsgarantie (Art 14 GG) - im Einklang.

1. Gegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch auf höheres Alg für die Zeit ab 1. Januar 1994. Für diese Zeit hat die BA die Leistung mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Januar 1994 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 1.150,-- DM, Leistungsgruppe C und dem allgemeinen Leistungssatz mit 459,-- DM wöchentlich festgestellt. Dieser Zahlbetrag ist der Anlage 1 der AFG-Leistungsverordnung 1994 vom 22. Dezember 1993 (BGBl I 2446) zu entnehmen. Gesetzliche Grundlage dieser Regelung ist § 111 Abs 1 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353), das insoweit am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist. Danach beträgt das Alg 60 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG. Diese Vorschrift hat die BA ohne Rechtsverstoß angewendet.

1.1 Anspruch auf höheres Alg hat nur, wer einen Anspruch auf Alg dem Grunde nach hat. Diese Frage ist hier nicht zweifelhaft. Da Anhaltspunkte für das Fehlen von Anspruchsvoraussetzungen des § 100 AFG - auch hinsichtlich der Verfügbarkeit - nicht gegeben sind, hatte das LSG keinen Anlaß, solchen Fragen nachzugehen und insoweit ausdrückliche Feststellungen zu treffen. Das gleiche gilt hinsichtlich des allgemeinen Leistungssatzes, denn in der Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 1994 sind Kinderfreibeträge nicht enthalten. Anhaltspunkte, daß bei der Ehefrau des Klägers Kinder zu berücksichtigen sein könnten, sind nicht ersichtlich. Auch das Bemessungsentgelt ist nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit Verfahrensrügen angegriffen und daher für den Senat bindend sind (§ 163 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), nicht zu beanstanden. Aus dem monatlichen Festgehalt von 4.686,-- DM zuzüglich einer vermögenswirksamen Leistung von 52,-- DM ergibt sich für den Bemessungszeitraum ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 1.090,-- DM, das ab 1. Dezember 1993 gemäß § 112a AFG in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden, zuletzt durch das Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) geänderten Fassung um 5,5 % auf 1.150,-- DM zu dynamisieren war (Bescheid vom 9. Dezember 1993).

1.2 Der Kläger wendet sich gegen die Anwendung des § 111 Abs 1 Nr 2 AFG idF des 1. SKWPG auf seine Leistung, weil der Anspruch bereits entstanden war, als die Neufassung des Gesetzes am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist und den allgemeinen Leistungssatz des Alg von 63 auf 60 vH abgesenkt hat. Damit kann er jedoch nicht durchdringen, denn § 242q Abs 5 Satz 1 AFG idF des 1. SKWPG bestimmt, daß ua § 111 Abs 1 AFG in der vom 1. Januar 1994 an geltenden Fassung von diesem Zeitpunkt auch für Ansprüche, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, gilt; insoweit ist über bereits zuerkannte Ansprüche neu zu entscheiden. Überdies ist in § 242q Abs 5 Satz 2 AFG iVm § 242q Abs 2 Satz 3 AFG geregelt, daß Änderungsbescheide mit Wirkung vom 1. Januar 1994 an wirksam sind. Diese eindeutigen gesetzlichen Vorschriften rechtfertigen die von der BA mit dem angefochtenen Bescheid für die Zeit ab 1. Januar 1994 vorgenommene Regelung. Sie gehen als Spezialtatbestände den allgemeinen Vorschriften über die Änderung bindender Verwaltungsakte (§§ 44 ff Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - [SGB X]) vor (vgl BSG SozR 3-4100 § 104 Nr 7).

1.3 Die angeführten Vorschriften sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Maßstab für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Absenkung bindend festgestellter Leistungen bei Arbeitslosigkeit ist die Eigentumsgarantie des Art 14 GG (BVerfGE 72, 9, 18 f = SozR 4100 § 104 Nr 13; BVerfGE 76, 220, 235 = SozR 4100 § 242b Nr 3). Die Reichweite des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes ergibt sich aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die dem Gesetzgeber nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG auferlegt ist (stRspr: BVerfGE 76, 220, 238 = SozR 4100 § 242b Nr 3 mwN; BSG SozR 3-2500 § 44 Nr 4 mwN; BSG Urteile vom 28. Juni 1995 - 7 RAr 102/94 - und vom 3. August 1995 - 7 RAr 28/95 - jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Inhaltsbestimmung des Eigentums durch den Gesetzgeber unterliegt verfassungsrechtlich nur insoweit Grenzen, als der Eingriff in die Rechtsposition Betroffener durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein muß. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Eingriff zum Erreichen des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich ist und die Betroffenen dadurch nicht übermäßig und in für sie unzumutbarer Weise belastet werden (BVerfGE 76, 220, 238 = SozR 4100 § 242b Nr 3 mwN). Von diesem in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Maßstab ist auch das LSG ausgegangen. Zutreffend hat es die Vereinbarkeit des § 242q Abs 5 AFG mit Art 14 Abs 1 GG bejaht.

Die Zielsetzung der mit dem 1. SKWPG ergriffenen Maßnahmen, zu denen auch die Absenkung der Nettolohnersatzquote des Alg gehört, hat das LSG zutreffend der amtlichen Begründung des Gesetzes entnommen (BT-Drucks 12/5502 S 19 ff). Bei einer schwachen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die nach Steuerschätzungen vom Mai 1993 für 1994 Steuermindereinnahmen in Höhe von knapp 46 Milliarden DM erwarten ließ und bei einem für 1994 zu erwartenden Defizit der BA von 18 Milliarden DM sah der Gesetzgeber Anlaß, in den rechtlichen Besitzstand Arbeitsloser einzugreifen, um den durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung erwarteten Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte entgegenzuwirken. Bei den angedeuteten Daten kann nicht zweifelhaft sein, daß eine Absenkung der Nettolohnersatzquote, die auch laufende Leistungen einbezieht, erforderlich und geeignet ist, im öffentlichen Interesse der Erhaltung der grundsätzlichen Funktions- und Leistungsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung zu dienen. Die angestrebte Konsolidierung der Haushalte wäre nicht in gleicher Weise erreichbar gewesen, hätte der Gesetzgeber laufende Leistungen nicht in die Absenkung einbezogen (BSG Urteil vom 28. Juni 1995 - 7 RAr 102/94 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Herabsetzung des allgemeinen Leistungssatzes von 63 auf 60 vH ist im Hinblick auf das angestrebte Ziel der Haushaltskonsolidierung verhältnismäßig und in ihrem Umfang für die Betroffenen nicht unzumutbar. Dies gilt auch, wenn berücksichtigt wird, daß die gleichzeitige Erhöhung der Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zu einer weiteren Leistungsverkürzung führt. Die Funktion der Leistung ist erhalten geblieben, denn trotz der Absenkung der Nettolohnersatzquote ist es Arbeitslosen, die ein mittleres Arbeitsentgelt erzielt haben, grundsätzlich noch möglich, den eigenen notwendigen Lebensbedarf aus der Versicherungsleistung zu decken, ohne Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Mittleres Arbeitsentgelt ist als Ausgangspunkt für eine überschlägige Prüfung der Zumutbarkeit zu wählen, weil bei geringen Einkommen im Falle von Arbeitslosigkeit die Inanspruchnahme von Sozialhilfe ohnehin nicht zu vermeiden sein wird. Das BVerfG hat den notwendigen Lebensbedarf (Existenzminimum) - ohne Mehrbedarf für Erwerbstätige - am Maßstab der Sozialhilfeleistungen mit monatlich "annäherungsweise 1.200,-- DM bis 1.400,-- DM je nach Berechnungsmethode" ermittelt (BVerfGE 87, 153, 173 ff). Einen Anhaltspunkt für den notwendigen Lebensbedarf Erwachsener bieten auch die Unterhaltsrichtlinien der Oberlandesgerichte (Beiheft zu Heft 4 NJW 1996), die von einem notwendigen Selbstbehalt nicht erwerbstätiger Unterhaltspflichtiger von nunmehr 1.300,-- DM monatlich ausgehen. Einen solchen monatlichen Zahlbetrag an Alg erreichen nach den Tabellensätzen der AFG-Leistungsverordnung 1994 Arbeitslose der Leistungsgruppe A, die ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von etwa 3.500,-- DM, der Leistungsgruppe C von etwa 3.100,-- DM erzielt haben. Von diesen Anhaltspunkten ausgehend hält der Senat die Herabsetzung des Leistungssatzes von 63 auf 60 vH des Nettoarbeitsentgelts noch für zumutbar und damit für verfassungsgemäß. Steigerungen der Beitragssätze zur Kranken- und Rentenversicherung müssen in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben, denn als bei Arbeitnehmern üblichen Abzügen ist ihre die Leistung mindernde Wirkung nach § 111 Abs 1 AFG im Gesetz angelegt. Darauf wird in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein.

Die Übergangsvorschriften verstoßen nicht gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. Zutreffend geht die Revision davon aus, daß insoweit allenfalls ein Fall der sog unechten Rückwirkung der Regelungen gegeben wäre, denn der zu regelnde Sachverhalt war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelungen nicht abgeschlossen. Dem Rechtsstaatsgrundsatz ist jedoch ein absolutes Verbot unechter Rückwirkung nicht zu entnehmen. Vielmehr kommt es insoweit auf eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an dem Erlaß der Regelung und dem Schutz des Vertrauens Betroffener an dem Fortbestand des geltenden Rechts an (BVerfGE 72, 141, 154 f mwN). Damit ergibt sich eine Fragestellung, die derjenigen des Umfangs des Eigentumsschutzes arbeitslosenversicherungsrechtlicher Positionen entspricht. Wie ausgeführt ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen der Bemessung in laufende Leistungen eingegriffen wird, um die Finanzierbarkeit und Erhaltung des Leistungssystems zu gewährleisten.

2. Zutreffend hat das LSG die Bescheide vom 8. Dezember 1994 und 4. Januar 1995 in das Verfahren einbezogen (§§ 153 Abs 1, 96 SGG).

Der Bescheid vom 8. Dezember 1994 dynamisiert das Bemessungsentgelt auf 1.180,-- DM wöchentlich, was sich aus der Anwendung der AFG-Anpassungsverordnung 1994 vom 10. Mai 1994 (BGBl I 1007) und dem dort für die Dynamisierung von Bemessungsentgelten festgelegten Anpassungsfaktor 1,029 ergibt. Für dieses Entgelt bestimmt die Leistungsverordnung 1994 in Anlage 1 für Leistungsgruppe C den festgestellten Zahlbetrag von 468,60 DM.

Der im Bescheid vom 4. Januar 1995 festgestellte Zahlbetrag von 460,80 DM entspricht dem in der Leistungsverordnung 1995 vom 19. Dezember 1994 (BGBl I 3852) in Anlage 1 und Leistungsgruppe C für das Bemessungsentgelt von 1.180,-- DM bestimmten Betrag. Die niedrigeren Leistungssätze der Leistungsverordnung 1995 für die Zeit ab 1. Januar 1995 beruhen auf der Berücksichtigung des Arbeitnehmeranteils des Beitrags zur Pflegeversicherung und des Solidaritätszuschlags, die ab 1. Januar 1995 zu zahlen und nach § 111 Abs 1 AFG bei der Leistungsbemessung zu berücksichtigen sind. Zu den gewöhnlich bei Arbeitnehmern anfallenden gesetzlichen Abzügen gehören nach der Rechtsprechung des BSG alle Abzüge, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber aufgrund einer gesetzlichen Anordnung vom Bruttolohn einzubehalten und abzuführen sind (BSG Urteil vom 3. August 1995 - 7 RAr 28/95 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Merkmale treffen sowohl für den Beitrag zur Pflegeversicherung wie den Solidaritätszuschlag zu.

2.1 Für den Arbeitnehmeranteil des Beitrags zur Pflegeversicherung liegt dies auf der Hand, denn dieser Abzug weist die gleichen Merkmale auf wie der unzweifelhaft nach § 111 Abs 1 AFG zu berücksichtigende sog Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Die Berücksichtigung in der AFG-Leistungsverordnung 1995 entspricht der gesetzlichen Ermächtigung des § 111 Abs 2 Satz 1 AFG. Dem steht nicht entgegen, daß der Beitragsanteil zur Pflegeversicherung in § 111 Abs 2 Satz 2 AFG nicht ausdrücklich erwähnt ist. Das BSG hat bereits entschieden, daß diese Vorschrift keine abschließende Aufzählung der überhaupt zu berücksichtigenden Abzüge, sondern lediglich Maßstäbe für den Umfang enthält, in dem Abzüge bei der Festlegung der Leistungssätze zu berücksichtigen sind. Durch die in § 111 Abs 2 Satz 2 AFG erwähnten Abzüge wird der aus § 111 Abs 1 AFG zu entnehmende Begriff der Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, nicht eingeschränkt (BSG aaO). Vielmehr regelt die Vorschrift nur Modalitäten der Berücksichtigung von Abzügen bei der Bemessung der Leistungen. Insoweit besteht für den Beitrag zur Pflegeversicherung kein Regelungsbedarf.

2.2 Auch der Solidaritätszuschlag stellt sich als ein zu berücksichtigender Abzug dar, denn nach dem Solidaritätszuschlagsgesetz (SolZG) 1995, das als Art 31 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I 944, 975 f) erlassen worden ist, ist der Solidaritätszuschlag für Arbeitnehmer ein Zuschlag zur Lohnsteuer, der vom laufenden Arbeitslohn erhoben wird (§ 3 Abs 1 Nr 3 SolZG 1995). Der Solidaritätszuschlag wird ab 1. Januar 1995 zeitlich unbegrenzt erhoben, allerdings sind Arbeitnehmer nur betroffen, wenn die zu entrichtende Lohnsteuer (Bemessungsgrundlage) einen bestimmten gesetzlich vorgegebenen Betrag - in der Steuerklasse III 222,-- DM monatlich - übersteigt (§ 3 Abs 4 Nr 1 SolZG 1995). Dies steht nach der Rechtsprechung des BSG einer Qualifizierung als gewöhnlichem bei Arbeitnehmern anfallendem Beitrag nicht entgegen (BSG Urteil vom 3. August 1995 - 7 RAr 28/95 -).

2.3 Die Anwendung der ab 1. Januar 1995 geänderten Leistungssätze von diesem Zeitpunkt an ist nach der Sondervorschrift des § 111 Abs 2 Satz 6 AFG gerechtfertigt. Darin ist geregelt, daß Änderungsbescheide mit dem Tage wirksam werden, von dem an die geänderten Leistungssätze gelten.

Abweichend von der Absenkung der Nettolohnersatzquote handelt es sich bei der mit Einführung der Pflegeversicherung und des Solidaritätszuschlags verbundenen Minderung des Zahlbetrags nicht um einen Eingriff in eine gesetzlich begründete Rechtsposition Arbeitsloser. Die Minderung des Zahlbetrags durch Beitragsanteil zur Pflegeversicherung und Solidaritätszuschlag ist durch die Erweiterung "gesetzlicher Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen" (§ 111 Abs 1 AFG) vielmehr zwingende Folge des gesetzlichen Bemessungssystems. Durch die erwähnte Vorschrift wirken sich die Arbeitnehmer treffenden Lohnabzüge auch auf die Bemessung der Leistung Arbeitsloser aus. Die Regelbemessung knüpft zwar an das vor Eintritt der Arbeitslosigkeit im Bemessungszeitraum "erzielte" Arbeitsentgelt an (§ 112 Abs 1 und 3 AFG). Damit wird aber nicht ein bestimmter Vomhundertsatz des erzielten Arbeitsentgelts als Alg festgelegt. Die Lohnersatzfunktion dieser Leistung besteht nicht darin, das vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt in Höhe des Leistungssatzes annähernd zu ersetzen; sie ist vielmehr darauf gerichtet, das Arbeitsentgelt zu ersetzen, das der Arbeitslose - hätte er Arbeit - im Leistungszeitraum verdienen könnte. Dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt kommt insoweit Indizwirkung für das im Leistungszeitraum erzielbare Arbeitsentgelt zu. Für Fälle, in denen die Indizwirkung typischerweise nicht eintritt, sieht das Gesetz in § 112 Abs 5, 7 und 8 AFG Regelungen vor, die die Lohnersatzfunktion des Alg im angedeuteten Sinne auf andere Weise verwirklichen sollen. Das System der Bemessungsvorschriften ist grundsätzlich darauf gerichtet, den Vomhundertsatz eines Arbeitsentgelts zu ersetzen, mit dem der Arbeitslose als Arbeitnehmer regelmäßig rechnen kann (BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3 mwN), nicht einen in der Vergangenheit begründeten Besitzstand zu gewährleisten. Soweit es den bisherigen Lebensstandard des Arbeitslosen sichert, ist dies eine Folge der Anknüpfung an das Regelbemessungsentgelt, der das Gesetz Indizwirkung beimißt (vgl auch: BSGE 74, 96, 100 = SozR 3-4100 § 112 Nr 17). Die finanziellen Auswirkungen der Einführung der Pflegeversicherung und des Solidaritätszuschlags bewirken damit keine neue Inhaltsbestimmung des Eigentums. Da das Gesetz Arbeitslosen eine Nettolohnersatzquote zubilligt, muß der Arbeitslose Minderungen seiner Leistung hinnehmen, die sich aus der Erhöhung von Lohnabzügen für Arbeitnehmer ergeben. Grenzen der Minderung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit ergeben sich insoweit aus den Grenzen, unter denen Arbeitseinkommen öffentlichen Abgaben unterliegt. Diese Grenze bildet das Verbot "erdrosselnder Wirkung" von Steuern und sonstigen Abgaben auf der Grundlage von Arbeitseinkommen. Diese Grenze ist erst erreicht, wenn "ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützlichkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Positionen" berührt wird (BVerfGE 87, 153, 169). Eine solche Wirkung ist trotz der hohen Belastung von Arbeitseinkommen durch Steuern und Gesamtsozialversicherungsbeitrag nicht eingetreten. Deshalb ist die Verschlechterung der Position des Klägers durch die am 1. Januar 1994 und 1. Januar 1995 in Kraft getretenen Regelungen auch in der von der Revision gerügten Kumulierung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. Auch aus der Sicht des Sozialstaatsgrundsatzes ist die Bemessung des Alg nach den seit 1. Januar 1994 bzw 1. Januar 1995 geltenden Vorschriften nicht zu beanstanden. Der Hinweis der Revision auf die angebliche Quelle des Defizits der BA durch Ausgaben für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen geht schon insoweit fehl, als es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, für welche Aufgaben Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu verwenden sind (vgl BVerfGE 53, 313, 326 = SozR 4100 § 168 Nr 12; BVerfGE 65, 182, 193; 71, 66, 80 = SozR 2200 § 1319 Nr 5). Vielmehr handelt es sich insoweit um hinzunehmende gesetzgeberische Entscheidungen, die durch das Sozialstaatsprinzip jedenfalls nicht in der von der Revision angenommenen Weise begrenzt werden. Dem Gesetzgeber steht zur Verwirklichung einer gerechten Sozialordnung ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 70, 278, 288). Dieser eröffnet die Möglichkeit, mit Beitragsmitteln arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu finanzieren, um das versicherte Risiko Arbeitslosigkeit möglichst gering zu halten.

Die Revision kann nach alledem keinen Erfolg haben. Für eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, denn der Senat hält die entscheidungserheblichen gesetzlichen Vorschriften nicht für verfassungswidrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517666

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge