Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Vorabentscheidung des EuGH: Arbeitserlaubnis- bzw Arbeitsgenehmigungsfreiheit des fahrenden Personals im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland. türkischer Kraftfahrer. Zulassung des Fahrzeuges im Sitzstaat. Assoziationsrecht. Verbot der Einführung neuer nationaler Beschränkungen des Arbeitsmarktzuganges. maßgebender Zeitpunkt. Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt. Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

 

Orientierungssatz

1. Ist Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19.9.1980 so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft die Einführung nationaler Regelungen verbietet, die im Vergleich zu der am 1.12.1980 geltenden nationalen Rechtslage allgemein für türkische Arbeitnehmer neue Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt vorsehen, oder bezieht sich das Verbot der Einführung neuer Beschränkungen gem Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 nur auf den Zeitpunkt des erstmaligen ordnungsgemäßen Aufenthalts und der erstmaligen ordnungsgemäßen Beschäftigung eines Arbeitnehmers?

2. Ist Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19.9.1980 auch auf in der Türkei beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, die als Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr regelmäßig einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft durchfahren, ohne dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates anzugehören?

3. Ist Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zu dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 23.11.1970 so auszulegen, daß a) ein türkischer Arbeitnehmer berechtigt ist, sich auf eine protokollwidrige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu berufen, und - falls ja - b) auch dann eine neue Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat der Gemeinschaft ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls den Zugang türkischer Arbeitnehmer zum Arbeitsmarkt beschränkt und dadurch für türkische Unternehmer, bei denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind, die Teilnahme am freien Dienstleistungsverkehr erschwert?

4. Az des EuGH C-317/01.

 

Normenkette

EWGAssRBes 1/80 Art. 13; EWGAbkTURZProt Art. 41 Abs. 1; ArGV § 9 Nr. 3 Buchst. a; ArbErlaubV § 9 Nr. 2 Fassung: 1990-12-21, Nr. 2 Fassung: 1993-09-01, Nr. 2 Buchst. a Fassung: 1996-09-30; SGB III § 284 Abs. 1 S. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 25.07.2000; Aktenzeichen L 10 AL 392/98)

SG Nürnberg (Urteil vom 27.10.1998; Aktenzeichen S 5 AL 673/97)

 

Tatbestand

Die Kläger begehren die Feststellung, daß sie als Fernfahrer im  grenzüberschreitenden Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis bedürfen.

Die Kläger sind türkische Staatsangehörige, wohnen in der Türkei und sind  hauptsächlich als Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig.  Sie sind angestellt bei B. Ltd St in M. in der Türkei (B. Ltd), nach den  Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) einem "Zweigbetrieb" der in  Stuttgart ansässigen B. GmbH. Die B. Ltd bzw die B. GmbH importieren Obst und  Gemüse, das größtenteils aus eigener Aufzucht stammt, nach Deutschland. Die  Ware wird mittels Lastkraftwagen, die auf die B. GmbH in Deutschland  zugelassen sind und die (ua) von den Klägern gefahren werden, von der Türkei  nach Deutschland transportiert.

Die Beklagte hatte den Klägern jeweils bis einschließlich 30. September 1996  befristete Arbeitserlaubnisse erteilt. Für die Zeit danach lehnte die  Beklagte die Erteilung von Arbeitserlaubnissen ab. Auf die Klagen hat das  Sozialgericht (SG) festgestellt, daß die Kläger, die auf den Lastkraftwagen  der B. GmbH im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig sind, keiner  Arbeitserlaubnis bedürfen (Urteile vom 27. Oktober 1998). Das LSG hat die  Berufungen zurückgewiesen (Urteil vom 25. Juli 2000) und hat zur Begründung  ausgeführt: Die Kläger benötigten (auch) zukünftig keine Arbeitserlaubnis bei  ihrer Tätigkeit im grenzüberschreitenden Verkehr für die in Deutschland  zurückgelegten Strecken. Dies folge aus der Stillhalteklausel des Art 13 des  Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der  Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei  vom 19. September 1980 (ARB Nr 1/80), der den Rechtszustand, der zu Beginn  der Beschäftigung der türkischen Fahrer in Deutschland bestanden habe,  konserviere. Die Stillhalteklausel erfasse auch die streitrelevante  Beschäftigung türkischer Fahrer, deren Tätigkeit im grenzüberschreitenden  Güterverkehr auf deutschen Teilstrecken zu dem in Art 3 ARB Nr 1/80 benannten  Arbeitsmarkt gehöre. Der Schutz des inländischen Arbeitsmarktes, der in  Fällen wie dem vorliegenden nur marginal berührt werde, erlaube keine  restriktive Interpretation. Die auf die deutschen Teilstrecken entfallenden  Beschäftigungen der Kläger seien ursprünglich ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB  Nr 1/80 gewesen; denn sie hätten nach § 9 Nr 2 der Arbeitserlaubnisverordnung  (AEVO) in der ursprünglichen und auch in der ab 1. September 1993 geltenden  Fassung als fahrendes Personal im grenzüberschreitenden Personen- und  Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis bedurft. Mit der Neufassung des § 9 Nr 2  AEVO zum 10. Oktober 1996, wonach Arbeitserlaubnisfreiheit nur noch für  fahrendes Personal bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland bestehe, "sofern das  Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist", sowie mit der ab 25.  September 1998 geltenden inhaltsgleichen Regelung des § 9 Nr 3a der  Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) sei unter Verstoß gegen Art 13 ARB Nr  1/80 eine wesentliche Beschränkung des Zugangs der in Rede stehenden  türkischen Kraftfahrer zum deutschen Arbeitsmarkt eingetreten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des §  9 Nr 2 AEVO bzw des § 9 Nr 3a ArGV: Die letztgenannte Bestimmung sehe keine  Arbeitsgenehmigungsbefreiung für Arbeitnehmer in Deutschland ansässiger  Arbeitgeber vor. Ein Recht auf arbeitsgenehmigungsfreie Tätigkeit könne auch  nicht aus der vor 1996 bzw vor 1993 geltenden Rechtslage hergeleitet werden.  Für Arbeitskräfte sei eine Stillhalteklausel in der Form des Art 41 Abs 1 des  Zusatzprotokolls zu dem Abkommen nicht vorgesehen. Art 13 ARB Nr 1/80 beziehe  sich ausdrücklich nur auf türkische Arbeitnehmer, die sich bereits  ordnungsgemäß im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaates aufhielten und finde  somit im vorliegenden Fall keine Anwendung. Die für die Argumentation des LSG  entscheidende Rechtsänderung sei nicht erst 1996, sondern bereits 1993  eingetreten. Seit 1993 gelte die Arbeitserlaubnisbefreiung nur noch für  Beschäftigte eines im Ausland ansässigen Arbeitgebers; die aufgrund der  Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - Urteil vom 10. März 1994, 7  RAr 44/93 - eingeräumte Übergangsregelung zugunsten von Beschäftigten, die  bereits vor Einführung der Regelung von 1993 im Betrieb eines in Deutschland  ansässigen Arbeitgebers tätig gewesen seien, greife daher ebenfalls nicht.  Die Rechtsänderungen von 1996 und 1993 könnten nicht als gegen das  Verschlechterungsverbot des Art 41 des Zusatzprotokolls verstoßende  Regelungen gewertet werden. Würde der Verzicht auf eine Stillstandsklausel im  Assoziationsrecht zur Arbeitnehmer-Freizügigkeit dadurch "ausgehebelt", daß  die Stillstandsklausel des Art 41 zum Dienstleistungsrecht mittelbare  Wirkungen auf das Recht des Arbeitsmarktzugangs entfalten könnte,  widerspräche dies Sinn und Zweck des Assoziationsabkommens.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG vom 25. Juli 2000 und die Urteile des SG vom 27. Oktober  1998 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten Urteile der Vorinstanzen für zutreffend. Die vom BSG im Urteil vom  10. März 1994 aufgestellten Grundsätze müßten auch hinsichtlich der vor dem  10. Oktober 1996 durchgehend bei einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland  beschäftigten Kläger gelten. Auch bei der vorliegend in Frage stehenden  Neuregelung des § 9 Nr 2 AEVO sei keine Übergangsregelung getroffen worden.  Ein Anspruch auf Feststellung der Arbeitserlaubnisfreiheit folge zudem  unmittelbar aus Art 13 ARB Nr 1/80. Hilfsweise werde auf Art 6 ARB Nr 1/80  hingewiesen, wonach ein türkischer Arbeitnehmer nach einem Jahr  ordnungsgemäßer Beschäftigung einen Anspruch auf Erneuerung der  Arbeitserlaubnis beim gleichen Arbeitgeber habe. Die Kläger hätten bereits in  der Zeit von vor 1993 bis 1996 einen beschäftigungsrechtlichen Status  erlangt, den ihnen die Revisionsklägerin nicht mehr einseitig nehmen könne.

 

Entscheidungsgründe

Das Verfahren ist auszusetzen.

Der Senat sieht sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits dadurch  gehindert, daß die Beantwortung der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen  Fragen nicht ohne vernünftige Auslegungszweifel möglich ist und legt sie  deshalb dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor.

1. Nach dem anzuwendenden deutschen Recht sind die Kläger als Arbeitnehmer  eines türkischen Arbeitgebers nicht berechtigt, im grenzüberschreitenden  Güterverkehr auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen in Deutschland  arbeitserlaubnisfrei tätig zu werden.

a) Das Feststellungsbegehren der Kläger (vgl § 55 Abs 1 Nr 1  Sozialgerichtsgesetz) ist auf die Arbeitserlaubnisfreiheit ihrer derzeitigen  Beschäftigungen gerichtet. Abzustellen ist jeweils auf die Rechtslage, die  das im Streit befindliche Rechtsverhältnis erfaßt (BSGE 2, 188, 192; 3, 95,  103; 74, 90, 92 = SozR 3-4210 § 9 Nr 1), also die derzeit geltenden  Bestimmungen. Nach § 9 Nr 3a ArGV - erlassen auf Grund des § 288 Abs 1  Drittes Buch Sozialgesetzbuch - bedarf keiner Arbeitsgenehmigung das fahrende  Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im  Ausland, wenn das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist. Nach  den Ausführungen im Urteil des LSG waren die Kläger bei der B. Ltd, einer  türkischen Firma, angestellt. Zugunsten der Kläger kommt deshalb in Betracht,  daß sie derzeit bzw in Zukunft als Fernfahrer für einen Arbeitgeber mit Sitz  im Ausland tätig werden wollen. Es fehlt aber jedenfalls an der für die  Arbeitserlaubnisfreiheit gemäß § 9 Nr 3a ArGV weiter erforderlichen  Voraussetzung der Zulassung des jeweiligen Fahrzeugs im Sitzstaat des  Arbeitgebers; denn die von den Klägern benutzten bzw in Zukunft zu  benutzenden Fahrzeuge sind in Deutschland, nicht in der Türkei zugelassen.

b) Auch unter dem von den Klägern angeführten Gesichtspunkt des Fehlens einer  Übergangsregelung bzw des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entsprechend  dem Urteil vom 10. März 1994 (BSGE 74, 90 = SozR 3-4210 § 9 Nr 1) ist die  Tätigkeit der Kläger nicht arbeitserlaubnisfrei. Richtig ist allerdings, daß  vor dem 1. September 1993 allgemein das fahrende Personal im  grenzüberschreitenden Güterverkehr von der Arbeitserlaubnispflicht  ausgenommen war (§ 9 Nr 2 AEVO in der bis 31. August 1993 geltenden Fassung),  daß für die Zeit vom 1. September 1993 bis 9. Oktober 1996 § 9 Nr 2 AEVO idF  der Verordnung vom 1. September 1993 Arbeitserlaubnisfreiheit für das  fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr "bei Arbeitgebern mit  Sitz im Ausland" vorsah und daß für die Zeit ab 10. Oktober 1996 § 9 Nr 2a  AEVO idF der Verordnung vom 30. September 1996 - ebenso wie später § 9 Nr 3a  ArGV - für die Arbeitserlaubnisfreiheit des fahrenden Personals im  grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland  zusätzlich forderte, daß "das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers  zugelassen ist". Die genannte BSG-Entscheidung vom 10. März 1994 bezieht sich  jedoch nur auf die Beschäftigung von Ausländern bei einem Arbeitgeber mit  Sitz im Inland; zugunsten deutscher Arbeitgeber, die nach der alten  Rechtslage Ausländer arbeitserlaubnisfrei beschäftigt hatten, sollte bei  unveränderter Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer über den 1. September 1993  hinaus unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine  stillschweigende Übergangsregelung eingreifen. Diese Erwägungen sind auf die  Beschäftigung von Arbeitnehmern bei türkischen Arbeitgebern nicht  übertragbar. In dem vom BSG entschiedenen Fall waren ausländische Fahrer zu  deutschen Bedingungen (insbesondere deutschen Löhnen) beschäftigt; dagegen  sollen in Fällen wie dem vorliegenden türkische Fahrer zu Bedingungen der  Türkei, also zu wesentlich niedrigeren Löhnen, auf deutschen Fahrzeugen zum  Einsatz kommen, womit den beteiligten Unternehmern Wettbewerbsvorteile  verschafft werden. Wenn unter diesen Umständen die Änderung der AEVO von 1996  einer offenbar zunehmend genutzten Möglichkeit des vorteilhaften Einsatzes  ausländischer Arbeitnehmer entgegenwirkt, gleichzeitig aber den Betroffenen  für eine Übergangszeit durch die Erteilung befristeter Arbeitserlaubnisse  (auf der Grundlage des § 8 Anwerbestoppausnahme-Verordnung) Gelegenheit  gegeben wird, sich auf die neue Situation einzustellen, so ist dies unter dem  Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.

2. Die von den Klägern begehrte Arbeitserlaubnisfreiheit könnte sich jedoch  aus Art 13 des ARB Nr 1/80 oder aus Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zum  Assoziationsabkommen vom 23. November 1970 ergeben.

Art 13 ARB Nr 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer  und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem  Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang  zum Arbeitsmarkt einführen."

Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls lautet:

"Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der  Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen."

Neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt iS des ARB Nr 1/80 bzw  neue Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs iS des Art 41 Abs 1  des Zusatzprotokolls könnten in den bereits genannten Änderungen der AEVO zum  1. September 1993 bzw zum 10. Oktober 1996 gesehen werden. Dabei kann  zunächst dahinstehen, ob auch mit der ab 10. Oktober 1996 geltenden Fassung  des § 9 Nr 2a AEVO die Voraussetzungen der Arbeitserlaubnisfreiheit für  Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr "konstitutiv" neu geregelt  worden sind oder ob es sich - so die Beklagte - nur um eine Klarstellung  handelt, weil für ausländische Unternehmen bereits vor dem 10. Oktober 1996  die Verwendung von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen nach den  güterkraftverkehrsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich ausgeschlossen war  (vgl Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 27.  August 1999 und 8. Juni 2000, Bl 44 ff der Revisionsakte). Denn auch dann,  wenn es sich bei der Änderung von 1996 nur um eine Klarstellung hinsichtlich  der bereits zuvor geltenden Rechtslage handelt, kann für bei ausländischen  Arbeitgebern beschäftigte türkische Fernfahrer der Zugang zum deutschen  Arbeitsmarkt und dadurch bedingt möglicherweise auch der freie  Dienstleistungsverkehr schon durch die Änderung der AEVO zum 1. September  1993 neu beschränkt worden sein.

Nicht zweifelhaft ist, daß Bestimmungen wie Art 13 ARB Nr 1/80 und Art 41 Abs  1 des Zusatzprotokolls in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft  unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht sein können, die türkischen  Arbeitnehmern erlauben, sich unmittelbar auf sie zu berufen (vgl EuGHE I  1990, 3461; I 1994, 5113; I 1997, 329; I 2000, 2927). Im übrigen ergeben sich  jedoch hinsichtlich Anwendbarkeit und Reichweite der genannten Bestimmungen  mehrere Fragen, die im vorliegenden Fall entscheidungserheblich und bislang  nicht oder nicht befriedigend geklärt sind.

a) Fraglich ist zunächst, ob Art 13 ARB Nr 1/80 so zu verstehen ist, daß er  den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ab Anwendbarkeit der Bestimmungen des  Abschnitts des ARB Nr 1/80 über Fragen betreffend die Beschäftigung und die  Freizügigkeit der Arbeitnehmer (1. Dezember 1980, vgl Art 16 Abs 1 ARB Nr  1/80) allgemein jede den Zugang zum Arbeitsmarkt neu beschränkende Regelung  untersagen will (Frage 1). Wäre Art 13 ARB Nr 1/80 ähnlich wie Art 41 Abs 1  des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen dahin zu verstehen, daß er  allgemein die Einführung neuer nationaler Beschränkungen des  Arbeitsmarktzugangs ab Dezember 1980 verbietet, könnten sich die Kläger im  vorliegenden Fall auf das vor dem 1. September 1993 maßgebliche, für sie  günstigere Recht berufen (vgl EuGHE I 2000, 2927). Denn die jetzt geltende  Fassung des § 9 Nr 3a ArGV ist für fahrendes Personal türkischer Arbeitgeber  bei Einsatz auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ungünstiger als die am  1. Dezember 1980 maßgebliche Regelung des § 9 Nr 2 AEVO  (Arbeitserlaubnisfreiheit allgemein für fahrendes Personal im  grenzüberschreitenden Güterverkehr).

Gegen ein derartiges Verständnis des Art 13 ARB Nr 1/80 spricht allerdings  der Wortlaut der Bestimmung, der in bestimmter Hinsicht von Art 41 Abs 1 des  Zusatzprotokolls abweicht. Während in Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls  allgemein von der Verpflichtung der Vertragsparteien, keine neuen  Beschränkungen einzuführen, die Rede ist, bezieht sich die entsprechende  Verpflichtung der Mitgliedstaaten bzw der Türkei aus Art 13 ARB Nr 1/80  ausdrücklich auf "Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt  und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind". Der Wortlaut  spricht deshalb dafür, das Verbot der Einführung neuer Beschränkungen nach  Art 13 ARB Nr 1/80 nur auf den Zeitpunkt zu beziehen, zu dem erstmals  Aufenthalt und Beschäftigung des Arbeitnehmers im Hoheitsgebiet des  betroffenen Staates ordnungsgemäß sind, nicht aber auf den Zeitpunkt der  erstmaligen Anwendbarkeit der Bestimmung. Diese Auslegung des Art 13 ARB Nr  1/80 ist jedoch nicht zwingend.

b) Weiter ist zweifelhaft, ob Art 13 ARB Nr 1/80 auch auf in der Türkei  beschäftigte Arbeitnehmer wie die Kläger anzuwenden ist, die jeweils als  fahrendes Personal einen Mitgliedstaat wie Deutschland lediglich im  grenzüberschreitenden Güterverkehr durchfahren, ohne dem regulären  Arbeitsmarkt in Deutschland anzugehören (Frage 2).

Für die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt kommt es darauf an, ob das  Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats lokalisiert werden kann  oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist, wobei  insbesondere der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen, das  Gebiet, in dem oder von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis  ausgeübt wird, und die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts  und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen sind (EuGHE I 1995, 1475, 1507  f; I 1997, 5143; I 1997, 5179 = SozR 3-6935 Allg Nr 3). Nach diesen  Voraussetzungen gehören Arbeitnehmer wie die Kläger, die als Fernfahrer in  der Türkei angestellt sind, jedenfalls dann nicht dem regulären deutschen  Arbeitsmarkt an, wenn sie - wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist - in  der Türkei bezahlt werden und den türkischen arbeits- und sozialrechtlichen  Bestimmungen unterliegen.

Der systematische Standort des Art 13 innerhalb des 1. Abschnitts des  Kapitels II des ARB Nr 1/80 ("Fragen betreffend die Beschäftigung und die  Freizügigkeit der Arbeitnehmer") sowie weiterer Regelungen dieses Abschnitts  (insbesondere Art 6, 7, 10 und 11) sprechen für die Annahme, daß sich Art 13  ARB Nr 1/80 nur auf Arbeitnehmer bezieht, die dem regulären Arbeitsmarkt  eines Mitgliedstaates angehören (so auch sinngemäß die Anwendungshinweise des  Bundesinnenministeriums, InfAuslR 1999, 13, 15, 18 f). Daß die das deutsche  Gebiet nur in eingeschränktem Umfang berührende Tätigkeit von ausländischen  Fernfahrern nicht von den Regelungen des Abschnitts 1 in Kapitel II des ARB  Nr 1/80, also auch nicht von Art 13, erfaßt wird, könnte sich ua daraus  ergeben, daß die Bestimmungen des genannten Abschnitts auf die schrittweise  Integration türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in den  Arbeitsmarkt abzielen; die Rechte zur Aufnahme einer weiteren Beschäftigung  und demzufolge auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates (vgl  EuGHE I 1990, 3461; I 1992, 6781) sind um so größer, je länger und  kontinuierlicher zuvor eine Beschäftigung ordnungsgemäß ausgeübt worden ist.  Ob sich solche Rechte auf Fernfahrer, die regelmäßig nur für begrenzte Zeit  in das Hoheitsgebiet eines Staates einfahren und dieses dann auch immer  wieder verlassen, sachgerecht übertragen lassen, ist fraglich. So  verdeutlicht etwa die Tatsache der - für die Arbeitserlaubnisfreiheit nach  deutschem Recht erforderlichen - anhaltenden Beschäftigung bei einem  ausländischen Arbeitgeber, daß Fernfahrer wie die Kläger überhaupt keine  schrittweise zu verfestigende Integration in den deutschen Arbeitsmarkt  anstreben, weshalb sich die Kläger im übrigen auch nicht auf Art 6 ARB Nr  1/80 (freier Zugang zu Beschäftigungen nach Tätigkeit innerhalb des regulären  Arbeitsmarktes) berufen können.

Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des Art 13 ARB Nr 1/80 auf Arbeitnehmer  des regulären Arbeitsmarktes ist allerdings nicht zwingend, wie der  Standpunkt des LSG zeigt. Seiner Argumentation, der Schutzbereich des Art 13  ARB Nr 1/80 müsse auch im grenzüberschreitenden Verkehr zum Einsatz kommende  türkische Arbeitnehmer erfassen, da in Fällen wie dem vorliegenden der  inländische Arbeitsmarkt nur marginal berührt werde und folglich eine  restriktive Interpretation der Stillhalteklausel nicht angebracht sei, folgt  der Senat allerdings nicht. Sie würde nämlich die Mitgliedstaaten und die  Türkei ohne Not in ihren Möglichkeiten beschränken, Mißbräuchen auf ihren  Arbeits- und Wirtschaftsmärkten wirksam entgegenzutreten. Im übrigen ist  zweifelhaft, ob in Fällen vorliegender Art der deutsche Arbeitsmarkt nur  marginal berührt wird, wenn - wie im vorliegenden Fall von der Beklagten in  den Tatsacheninstanzen geltend gemacht - die Beschäftigung von Fahrern aus  Niedriglohnländern auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen dazu führt, daß  in Deutschland wohnende arbeitslose Fahrer nicht eingestellt werden. Die  angesprochene Frage ist deshalb dem EuGH vorzulegen.

c) Nicht zweifelsfrei beantwortet werden kann schließlich die Frage, ob sich  ein für die Kläger günstigeres Ergebnis aus Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls  zum Assoziationsabkommen vom 23. November 1970 herleiten läßt (Frage 3). Nach  den im Fall Savas (EuGHE I 2000, 2927) aufgestellten Grundsätzen könnte in  der derzeit geltenden Regelung des § 9 Nr 3a ArGV im Vergleich zur Rechtslage  zur Zeit des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls (verkündet mit Gesetz vom  19. Mai 1972, BGBl II 385) eine unter den Anwendungsbereich des Art 41 Abs 1  des Zusatzprotokolls fallende Beschränkung gesehen werden, da in dem  Zeitpunkt, in dem das Zusatzprotokoll in Deutschland in Kraft getreten ist,  die ursprüngliche, ab 1. April 1971 geltende Fassung des § 9 Nr 2 AEVO  allgemein Arbeitserlaubnisfreiheit für das fahrende Personal im  grenzüberschreitenden Güterverkehr vorsah.

Allerdings betrifft Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls ausdrücklich nur die  Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr, nicht den  Zugang zum Arbeitsmarkt. Deshalb stellt sich zunächst die Frage, ob die  vorliegend klagenden türkischen Arbeitnehmer, die sich nicht niederlassen und  im übrigen nur im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses am  Dienstleistungsverkehr teilnehmen wollen, befugt sind, Rechte aus einer  Regelung zum Schutz des freien Dienstleistungsverkehrs selbst geltend zu  machen (Frage 3a). Eine derartige Befugnis von nicht unmittelbar vom  Regelungsgehalt des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls erfaßten Arbeitnehmern  ist fragwürdig. Im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 59 EG-Vertrag  (Maastrichter Fassung) sind bisher die Rechte der Unternehmen und eigene  Rechte der Arbeitnehmer getrennt betrachtet worden (vgl Schlußanträge des  Generalanwalts EuGHE I 1994, 3803, 3812; zur unmittelbaren und individuellen  Betroffenheit vgl in anderem Zusammenhang EuGH ZIP 2000, 1025 = NVwZ 2001,  307).

Nur wenn eine Berechtigung der Kläger zu bejahen ist, stellt sich die weitere  Frage, ob auch dann eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs iS  des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls vorliegt, wenn durch die Einführung von  den Zugang von Arbeitnehmern zum Arbeitsmarkt beschränkenden Vorschriften -  hier Abschaffung früherer Arbeitserlaubnisfreiheit für Fernfahrer im  grenzüberschreitenden Güterverkehr - mittelbar auch für die Unternehmen, bei  denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind, die Teilnahme am freien  Dienstleistungsverkehr erschwert wird (Frage 3b). Nach der Rechtsprechung des  EuGH zu Art 59 und Art 60 EG-Vertrag (Maastrichter Fassung) liegt es nahe,  auch dann von einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit auszugehen, wenn  ein Mitgliedstaat für die Arbeitnehmer von Unternehmen, die zur Erbringung  von Dienstleistungen auf seinem Gebiet tätig werden, Regelungen einführt,  wonach Arbeitserlaubnisse einzuholen sind (vgl EuGHE I 1990, 1417; I 1994,  3803). Zu klären ist jedoch, ob diese Rechtsprechung auch auf die hier zu  beurteilende Konstellation und auf Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls  übertragbar ist. So erscheint es fraglich, ob das vom EuGH in den  vorgenannten Entscheidungen angeführte Argument, es handle sich nur um einen  vorübergehenden Ortswechsel und folglich um kein Auftreten auf dem Arbeitsmarkt (EuGHE I  1990, 1417, 1444 sowie I 1994, 3803, 3825), auch im vorliegenden Fall einer  von den Klägern begehrten generellen Arbeitserlaubnisfreiheit bei  regelmäßiger Tätigkeit herangezogen werden kann.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15796829

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