Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

    1. Ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71, insbesondere ihr Art 73, auch anwendbar, wenn der Leistungsberechtigte (insbesondere ein Arbeitnehmer oder Selbständiger) selbst nicht von seinem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Gebrauch gemacht hat, jedoch das Kind, für das Familienleistungen begehrt werden?
    2. Ist insoweit erheblich, ob der mit dem Kind in einen anderen Mitgliedstaat übergesiedelte andere Elternteil dort bis zu seinem Tode als Arbeitnehmer oder Selbständiger tätig war?
  1. – Wenn die Frage 1 bejaht wird: –

    Ist auch ein Polizeibeamter im Ruhestand „Beamter” iS des Art 2 Abs 3 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71?

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt Kindergeld für seine in Frankreich lebende Tochter.

Der Kläger erhält als pensionierter Polizeibeamter Versorgungsbezüge des beklagten Freistaats. Er ist Vater der im Jahre 1974 geborenen Tochter S. …, die Ende des Jahres 1983 mit ihrer vom Kläger geschiedenen Mutter nach Frankreich zog und dort zur Schule ging. Seit dem Tode der Mutter im Juli 1987 lebte S. … bei ihren französischen Großeltern; sie besuchte den Kläger regelmäßig in den Schulferien; dieser hatte ihr Unterhalt zu zahlen. Unter Hinweis darauf, daß Familienleistungen von den französischen Behörden nicht erbracht würden, beantragte der Kläger im Oktober 1988 die Gewährung von Kindergeld; dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Juli 1989 und Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 1989 ab.

Auch Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 20. September 1991 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 30. März 1993). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, § 2 Abs 5 Satz 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) schließe einen Kindergeldanspruch für S. … aus, da diese iS des § 30 Abs 3 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) in Frankreich wohne. Der vom Kläger behauptete Zweitwohnsitz an seinem Wohnort sei hingegen nicht begründet worden. Dazu reichten weder die Meldung beim Einwohnermeldeamt noch die gelegentlichen Besuche während der Schulferien aus. Auch habe der Kläger Stefanie nicht iS des § 2 Abs 5 Satz 2 BKGG in seinen Haushalt aufgenommen. Zugunsten des Klägers wirkten sich schließlich nicht die Gleichstellungsvorschriften des Rechts der Europäischen Gemeinschaft (EG) aus. Der Kläger sei als Ruhegehaltsempfänger nicht Arbeitnehmer iS des Art 1 Buchst a der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71); auch sei Art 2 Abs 3 EWGV 1408/71 – mit dessen Hilfe allein der fehlende Inlandswohnsitz von S. … kindergeldrechtlich fingiert werden könne – auf den Kläger nicht anwendbar, da er mittlerweile als aktiver Beamter ausgeschieden sei. Damit werde der Kläger durch Art 73 EWGV 1408/71 nicht begünstigt, wonach ein Anspruch auf Kindergeld auch dann bestehe, wenn das Kind im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats lebe. Nichts anderes folge daraus, daß Art 77 Nr 1 EWGV 1408/71 auch für Leistungen nach dem BKGG bei Rentenbeziehern angewendet werde, da der Kinderzuschuß zur Rente nach § 1262 Reichsversicherungsordnung (RVO) für Leistungsfälle ab dem Jahre 1984 durch das Kindergeld ersetzt worden sei.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt sinngemäß die Verletzung des § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG iVm § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I sowie der Gleichstellungsvorschriften des EG-Rechts. S. … habe in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz. Sie halte sich während ihrer Schulferien immer bei ihrem Vater auf und sei dort beim Einwohnermeldeamt gemeldet. Dies lasse den Schluß zu, daß sie auch künftig in ihrer Freizeit dorthin kommen und ihre Wohnung beibehalten und nutzen werde. Im übrigen kämen aktive Beamte ebenso wie aktive Arbeitnehmer und Rentner in den Genuß der Gleichstellungsvorschriften des EG-Rechts. Deshalb sei nicht einzusehen, warum Ruhestandsbeamte insoweit unterschiedlich behandelt werden sollten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. März 1993, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 20. September 1991 sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für seine Tochter S. … ab dem 1. April 1988 Kindergeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. März 1993 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Das Verfahren ist auszusetzen.

Der Senat sieht sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits dadurch gehindert, daß die Beantwortung der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Fragen nicht ohne vernünftige Auslegungszweifel möglich ist (EuGH vom 6. Oktober 1982, C.I.L.F.I.T., EuGHE 1982, 3415, 3430 f) und legt sie deshalb dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Die angefochtenen Bescheide stehen mit dem BKGG (idF der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986, BGBl I 222) im Einklang (1). Ein Anspruch des Klägers könnte sich jedoch aus einer Anwendung der EWGV 1408/71 ergeben. Insoweit ist zweifelhaft, ob diese Verordnung zugunsten des Klägers, der von seinem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaften nie Gebrauch gemacht hat, anwendbar ist (2a); darüber hinaus würde sich die Gleichstellungsvorschrift des Art 73 der EWGV 1408/71 nur zugunsten des Klägers auswirken können, wenn dieser – auch als pensionierter Polizeibeamter – „Beamter” iS des Art 2 Abs 3 EWGV 1408/71 ist (2b).

1) Nach der nationalen Gesetzeslage besteht ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine Tochter S. … bereits deshalb nicht, weil der Ausschlußtatbestand des § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG vorliegt: S. … hat weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes.

Nach den für das Bundessozialgericht (BSG) bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden sind (§ 163 SGG), hält sich S. … in Deutschland – beim Kläger – allenfalls besuchsweise auf. Dann aber kann auch nicht der Umstand, daß sie beim Einwohnermeldeamt des Wohnorts des Klägers gemeldet ist, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 2 Abs 5 Satz 1 iVm § 30 Abs 3 SGB I) in Deutschland begründen. Denn ein Aufenthalt während der Ferien ist von vornherein nur vorübergehend. Nach den Feststellungen des LSG hat S. … ihren Lebensmittelpunkt in Frankreich bei ihren Großeltern; ihr Aufenthalt dort kann daher nicht etwa zB einem Internatsaufenthalt im Ausland zum Zwecke einer dortigen Ausbildung (s hierzu zB das Urteil des Senats vom 25. April 1984 – 10 RKg 2/83, Breith 1985, 348, 350 – insoweit nicht in SozR 5870 § 2 Nr 32) gleichgestellt werden.

Auch aus § 2 Abs 6 BKGG ergibt sich kein Kindergeldanspruch des Klägers, da die hierin enthaltene Ermächtigung, im Verordnungswege entgegen § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG ganz oder teilweise Kindergeld zuzuerkennen, bisher nicht ausgenutzt worden ist.

2) Allerdings enthält § 42 Satz 2 BKGG die – sich bereits aus dem Vorrang der entsprechenden Vorschriften ergebende – Einschränkung, daß die Bestimmungen der auf der Grundlage des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (jetzt: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EGVtr) erlassenen Verordnungen unberührt bleiben.

Anwendbar sein könnte im vorliegenden Fall Art 73 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) idF der EWGV 3427/89 (ABl EG Nr L 331 vom 16. November 1989, S 1), gültig mit Wirkung ab 15. Januar 1986 (Art 3 EWGV 3427/89).

Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

„Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staaten wohnten.”

a) Insoweit ist bereits fraglich, ob eine Anwendung der EWGV 1408/71 auf den Kläger nicht schon deshalb ausscheidet, weil zwar das Kind, für das er Familienleistungen begehrt, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu- oder abgewandert ist, nicht jedoch der Kläger selbst (Frage 1.a). Nach Art 51 EGVtr, aufgrund dessen die EWGV 1408/71 erlassen wurde (s deren Präambel), sollte ein System der sozialen Sicherung von „aus- und einwandernden Arbeitnehmern und deren anspruchsberechtigten Angehörigen” (Hervorhebung nur hier) geschaffen werden. Damit könnte (entgegen ihrem oben angegebenen vollen Titel) die EWGV 1408/71 von vornherein nicht anwendbar sein, wenn nur ein Familienangehöriger, nicht aber der Arbeitnehmer (oder Selbständige) innerhalb der Gemeinschaft gewandert ist. Wäre die EWGV 1408/71 insoweit nicht mehr von ihrer Ermächtigungsnorm gedeckt, hätte der Verordnungsgeber in diesem Umfang seine Zuständigkeiten überschritten.

Für eine enge Auslegung des Anwendungsbereichs der EWGV 1408/71 im hier diskutierten Zusammenhang könnte die Rechtsprechung des EuGH sprechen, wonach die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht für Sachverhalte gelten, die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt. Dies sei sicherlich bei Arbeitnehmern der Fall, die niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt hätten (EuGH vom 17. Dezember 1987, Zaoui, EuGHE 1987, 5511, 5528 = SozR 6050 Allg Nr 5 S 15; vom 27. Oktober 1982, Morson und Jhanjan, EuGHE 1982, 3723, 3736 = NJW 1983, 2751, 2752; s auch EuGH vom 16. Dezember 1992, Koua Poirrez, EuGHE I 1992, I-6685, 6707). Dies hat der EuGH freilich nur aus Anlaß von Vorlagen zur EWGV 1612/68 vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft entschieden. Im Zusammenhang mit der EWGV 1408/71 findet sich demgegenüber die Formulierung (EuGH vom 22. September 1992, Petit, EuGHE 1992, I-4973, 4995 mwN, die jedoch keinen Fall der EWGV 1408/71 betreffen), jene Verordnung sei nicht auf Sachverhalt anwendbar, „die mit keinem Element über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen” (Hervorhebung nur hier). Alle zitierten Fälle betrafen jedoch jeweils keine Fallgestaltungen, in denen (nur) ein Familienangehöriger eines – seßhaften – Arbeitnehmers innerhalb der Gemeinschaft gewandert war.

Auch in der Frage, ob volles deutsches Kindergeld zusteht, weil ausländische Familienleistungen nicht beantragt wurden (Urteile vom 13. November 1984, Salzano, vom 23. April 1986, Ferraioli, und vom 4. Juli 1990, Kracht – EuGHE 1984, 3741; 1986, 1401 und 1990, I-2781 = SozR 6050 Art 76 Nrn 4 und 5, SozR 3-6050 Art 76 Nr 1) hatte der EuGH stets über Fallgestaltungen zu entscheiden, in denen nicht nur die Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, sondern jeweils mit einem dort auch berufstätigen Elternteil.

Falls die Anwendbarkeit der Vorschriften der EWGV 1408/71 über die Gewährung von Familienleistungen auf einen Berechtigten (Arbeitnehmer oder Selbständiger), der selbst nicht innerhalb der Gemeinschaft gewandert ist, grundsätzlich ausscheiden sollte, bliebe schließlich auf einen weiteren Gesichtspunkt (Frage 1.b) hinzuweisen: Dann könnte für eine – ausnahmsweise – Anwendbarkeit der EWGV 1408/71 auf den Fall des Klägers sprechen, wenn seine geschiedene Ehefrau und Mutter der in Frankreich lebenden Tochter dort – vor ihrem Ableben – als Arbeitnehmerin beschäftigt war (insoweit fehlen bisher tatsächliche Feststellungen). Damit hätte zu ihren Lebzeiten eine Fallkonstellation bestanden, wie sie der EuGH in seinem Urteil vom 4. Juli 1990 (Kracht, EuGHE 1990, I-2781 = SozR 3-6050 Art 76 Nr 1) zu entscheiden hatte; damals hatte er die EWGV 1408/71 für anwendbar gehalten. Bei einer derartigen Ausgangslage könnte es naheliegen, auch nach dem Tode des im anderen Mitgliedstaat berufstätigen Elternteils einen fortbestehenden Kindergeldanspruch des in Deutschland verbliebenen Elternteils anzunehmen.

b) Kann die EWGV 1408/71 jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation zugunsten eines Berechtigten Anwendung finden, der selbst nicht in der Gemeinschaft gewandert ist, hängt ein Kindergeldanspruch des Klägers weiterhin von der Auslegung des Art 2 Abs 3 EWGV 1408/71 (Frage 2) ab. Eine direkte Anwendung des Art 73 EWGV 1408/71 auf den Kläger scheidet aus, weil er weder „Arbeitnehmer” noch „Selbständiger” ist.

Wer iS der EWGV 1408/71 „Arbeitnehmer” oder „Selbständiger” ist, definiert Art 1 Buchst a EWGV 1408/71. Die in Art 1 Buchst a) Nr i EWGV 1408/71 enthaltene Definition des Arbeitnehmers, die an die Pflicht- oder freiwillige Weiterversicherung gegen ein von einem System der Sozialen Sicherheit erfaßtes Risiko anknüpft, ist hier nicht anwendbar. Gemäß § 1 BKGG setzt der Anspruch auf Kindergeld keine Pflichtversicherung oder freiwillige Weiterversicherung gegen ein Risiko voraus, für das die Leistungen gewährt werden. Die Leistungen nach dem BKGG sind nicht an eine Pflichtversicherung oder freiwillige Versicherung in einem System der Sozialen Sicherheit gebunden. Der Kläger kann auch nicht Arbeitnehmer iS des Art 1 Buchst a Nr ii erster Spiegelstrich EWGV 1408/71 sein, weil weder die Art der Verwaltung noch die Finanzierung des Systems der Familienleistungen nach dem BKGG eine Unterscheidung der Begünstigten als Arbeitnehmer oder Selbständiger erlaubt. Fehlen die genannten Kriterien, ist gemäß Art 1 Buchst a Nr ii zweiter Spiegelstrich 2. Alt EWGV 1408/71 auf die in Anh I enthaltene Definition zurückzugreifen.

Anh I Abschn I UAbschn C zur EWGV 1408/71 hat folgenden Wortlaut:

„Ist ein deutscher Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung, so gilt iS des Art 1 Buchst a Ziff ii der Verordnung a) als Arbeitnehmer, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist oder im Anschluß an diese Versicherung Krankengeld oder entsprechende Leistungen erhält;

b) als Selbständiger, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt und - in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig ist, oder - in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.”

Im Sinne dieser Vorschrift ist der Kläger jedoch weder Arbeitnehmer noch Selbständiger.

Über den Personenkreis der Arbeitnehmer und Selbständigen hinaus gilt die EWGV 1408/71 nach ihrem Art 2 Abs 3 jedoch auch

„für Beamte und die ihnen nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften gleichgestellten Personen insoweit, als für sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gelten oder galten, auf welche diese Verordnung anzuwenden ist.”

Damit gilt die EWGV 1408/71 jedenfalls für aktive Beamte, soweit auf diese das BKGG anwendbar ist. Denn die in diesem Gesetz enthaltenen Rechtsvorschriften betreffen Familienleistungen iS des Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71 (s hierzu auch die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu Art 5 EWGV 1408/71, ABl EG Nr C 139 vom 9. Juni 1980, S 6, Buchst C Nr I 5). Das BKGG aber ist – ebenso wie auf Arbeiter und Selbständige – auch auf Beamte, gleichgültig ob im Dienst oder im Ruhestand, anzuwenden: Leistungsvoraussetzung ist insoweit kein bestimmter Beschäftigtenstatus, sondern lediglich Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Berechtigten in der Bundesrepublik Deutschland (§ 1 Abs 1 BKGG).

Dann aber hängt die Anwendbarkeit des Art 73 EWGV 1408/71 auf den Kläger davon ab, ob er – auch nach seiner Pensionierung – als Beamter oder eine diesem nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften gleichgestellte Person iS des Art 2 Abs 3 EWGV 1408/71 zu gelten hat. Rechtsprechung des EuGH hierzu ist nicht ersichtlich.

Für die Anwendbarkeit des Art 2 Abs 3 EWGV 1408/71 auf Ruhestandsbeamte spricht, daß die genannte Verordnung auch Rentner – also Arbeitnehmer im Ruhestand – in ihren Schutzbereich – s Art 27 ff, 77 ff EWGV 1408/71 – einbezieht, also zu den „Arbeitnehmern” zählt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Arbeitnehmer iS der EWGV 1408/71 auch ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zum Bezug von Rente berechtigt ist, auch wenn er keine Erwerbstätigkeit ausübt, jedoch einem System der sozialen Sicherheit angehört, sofern auf Rentner keine besonderen, für sie erlassenen Bestimmungen anzuwenden sind (EuGH vom 31. Mai 1979, Pierik II, EuGHE 1979, 1977, 1993 = SozR 6050 Art 22 Nr 4). Dann aber liegt es nahe, als „Beamte” iS des Art 2 Abs 3 EWGV 1408/71 neben aktiven auch solche im Ruhestand anzusehen.

 

Fundstellen

SozSi 1997, 80

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