Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendigkeit der Beiladung einer Einzugsstelle zur Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft und Konkursausfallgeld-Berechtigung

 

Orientierungssatz

1. Die Entscheidung, ob ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt und ob ein Arbeitnehmer Konkursausfallgeld-berechtigt iS der §§ 141a ff des AFG ist, betrifft kein Rechtsverhältnis, an dem die jeweils entscheidenden Versicherungsträger derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann.

2. Ebensowenig ist in einem solchen Verfahren entscheidungserheblich, daß bei der Ablehnung des Anspruchs auf Konkursausfallgeld ein anderer Versicherungsträger als leistungspflichtig in Betracht kommen kann.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2; AFG §§ 141a, § 141aff

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 01.03.1991; Aktenzeichen L 10 Ar 132/90)

 

Tatbestand

Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden den Antrag des Klägers, ihm für die Zeit vom 16. Februar bis 15. Mai 1987 Konkursausfallgeld (Kaug) zu gewähren, abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 11. Dezember 1989 mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger stehe Kaug nicht zu, weil er während der streitigen Zeit nicht in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.

Der Kläger hat zur Begründung seines Rechtsmittels geltend gemacht, das erstinstanzliche Urteil leide an verschiedenen Verfahrensmängeln: Zunächst habe das SG es unter Verstoß gegen § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unterlassen, die über die Versicherungspflicht des Klägers entscheidenden Sozialversicherungsträger beizuladen. Außerdem habe es gegen § 103 SGG verstoßen, weil es unterlassen habe, eine Auskunft der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Berlin als Einzugsstelle über die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers einzuholen. Schließlich habe das SG nicht beachtet, daß bereits das Arbeitsgericht Berlin von dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses in der streitigen Zeit ausgegangen sei.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung als zulässig angesehen; das SG habe nicht ohne Einholung einer Auskunft der Einzugsstelle der AOK Berlin entscheiden können, daß der Kläger nicht in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. In der Sache selbst sei die Berufung aber unbegründet, weil der Kläger während des Kaug-Zeitraumes nicht in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe.

Gegen dieses ihm am 14. Juni 1991 zugestellte Urteil richtet sich die am 12. Juli 1991 eingegangene und am 12. August 1991 begründete Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Er ist der Auffassung, das LSG habe eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung getroffen, weil seine Abgrenzung des Kaug-Zeitraumes im Widerspruch zum Gesetz stehe. Insoweit sei das LSG auch von - vom Kläger im einzelnen genannten - Urteilen des erkennenden Senats abgewichen. Schließlich leide das LSG-Urteil an erheblichen Verfahrensmängeln, weil es gegen die Denkgesetze und gegen das Willkürverbot des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) verstoße.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG). Das Revisionsgericht könnte auch im Falle der Zulassung der Revision über die vom Kläger aufgeworfenen Fragen des sachlichen Rechts deswegen nicht entscheiden, weil dem ein in der Revisionsinstanz fortwirkender und von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel entgegensteht.

Der Kläger hat im ersten Rechtszuge einen Anspruch iS des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG geltend gemacht. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Infolgedessen ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß die Nichtzulassung der Berufung durch das SG grundsätzlich für das Berufungsgericht bindend ist, zumal da der Kläger nicht geltend gemacht hat, das SG habe die Berufung willkürlich nicht zugelassen (vgl dazu BSG, Urteil vom 18. 12. 1985 - 9a RVs 8/85 - SozR 1500 § 150 Nr 27). Demgemäß konnte das LSG in der Sache selbst nur entscheiden, wenn es seinerseits die Berufung ohne Zulassung für statthaft ansah, weil der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat, der nach Auffassung des LSG auch vorlag. Allerdings mußte das LSG bei der Beurteilung der Frage, ob dem SG ein Verfahrensmangel unterlaufen ist, von der Rechtsauffassung des SG ausgehen.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren mehrere Verfahrensmängel geltend gemacht, die jedoch insgesamt nicht vorlagen.

1.

Fehl geht zunächst die Rüge, dem SG sei ein Verstoß gegen § 75 Abs 2 SGG unterlaufen. Denn die Entscheidung, ob ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt und ob ein Arbeitnehmer kaug-berechtigt iS der §§ 141a ff des

Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ist, betrifft kein Rechtsverhältnis, an dem die jeweils entscheidenden Versicherungsträger derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Ebensowenig ist in einem solchen Verfahren entscheidungserheblich, daß bei der Ablehnung des Anspruchs auf Kaug ein anderer Versicherungsträger als leistungspflichtig in Betracht kommen kann. Demgemäß ist ein Verstoß gegen § 75 Abs 2 SGG in einem Falle dieser Art nicht gegeben.

2.

Auch soweit der Kläger zur Berufungsbegründung geltend gemacht hat, das SG habe gegen § 103 SGG verstoßen, weil es zur die Frage des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses iS des § 141b Abs 1 AFG von seinem rechtlichen Ausgangspunkt aus nicht bei der AOK Berlin als Einzugsstelle nachgefragt habe, ob diese ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angenommen habe, geht fehl, weil das LSG diese Anfrage unzutreffend als rechtserhebliches Beweismittel angesehen hat. Zwar ist die Verletzung der dem Gericht obliegenden Amtsermittlungspflicht ein Verfahrensmangel iS des § 150 Nr 2 SGG, sofern sich das Gericht aus seiner sachlich-rechtlichen Sicht zu der vom Kläger genannten weiteren Ermittlung hätte gedrängt fühlen müssen. Das war aber hier nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall. Die Vorschrift des § 103 SGG verpflichtet das Gericht nur zur Erforschung des Sachverhalts, also zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen, nicht der Rechtsvorschriften und deren Auslegung (vgl dazu BSG, SozR Nr 27 zu § 103 SGG). Gerade das letztere verlangen aber der Kläger und das LSG, wenn sie das SG für verpflichtet ansahen, hinsichtlich der Frage, ob der Kläger in der streitigen Zeit überhaupt in einem kaug-relevanten Arbeitsverhältnis gestanden hat, eine Auskunft der AOK Berlin als Einzugsstelle für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge einzuholen. Zur Beschaffung einer solchen Auskunft war das SG keinesfalls verpflichtet. Denn selbst wenn - was hier offen bleiben kann - die Frage, ob in der streitigen Zeit ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden hat, inhaltsgleich mit der Frage zu beurteilen wäre, ob es

sich dann stets auch um ein Arbeitsverhältnis iS der §§ 141b ff AFG handelte, würde es sich nicht um eine Tatfrage, sondern nur um die Anwendung von Rechtsnormen handeln, die das SG unabhängig von der Auffassung der AOK Berlin zu entscheiden hatte. Daran würde auch nichts ändern, daß - wie der Kläger meint - die AOK Berlin eine "substantielle Auskunft" hätte geben können. Dasselbe gilt auch für die Nichtbeachtung der dem arbeitsgerichtlichen Urteil zugrundeliegenden Beurteilung der Tätigkeit in dem später zahlungsunfähig gewordenen Unternehmen.

Demgemäß hat das SG durch die vom Kläger als Verfahrensmängel gerügten Unterlassungen der entsprechenden Anfragen nicht gegen § 103 SGG verstoßen. Sein Urteil beruht infolgedessen auch nicht auf derartigen Verfahrensverstößen.

Weitere, rechtlich selbständige Verfahrensverstöße des SG hat der Kläger nicht geltend gemacht. Demgemäß hätte das LSG bei richtiger Würdigung seiner Berufungsbegründung die Berufung als unzulässig verwerfen müssen.

3.

Unter diesen Umständen sind auch die vom Kläger zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Rügen nicht entscheidungserheblich. Auch wenn die vom Kläger aufgezeigten Rechtsfragen - insbesondere soweit es sich um die Geltendmachung einer Divergenz der LSG-Entscheidung zur Rechtsprechung des erkennenden Senats bei der Abgrenzung des Kaug-Zeitraumes handelt - der Entscheidung des erkennenden Senats bedürfen, liegt damit noch keine Entscheidungsrelevanz vor. Denn nicht nur im Falle der grundsätzlichen Bedeutung, sondern auch in dem der Divergenz ist es erforderlich, daß das Revisionsgericht über die Rechtsfrage auch tatsächlich entscheiden kann. Ist aber dem Revisionsgericht aus prozessualen Gründen eine Sachentscheidung von vornherein verwehrt, fehlt es auch an der erforderlichen Klärungsfähigkeit. Hier würde der vom Kläger erbetenen Sachentscheidung die von Amts wegen zu beachtende Unzulässigkeit der Berufung entgegenstehen, weil die Zulässigkeit der Berufung zu den unverzichtbaren

Prozeßvoraussetzungen gehört, die in jedem Stadium des Verfahrens auch vom Revisionsgericht zu beachten sind mit der Folge, daß im Falle der Unzulässigkeit der Berufung auch eine an sich begründete Rüge gemäß § 160 Abs 2 SGG grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (vgl BSG, SozR 1500 § 150 Nr 27).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651556

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