Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtige Rechtsbehelfsbelehrung des Zulassungsausschusses. Hinweis auf Besonderheit der Vorlage auch der Widerspruchsbegründung innerhalb der Monatsfrist. Rechtsfolgen unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung. Adressat

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 44 S. 1 ZÄZV ist mit Rücksicht auf den gem. § 97 Abs. 3 S. 1 SGB V anzuwendenden § 84 Abs. 1 SGG dahin auszulegen, dass der Widerspruch “binnen eines Monats mit Angabe von Gründen einzulegen” ist, d.h., dass “binnen dieser Monatsfrist auch Gründe anzugeben sind” (vgl. BSG SozR 3-5520 § 44 Nr. 1 S. 5). Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss dieses von den allgemeinen Regelungen über das Widerspruchsverfahren abweichende Erfordernis in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringen.

2. Die gesetzlich vorgesehenen Folgen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung treten selbst dann ein, wenn der Adressat – z.B. auf Grund eigener Sachkunde – die Unrichtigkeit erkannt hat.

 

Normenkette

SGB V § 97 Abs. 3 S. 1; SGG § 84 Abs. 1, § 66 Abs. 2; ZÄZV § 44 S. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 18.12.2002; Aktenzeichen L 2 V 60/01)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 5. gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 5. hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Zulassungsausschuss entzog dem als Vertragszahnarzt tätigen Kläger mit Beschluss vom 21. Juni 2000/Bescheid vom 6. Juli 2000 die Zulassung. Der Bescheid enthält unter der Überschrift „Rechtsbehelfsbelehrung” ua folgenden Text:

„Gegen diesen Beschluss können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch beim Berufungsausschuß erheben.

Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Berufungsausschusses für Zahnärzte – Zulassungsbezirk Schleswig-Holstein – in 24106 Kiel, Westring 498 einzulegen und zu begründen. Er muss den Beschluß bezeichnen, gegen den er sich richtet.”

Am 4. August 2000 legte der anwaltliche Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein, begehrte Akteneinsicht und kündigte eine gesonderte schriftsätzliche Begründung an. Nach Aktenübersendung teilte der beklagte Berufungsausschuss dem Bevollmächtigten Ende September 2000 mit, dass hinreichend Zeit für die Begründung gewährt worden sei, sodass terminiert werde. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2000 machte der Bevollmächtigte dann für den Kläger Ausführungen zur Sache. Mit Beschluss/Bescheid vom 2./3. November 2000 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, da er nicht innerhalb der Widerspruchsfrist des § 44 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV) begründet worden sei.

Während die Klage in erster Instanz erfolglos geblieben ist, hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung des Klägers hin entschieden, dass der Widerspruch nicht habe verworfen werden dürfen: Die Monatsfrist des § 84 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) habe nicht zu laufen begonnen, da die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig gewesen sei. Für einen mit der Sach- und Rechtslage nicht vertrauten Leser werde nicht zweifelsfrei klar, dass sich die Monatsfrist auch auf die Begründung beziehe. Sähen Spezialnormen bei den Formerfordernissen für Rechtsbehelfe Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen vor, sei eine Belehrung nur dann richtig, wenn gerade diese Abweichung deutlich werde. Ein weiterer Fehler liege darin, dass es heiße, der Widerspruch sei „zu begründen”, während § 44 Satz 1 Zahnärzte-ZV davon spreche, er sei „mit Angabe von Gründen” einzulegen. Die Gründe müssten nicht sogleich alles enthalten, was der Widerspruchsführer vorbringen wolle; vielmehr könne er außerhalb der Monatsfrist noch weitere Gründe geltend machen (Urteil vom 18. Dezember 2002).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil richtet sich die Beschwerde der zu 5. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt die Abweichung des LSG von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Der Text der Rechtsbehelfsbelehrung weiche nur unwesentlich vom Gesetzestext ab und sei bei einem anwaltlichen Empfänger, der als Spezialist für „Arzneimittel- und Medizinrecht” auftrete, ausreichend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 5. ist unbegründet. Entgegen ihrer Auffassung kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung wegen Abweichung des LSG-Urteils von der Rechtsprechung des BSG (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) liegen ebenfalls nicht vor.

Für die Bejahung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist es erforderlich, dass eine konkrete, in klarer Formulierung bezeichnete Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Selbst wenn man annimmt, dass der Vortrag der Beigeladenen zu 5. den auf diesen Revisionszulassungsgrund bezogenen Darlegungsanforderungen iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügt (vgl insoweit zB BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14, und BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN), kann er der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Die Beantwortung der von der Beschwerdeführerin ausdrücklich bzw im Kern sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfragen ergibt sich nämlich – soweit sie entscheidungserheblich sind – ohne Weiteres, dh, auch ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, aus den vom LSG herangezogenen Bestimmungen selbst und einschlägiger Judikatur. An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn die zutreffende Beantwortung der Frage nach dem Inhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften bzw dazu bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegen kann (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38). So verhält es sich hier.

Zu der Frage, „ob die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat nur dann in Gang gesetzt wird, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung Wort für Wort mit dem Gesetzestext in Einklang steht”, führt die Beigeladene zu 5. bereits selbst (S 5 unten der Beschwerdebegründung) aus, dass dies „nur mit einem eindeutigen Nein” beantwortet werden kann. Dabei bleibt unklar, weshalb diese Rechtsfrage entscheidungserheblich sein sollte, dh im konkreten Rechtsstreit zu einem anderen als dem vom LSG verkündeten Urteilstenor führen könnte. Auch soweit die Beigeladene zu 5. formuliert, es gehe darum, „ob es bei Beantwortung der aufgeworfenen Frage auf den Empfängerhorizont des Klägers persönlich oder seines Verfahrensbevollmächtigen ankommt”, sind – isoliert betrachtet – Auswirkungen der Antwort auf den konkreten Ausgang des Rechtsstreits nicht zu erkennen. Entscheidungserhebliche Bedeutung erlangt die Beschwerdebegründung lediglich, wenn man ihr – unter ergänzender Würdigung des Schriftsatzes vom 24. April 2003 – zu Gunsten der Beigeladenen sinngemäß das Fragesubstrat entnimmt, ob die dem Rechtsstreit zu Grunde liegende Rechtsbehelfsbelehrung unter Berücksichtigung des Horizonts eines (anwaltlich vertretenen) Adressaten den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung genügt und die Monatsfrist des § 44 Zahnärzte-ZV in Gang setzt (was das LSG verneint hat) bzw iS von § 66 Abs 2 SGG nicht „unrichtig” ist. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es indessen keines Revisionsverfahrens. Es kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die vom Zulassungsausschuss gewählte, in ähnlicher Form auch anderweit verwendete Rechtsmittelbelehrung unrichtig ist und dass es für die eintretenden Rechtsfolgen allein auf deren Unrichtigkeit als solche ankommt.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 44 Satz 1 Zahnärzte-ZV mit Rücksicht auf den gemäß § 97 Abs 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) anzuwendenden § 84 Abs 1 SGG dahin auszulegen, dass der Widerspruch „binnen eines Monats mit Angabe von Gründen einzulegen” ist, dh, dass „binnen dieser Monatsfrist auch Gründe anzugeben sind” (BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 5 ≪zum wortgleichen § 44 Ärzte-ZV≫). Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss dieses von den allgemeinen Regelungen über das Widerspruchsverfahren abweichende Erfordernis in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringen. Die Belehrung behandelt dagegen in einem Absatz die Erhebung des Widerspruchs „innerhalb eines Monats nach Zustellung”, geht dann – im Schriftbild durch einen gesonderten Absatz hervorgehoben – gesondert auf die Form „schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle”) und die zuständige Stelle „Berufungsausschusses für Zahnärzte”) ein und führt erst in diesem Zusammenhang mit an, der Widerspruch sei „zu begründen”. Damit fehlt aber der hinreichend klare Hinweis auf die gerade hier bestehende atypische Besonderheit, dass nämlich auch die Angabe von Gründen untrennbar mit der Einhaltung der Widerspruchsfrist verknüpft ist. Nach der Funktion einer Rechtsbehelfsbelehrung ist es dabei allgemein ohne Belang, wer konkret Adressat des Bescheides ist. Zu § 66 Abs 2 SGG (und entsprechenden Vorschriften in der Verwaltungsgerichtsordnung und der Finanzgerichtsordnung) ist nämlich durchweg anerkannt, dass die gesetzlich vorgesehenen Folgen einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung selbst dann eintreten, wenn der Adressat – zB auf Grund eigener Sachkunde – die Unrichtigkeit erkannt hat (so schon BSGE 1, 254, 255 f; BVerwGE 57, 188, 191; BFHE 149, 120, 121; vgl zB Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 66 RdNr 12a mwN; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl 2000, § 54 RdNr 15 mwN; Gräber, FGO, 8. Aufl 2002, § 55 RdNr 27).

Mit einer darüber hinaus von der Beigeladenen zu 5. als Revisionszulassungsgrund geltend gemachten Abweichung des LSG vom Urteil des BSG vom 9. Juni 1999 (SozR 3-5520 § 44 Nr 1) kann sie ebenfalls nicht durchdringen; denn die angegriffene Entscheidung kann ersichtlich nicht auf einer solchen Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG „beruhen”. Da das LSG sein Urteil zu § 44 Zahnärzte-ZV auf zwei es selbstständig tragende Begründungen gestützt hat, könnte die Beschwerde insoweit nur erfolgreich sein, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorläge (vgl zB BSG, Beschlüsse vom 13. November 2002 – B 6 KA 47/02 B – und vom 11. Dezember 2002 – B 6 KA 18/02 B –; s auch – mit weiteren Rspr-Angaben – Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, Kapitel IX RdNr 51, 69, 188). Da indessen – wie ausgeführt – schon die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung hinsichtlich der ersten Begründung fehlen, kann dahin stehen, ob das LSG mit seiner einen anderen rechtlichen Gesichtspunkt ansprechenden Argumentation von der BSG-Rechtsprechung abgewichen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes am 2. Januar 2002 geltenden, hier noch anzuwendenden Fassung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176683

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