Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Krankenversicherung. Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder. hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger. Mindestbemessungsgrundlage. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Zulassungsgrund der Divergenz liegt nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B = SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

2. Zur Verfassungsmäßigkeit der Beitragserhebung bei freiwillig versicherten Selbständigen nach der jeweils geltenden Mindestbemessungsgrundlage.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB V § 240 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 02.06.2022; Aktenzeichen L 8 KR 129/20)

SG Kassel (Urteil vom 26.02.2020; Aktenzeichen S 2 KR 618/17)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Juni 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt S beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) aufgrund der freiwilligen Versicherung des Klägers.

Die zu 1. beklagte Krankenkasse stellte - auch im Namen der zu 2. beklagten Pflegekasse - fest, dass der Kläger ab 1.11.2016 als Selbstständiger bei ihr freiwillig versichert sei und bestimmte zugleich Beiträge nach der jeweils geltenden Mindestbemessungsgrundlage für hauptberuflich Selbstständige bis 31.12.2018 30/60, ab 1.1.2019 30/90 der monatlichen Bezugsgröße (Bescheid vom 11.4.2017, Widerspruchsbescheid vom 2.11.2017 und weitere Folgebescheide). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.2.2020). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und die Klage gegen weitere im Berufungsverfahren erlassene Beitragsbescheide abgewiesen. Die Mindestbemessungsgrundlage verstoße nicht gegen die Verfassung. Der Gesetzgeber habe bei den freiwillig Versicherten anders als bei den Pflichtversicherten im Interesse der Funktionsfähigkeit der Krankenversicherung verfassungsgemäß nicht darauf verzichtet, Beiträge in einer Mindesthöhe zu erheben und damit eine gewisse Beitrags- und Leistungsäquivalenz herzustellen. Sofern diese Beitragslast bei Selbstständigen zur Hilfebedürftigkeit nach Maßgabe des SGB II führe, sehe dieses Buch entlastende Maßnahmen vor. Das Existenzminimum sei damit gesichert. Soweit der Kläger Leistungen nach dem SGB II nicht in Anspruch nehmen wolle, führe dies nicht zur Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung nach den gesetzlichen Regelungen. Dies gelte umso mehr angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber die Mindestbemessungsgrundlage der Beitragserhebung bei freiwillig versicherten Selbstständigen zum 1.1.2019 gegenüber der Vorregelung auf ein Drittel der monatlichen Bezugsgröße abgesenkt habe (Urteil vom 2.6.2022).

Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und beantragt hierfür die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Rechtsanwalts.

II. 1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das ist hier nicht der Fall. Denn die Rechtsverfolgung des Klägers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (siehe zu 2.). Deshalb kommt auch die Beiordnung von Rechtsanwalt S nicht in Betracht (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

2. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

a) Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Der Kläger rügt, dass "die vom Landessozialgericht getroffenen Rechtssätze, auf denen das Urteil beruht," im Widerspruch zu den vom BSG aufgestellten Grundsätzen zur Beitragserhebung iS des § 240 SGB V nach der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten stünden. Insoweit bezieht er sich auf verschiedene Entscheidungen des BSG (Urteil vom 15.8.2018 - B 12 R 5/17 R, juris; Urteil vom 19.12.2012 - B 12 KR 20/11 R - BSGE 113, 1 = SozR 4-2500 § 240 Nr 17; Urteil vom 28.6.2022 - B 12 KR 11/20 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 38, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; Urteil vom 24.11.2020 - B 12 KR 31/19 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 37; Urteil vom 22.3.2006 - B 12 KR 14/05 R - BSGE 96, 119 = SozR 4-2500 § 240 Nr 5), die er entweder rudimentär zusammenfasst oder auszugsweise zitiert. Aus dieser Art der Darstellung ergeben sich schon keine klar bestimmbaren entscheidungserheblichen höchstrichterlichen Rechtssätze. Zudem wird zum Hintergrund und der Vergleichbarkeit der Entscheidungen mit dem vorliegenden Fall nichts ausgeführt. Der Kläger stellt seiner Auflistung insbesondere auch keinen bestimmten oder bestimmbaren Rechtssatz des LSG gegenüber. Er rügt vielmehr die Beitragsfestsetzung als unrechtmäßig, weil seine aus dem Einkommensteuerbescheid ersichtlichen Einkünfte tatsächlich deutlich unter dem Mindestberechnungsbetrag lägen. Auf diese Weise arbeitet der Kläger nicht - wie erforderlich - einen abstrakten tragenden Rechtssatz des LSG heraus, der einem solchen in den genannten Entscheidungen des BSG widersprechen würde. Er wendet sich vielmehr im Kern gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Für eine Divergenzrüge reicht aber die Rüge, das LSG habe fehlerhaft das Recht angewendet und eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall missverstanden oder übersehen, nicht aus (vgl BSG Beschluss vom 1.10.2019 - B 13 R 105/19 B - juris RdNr 8 mwN). Mit der Behauptung, das Urteil des LSG sei inhaltlich rechtsfehlerhaft, lässt sich die Zulassung der Revision nicht erreichen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 12 R 59/18 B - juris RdNr 14).

b) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger stellt die Fragen,

"-≫ warum hier ein Mindesteinkommen fiktiv als Rechnungsgröße angesetzt wird. Obgleich im gesamten SGB Il- und SGB-XIl-Bereich jeweils ein fiktives Einkommen nicht zu berücksichtigen wäre und

-≫ der Kläger faktisch - und gegen seinen erklärten Willen - gezwungen wird, sich in den Rechtsbereich des SGB-Il bzw. SGB-XIl zu begeben und er anderenfalls sich in die konkrete Gefahr der Ver- und Überschuldung begibt, er aber lediglich dem Staat nicht finanziell zur Last liegen möchte, sowie

-≫ hier die konkrete Ungleichbehandlung zwischen der privaten und der gesetzlichen Pflicht-, als auch freiwilligen Versicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre."

Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung liege darin, dass bei der freiwilligen Krankenversicherung im Unterschied zur Pflichtversicherung in der GKV nicht nur das Arbeitsentgelt als Einkommen, sondern generell alle Einnahmen wie zB Kapitaleinnahmen und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bis zur Beitragsbemessungsgrenze gezählt würden. Ein tatsächlich und nachgewiesen nicht vorhandenes (Erwerbs-)einkommen könne nicht für den Lebensunterhalt verbraucht werden und begründe oder erhöhe mithin die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit iS des § 240 SGB V nicht.

Der Kläger hat damit schon keine abstrakt-generellen Rechtsfragen zur Auslegung oder Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

Unabhängig davon ist die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Denn es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur geklärt, dass es dem die GKV beherrschenden Solidaritätsprinzip entspricht, die Versicherten grundsätzlich nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu Beiträgen heranzuziehen (vgl zB BVerfG Beschluss vom 6.12.1988 - 2 BvL 18/84 - BVerfGE 79, 223 = SozR 2200 § 180 Nr 46), sondern auch, dass die Heranziehung freiwilliger Mitglieder zu Mindestbeiträgen grundsätzlich rechtmäßig ist (vgl ua BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4.12.2002 - 1 BvR 527/98 - SozR 3-3300 § 57 Nr 3 = juris RdNr 12; BSG Urteil vom 7.11.1991 - 12 RK 37/90 - BSGE 70, 13 = SozR 3-2500 § 240 Nr 6 = juris RdNr 23 ff). Insbesondere hat der Senat wiederholt entschieden, dass die beitragsrechtliche Ungleichbehandlung von Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten verfassungsgemäß ist (BSG Urteil vom 10.10.2017 - B 12 KR 16/16 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 32 RdNr 24; BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 12 KR 6/15 R - SozR 4-2500 § 224 Nr 2 RdNr 29 mwN; BSG Urteil vom 27.1.2010 - B 12 KR 28/08 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 13 RdNr 18; BSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 KR 99/17 B - juris RdNr 8). Er hat insoweit darauf hingewiesen, dass das Gesetz typisierend von einer geringeren Schutzbedürftigkeit der freiwillig versicherten Mitglieder im Vergleich zu Pflichtversicherten ausgehe (vgl zB BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 12 KR 6/15 R - SozR 4-2500 § 224 Nr 2 RdNr 29 mwN) und ihnen im Hinblick auf diesen sachlichen Grund einen adäquaten Beitrag für den Krankenversicherungsschutz selbst dann abverlangen dürfe, wenn sie nur ein geringes oder überhaupt kein Einkommen hätten (vgl zB BSG Urteil vom 18.2.1997 - 1 RR 1/94 - SozR 3-2500 § 240 Nr 29 - juris RdNr 14). Aufgrund der geringeren Schutzbedürftigkeit der freiwilligen Mitglieder solle deren Krankenversicherung von den Pflichtversicherten möglichst nicht mitfinanziert werden (vgl BSG - aaO - juris RdNr 21). Soweit der Kläger den Bezug von Leistungen nach dem SGB II anspricht, haben diese ersichtlich die vom SGB V zu unterscheidende Aufgabe, das Existenzminimum zu gewährleisten. Eine zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit erforderliche substantiierte Auseinandersetzung mit der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie den Unterschieden und Zielsetzungen des SGB V und SGB II unterbleibt in der Beschwerdebegründung.

c) Soweit der Kläger rügt, es sei nicht geklärt worden, ob er haupt- oder nebenberuflich tätig sei, bezeichnet er keinen zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensmangel. Für eine zulässige Aufklärungsrüge (Verletzung des § 103 SGG) bedürfte es nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Angabe eines bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags. Schon daran fehlt es.

d) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Heinz Beck Bergner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15581787

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