Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Gewährleistung des rechtlichen Gehörs. Fragerecht der Beteiligten an den Sachverständigen. Darlegung. objektive Sachdienlichkeit der aufgeworfenen Fragen. hinreichende Bezeichnung der erläuterungsbedürftigen Punkte

 

Orientierungssatz

Um die Verletzung des Fragerechts ordnungsgemäß zu rügen, muss ein Beteiligter darlegen, dass er die nach seiner Ansicht erläuterungsbedürftigen Punkte dem Gericht rechtzeitig schriftlich mitgeteilt hat, dass die aufgeworfenen Fragen objektiv sachdienlich sind und dass er das Begehren bis zuletzt aufrecht erhalten hat. Die erläuterungsbedürftigen Punkte, zB Lücken oder Widersprüche, müssen hinreichend konkret bezeichnet werden.

 

Normenkette

GG Art. 103; SGG §§ 62, 116 S. 2, § 118 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 397, 402, 411 Abs. 4; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

SG Hannover (Urteil vom 15.11.2019; Aktenzeichen S 36 U 208/16)

LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 21.07.2021; Aktenzeichen L 6/3 U 174/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. Im Wege eines Überprüfungsverfahrens ist strittig, ob bei der Klägerin weitere Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet festzustellen sind.

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des ablehnenden Ausgangs- und Widerspruchsbescheides ab. Das SG hat von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt und die Klage sodann auf der Grundlage von Sachverständigengutachten aus dem vorangegangenen Klageverfahren abgewiesen (Urteil vom 15.11.2019). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom 21.7.2021).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG rügt die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und das Vorliegen von Verfahrensmängeln.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit, also Entscheidungserheblichkeit, sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, sog Breitenwirkung, darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 2 U 197/21 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN). Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Sie versäumt es bereits, den vom LSG festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG) und die maßgebliche Verfahrensgeschichte darzustellen, obwohl eine verständliche Sachverhaltsschilderung zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge gehört (stRspr; zB BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 167/21 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 6 mwN). Hierfür genügt der bruchstückhafte Vortrag der Klägerin nicht.

Auch im Übrigen erfüllt die Beschwerdebegründung die Voraussetzungen einer zulässigen Grundsatzrüge nicht. Sie bezeichnet zum einen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage. Die Klägerin hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam,

"ob der mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffene Beschluss eines Landessozialgerichtes, das seine Entscheidung nicht auf das einzige im laufenden Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten mit neuesten medizinischen Erkenntnissen abstellt, sondern auf konträre Gutachten aus vorrangegangenem 'Altverfahren' ohne weitere Nachprüfung stützt, seine Verpflichtung nach § 103 SGG verletzt".

Damit hat die Klägerin keine hinreichend bestimmte abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) dargelegt. Nicht ausreichend sind Fragestellungen, deren Beantwortung - wie vorliegend - von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt; denn im Kern zielen Rechtsfragen iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG auf die Entwicklung abstrakter Rechtssätze durch das BSG ab (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 86, Stand 15.6.2022; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 2. Aufl 2021, § 160 RdNr 28, § 160a RdNr 55).

Unabhängig davon hat die Klägerin zum anderen die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar in der konkreten Fallgestaltung noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber bereits eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl zB BSG Beschluss vom 12.5.2022 - B 2 U 170/21 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 8; BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 = juris RdNr 7). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG sowie ggf der einschlägigen Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (stRspr; zB BSG Beschluss vom 12.5.2022 - B 2 U 170/21 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 23.4.2021 - B 13 R 67/20 B - juris RdNr 7 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie enthält keinen Vortrag zu der umfassend vorhandenen Rechtsprechung, die sich generell mit der Verpflichtung zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) und den Maßstäben der Beweiswürdigung (§ 128 SGG) im sozialgerichtlichen Verfahren befasst. Im Besonderen hätte die Beschwerdebegründung auf vorhandene Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Gutachten aus anderen Verfahren nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411a ZPO oder im Wege des Urkundenbeweises näher eingehen müssen.

Schließlich enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Darlegung zur (konkreten) Klärungsfähigkeit, dh zur Entscheidungserheblichkeit der benannten Rechtsfrage in dem Sinne, dass ihre Klärung im Revisionsverfahren erwartet werden kann. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt werden, dass es für die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt. Der Vortrag, es wäre zumindest nicht auszuschließen, dass die Entscheidung des LSG zugunsten der Klägerin ausgefallen wäre, wenn es der von der Klägerin angenommenen Verpflichtung aus § 103 SGG, den Sachverständigen anzuhören oder ein weiteres Gutachten einzuholen, nachgekommen wäre, enthält nicht einmal die Behauptung einer Entscheidungserheblichkeit (BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 9). Bereits mangels Darstellung des vom LSG verbindlich (§ 163 SGG) festgestellten Sachverhalts kann der Beschwerdebegründung auch nicht sinngemäß eine Entscheidungserheblichkeit entnommen werden (zB BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 13 R 3/20 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 21.6.2016 - B 9 V 18/16 B - juris RdNr 14 mwN).

Die benannte Frage zielt dagegen auf die durch die Vorinstanzen im konkreten Einzelfall erfolgte Amtsermittlung nach § 103 SGG sowie auf die vorgenommene Beweiswürdigung iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ab. Es ist indes unzulässig, Verfahrensrügen in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden, wenn dadurch die Voraussetzungen für einen Verfahrensmangel umgangen werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 12 mwN; BSG Beschluss vom 28.12.2010 - B 13 R 320/10 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7; BSG Beschluss vom 5.2.1980 - 2 BU 31/79 - juris RdNr 6). Die Rüge, das Gericht habe seine Entscheidung auf Gutachten aus "Altverfahren" gestützt, richtet sich gegen die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht angreifbare Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) im konkreten Verfahren (BSG Beschluss vom 13.7.2010 - B 9 VH 1/10 B - juris RdNr 6; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 2. Aufl 2021, § 160 RdNr 64; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 17c). Die in der angegebenen Frage weiter enthaltene Rüge, das LSG habe deshalb neue Ermittlungen unterlassen, richtet sich gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG), deren Verletzung der Kläger allerdings nicht ordnungsgemäß dargetan hat (dazu unter 2.).

2. Die Klägerin hat die sinngemäß gerügte Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) und die ausdrücklich gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG), insbesondere in Gestalt des Fragerechts (§§ 116 Satz 2, 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402 und 411 Abs 4 ZPO) nicht hinreichend bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Auf eine Verletzung des § 103 SGG kann eine Verfahrensrüge - wie unter 1. ausgeführt - zudem nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie enthält bereits keine geordnete und hinreichende Darstellung des entscheidungserheblichen festgestellten (§ 163 SGG) Sachverhaltes und Streitgegenstandes. Unabhängig davon genügt sie aber auch den weiteren Anforderungen einer Verfahrensrüge nicht.

a) Die Klägerin trägt in verschiedenen Passagen ihrer Begründung wiederholt vor, dass das LSG kein weiteres Gutachten eingeholt habe, obwohl sie erstmalig im Berufungsverfahren neue Befunde habe vorlegen können, zu denen keiner der bisherigen Gutachter habe Stellung nehmen können. Zumindest sinngemäß kann diesem Vorbringen noch die Rüge eines Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) entnommen werden. Diese erfordert, dass die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnet, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergibt, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigt, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angibt und (5.) erläutert, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.

Es wird bereits kein formeller Beweisantrag bezeichnet, der den Erfordernissen des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO genügt. Mit ihrem Hinweis auf weiteren Aufklärungs- und Ermittlungsbedarf zuletzt im zitierten Schriftsatz vom 23.6.2021 hat die Klägerin jedoch weder ein konkretes Beweisthema benannt (die "zu begutachtenden Punkte", § 403 ZPO) noch das voraussichtliche Ergebnis der Begutachtung oder einen geeigneten Sachverständigen seiner medizinischen Ausrichtung nach (zB BSG Beschluss vom 25.11.2020 - B 6 KA 6/20 B - juris RdNr 21 mwN; BSG Beschluss vom 26.11.2019 - B 13 R 159/18 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.11.1981 - 4 BJ 87/81 - SozR 1500 § 160 Nr 45 S 45 = juris RdNr 6; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 2. Aufl 2021, § 160 RdNr 73). Allenfalls bezeichnet die Beschwerdebegründung insoweit eine im Hinblick auf die Sachaufklärungsrüge irrelevante Beweisanregung (dazu zB BSG Beschluss vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN).

Ferner zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, warum das LSG sich aus seiner sachlich-rechtlichen Sicht heraus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2). Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind. Vor diesem Hintergrund besteht eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten nur dann, wenn vorhandene Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG Beschluss vom 10.5.2022 - B 2 U 134/21 B; BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9). Zu dem maßgeblichen sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Vortrag. Nicht maßgeblich ist, dass die Klägerin aus ihrer Sicht weiteren Aufklärungsbedarf annimmt.

b) Schließlich zeigt die Klägerin keine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) dadurch auf, dass das LSG ihrem Antrag zur Anhörung des Sachverständigen aus erster Instanz zu seinem vor dem SG erstatteten Gutachten zu Unrecht nicht gefolgt ist.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass - zur Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 Satz 1 SGG) - unabhängig von der nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Das Fragerecht soll dem Antragsteller erlauben, im Rahmen des Beweisthemas aus seiner Sicht unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen eines Sachverständigen zu hinterfragen, um auf das Verfahren Einfluss nehmen und die Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung verstehen zu können (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.6.2021 - B 13 R 289/20 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10 mwN). Insofern steht beim Fragerecht nach § 116 Satz 2 SGG ein anderes Ziel im Vordergrund als bei der - grundsätzlich im Ermessen des Gerichts stehenden - Rückfrage an den Sachverständigen nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO, die in erster Linie der Sachaufklärung dient (BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10 mwN). Um die Verletzung des Fragerechts ordnungsgemäß zu rügen, muss ein Beteiligter darlegen, dass er die nach seiner Ansicht erläuterungsbedürftigen Punkte dem Gericht rechtzeitig schriftlich mitgeteilt hat, dass die aufgeworfenen Fragen objektiv sachdienlich sind und dass er das Begehren bis zuletzt aufrecht erhalten hat. Die erläuterungsbedürftigen Punkte, zB Lücken oder Widersprüche, müssen hinreichend konkret bezeichnet werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.12.2019 - B 13 R 164/18 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 mwN). Hieran fehlt es.

Die Beschwerdebegründung enthält - trotz gegenläufiger Behauptung - keine Angabe von Fragen oder einer zumindest hinreichend konkreten Umschreibung erläuterungsbedürftiger Punkte aus dem erstatteten Gutachten. Dem auszugsweise wiedergegebenen Schriftsatz an das LSG lässt sich über die bloße Anregung einer Befragung des Sachverständigen und die Bekräftigung dessen Ergebnisses hinaus kein substantiiertes Vorbringen zu noch erläuterungsbedürftigen Punkten entnehmen. Dies ist zwingend erforderlich, um beurteilen zu können, ob und inwieweit die (angekündigten) Fragen oder Punkte auch objektiv sachdienlich (§ 116 Satz 2 SGG) sind (stRspr; zB BSG Beschluss vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Beschluss vom 11.12.2019 - B 13 R 164/18 B - juris RdNr 9). Fehlen insoweit bereits ausreichende Angaben, bedarf es keiner weiteren Darlegung, ob und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise ein Anspruch auf (weitere) Befragung des in der Vorinstanz beauftragten Sachverständigen besteht (dazu BSG Beschluss vom 12.4.2005 - B 2 U 222/04 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 6 = juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B - juris RdNr 6 f mwN; BSG Beschluss vom 5.5.1998 - B 2 U 305/97 B - juris RdNr 3 mwN).

Soweit die Klägerin einen Anspruch auf Befragung des vor dem SG gehörten Sachverständigen im Berufungsverfahren darauf stützt, dass das SG nicht vorab zu erkennen gegeben habe, dass es dem für sie günstigen Gutachten nicht folgen werde, kann dies ebenfalls keinen im Berufungsverfahren fortwirkenden Gehörsverstoß begründen. Es besteht keine allgemeine Verpflichtung der Tatsacheninstanzen, die Beteiligten vor Erlass der Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit ihnen zu erörtern. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtauffassungen nicht zu rechnen brauchte, und es sich daher um eine Überraschungsentscheidung handelt (vgl BSG Beschluss vom 3.3.2022 - B 9 V 37/21 B - juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 1.6.2017 - B 10 EG 17/16 B - juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 21.6.2000 - B 5 RJ 24/00 B - SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 f = juris RdNr 4 f; BSG Beschluss vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3 = juris RdNr 10; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - juris RdNr 21, 28). Die Beschwerdebegründung lässt indes nicht erkennen, wieso der Prozessbevollmächtigte annehmen durfte, das Gericht werde sich nur auf ein der Klägerin positives Gutachten stützen.

Mit ihrem Vortrag, den Sachverständigen des SG zu neu bekannt gewordenen Befunden aus den Verwaltungsakten zu befragen, bezeichnet die Klägerin schließlich auch nicht sinngemäß eine pflichtwidrig unterlassene Anordnung einer Ergänzung des vorhandenen Gutachtens (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO). Die Entscheidung hierüber liegt im Ermessen des Gerichts. Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels hätte deshalb es der Darlegung einer Ermessensreduzierung und Verpflichtung des LSG zur Ladung des Sachverständigen bzw zur Anordnung einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens bedurft (BSG Beschluss vom 18.6.2018 - B 9 V 1/18 B - juris RdNr 16). Hieran mangelt es, wie schon zur Sachaufklärungsrüge ausgeführt.

3. Dass die Klägerin die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, geht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 2 U 197/21 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10 = juris RdNr 2).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Roos Karmanski Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15459503

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