Leitsatz (amtlich)

1. Zur Zulässigkeit einer auf SGG § 160 Abs 1 Nr 3 gestützten Nichtzulassungsbeschwerde gehört, daß der Beschwerdeführer den Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist, so genau bezeichnet, daß er für das BSG ohne weiteres auffindbar ist und daß er einen Sachverhalt darlegt, der möglicherweise einen nach dieser Vorschrift in Betracht kommenden Verfahrensmangel ergeben könnte.

2. Zur Begründetheit einer auf SGG § 160 Abs 1 Nr 3 iVm SGG § 103 gestützten Nichtzulassungsbeschwerde gehört es, daß das LSG seine Amtsermittlungspflicht nach SGG § 103 dadurch verletzt hat, daß es eine Beweiserhebung, die der Beschwerdeführer beantragt hat, nicht durchgeführt hat; das ist dann der Fall, wenn das LSG sich aus seiner Sicht hätte gedrängt fühlen müssen, diesen Beweis zu erheben.

3. Bei der Prüfung, ob das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den vom Beschwerdeführer beantragten Beweis zu erheben, muß das BSG im Rahmen des SGG § 160 Abs 1 Nr 3 davon ausgehen, daß das LSG bei der bisher schon vorgenommenen Würdigung einschlägiger Beweise die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung nicht verletzt hat.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs. 2 Fassung: 1970-07-30, § 103 Fassung: 1974-07-30

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig (§ 160 a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist frist- und formgerecht eingereicht und, auf eine Verletzung des § 103 SGG gestützt, begründet worden. Der Beschwerdeführer bezieht sich auf einen im Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) gestellten Beweisantrag, dem das LSG ohne Begründung nicht entsprochen habe. Aus seinem Vorbringen ergibt sich eine hinreichende Kennzeichnung dieses Beweisantrages; denn die Beschwerdebegründung gibt den Beweisantrag inhaltlich wieder und verweist auf die Entscheidungsgründe des Urteils des LSG, in welchem der gestellte Antrag ebenso wie in der Niederschrift über die letzte mündliche Verhandlung wiedergegeben worden ist. Somit ist der Beweisantrag, auf den sich der Beschwerdeführer beziehen will, für das angerufene Gericht ohne weiteres auffindbar. Der Beschwerdeführer trägt weiter vor, das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung des § 103 SGG, da das LSG entsprechend seinem Beweisantrag noch ein weiteres ärztliches Gutachten über die ihm verbliebene Leistungsfähigkeit hätte einholen müssen. Damit hat der Beschwerdeführer einen Sachverhalt dargelegt, der möglicherweise einen Verfahrensmangel nach § 103 SGG i. V. m. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ergeben könnte.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 erster Halbsatz SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Hiervon hat der Gesetzgeber in dem 2. Halbsatz dieser Vorschrift allerdings einige Ausnahmen gemacht. Nicht alle Verfahrensmängel können zur Zulassung führen; so sind Verletzungen der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 SGG ausdrücklich ausgeschlossen. Auf eine Verletzung des § 103 SGG kann das Zulassungsbegehren zwar gestützt werden, jedoch ist dies insofern eingeschränkt, als diese Möglichkeit nur besteht, wenn sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf einen vom Kläger vor dem LSG gestellten Beweisantrag bezieht, dem das LSG nicht gefolgt ist. Hierin muß der Verstoß gegen den § 103 SGG, d. h. die Verletzung der Amtsermittlungspflicht liegen. Allerdings wird in § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch zusätzlich gefordert, daß das LSG dem Beweisantrag "ohne hinreichende Begründung" nicht gefolgt ist. Der Gesetzgeber wollte damit ausschließen, daß allein die Tatsache, daß das LSG dem Beweisantrag nicht stattgegeben hat, die Zulassung der Revision zur Folge haben müßte: Es sollte m. a. W. verhindert werden, daß - wie etwa im Zivilprozeß - schon die Nichterhebung eines beantragten Beweises grundsätzlich fehlerhaft wäre. Der Wortlaut dieses Zusatzes für sich allein erweckt allerdings Zweifel. Wenn man allein dem Wortlaut folgen würde, spreche manches für die Annahme, daß die Zulassung der Revision durch das Bundessozialgericht (BSG) davon abhängig sein solle, ob das LSG die Nichtstattgabe des Beweisantrages hinreichend begründet oder nicht hinreichend begründet hat. Das aber würde offensichtlich der Entstehungsgeschichte, der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG widersprechen. Denn § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG will erkennbar die Revisionszulassung nur davon abhängig machen, ob das Verfahren des LSG an einem Mangel leidet. Daran ändert der Umstand nichts, daß der Gesetzgeber Verletzungen zweier Verfahrensvorschriften - § 109 und § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG - ausschließt. Ebensowenig kann daran aber auch etwas ändern, daß das Gesetz die Verletzung des § 103 SGG insofern einschränkt, als es der Verletzung dieser Vorschrift nur insoweit Bedeutung zumißt, als ein beantragter Beweis nicht erhoben worden ist. Würde man diesen Zusatz allein nach seinem Wortlaut auslegen, so würde die Revision nicht davon abhängen, ob das LSG seine Amtsermittlungspflicht in den in dieser Vorschrift gezogenen Grenzen verletzt oder nicht verletzt hat, sondern davon, ob das LSG die Unterlassung der beantragten Beweiserhebung hinreichend begründet oder nicht hinreichend begründet hat. Es wäre unerfindlich, warum der Gesetzgeber abweichend von allen anderen von § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG erfaßten Fällen allein in diesem einzigen Fall nicht auf die Verletzung des § 103 SGG, sondern auf die Art der Begründung der Ablehnung des Beweisantrages durch das LSG abstellen wollte. Hinzu kommt, daß dann, wenn man dies anders sehen würde, die Revision immer zugelassen werden müßte, wenn das LSG keine hinreichende Begründung gegeben hat, sei es etwa, daß es überhaupt keine Begründung gegeben hat oder daß die gegebene Begründung lückenhaft oder widersprüchlich wäre oder daß sie nur aus Leerformeln bestünde oder daß sie nicht überzeugend wäre, und zwar selbst dann, wenn ein Verfahrensmangel überhaupt nicht vorliegt. Dies würde zur Folge haben, daß in bestimmten Fällen die Revision zugelassen werden müßte, dann aber die anschließend eingelegte Revision unter Umständen nicht begründet wäre, weil insoweit § 103 SGG nicht verletzt ist. Auch dies kann der Gesetzgeber nach der Entstehungsgeschichte, der Systematik und dem Sinn und Zweck des § 160 SGG nicht gewollt haben. Aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift ergibt sich, daß der Gesetzgeber zwar die Verletzung des § 103 SGG - anders als die der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 SGG - nicht völlig ausschließen, aber doch einschränken wollte, daß er aber nicht anstelle der Verletzung des § 103 SGG einen anderen Tatbestand, nämlich den der hinreichenden oder nicht hinreichenden Begründung der Nichtstattgabe des Beweisantrages durch das LSG setzen wollte. Nach alledem ist dieser Zusatz in § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG so auszulegen, daß die Revision (nur) zuzulassen ist, wenn das LSG dem Beweisantrag ohne hinreichenden Grund nicht stattgegeben hat. Es kommt also nicht darauf an, ob die Ablehnung des Beweisantrages hinreichend begründet worden ist, sondern darauf, ob die Ablehnung hinreichend begründet ist. Ohne "hinreichenden" Grund bedeutet in diesem Zusammenhang, ohne einen Grund, der hinreichend für die Annahme ist, daß das LSG sich nicht hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben. Die Revision ist also nur zuzulassen, wenn feststeht, daß das LSG dadurch, daß es einen beantragten Beweis nicht erhoben hat, § 103 SGG verletzt hat, weil es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben.

Im vorliegenden Fall ist den Urteilsgründen zu entnehmen, daß das LSG dem Antrag auf Einholung eines weiteren ärztlichen Gutachtens nicht entsprochen hat, weil es den Sachverhalt aufgrund der schon vorliegenden ärztlichen Gutachten für genügend geklärt angesehen hat, es m. a. W. bereits aufgrund der vorliegenden Gutachten davon überzeugt war, daß der Kläger die tatsächlichen Voraussetzungen der Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit nicht erfüllt. Das LSG brauchte sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht gedrängt zu fühlen, diesem Antrag zu folgen, so daß § 103 SGG im Sinne des § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht verletzt ist. Die Rüge des Beschwerdeführers, das LSG habe sich deshalb gedrängt fühlen müssen, den von ihm beantragten Beweis zu erheben, weil es bei der Würdigung der vorliegenden ärztlichen Gutachten die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens überschritten und dadurch § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG verletzt habe, kann im Rahmen des § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht durchgreifen. Der Beschwerdeführer verkennt, daß bei der Entscheidung über die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG eine Verletzung des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zur Zulassung der Revision führen kann. Dies aber hat zur Folge, daß das BSG im Rahmen des § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG bei der Prüfung, ob § 103 SGG verletzt ist, an die Würdigung der durch das LSG erhobenen Beweise auch insofern gebunden ist, als es nicht prüfen kann, ob das LSG bei dieser Beweiswürdigung die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG überschritten hat. Das BSG muß also im Rahmen des § 160 Abs. 1 Nr. 3 SGG bei Prüfung der Frage, ob das LSG einem Beweisantrag hätte folgen müssen, dann, wenn zu dem durch den Beweisantrag aufzuklärenden Sachverhalt bereits Beweise gewürdigt worden sind, davon ausgehen, daß diese Beweiswürdigung durch das LSG fehlerfrei ist.

Aus diesen Gründen konnte der Senat die Revision nicht zulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653671

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge