Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.04.2017; Aktenzeichen L 3 SB 4620/16)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 07.11.2016; Aktenzeichen S 11 SB 531/15)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. April 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage noch gegen die Herabsetzung des bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40 ab dem 2.10.2014. Diesen Anspruch hat das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 26.4.2017 verneint, weil nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X iVm § 69 Abs 1 und 3 SGB IX eine wesentliche Änderung nach Maßgabe der anzuwendenden Rechtsvorschriften eingetreten sei. Die Verhältnisse, welche dem Bescheid vom 4.12.2006 zugrunde gelegen hätten und maßgeblich für die Bewertung der Funktionsbehinderungen des Klägers mit einem Gesamt-GdB von 50 gewesen seien, hätten sich zunächst in rechtlicher Hinsicht wesentlich geändert, da nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) als Anlage zu § 2 VersMedV vom 10.12.2008 anders als nach den zuvor gültigen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozial- und Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) für Hüftgelenke bei beidseitiger Endoprothese lediglich noch ein Mindest-GdB von 20 vorgesehen sei (Teil B Nr 18, 12). Zudem hätten die Verhältnisse, welche dem Bescheid vom 4.12.2006 zugrunde gelegen hätten, auch in tatsächlicher Hinsicht eine wesentliche Änderung erfahren. Soweit die Beklagte weiterhin vom Vorliegen einer depressiven Verstimmung ausgegangen sei und diese im Zusammenspiel mit einer erektilen Dysfunktion mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet habe, könne sich der Senat nicht vom Vorliegen einer solchen depressiven Verstimmung überzeugen. Soweit Dr. von L. von einem mittelschweren degenerativen Wirbelsäulensyndrom ausgehe und hierfür einen Einzel-GdB von 20 in Ansatz bringe, fehlten jedwede Anhaltspunkte für wenigstens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in wenigstens einem Wirbelsäulenabschnitt (vgl VG, Teil B Nr 18.9). Die beim Kläger weiterhin vorliegende Funktionsbehinderung beider Schultergelenke sei mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend bewertet. Gleiches gelte auch für die Bewertung eines Einzel-GdB von 10 für die Entleerungsstörung der Harnblase, die erektile Dysfunktion und die Schwerhörigkeit beidseits. Insgesamt sei entsprechend den Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid der Gesamt-GdB mit 40 im Ergebnis zutreffend ermittelt. Ausgehend von den Gesundheitsstörungen im Funktionssystem Beine als der Funktionsbeeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, nämlich 30, rechtfertige der weitere Einzel-GdB von 20 für die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke mit Arthrose einen Gesamt-GdB von 40. Die weiteren Einzel-GdB-Werte von jeweils 10 führten nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, welche einen höheren Gesamt-GdB rechtfertigen könnte.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, das diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, "ob und inwieweit" Altfälle durch die VG geregelt werden. Ob es sich insoweit um eine ausreichende Formulierung einer Rechtsfrage handelt, die die Auslegung von Tatbestandsmerkmalen betrifft, mag vorliegend dahinstehen. Sofern sich der Kläger gegen die geänderte Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen nach dem VG im Gegensatz zu den zuvor gültigen AHP wendet, hat er jedenfalls weder die Klärungsfähigkeit noch die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage dargelegt. Hierzu hätte es zunächst der Darstellung der Rechtsgrundlagen für die Herabsetzung des Gesamt-GdB nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X iVm § 69 Abs 1 und 3 SGB IX bedurft in Verbindung mit den jeweils einschlägigen Teilen der AHP und der VG. Ferner hätte der Kläger im Einzelnen darlegen müssen, inwiefern die Rechtsfrage vom BSG noch nicht entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65) und warum sich für die Beantwortung der Frage nicht bereits ausreichende Anhaltspunkte in vorliegenden Entscheidungen finden lassen (vgl BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 und § 160 Nr 8). Insoweit fehlt es bereits an einer Auseinandersetzung mit der vom LSG in der angefochtenen Entscheidung benannten Rechtsprechung des BSG.

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

Der Kläger rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) durch das LSG dadurch, dass er in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die beabsichtigte Herabstufung des GdB nicht angehört worden sei. Zwar werde in dem angefochtenen Urteil erwähnt, dass ein entsprechendes Schreiben vom 1.7.2014, abgesandt am 2.7.2014, vorliege, in dem der Kläger ausführlich zur beabsichtigten Herabsetzung des Gesamt-GdB angehört worden sei. Allerdings liege ein Nachweis über ein Zugang des Schreibens nicht vor. Stattdessen werde auf einen Aktenvermerk über ein am 7.7.2014 geführtes Telefongespräch mit einem Mitarbeiter der Beklagten geschlossen, dass der Kläger dieses Schreibens auch erhalten habe. Eine förmliche Vernehmung des Mitarbeiters der Beklagten sei nicht erfolgt. Dieses Vorbringen genügt ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen die sich nicht äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).

Mit der Behauptung, das LSG habe sich nicht hinreichend mit seinem Vortrag zur fehlenden Anhörung im vorangegangenen Verwaltungsverfahren auseinandergesetzt und den betreffenden Mitarbeiter der Beklagten nicht vernommen, wendet sich der Kläger tatsächlich gegen die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Darüber hinaus behauptet der Kläger nicht einmal selbst, vor dem LSG einen Beweisantrag zur Vernehmung des Mitarbeiters der Beklagten gestellt zu haben. Ferner legt er nicht dar, inwiefern eine vermeintlich fehlende Anhörung iS von § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X nicht im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt bzw geheilt worden sein könnte. Denn insoweit kann eine fehlende förmliche Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ersetzt werden, wenn dem Betreffenden iS von § 24 Abs 1 SGB X Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen sachgerecht zu äußern (ständige Rechtsprechung, vgl zuletzt etwas BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 9/11 R - SozR 4-2600 § 77 Nr 10 mwN). Schließlich hat der Kläger auch nicht mitgeteilt, welches Ergebnis die Vernehmung des Mitarbeiters der Beklagten gehabt hätte und weshalb auf der Grundlage der Rechtsansicht des LSG für ihn daraus ein positives Ergebnis der Entscheidung hätte resultieren können. Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darzulegen, hätte der Kläger auch substantiiert vortragen müssen, dass es sich bei seinem Vortrag um den Kernvortrag handelt und dass sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsansicht damit hätte befassen müssen. Daran fehlt es ebenfalls.

Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

3. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11141391

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