Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Urteil vom 23.07.1992)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 23. Juli 1992 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, die Beklagte zur Gewährung eines bestimmten Medikamentes zu verpflichten, im sozialgerichtlichen Verfahren ohne Erfolg geblieben. Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat die Klage mit seinem Urteil vom 3. Juni 1987 abgewiesen. Das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 23. Juli 1992 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG wendet die Klägerin sich mit der vorliegenden Beschwerde. Die Beschwerdebegründung hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin von dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin, einem nicht zur Vertretung vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten, ausgearbeitet erhalten und dem BSG unterschrieben übersandt. Darin vertritt die Klägerin die Auffassung, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), das Urteil des LSG weiche von Entscheidungen des BSG ab und beruhe auf dieser Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), und das Verfahren bei dem LSG leide an erheblichen Mängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, da ihre Begründung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form entspricht.

Nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muß sich ein Beteiligter wie die Klägerin ebenso wie bei der Begründung einer Revision durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen (§ 166 SGG). Zwar ist innerhalb der Begründungsfrist der von einem vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten, einem deutschen Rechtsanwalt (§ 166 Abs 2 Satz 2 SGG), unterzeichnete Schriftsatz vom 18. August 1992 dem Gericht vorgelegt worden. Dadurch ist im vorliegenden Falle jedoch die gesetzlich vorgeschriebene Form nicht gewahrt worden.

Das gesetzliche Erfordernis, eine Revision durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten zu begründen, soll die Revisionsgerichte entlasten und im wohlverstandenen Interesse aller die sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens gewährleisten. Die ordnungsgemäße Rechtsmittelbegründung soll – zB durch klare Angaben, welche Teile des Urteils der Vorinstanz angegriffen werden und mit welchen Gründen – die Vorarbeiten des Berichterstatters erleichtern; außerdem soll erreicht werden, daß der Prozeßbevollmächtigte die Rechtslage genau durchdenkt, bevor er durch seine Unterschrift die Verantwortung für das Rechtsmittel übernimmt, und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (vgl BSG SozR Nr 27 zu § 164 SGG und BSGE 6, 269 f, jeweils mwN). Erwartet das Gesetz also, daß der Prozeßbevollmächtigte die Rechtslage genau durchdenkt und für die Begründung die volle Verantwortung übernimmt, muß die Begründung in jedem Falle die Prüfung und Durcharbeitung des Prozeßstoffs durch den Prozeßbevollmächtigten erkennen lassen (BSGE 7, 36, 39; BSG SozR Nr 49 zu § 164 SGG). Die bloße Vorlage eines von einem Rechtsanwalt unterzeichneten, sonst aber unveränderten Schriftsatzes des Beteiligten selbst genügt jedenfalls nicht, wenn der Rechtsanwalt den Streitstoff nicht selbst geprüft, gesichtet und rechtlich durchgearbeitet hat (BVerwGE 22, 38 = Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 21; BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 38; BFHE 136, 52, 53; BFHNV 1986, 175 f). In der Regel mag zwar die Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten unter die Revisionsbegründung ausreichen, weil es Sinn der Unterzeichnung ist, daß der Unterzeichner die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernimmt. Lassen jedoch die gesamten Umstände erkennen, daß der zugelassene Prozeßbevollmächtigte die Prüfung, Gliederung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes unterlassen hat, so handelt es sich um eine rein formale Unterzeichnung und nicht um eine gesetzesmäßige Begründung der Revision. Das gilt besonders in den Fällen, in denen der Prozeßbevollmächtigte eine Begründung unverändert an das Revisionsgericht weitergibt.

Für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde gilt nichts anderes (BSG SozR 1500 § 160 Nr 44). Auch das Erfordernis der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten soll bewirken, daß dieser die Rechtslage im Hinblick auf die drei Gründe, auf die die Zulassung einer Revision allein gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 SGG), genau durchdenkt, ggf von der Durchführung aussichtsloser Beschwerden absieht oder aber durch eine klare Darlegung, welcher Zulassungsgrund aus welchen Gründen als vorliegend angesehen wird, die Entscheidungsfindung des Gerichts erleichtert.

Auch die nach § 160a Abs 2 SGG erforderliche Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muß daher das Ergebnis der geistigen Arbeit des zugelassenen Prozeßbevollmächtigten sein, für die der Prozeßbevollmächtigte mit seiner Unterschrift die volle Verantwortung übernimmt, und dies aus sich heraus erkennen lassen. Die bloße Vorlage eines von dem prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt unterzeichneten, sonst aber unveränderten Schriftsatzes eines nicht Vertretungsberechtigten stellt keine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung dar, wenn der Rechtsanwalt die Durchsicht, Sichtung und Gliederung des Streitstoffes unterlassen hat (zum Ganzen auch: BSG vom 18. Februar 1980 – 5 RKn 1/78 – sowie BSG vom 24. Februar 1992 – 7 BAr 86/91 –).

So aber liegt der Fall hier. Zur Überzeugung des Senats steht fest, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin einen von ihrem Sohn und früheren Bevollmächtigten in den Tatsacheninstanzen vorgelegten Entwurf unkritisch übernommen und ohne eigenverantwortliche Sichtung und Durcharbeitung des Streitstoffes an das BSG weitergeleitet hat. Hierfür sprechen die gesamten Umstände, insbesondere das äußere Erscheinungsbild, der Umfang und der Inhalt der Begründungsschrift vom 18. August 1992.

Die von dem Sohn der Klägerin dem Prozeßbevollmächtigten zugeleitete Beschwerdebegründung ist, wenn die äußere Form für sich betrachtet wird, vollkommen ungeeignet, als Begründung eines Rechtsmittels einem obersten Bundesgericht zugeleitet zu werden. Sie enthält eine Fülle grammatischer und orthographischer Fehler. Die Gliederung der Beschwerdebegründung ist nicht nachvollziehbar und entspricht nicht dem darin enthaltenen „juristischen” Inhalt. Kennzeichnend für die Beschwerdebegründung ist darüber hinaus die juristisch überwiegend abwegige Argumentation. Wendungen wie beispielsweise „Verfahrensfehler im Sinne des § 160a SGG”, oder „grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler entgegen Art 103 Grundgesetz iVm Bundesverfassungsgericht 21, 191” oder „Übersehen der Klagearthäufungsmöglichkeit des § 56” lassen bereits auf den ersten Blick erkennen, daß eine Durcharbeitung des Schriftsatzes des Sohnes der Klägerin durch ihren Bevollmächtigten nicht stattgefunden hat.

Der Vertretungszwang dient letztlich wohlverstandenen Interessen der Beteiligten und der Rechtspflege. Diesem Zweck genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht. An dem geschilderten Verstoß gegen den Vertretungszwang durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt ändert auch nichts,

daß der Sohn der Klägerin als Rechtsbeistand Mitglied der Anwaltskammer (und damit nach § 73 Abs 6 Satz 1 SGG iVm § 157 Abs 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung zur geschäftsmäßigen Vertretung vor den Sozialgerichten und Landessozialgerichten zugelassen) ist und nach dem Vortrag der Klägerin das erste juristische Staatsexamen bestanden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174601

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