Tenor

Zum Verfahren werden beigeladen

  1. See-Krankenkasse,

    Hamburg, Reimerstwiete 2,

  2. IKK-Bundesverband,

    Bergisch-Gladbach, Kölner Straße 1-5,

  3. BKK-Bundesverband,

    Essen, Kronprinzenstraße 6,

  4. AOK-Bundesverband,

    Bonn, Kortrijker Straße 1,

  5. Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen,

    Kassel, Weißensteinstraße 70/72.

 

Gründe

Die Spitzenverbände der Krankenkassen (§ 213 Abs 1 des Sozialgesetzbuches – Fünftes Buch – ≪SGB V≫) bestimmten am 19. Juni 1989 für den Bereich der Sehhilfen gemäß §§ 36 Abs 1 und 4, 213 Abs 2 SGB V bundeseinheitlich ein Gruppensystem für die Festsetzung von Festsbeträgen für Brillengläser und Kontaktlinsen. Auf dieser Grundlage setzten die Beklagten am 29. November 1990 mit Wirkung vom 1. Januar 1991 für den Bereich des Landes Schleswig-Holstein Festbeträge für Sehhilfen fest. In den Erläuterungen ist bestimmt, daß mit dem Festbetrag alle von der Leistungspflicht der Krankenkasse (KK) umfaßten Kosten für Material und Dienstleistungen abgegolten sind. Die mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Festsetzung wurde im Bundesarbeitsblatt 1/1991 vom 3. Januar 1991 veröffentlicht. Diese Festsetzung haben die Kläger mit den am 25. Januar 1991 bei dem Sozialgericht (SG) Kiel erhobenen Klagen angefochten. Das SG hat die Klagen als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 11. Juni 1992). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Kläger das Urteil des SG aufgehoben und den Rechtsstreit an dieses Gericht zurückverwiesen (Urteil vom 15. Juni 1993). Wegen der Einzelheiten wird auf das in Kopie beigefügte Urteil verwiesen. Hiergegen haben die Beklagten zu 1) bis 7) Revision eingelegt. Der zunächst mit der Sache befaßte 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Beschluß vom 2. März 1994 die Revision des Beklagten zu 2) – AOK-Landesverband Schleswig-Holstein – wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Das Bundesministerium für Gesundheit hat mit dem in Kopie anliegenden Schreiben vom 17. Januar 1995 mitgeteilt, daß den Gesetzgebungsvorarbeiten und dem Gesetzgebungsverfahren keine Anhaltspunkte zu den Fragen entnommen werden können, (1.) aus welchen Gründen die Festbeträge als Einzelfallregelung im Sinne eines Verwaltungsaktes (in Form der Allgemeinverfügung) angesehen wurden, während der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) als generelle Regelung und damit als Rechtsnorm angesehen wird, (2.) wer hinsichtlich der Festbeträge als anfechtungsberechtigt angesehen wurde und (3.) ob im Verhältnis zu den Versicherten eine befristete Klagemöglichkeit gelten soll.

Die Spitzenverbände der KKn mit Ausnahme der am Verfahren als Beklagte zu 5) bereits beteiligten Bundesknappschaft haben auf Anfrage mitgeteilt, daß sie ihrer Beiladung im Revisionsverfahren nach § 168 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zustimmen. Sie werden, da die Voraussetzungen der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG vorliegen, zum Verfahren beigeladen.

1.) Der erkennende 3. Senat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG für das Jahr 1995, Abschnitt A, I ua zuständig für: „3. Rechtsstreitigkeiten nach § 51 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) idF des Art 32 Nr 3 GRG vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477)”. Die Einschränkung, daß dem Senat zwar die Rechtsstreitigkeiten nach der Nr 3 der genannten Vorschrift zugewiesen sind, aber nicht die unter die Nrn 1 und 2 fallenden Kassenarztsachen, folgt schon daraus, daß dem Senat keine ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Kassenärzte zugewiesen wurden. Die Anfechtung der nach den §§ 35 und 36 SGB V festgesetzten Festbeträge gehört indes nicht zum Kassenarztrecht. § 35 SGB V regelt die Festbetragsfestsetzung für Arznei- und Verbandsmittel, § 36 die für Hilfsmittel. § 36 ist Pendant zu § 35 SGB V (Gerlach in Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB V, § 36 RdNr 1), auf den § 36 SGB V weitgehend verweist. § 35 Abs 1 SGB V sieht anders als § 36 die Mitwirkung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vor und nur insoweit kommt eine Zuordnung zum Kassenarztrecht in Betracht. Die enge Verbindung der beiden Vorschriften läßt indes nur eine einheitliche Entscheidung zu, wobei streitig ist, ob die Zuordnung zur Krankenversicherung erfolgt (so für die Festbeträge nach § 35 SGB V: LSG NW vom 14. März 1990 – L 11 S (Kr) 5/90 – Breith 1991, 611 f) oder zum Kassenarztrecht (so v. Maydell, GK-SGB V, § 35 RdNr 75; Maaßen in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer § 35 SGB V RdNr 34). Beide Autoren führen zu Unrecht den Ausschußbericht (BT-Drucks 11/3480 S 77) als Beleg dafür an, daß nach der Vorstellung des Ausschusses die Fachkammern für Kassenarztrecht sachverständige Entscheidungen auch zu Festbeträgen gewährleisten sollen. Es heißt dort (BT-Drucks 11/3480 S 77 zu Nummer 3a ≪§ 57 Abs 4≫): „Die Konzentration der Streitigkeiten nach den §§ 35 und 35a des Entwurfs auf wenige Gerichte ist aus den gleichen Gründen wie bei Streitigkeiten in Angelegenheiten des Kassenarztrechts geboten (Konzentration des juristischen Sachverstands, Einheitlichkeit der Rechtsprechung, Kostenersparnis).” Es sollte also eine Konzentration, aber keine Übertragung auf die Kassenarztspruchkörper stattfinden.

Das bestätigt die für die Festbetragsfestsetzung zum Rechtsweg mit der Neufassung des § 51 Abs 2 S 1 SGG getroffene Regelung. Hierzu wird im Ausschußbericht ausgeführt (BT-Drucks 11/3480 S 77 zu Nummer 3 ≪§ 51 Abs 2 S 1≫), daß die Festbetragsfestsetzung unter die Nr 3 falle, und zusätzlich, daß die Nr 3 die Rechtsbeziehungen zu anderen als den in Nr 1 genannten Leistungserbringern betreffe. Hiernach betrifft die Nr 3 nicht die in der Nr 1 genannten Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser. Im SGB V, Viertes Kapitel werden die Beziehungen (der KKn und ihrer Verbände) zu Ärzten und Zahnärzten im Zweiten Abschnitt behandelt, die Beziehungen zu Krankenhäusern und anderen Einrichtungen im Dritten Abschnitt und die (dreiseitigen) Beziehungen zu Krankenhäusern und Vertragsärzten im Vierten Abschnitt. Hiernach gehören zu den in § 10 Abs 2 SGG definierten Angelegenheiten des Kassenarztrechts die Angelegenheiten nach § 51 Abs 2 S 1 Nr 1 SGG, soweit sie die Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und KKn betreffen einschließlich der Angelegenheiten nach § 51 Abs 2 S 1 Nr 2 SGG, soweit sie Entscheidungen gemeinsamer Gremien von Ärzten, Zahnärzten und KKn betreffen (BT-Drucks 11/3480 S 78, Zu Nr 3 b ≪§ 57 a≫, li Sp Abs 3). Die Nr 3 erfaßt nur die übrigen im SGB V, Viertes Kapitel in den Abschnitten 5 bis 8 angeführten Leistungserbringer, also die Leistungserbringer von Heilmitteln (Fünfter Abschnitt), die von Hilfsmitteln (Sechster Abschnitt), die Apotheken und pharmazeutischen Unternehmen (Siebter Abschnitt) und die „sonstigen” Leistungserbringer (iS der Überschrift des Achten Abschnitts).

Daß der Gesetzgeber mit der Fassung der §§ 10 und 51 SGG die Festbetragsfestsetzung nicht dem Kassenarztrecht und den Kassenarztkammern zuordnen wollte, bestätigt überdies die Regelung der örtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten über die Festbetragsfestsetzung in § 57 Abs 4 SGG, wie vom LSG (aaO) zu Recht herausgestellt. Diese soll – wie erwähnt – die Zuständigkeit auf wenige Gerichte konzentrieren (BT-Drucks 11/3480 S 77, zu Nr 3a ≪§ 57 Abs 4≫). Wäre die Festbetragsfestsetzung Teil des Kassenarztrechts, dann hätte es zur Konzentration der Zuständigkeit auf wenige Gerichte keiner Sondervorschrift bedurft. Der § 57 Abs 4 SGG wäre auch dann nicht erforderlich gewesen, wenn die Regelungen für Angelegenheiten des Kassenarztrechts auf alle Angelegenheiten des § 52 Abs 2 S 1 SGG, also auf dessen Nr 3, erstreckt worden wäre. Eine solche Erstreckung hat der Ausschuß erörtert, aber zur Zeit nicht für geboten erachtet (BT-Drucks 11/3480 S 77, zu Nummer 3, re Sp letzter Abs). Überdies wird die örtliche Zuständigkeit nicht in der Sondervorschrift für die örtliche Zuständigkeit in Kassenarztangelegenheiten (§ 57a SGG), sondern in der allgemeinen Vorschrift über die örtliche Zuständigkeit (§ 57 SGG) geregelt. Die Befugnis der Bundesländer zu ergänzenden Regelungen aufgrund der §§ 7 und 10 Abs 3 SGG soll die Regelung ermöglichen, daß bei Streitigkeiten auf Landesebene immer das SG zuständig ist, das zugleich für Angelegenheiten des Kassenarztrechts zuständig ist (BT-Drucks 11/3480 S 77, zu Nummer 3, re Sp letzter Abs und S 78 oben).

Schließlich kann die Zuständigkeit der Kassenarztspruchkörper unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs auch nicht mit einem Hinweis auf § 92 SGB V begründet werden. Nach § 92 SGB V idF durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) beschließen die Bundesausschüsse Richtlinien über die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (Abs 1 Nr 6). Diese haben Arznei- und Heilmittel unter Berücksichtigung der Festbeträge nach § 35 so zusammenzustellen, daß dem Arzt ua ein Preisvergleich ermöglicht wird (§ 92 Abs 2 S 1). Für Klagen gegen die Zusammenstellung der Arzneimittel nach Abs 2 gelten die Vorschriften über die Anfechtungsklage entsprechend (Abs 3). Der Senat kann offen lassen, ob das Gesetz damit dem Leistungserbringer ein Klagerecht einräumt oder ob der in seiner Berufsausübung betroffene Kassenarzt klageberechtigt ist. Hinsichtlich des Klagerechts der Kassenärzte wäre ein Sachzusammenhang mit Auswirkung auf die Spruchkörperzuständigkeit zu verneinen. Hinsichtlich eines Klagerechts der nicht unter § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG fallenden Leistungserbringer kann die Anerkennung eines Sachzusammenhangs mit Auswirkung auf die Spruchkörperzuständigkeit nicht die Zuständigkeit der Kassenarztspruchkörper für den gesamten Bereich der Festbeträge begründen, sondern nur umgekehrt die Zuständigkeit des für Sozialversicherung zuständigen Spruchkörpers auch für Klagen der nicht unter § 51 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG fallenden Leistungserbringer nach § 92 SGB V.

2.) Die Beigeladenen zu 1) bis 5) sind nach § 75 Abs 2 Satz 3 SGG notwendig beizuladen, weil die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die Beigeladenen sind Spitzenverbände der KKn (§ 213 SGB V). Die Spitzenverbände wirken an der angefochtenen Festsetzung der Festbeträge für Hilfsmittel nach § 36 Abs 1 SGB V durch die Bestimmung der Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden, mit. Eine gesonderte Klage gegen ihre Bestimmung der Hilfsmittel oder gegen sonstige Bestandteile der Festsetzung der Festbeträge ist nach § 36 Abs 3 iVm § 35 Abs 7 Satz 4 SGB V unzulässig. Die Regelung entspricht der ebenfalls zweistufigen Festsetzung der Festbeträge für Arzneimittel nach § 35 SGB V, nur daß dort für die erste Stufe nicht die Spitzenverbände, sondern der Bundesausschuß der Ärzte und KKn zuständig ist, und für die zweite Stufe nicht die Landesverbände, sondern die Spitzenverbände.

Das Gesetz schließt in beiden Vorschriften eine gesonderte Anfechtung der auf der ersten Stufe getroffenen Entscheidung aus. Darin liegt kein an Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) zu messender Ausschluß gerichtlicher Kontrolle. Vielmehr ist im Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Festbeträge auch über die zugrundeliegende Gruppenbildung zu entscheiden (Kasseler Komm-Hess SGB V § 35 Rz 16).

Eine gerichtliche Entscheidung über die Festbetragsfestsetzung kann gegenüber den Entscheidungsträgern der ersten und der zweiten Stufe, also bei Festbeträgen für Hilfsmittel gegenüber den Landesverbänden und den Spitzenverbänden, nur einheitlich ergehen. Dementsprechend sind bei der Anfechtungsklage gegen Festbeträge für Hilfsmittel die Spitzenverbände, und ist bei der Anfechtungsklage gegen Festbeträge für Arzneimittel der Bundesausschuß notwendig zum Verfahren beizuladen (Kasseler Komm-Hess SGB V § 35 Rz 16). Hierfür genügt, daß die Rechtmäßigkeit der ersten Stufe vom Gericht schon auf die bloße Anfechtung eines Festbetrages von Amts wegen zu überprüfen ist. Es ist als Voraussetzung einer notwendigen Beiladung weder erforderlich, daß der Kläger neben der Aufhebung der Festbetragsfestsetzung eine andere Gruppeneinteilung und andere Festbeträge erstrebt, noch daß er die Anfechtung des Festbetrages speziell mit Fehlern begründet, die die erste Stufe der Festsetzung betreffen (aA: wohl Kasseler Komm-Hess SGB V § 35 Rz 16).

Die Bundesrepublik Deutschland ist beim Streit über Festbeträge für Hilfsmittel nicht notwendig beizuladen. Ob diese beim Streit über Festbeträge für Arzneimittel im Hinblick auf das Beanstandungsrecht des Bundesministers für Gesundheit nach § 94 SGB V notwendig beizuladen ist (Kasseler Komm-Hess SGB V § 35 Rz 16; BSGE 64, 78, 85 = SozR 1500 § 51 Nr 50), bleibt offen.

3.) Das Revisionsgericht konnte nach § 168 Satz 2 SGG die Beiladung der in der Beschlußformel bezeichneten Spitzenverbände beschließen, da die Beizuladenden ihre Zustimmung erklärt haben. Eine Beiladung der Bundesknappschaft war nicht erforderlich, weil diese bereits als Beklagte zu 7) am Verfahren beteiligt ist.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 75 Abs 3 Satz 3 SGG).

 

Fundstellen

Breith. 1995, 731

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