Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortzahlung einer Aufwandsentschädigung an freigestelltes Personalratsmitglied

 

Leitsatz (amtlich)

  • Der Begriff des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts i.S. des § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG bzw. des § 37 Abs. 2 BetrVG kann mangels einer Tariföffnungsklausel nicht in Tarifverträgen modifiziert werden.
  • Ein freigestelltes Personalratsmitglied hat keinen Anspruch auf Fortzahlung der Steckenzulage nach Nr. 12 Abs. 1 Buchst. c Ziff. 1 der Sonderregelungen 2d zum MTB II.
 

Normenkette

BPersVG § 46 Abs. 2 S. 1; BetrVG 1972 § 37 Abs. 2; SR 2d MTB II Nr. 12 Abs. 1 Buchst. c Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 19.09.1989; Aktenzeichen 2 Sa 176/89)

ArbG Lübeck (Urteil vom 31.01.1989; Aktenzeichen 3 b Ca 2367/88)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 19. September 1989 – 2 Sa 176/89 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger ist freigestelltes Mitglied des bei dem Wasser- und Schiffahrtsamt L…, einer Dienststelle der Beklagten, bestehenden Personalrats. Die Parteien streiten darüber, ob die Streckenzulage nach Nr. 12 Abs. 1 Buchstabe c Ziffer 1 der Sonderregelungen 2d zum Manteltarifvertrag für die Arbeiter des Bundes vom 27. Februar 1964 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 38 vom 9. Januar 1987 (im folgenden: MTB II) zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne von § 46 Abs. 2 BPersVG gehört.

Die genannte Tarifvorschrift Nr. 12 SR 2d MTB II lautet auszugsweise:

“Nr. 12

Zu § 38 – Entschädigung bei Dienstreisen, Abordnungen und Dienstgängen

Zu § 39 – Lohn und besondere Entschädigung bei Dienstreisen

(1) Für die bei dem Bau, der Unterhaltung und dem Betrieb von wasserbaulichen Einrichtungen und wasserwirtschaftlichen Anlagen beschäftigten Arbeiter treten für nachstehende Fälle an die Stelle der §§ 38 und 39 folgende Regelungen:

  • 1. Die Streckenunterhaltungsarbeiter, die auf Neubaustrecken beschäftigten Arbeiter sowie die Küstenschutz- und Landgewinnungsarbeiter erhalten für die Zeit der Beschäftigung innerhalb ihres Bezirks neben dem Lohn eine Zulage (Aufwandsentschädigung) von 3, 75 DM für jeden Arbeitstag, an dem sie an einer anderen Arbeitsstelle als ihrer Dienststelle (z.B. Sitz des Leiters des Außenbezirks) zur angeordneten Arbeitsaufnahme erschienen sind.

    Wenn zum Erreichen der anderen Arbeitsstelle ein regelmäßig verkehrendes Beförderungsmittel oder ein eigenes Kraftfahrzeug benutzt werden muß und die Zulage von 3, 75 DM zum Bestreiten der notwendigen Fahrkosten nicht ausreicht, werden anstelle der Zulage diese Fahrkosten gezahlt; dem Arbeiter ist in diesem Fall jedoch die Hälfte der Streckenzulage zu belassen. Notwendige Fahrkosten sind die Kosten der billigsten Fahrkarte des regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels, das nach der Verkehrssitte benutzt wird. Bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges ist der Preis der billigsten Bundesbahnfahrkarte für eine der kürzesten Straßenentfernung zwischen der Wohnung und der anderen Arbeitsstelle entsprechende Strecke – sofern nicht die Kosten der billigsten Fahrkarte eines anderen regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels niedriger sind – zugrunde zu legen, für einen im Kraftfahrzeug mitfahrenden Bediensteten jedoch höchstens 3 Pfennig je Kilometer. Eisenbahnzuschläge bleiben unberücksichtigt.

    Fahrkosten zu einem Sammelplatz werden nicht erstattet.”

Bevor der Kläger im Jahre 1985 freigestelltes Mitglied des örtlichen Personalrats wurde, erhielt er neben dem regulären Entgelt auch die “Streckenzulage” in Höhe von 3, 75 DM pro Tag. Seit dem 1. November 1986 zahlte die Beklagte dem Kläger die Streckenzulage nicht mehr, da es sich um Aufwendungsersatz handele, der Kläger jedoch infolge seiner Freistellung die entsprechenden Aufwendungen nicht mehr habe.

Der Kläger ist der Auffassung, die Streckenzulage sei Arbeitsentgelt und nicht Aufwendungsersatz. Auf die Bezeichnung der Leistung durch die Tarifparteien könne es nicht ankommen. Tatsächlich handele es sich um eine Art "Anwesenheitszulage” bzw. eine “Pauschalvergütung der Wegezeit”. Die Leistung könne keinen Aufwendungsersatz darstellen, da nicht ersichtlich sei, für welchen Aufwand Ersatz geleistet werde. Sie diene jedenfalls nicht dem Ersatz von Fahrkosten, da die tarifliche Regelung ausdrücklich vorsehe, daß die Fahrkosten – wenn sie höher als die Strekkenzulage sind – anstelle der Zulage zu ersetzen seien. Jedenfalls sei wenigstens die Hälfte der Streckenzulage Arbeitsentgelt, da dieser Teil auch dann zu bezahlen sei, wenn die Fahrkosten gesondert ersetzt würden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm die Zulage für Streckenunterhaltungsarbeiter gemäß Nr. 12 Abs. 1c Ziff. 1 der SR 2d MTB II ab 1. November 1988 zu zahlen,

hilfsweise,

ihm die Hälfte der Zulage zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, bei der Streckenzulage handele es sich um Aufwendungsersatz. Sie sei eine “reisekostenähnliche Abfindung”, die für die betroffenen Arbeitnehmer an die Stelle der Reisekostenentschädigung in § 38 MTB II trete. Darüber hinaus ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der tariflichen Regelung, der von einer Aufwandsentschädigung spreche, hinreichend deutlich der Wille der Tarifvertragsparteien, mit der Streckenzulage Aufwendungen abzugelten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist gemäß § 563 ZPO zurückzuweisen. Dem Berufungsurteil kann zwar nicht in allen Einzelheiten seiner Begründung gefolgt werden. Im Ergebnis hat das Landesarbeitsgericht die Klage jedoch zu Recht als unbegründet abgewiesen.

I. Auch der Senat hält die Klage für zulässig, obwohl der gestellte Leistungsantrag wegen fehlender Bezifferung dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht genügt. Der Senat hat den Klageantrag jedoch als Feststellungsantrag ausgelegt. Den Parteien geht es ersichtlich allein um die grundsätzliche Frage, ob die Streckenzulage zum gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG fortzuzahlenden Arbeitsentgelt gehört. In dieser Auslegung als Feststellungsklage ist die Klage zulässig, weil bei der Beklagten als öffentlich-rechtlicher Körperschaft zu erwarten steht, daß sie auch auf ein lediglich feststellendes Urteil hin leisten würde (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAGE 11, 312, 317 = AP Nr. 83 zu § 611 BGB Urlaubsrecht, zu IV der Gründe).

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die Streckenzulage nach Nr. 12 Abs. 1 Buchstabe c Ziffer 1 SR 2d MTB II gehört nicht zum gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG fortzuzahlenden Arbeitsentgelt.

1. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß als Anspruchsgrundlage allein § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG in Betracht kommt, der das allgemeine Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot des § 8 BPersVG konkretisiert und insoweit § 37 Abs. 2 BetrVG entspricht. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG hat die Versäumnis von Arbeitszeit, die zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Personalrats erforderlich ist, keine Minderung der Dienstbezüge oder des Arbeitsentgelts zur Folge.

2. Nach ständiger Rechtsprechung, an der der Senat festhält, gehören zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG, § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG nicht Aufwandsentschädigungen, die solche Aufwendungen abgelten sollen, die dem Betriebs- bzw. Personalratsmitglied infolge seiner Befreiung von der Arbeitspflicht nicht entstehen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 10. Februar 1988, BAGE 58, 1 = AP Nr. 64 zu § 37 BetrVG 1972). Um eine derartige Aufwandsentschädigung handelt es sich bei der Streckenzulage nach Nr. 12 Abs. 1 Buchstabe c Ziffer 1 SR 2d MTB II.

3. Entgegen der Hauptbegründung des Landesarbeitsgerichts folgt dies indessen nicht bereits aus einer Auslegung der einschlägigen Tarifvorschriften. Inwieweit Betriebs- bzw. Personalratsmitglieder ihre Bezüge während ihrer Befreiung von ihrer Arbeitspflicht fortgezahlt erhalten, ist in § 37 Abs. 2 BetrVG bzw. § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG abschließend geregelt. Da die Tarifvertragsparteien hiervon wegen der auch für sie geltenden Begünstigungs- und Benachteiligungsverbote des § 78 Satz 1 BetrVG bzw. § 8 BPersVG und wegen des Fehlens einer Tariföffnungsklausel weder zugunsten noch zuungunsten des Betriebs- bzw. Personalratsmitglieds abweichen können, kommt einer tariflichen Regelung, ob ein bestimmter Bestandteil der Bezüge “Aufwendungsersatz” oder “Arbeitsentgelt” ist, für die Frage der Fortzahlung dieser Bezüge jedenfalls für sich allein keine Bedeutung zu. Insoweit kann es daher entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts – und übrigens auch der Revision – auch nicht auf eine Auslegung der tarifvertraglichen Vorschriften ankommen.

Entscheidend ist vielmehr, wie der Senat in seinem bereits angeführten Urteil vom 10. Februar 1988 dargelegt hat, ob es sich der Sache nach um Aufwendungsersatz handelt. Dies setzt voraus, daß in den Sachverhalten, für die die Tarifvertragsparteien die von ihnen als Aufwendungsersatz gedachte Leistung vorgesehen haben, im Vergleich zu den sonstigen Fällen, in denen die Anspruchsvoraussetzungen des Tarifvertrages nicht erfüllt sind, typischerweise besondere Aufwendungen anfallen, die jedenfalls in der Regel den Umfang des vom Tarifvertrag gewährten “Aufwendungsersatzes” erreichen. Nicht erforderlich ist hingegen, daß diese Aufwendungen bei jedem Arbeitnehmer anfallen, der die vom Tarifvertrag aufgestellten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Denn eine Pauschalierung des dargestellten typischen Mehraufwandes ist zulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAGE 43, 87, 92 = AP Nr. 12 zu § 2 LohnFG, zu II 2b der Gründe). Sinn der Pauschalierung ist gerade, vom Nachweis des tatsächlichen Entstehens von Aufwand im Einzelfall abzusehen und stattdessen die Gewährung der Pauschalleistung an leicht feststellbare objektive Umstände zu knüpfen, bei deren Vorliegen nach der Lebenserfahrung eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Entstehen besonderer Aufwendungen gegeben ist.

4. Diese Voraussetzungen für das Vorliegen einer echten, d.h. vom Arbeitsentgeltbegriff des § 37 Abs. 2 BetrVG bzw. des § 46 Abs. 2 Satz 1 BPersVG nicht mitumfaßten Aufwandsentschädigung waren beim steuerpflichtigen Teil der Nahauslösung nach § 7 BMTV, über den der Senat im angeführten Urteil vom 10. Februar 1988 zu entscheiden hatte, nicht erfüllt, weil insoweit durch die Nahmontagetätigkeit typischerweise ein Mehraufwand allenfalls in Höhe des steuerfrei belassenen Teils der Nahauslösung anfällt. Allein zur Abstützung dieses Erfahrungssatzes hatte sich der Senat auf die Festsetzung steuerfreier Pauschbeträge durch die als sachkundig anzusehende Finanzverwaltung bezogen. Für den vorliegenden Fall der Streckenzulage fehlt es indessen an entsprechenden Festsetzungen der Finanzverwaltung. Schon deshalb kann sich der Senat auch der Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, in der die Streckenzulage als steuerfrei angesehen und daraus ihr Charakter als Aufwandsentschädigung hergeleitet wird, nicht anschließen.

5. Auf der Grundlage der oben dargestellten Voraussetzungen ergibt sich der Charakter der Streckenzulage als echter Aufwandsentschädigung vielmehr bereits daraus, daß sie den in Nr. 12 Abs. 1 Buchstabe c Ziffer 1 SR 2d MTB II genannten Arbeitern nur für solche Arbeitstage gezahlt wird, an denen sie an einer anderen Arbeitsstelle als ihrer Dienststelle zur angeordneten Arbeitsaufnahme erschienen sind. An diesen Tagen hätten sie Ansprüche auf Reisekostenvergütung nach Maßgabe des § 38 MTB II in Verbindung mit dem BRKG, wenn nicht die Nr. 12 SR 2d MTB II an die Stelle dieser Vorschriften getreten wäre. Auch wenn, wie der Kläger vorträgt, ein Streckenunterhaltungsarbeiter auch bei einem Einsatz auf einer anderen Arbeitsstelle als seiner Dienststelle in vielen Fällen keinen Mehraufwand hat, so leuchtet doch unmittelbar ein, daß der Aufwand für Reisekostenvergütungen, den die Beklagte bei Anwendung des § 38 MTB II in den durch Nr. 12 Abs. 1 Buchstabe c Ziffer 1 SR 2d MTB II betroffenen Fällen insgesamt zu leisten hätte, ganz wesentlich höher wäre als die betragsmäßig doch recht geringe Streckenzulage nach dieser Sonderregelung. Die Tarifvertragsparteien haben also dem Umstand, daß in vielen Fällen, in denen die Anspruchsvoraussetzungen für die Streckenzulage erfüllt sind, möglicherweise kein oder jedenfalls nur ein geringer Mehraufwand anfällt, bereits durch die geringe Höhe der Streckenzulage angemessen Rechnung getragen. Es ist auch kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß die Tarifvertragsparteien die Fallgruppen, in denen die Streckenzulage gezahlt werden soll, nicht sachgerecht abgegrenzt hätten. Zumindest haben sich die Tarifvertragsparteien im Rahmen des ihnen insoweit zustehenden Beurteilungs- und Regelungsspielraums gehalten.

 

Unterschriften

Dr. Steckhan, Schliemann, Kremhelmer, Dr. Sponer, Schmalz

 

Fundstellen

Haufe-Index 838624

BAGE, 242

NZA 1992, 709

RdA 1992, 219

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