Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Widerklage

 

Leitsatz (amtlich)

Eine “Widerklage”, mit der die Feststellung begehrt wird, daß der Klageanspruch teilweise nicht besteht, ist jedenfalls dann unzulässig, wenn der Klageanspruch in vollem Umfang rechtskräftig abgewiesen worden ist.

 

Normenkette

ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 33

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 27.06.1989; Aktenzeichen 12 Sa 497/89)

ArbG Krefeld (Urteil vom 14.03.1989; Aktenzeichen 3 Ca 65/88)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. Juni 1989 – 12 Sa 497/89 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Kläger sind bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Neben ihrem Gehalt erhalten sie übertarifliche Zulagen in unterschiedlicher Höhe.

Auf einen Antrag des im Betrieb gewählten Betriebsrats ist der Beklagten rechtskräftig aufgegeben worden, dem Betriebsratsvorsitzenden oder einem von diesem beauftragten Betriebsratsmitglied Einblick in die Bruttogehaltslisten auch der Angestellten zu gewähren.

Die Kläger – und mit ihnen eine Reihe weiterer Angestellter – wenden sich dagegen, daß der Betriebsrat durch die Einsicht in die Bruttogehaltslisten Kenntnis über die Höhe ihrer übertariflichen Zulagen erhält. Diese würden nicht nach kollektiven Kriterien bestimmt, so daß der Betriebsrat insoweit keine Aufgaben wahrzunehmen habe. Die auf Antrag des Betriebsrats ergangene Entscheidung gegen den Arbeitgeber entfalte ihnen gegenüber keine Rechtskraft und könne sie nicht hindern, ihre eigenen Rechtspositionen geltend zu machen. Ohne ihr Einverständnis könne die Beklagte dem Betriebsrat nicht Einsicht in ihre Gehaltslisten geben.

Die Kläger haben vor dem Arbeitsgericht daher beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung einer Ordnungsstrafe bis zu 500.000,-- DM zu unterlassen, dem Betriebsrat die Höhe ihrer übertariflichen Zulagen bekanntzugeben.

Die Beklagte hat den Klageanspruch anerkannt. Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Kläger, die Beklagte dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen, rechtskräftig zurückgewiesen. Die Beklagte hat daraufhin beantragt, die Klage abzuweisen und Widerklage erhoben mit dem Antrag

festzustellen, daß die Kläger einen Anspruch gegen sie, die Beklagte, die Einsichtnahme in die Gehaltsdaten durch dritte Personen zu verweigern, nur mit folgender Einschränkung geltend machen können:

Dem Betriebsratsvorsitzenden oder einem anderen beauftragten Betriebsratsmitglied ist die Einsichtnahme zu gestatten, wenn der Betriebsrat einen begründeten Anlaß hat, die übertariflichen Gehaltsbestandteile der Kläger kennenzulernen, und anderenfalls eine konkrete, gesetzlich vorgesehene Betriebsratsaufgabe nicht durchgeführt werden kann.

Zur Begründung ihres Antrages hat sich die Beklagte der Rechtsansicht der Kläger angeschlossen. Sie ist darüber hinaus der Ansicht, sie habe ein rechtliches Interesse an der mit ihrer Widerklage begehrten Feststellung, daß sie allenfalls nur unter der genannten Einschränkung verpflichtet sei, dem Betriebsrat Einsicht in die Gehaltslisten der Kläger zu geben. Sie sei verpflichtet, das auf der Verfassung fußende informationelle Selbstbestimmungsrecht der Kläger und ihrer sonstigen Arbeitnehmer zu beachten. Die Beachtung der auf Antrag des Betriebsrats ergangenen Entscheidung des Arbeitsgerichts zwinge sie, rechtswidrig zu handeln.

Das Arbeitsgericht hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten und die unselbständigen Anschlußberufungen der Kläger hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Widerklagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Widerklage der Beklagten im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Der mit der Widerklage verfolgte Feststellungsantrag stellt sich seinem Inhalt nach lediglich als ein Antrag dar, die Klage nicht vollständig, sondern nur zum Teil abzuweisen.

1. Die Widerklage ist eine echte und selbständige Klage besonderer Art (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 99 II 3 – S. 592; Zöller/Vollkommer, ZPO, 15. Aufl., § 33 Rz 7; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 33 Anm. 3a). Bei der Widerklage und der Hauptklage handelt es sich um zwei selbständige Prozesse, die lediglich zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung in einem Verfahren vereinigt sind (Rosenberg/Schwab, aaO, S. 593).

Mit der Widerklage beschränkt sich die beklagte Partei nicht nur auf Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel gegen den Anspruch des Klägers (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., Anh. § 253 Anm. 1 B m.w.N.), sondern geht ihrerseits zum selbständigen Gegenangriff auf die klagende Partei über (Rosenberg/Schwab, aaO, § 99 II 1, S. 589; Zeiss, Zivilprozeßrecht, 7. Aufl., § 54 Rz 400 und Arens, Zivilprozeßrecht, 4. Aufl., Rz 236), indem ein anderer prozessualer Anspruch erhoben und damit ein anderer als der mit der Klage verfolgte Streitgegenstand (Arens, aaO, Rz 237; Zöller/Vollkommer, aaO, § 33 Rz 7; Stein/Jonas/ Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 33 Rz 2) zur Entscheidung gestellt wird.

Durch diesen eine Widerklage kennzeichnenden selbständigen Antrag unterscheidet sich die Widerklage vom bloßen Leugnen des von der klagenden Partei beanspruchten Rechts (Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl., § 14 III 2, S. 141) und von Einwendungen bzw. Einreden, mit denen eine vollständige oder teilweise Klageabweisung – letztere z.B. mit dem Antrag auf Herabsetzung einer Vertragsstrafe gem. § 343 BGB oder mit dem Begehren auf eingeschränkte Verurteilung (wie gem. §§ 274, 322 BGB) – erstrebt wird (A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., § 61 I, S. 315; Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., § 44 III 1, S. 171). Das gilt selbst dann, wenn die Bitte um Klageabweisung auf einem Gegenanspruch – z.B. einer zur Aufrechnung gestellten Forderung – beruht (Rosenberg/Schwab, aaO, § 99 II 1, S. 589).

Folglich liegt eine Widerklage nur vor, wenn der Beklagte mehr erreichen will als die bloße Verneinung der Rechtsbehauptung des Klägers (Zöller/Vollkommer, aaO, § 33 Rz 7). Denn diese Verneinung verlangt er bereits mit seinem Klageabweisungsantrag und erhält sie schon dadurch, daß die Klage als unbegründet abgewiesen wird (Nikisch, aaO). Daher liegt keine Widerklage, sondern eine – sachlich bedeutungslose – rein äußerliche Einkleidung eines Klageabweisungsantrags in die Form einer Widerklage vor, wenn nur die bloße Abweisung des Klageantrags ohne eine weitergehende Entscheidung begehrt wird (Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 33 Anm. C I und C I a; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 33 Rz 2). Schon das Reichsgericht hat dazu ausgeführt: “Für eine solche Widerklage fehlt es an jedem selbständigen Inhalte; ihre Entscheidung ist mit der Entscheidung auf die Klage von selbst gegeben” (RGZ 71, 68, 75). Beharrt die beklagte Partei auf einem solchen Antrag, ist dieser als unzulässig abzuweisen (Zöller/ Vollkommer, aaO, § 33 Rz 7).

Das gilt auch dann, wenn mit der “Widerklage” nicht die vollständige, sondern nur die teilweise Abweisung der Klage begehrt wird.

2. Gemessen an diesen Grundsätzen enthält die “Widerklage” der Beklagten keinen selbständigen Antrag und wird mit dieser kein anderer Streitgegenstand zur Entscheidung gestellt.

Die Beklagte hat in erster Linie beantragt, die Klage abzuweisen und damit den von den Klägern geltend gemachten Unterlassungsanspruch in vollem Umfange geleugnet. Wenn sie nunmehr die Feststellung beantragt, die Kläger könnten von ihr nur mit Einschränkungen verlangen, daß sie die Einsichtnahme in deren Gehaltslisten durch den Betriebsrat verweigert, so begehrt sie damit nur die Feststellung, daß sie die von den Klägern begehrte Unterlassung nicht vollständig, sondern nur eingeschränkt schuldet, nämlich nur dann, wenn der Betriebsrat keinen begründeten Anlaß hat, die übertariflichen Gehaltsbestandteile der Kläger kennenzulernen. Damit leugnet sie den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nur teilweise. Ihr “Widerklageantrag” ist daher nichts anderes als ein Antrag auf nur teilweise Abweisung der Unterlassungsklage.

Dadurch, daß das Landesarbeitsgericht den Unterlassungsantrag der Kläger bereits in vollem Umfang abgewiesen hat, ist auf der anderen Seite dem Antrag der Beklagten auf Klageabweisung bereits in vollem Umfange stattgegeben worden. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Unterlassungsantrag der Kläger ist rechtskräftig geworden, da diese gegen das Urteil kein Rechtsmittel eingelegt haben. Damit steht fest, daß die Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf haben, daß diese die Vorlage ihrer Gehaltslisten zur Einsichtnahme durch den Betriebsrat unterläßt. Ihr Antrag festzustellen, daß sie die von den Klägern geltend gemachte Unterlassung nicht schulde, wenn der Betriebsrat einen begründeten Anlaß für sein Einsichtsbegehren darlegt, betrifft einen Teil dessen, was ihr längst – rechtskräftig – zugesprochen worden ist, nämlich, daß sie den Klägern gegenüber die Unterlassung in keinem Falle schulde.

Damit liegt der “Widerklage” der Beklagten kein Antrag zugrunde, über den aufgrund ihrer Revision noch in der Sache entschieden werden könnte. Das, was nach diesem Antrag entschieden werden soll, ist rechtskräftig bereits zugunsten der Beklagten entschieden worden. Ihre Widerklage ist damit unzulässig.

Das Landesarbeitsgericht hat die Widerklage gleichfalls als unzulässig abgewiesen. Die Revision der Beklagten ist damit als unbegründet zurückzuweisen. Die Kosten der Revision hat nach § 97 ZPO die Beklagte zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Breier, Dr. Wohlgemuth

 

Fundstellen

Dokument-Index HI840992

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