Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 17.07.1991; Aktenzeichen 9 Sa 149/91)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. Juli 1991 – 9 Sa 149/91 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Heimarbeitsvergütung.

Die Beklagte stellt Holzmöbel her, die sie als Bausatz ausliefert. Zu jeder Lieferung gehört eine Tüte mit Beschlagteilen, Verbindungselementen und anderem Montagezubehör (Leimtuben), die zum Teil aus Metall bestehen. Die Zusammenstellung dieser Kleinteile hat die Beklagte in Heimarbeit vergeben. Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen haben die Aufgabe, die ihnen gelieferten Kleinteile nach vorgegebenen Stückzahlen in Tüten abzupacken.

Der Heimarbeitsausschuß für die Herstellung von Artikeln aus Holz oder Schnitzstoff hat für die mit der Herstellung von Artikeln aus Holz oder Schnitzstoff in Heimarbeit Beschäftigten bindende Festsetzungen von Entgelt und sonstigen Vertragsbedingungen am 23. April 1986 mit Wirkung vom 1. Juni 1986 erlassen (bF).

Darin ist der sachliche Geltungsbereich in der Fassung der Änderung vom 27. März 1987, gültig ab 1. Mai 1987, folgendermaßen beschrieben:

„Sachlich: für das Herstellen, Be- und Verarbeiten von Artikeln aus Holz, Schnitzstoff oder entsprechenden Austauschstoffen, z.B. Möbeltischlerarbeiten einschließlich Teilarbeiten wie Zusammensetzen und Bearbeiten von Möbelteilen u. ä., Zusammensetzen von Furnieren, Holzbildhauerarbeiten, Fräs- bzw. Schnitzarbeiten aus Horn, Bein und Elfenbein und entsprechende Arbeiten bei Verwendung von Kunststoffen, Schneiden von Korken, Herstellung und Bearbeitung von Haus- und Küchengeräten aus Holz, Kisten aller Art, Spanschachteln, sonstigen Holzwaren (z.B. Rauchergeräte einschließlich Raucherutensilien, Reiseandenken. Sportartikel, Kleiderbügel, Wäscheklammern u.a.), Zählen, Messen, Kontrollieren, Sortieren und Zurichten von Holzteilen, das Anfertigen der Uhrkästen sowie das Schnitzen der Uhrschilder von Schwarzwalduhren.

Die bindende Festsetzung gilt auch für die anfallenden Verpackungsarbeiten.”

Die Beklagte zahlte ihren Heimarbeiterinnen Kleine, Grae, Greulich und Heimann von Januar 1988 bis Februar 1990 eine Heimarbeitsvergütung ohne gesonderte Ausweisung der in den bindenden Festsetzungen vorgesehenen Zuschläge und ohne Ausweisung der nach dem FeiertagslohnzahlungsG und dem LFZG vorgesehenen Beträge.

Die Gewerbeaufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen hat gemeint, die Heimarbeiterinnen hätten diese Zuschläge nicht bekommen. Die Beklagte lehnte die Nachzahlung ab, weil die Arbeiten nicht vom sachlichen Geltungsbereich der bindenden Festsetzungen erfaßt und weil in der mit den Heimarbeiterinnen frei vereinbarten Arbeitsvergütung die gesetzlichen und in der bindenden Festsetzung vorgesehenen Zuschläge enthalten seien.

Das klagende Land hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an Frau Anni Kleine 372,90 DM, an Frau Anni Grae 3.870,64 DM, an Frau Irene Greulich 4.064,35 DM und an Frau Margot Heimann 4.972,72 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September 1990 auf die jeweilige Summe zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage wegen des Lohnfortzahlungszuschlags stattgegeben und im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des klagenden Landes der Klage insgesamt stattgeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiter ihr Ziel der Klageabweisung. Das klagende Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die vom klagenden Land in gesetzlicher Prozeßstandschaft nach § 25 HAG vertretenen Heimarbeiterinnen haben gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Zuschlägen nach der vom Heimarbeitsausschuß für die Herstellung von Artikeln aus Holz und Schnitzstoff verabschiedeten bindenden Festsetzung vom 23. April 1986 in der Fassung der Änderung vom 27. März 1987 sowie nach § 8 LFZG und § 2 FeiertagslohnzahlungsG.

I. Die Revision rügt zu Unrecht die Verletzung des § 551 Nr. 7 ZPO durch das Landesarbeitsgericht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Entscheidung nicht mehr mit Gründen versehen, wenn zwischen Verkündung des Urteils und der Zustellung der Entscheidung mehr als ein Jahr liegt (zuletzt Urteil vom 7. April 1992 – 1 AZR 322/91 – zur Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). Das angefochtene Urteil ist der Beklagten innerhalb dieser Frist zugestellt worden.

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht auf die Beschäftigungsverhältnisse der vier Heimarbeiterinnen mit der Beklagten die bindende Festsetzung vom 23. April 1986 in der Fassung der Änderung vom 27. März 1987 angewendet.

1. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 HAG hat die bindende Festsetzung des Heimarbeitsausschusses die Wirkung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages. Die in der bindenden Festsetzung enthaltenen Rechtsregeln gelten wie die Rechtsnorm des Tarifvertrages unmittelbar und zwingend zwischen den vom fachlichen, persönlichen und räumlichen Geltungsbereich erfaßten Auftraggebern und den in Heimarbeit Beschäftigten in diesem Geltungsbereich (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG; vgl. Senatsurteil vom 5. Mai 1992 – 9 AZR 447/90 – zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Die Tätigkeit der Heimarbeiterinnen fällt unter den sachlichen Geltungsbereich der bF vom 23. April 1986 in der Fassung der Änderung vom 27. März 1987. Sie sind bei ihrer Tätigkeit mit der Herstellung von Artikeln aus Holz beschäftigt. Die Beklagte läßt keine fertigen Möbel herstellen, die gebrauchsfertig aufgestellt werden können, sondern Bausätze. Deren Herstellung endet nach dem Zuschneiden, Furnieren, Leimen u. ä. von Einzelteilen mit dem Hinzufügen der Befestigungselemente, mit denen der Käufer selbst für die Aufstellung und Gebrauchsfähigkeit sorgt. Das Hinzufügen dieser Teile ersetzt z.B. die Herstellung einer festen Verbindung durch Nut oder Leim. Das Hinzufügen der Montageteile (offen oder verpackt) ist deshalb Teil des gesamten Herstellungsprozesses, an dem in diesem Schlußabschnitt die Heimarbeiterinnen beteiligt sind. Hätte die Beklagte diese Arbeiten nicht an Heimarbeiterinnen vergeben, so müßten Mitarbeiter in der Produktionsstätte am Ende des Herstellungsprozesses vor der versandfertigen Verpackung der Möbelstücke die Kleinteile hinzufügen. Auf die Materialien der Kleinteile kommt es nicht an. Auch der Mitarbeiter, der Farbe aufbringt oder das Holz beizt, ist mit der Herstellung von Artikeln aus Holz beschäftigt.

Dagegen läßt sich nicht einwenden, die Entgeltgruppen in § 3 bF enthielten für die Verpackung von Kleinteilen keine Beschreibung. Die Tätigkeiten der Heimarbeiterinnen sind einfache Arbeiten i. S. der Entgeltgruppe I. die ohne vorherige Arbeitskenntnisse, also ohne Ausbildung oder Anlernung, nach kurzer Anweisung ausgeführt werden können. Die in der bindenden Festsetzung nachfolgenden Beispiele sind nicht abschließend und hindern deswegen eine Einordnung nicht.

Zu Unrecht rügt die Beklagte, das Landesarbeitsgericht habe die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. November 1981 (– 3 AZR 456/79 – AP Nr. 10 zu § 19 HAG) nicht beachtet. Das angefochtene Urteil stimmt mit den Ausführungen in jenem Urteil überein. Maßgebend für die Anwendung einer bestimmten bindenden Festsetzung ist das Produkt, das hergestellt wird, nicht der Gewerbezweig. Das von der Beklagten hergestellte Produkt, an deren Fertigstellung die Heimarbeiterinnen beteiligt sind, ist ein Artikel aus Holz, nicht eine Tüte mit Kleinteilen.

III. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zu Recht ausgeführt, die Richtigkeit der Behauptung der Beklagten sei nicht festzustellen, die Beklagte habe mit den Heimarbeiterinnen vereinbart, die im Einzelnen benannten Zuschläge sollten in den jeweils insgesamt zu zahlenden Gesamtentgelten enthalten sein.

1. Die behauptete Vereinbarung ist rechtlich möglich (BAG Urteile vom 13. März 1963 – 4 AZR 415/61 – AP Nr. 1 zu § 20 HAG und vom 21. Januar 1965 – 5 AZR 228/64 – AP Nr. 1 zu § 1 HAG). Allerdings trägt der Auftraggeber dafür die Darlegungs- und Beweislast (BAG, a.a.O.).

2. Die Beklagte ist bereits ihrer Darlegungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Die bloße Behauptung einer Vereinbarung ohne Aufschlüsselung des tatsächlich gezahlten Entgelts ist nicht überprüfbar. Es fehlen Entgeltverzeichnisse und Entgeltbelege, aus denen die Aufteilung des gesamten Verdienstes zu entnehmen wäre, zu deren Führung die Beklagte verpflichtet ist (§ 2 bF). Weiter sind die vorgelegten Bescheinigungen der Heimarbeiterinnen vom 23. Januar 1990 nicht geeignet, Vereinbarungen dieses Inhalts vor oder bei Beginn der Beschäftigung zu bestätigen. Soweit die Beklagte den Erklärungen die Bedeutung beimißt, jedenfalls ab 23. Januar 1990 seien alle Mindestentgelte und Zuschläge wie vorgeschrieben bezahlt, ist den Bescheinigungen dieser Erklärungsinhalt nicht zu entnehmen. Das wäre allenfalls möglich, wenn die Heimarbeiterinnen bestätigt hätten, sie hätten ab 23. Januar 1990 einen anderen Gesamtlohn als bisher bekommen und dieser entspreche den Bestimmungen der bindenden Festsetzung und des Lohnfortzahlungs- und Feiertagslohnzahlungsgesetzes.

IV. Die Beklagte ist zur Zahlung der verlangten Zuschläge verpflichtet.

1. Der Feiertagszuschlag folgt aus § 2 FeiertagslohnzahlungsG. Er ist brutto zu zahlen. Der Begriff des „reinen” Arbeitsentgelts steht nicht für netto, sondern hat die Bedeutung, daß der Zuschlag auf das bereinigte Entgelt ohne weitere Zuschläge zu zahlen ist (kein Zuschlag auf Zuschlag – BAG Urteil vom 15. Dezember 1960 – 5 AZR 437/58 – AP Nr. 2 zu § 2 HAG). Die Hohe des Zuschlags hat die Beklagte zuletzt nicht mehr bestritten. Die Berechnung des klagenden Landes ist daher als unstreitig zugrunde zulegen.

2. Der Krankengeldzuschuß folgt aus § 8 Abs. 1 Nr. 1 LFZG. Er ist der Höhe nach unstreitig.

3. Der Heimarbeitszuschlag folgt aus § 5 bF. Er ist wie der Feiertagszuschlag ein Bruttozuschlag.

4. Der Anspruch auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld folgt aus § 8 bF. Die Berechnung des klagenden Landes ist zutreffend. Der Einwand der Beklagten, die Heimarbeiterinnen seien nicht in Urlaub gewesen, ist angesichts des dispositiven Charakters des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BUrlG und der Unanwendbarkeit des § 11 Abs. 2 BUrlG unbeachtlich.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Dr. Reinecke, Dörner, Dr. Gaber, Fox

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081361

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