Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung bei Betriebsstilllegung

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 113 Abs. 3, § 111; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 02.12.1976; Aktenzeichen 6 Sa 1146/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt an Hain vom 2. Dezember 1976 – 6 Sa 1146/75 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision trägt der Kläger.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Beklagte betrieb neben einem Handelsgeschäft und einer Grundstückverwaltung bis zum 31. Januar 1975 eine in industrieller Fertigungsweise produzierende Näherei (sog. Excalor-Näherei).

In dieser Näherei beschäftigte die Beklagte höchstens 18 Arbeitnehmer, darunter den Kläger. Bereits im Jahre 1971 hatte die Beklagte im Zuge des Abbaus von Verlustquellen ihre damals noch mitbetriebene Weberei zur Schwesterfirma nach H.-L. verlegt. Nachdem dies für ihre Gesundung nicht ausreichte, vereinbarte sie mit den beteiligten Betriebsräten am 25. Februar 1971 die Stillegung ihrer Zweigwerke in V. (Kreis F./H.) und Sch., wobei zugleich eine Sozialplanregelung erstellt wurde. Von dieser Regelung war u. a. ausdrücklich die Excalor-Näherei in K. ausgenommen. In einer Zusatzvereinbarung vom 5. Juni 1971 legten die Beklagte und der Betriebsrat ihres K. Werkes fest, daß u. a. die Arbeitnehmer ihrer Abteilung Excalor-Näherei Abfindungen nach Haßgabe dieses Sozialplanes vom 25. Februar 1971 erhalten sollten, falls ihre Arbeitsverhältnisse infolge einer eventuellen Stillegung von der Beklagten gekündigt werden müßten.

Am 30. Januar 1975 verkaufte die Beklagte die Betriebsmittel der Näherei einschließlich ihrer Beteiligung an der Firma Excalor GmbH an die Firma R.-Werke GmbH, Ka. zu einem über den Buchwerten liegenden Preis. Diese führte die Näherei ab dem 1. Februar 1975 mit den bis dahin dort beschäftigten Arbeitnehmern zunächst fort, kündigte ihnen jedoch am 25. Februar 1975 unter Hinweis auf die von ihr zum 31. März 1975 beschlossene Stillegung der Näherei.

Mit der Klage verlangt der Kläger eine Abfindung nach § 113 i.V.m. § 111 BetrVG.

Er trägt vor, der Beklagten sei seit Beginn der Vertragsverhandlungen die Absicht der Firma R. bekannt gewesen, einige Monate nach deren Erwerb die Näherei stillzulegen. Die Beklagte hätte deshalb aus Anlaß dieser Veräußerung als dem ersten Schritt zur späteren Stillegung der Näherei mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich verhandeln müssen. Sie müsse sieh so behandeln lassen, wie wenn sie selbst die Näherei stillgelegt hätte.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung in Höhe von 28.000,– DM zu zahlen.

Die Beklagte bittet um Klageabweisung. Sie vertritt die Ansicht, die Excalor-Näherei sei immer ein betriebsverfassungsrechtlich selbständiger Betrieb gewesen, in dem die für die Anwendung der §§ 111, 113 BetrVG erforderliche Anzahl von 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern nie vorhanden gewesen sei. Die Veräußerung der Näherei sei erforderlich gewesen, weil anders einige Kommanditisten nicht hätten ausgelöst werden können. Ihre Geschäftsführung sei noch im Zeitpunkt des Verkaufs der Näherei der festen Überzeugung gewesen, daß mit deren Schließung durch die Firma R.-Werke in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei.

Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seinen Klageantrag weiterverfolgt und ergänzend behauptet, die Beklagte habe bereits seit Jahren die Stillegung der Näherei geplant. Nur aus diesem Grunde sei die Zusatzbetriebsvereinbarung vom 5. Juni 1971 geschlossen worden. Die Beklagte habe auch vor dem 31. Januar 1975 mit einer solchen Stillegung gerechnet. Denn an ihrer dahingehenden Absicht habe die Firma R.-Werke bei den Kaufvertragsverhandlungen keinen Zweifel gelassen.

Demgegenüber hat die Beklagte an ihrem Klageabweisungsantrag und an ihrer Ansicht festgehalten, eine Betriebsveräußerung sei keine Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG. Abfindungsansprüche aus den Betriebsvereinbarungen vom 5. Juni 1971 und 25. Februar 1971 kämen für den Kläger deshalb nicht in Betracht, weil diese Vereinbarungen für einen ganz bestimmten, nur im Jahre 1971 vorliegenden Tatbestand abgeschlossen und mithin zwischenzeitlich obsolet geworden seien. Die Beklagte habe die Zusatzbetriebsvereinbarung vom 5. Juni 1971 nur für den Fall abgeschlossen, daß sie sich wegen ihrer Verschuldung gegenüber der damaligen Banken-Forderung, auch die noch mit Gewinn arbeitende Excalor-Näherei zu schließen, nicht hätte durchsetzen können.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger wegen der von ihm versäumten Berufungsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und die Berufung nach weiterer Beweisaufnahme zurückgewiesen. Es hat dies im wesentlichen damit begründet, daß für die Beklagte im Verkauf der Excalor-Näherei keine Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff, BetrVG gelegen habe. Der Gesetzgeber habe sich beim rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang für die arbeitsvertragliche Lösung in § 613 a BGB entschieden. Diese Vorschrift schließe die §§ 111 ff. BetrVG aus. Insoweit komme es mithin nicht darauf an, ob die Näherei ein unselbständiger Betriebsteil oder ein selbständiger Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne gewesen sei. Auch aus den Betriebsvereinbarungen vom 25. Februar und 5. Juni 1971 schulde die Beklagte keine Abfindung, weil sie die Näherei nicht im Sinne dieser Hegelungen stillgelegt und dem Kläger gekündigt habe. Dem Kläger sei es auch nicht gelungen, den Beweis für ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken der Beklagten mit der Firma R.-Werke zum Nachteil der in der Näherei Tätigen zu erbringen. Schon aus Rechtsgründen sei es nicht zu beanstanden, falls etwa die Firma E.-Werke den Näherei-Betrieb in K. aus Konkurrenzerwägungen gekauft hätte, um ihn alsdann stillzulegen. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe zudem fest, daß der Beklagten weder bei den Vertragsverhandlungen mit der Firma R.-Werke noch beim Übergang des Näherei-Betriebes auf diese am 1. Februar 1975 etwas von einer Stillegungsabsicht der Erwerberin bekannt gewesen sei.

Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Abfindungsanspruch weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach dem Streitwert zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht einen Abfindungsanspruch des Klägers aus § 113 Abs. 3 BetrVG gegenüber der Beklagten verneint.

1. Landesarbeitsgericht und Arbeitsgericht haben einen Nachteilsausgleich des Klägers gegenüber der Beklagten mit der Begründung verneint, ein von § 113 Abs. 3 und 1 BetrVG vorausgesetzes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Beklagten nach § 111 BetrVG scheitere schon, weil die Veräußerung der Näherei an die Firma R.-Werke als Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB nicht zugleich auch eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG habe sein können. Die Vorinstanzen haben deshalb offengelassen, ob es sich bei diesem „Betriebsteil” um einen selbständigen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne handelte und ob gegebenenfalls ein Mitbestimmungsrecht aus § 111 BetrVG auch deswegen nicht gegeben war, weil dort nicht die von § 111 Satz 1 BetrVG geforderte Anzahl von in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern beschäftigt wurde.

Hiergegen wendet sich zwar die Revision zum Teil mit Recht. Das vom Landesarbeitsgericht gefundene Ergebnis stellt sich für den Kläger aber gleichwohl als richtig dar (§ 563 ZPO).

2. Unzulässig ist zunächst die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe bezüglich der Anzahl der regelmäßig in der Näherei Beschäftigten vorgetragene Tatsachen außer Betracht gelassen und damit § 286 ZPO verletzt, weil das Berufungsgericht den vom Kläger vor dem Arbeitsgericht zugestandenen (Sitzungsniederschrift vom 16. Juni 1975) und nachfolgend nicht widerrufenen Sachvortrag der Parteien dahin zusammengefaßt hat, in der Näherei hätten in der Zeit bis zum 31. Januar 1975 „höchstens 18 Arbeitnehmer” gearbeitet. Damit ist in tatsächlicher Hinsicht für das Revisionsgericht bindend festgestellt, daß vor dem genannten Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr als 18 Arbeitnehmer in der Näherei arbeiteten (§ 561 Abs. 2 ZPO). Dieser Feststellung ist der Kläger nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag (§ 320 ZPO) entgegengetreten. Letztlich kommt es aber für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf diese Frage – aus den noch zu erörternden Gründen – nicht an, weil nur solche Arbeitnehmer klagen, die in ein Arbeitsverhältnis zur Firma R.-Werke getreten sind.

3. Das Landesarbeitsgericht durfte allerdings die Frage, ob es sich bei der veräußerten Näherei um einen selbständigen Betrieb im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG handelte, nicht schon mit der Begründung offenlassen, der in § 613 a BGB vorgeschriebene individualrechtliche Übergang der Einzelarbeitsverhältnisse auf den Erwerber schließe eine nach § 111 BetrVG mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung schlechthin aus.

a) Diese Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist schon deshalb irrig, weil die Begriffe „Betrieb” und/oder „Betriebsteil” in § 613 a BGB einerseits und im Betriebsverfassungsgesetz andererseits unterschiedlich auszulegen sind. In seiner Entscheidung vom 22. Mai 1979 – 1 ABR 17/77 – (zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung und im Nachschlagewerk vorgesehen) hat der Senat das „soziale Element” der in § 111 BetrVG enthaltenen Regelung betont und klargestellt, daß der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff neben den sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln auch und gerade die Belegschaft umfasse. Dagegen falle unter den Betriebsbegriff des § 613 a BGB nur die Summe der im Betrieb zusammengefaßten sächlichen und immateriellen Betriebsmittel, nicht aber die Belegschaft. An dieser grundsätzlichen Abgrenzung ist auch vorliegend festzuhalten.

b) Ferner ist die vom Landesarbeitsgericht (ohne jede Einschränkung) gegebene Begründung auch deshalb unrichtig, weil jedenfalls der Verkauf eines Betriebsteils durchaus ein unter § 111 BetrVG zu subsumierenden Fall einer Betriebsänderung sein kann. Dies gilt aber nicht im Hinblick auf die mit dem veräußerten Betriebsteil zum Erwerber überwechselnden Arbeitnehmer. Deren Schutz vor Nachteilen aus Anlaß der Betriebsteil-Veräußerung wird, wie vom Landesarbeitsgericht insoweit zutreffend angenommen, ausschließlich durch § 613 a BGB gewährleistet. Etwas anderes mag für die im Rest-Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer gelten, sofern für diese (oder einen erheblichen Teil derselben) die Veräußerung des Betriebsteils wesentliche Nachteile zur Folge haben kann. Darüber ist aber hier nicht zu befinden. Der Kläger gehört zu den früheren Arbeitnehmern der Beklagten, die mit der Betriebsveräußerung in ein Arbeitsverhältnis zur Firma R.-Werke getreten sind. Deshalb kann auch der Senat die Frage offenlassen, ob bei der Beklagten aus Anlaß des Verkaufs der Näherei eine Betriebsänderung vorlag.

4. Das Landesarbeitsgericht hat ferner ohne Rechtsfehler einen Abfindungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus den Betriebsvereinbarungen vom 25. Februar und 5. Juni 1971 verneint. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob diese Sozialplanvereinbarungen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch wirksam waren, denn es fehlt schon an deren tatbestandlichen Voraussetzungen. Die Beklagte hat nämlich den Näherei-Betrieb nicht stillgelegt. Sie haftet aber nach dem Gesetz neben dem neuen Betriebsinhaber für Verpflichtungen aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen nur, soweit sie vor diesem Zeitpunkt entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem fällig werden (§ 613 a Abs. 2 Satz 1 BGB).

5. Zu Recht hat das angefochtene Urteil ferner auch eine Haftung der Beklagten aus dem Gesichtspunkt des bewußten und gewollten (kollusiven) Zusammenwirkens zum Nachteile des Klägers verneint. Es stellt in Würdigung der erhobenen Beweise fest, daß der Beklagten weder bei den Vertragsverhandlungen mit der Firma R.-Werke noch beim Übergang des Näherei-Betriebes auf letztere etwas von deren Stillegungsabsichten bekannt gewesen sei. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision gehen fehl. Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ist in sich widerspruchsfrei und verstößt auch nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze. Bisweilen werden Betriebe gekauft, um sie alsbald stillzulegen. Das hierüber vom Landesarbeitsgericht Gesagte ist richtig. Auch die von der Revision gerügte Verletzung des § 286 ZPO, wonach das Landesarbeitsgericht es unterlassen habe, die Aussage des Zeugen H. zu berücksichtigen, liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat sich (auf S. 17 und 18 der Urteilsgründe) mit der Aussage des Zeugen M. auseinandergesetzt und dargelegt, warum es dessen Aussage nicht folgen wollte. Die in diesem Zusammenhang ferner erhobenen Rügen einer Verletzung des § 139 ZPO sind unzulässig. Sie legen mit keinem Wort dar, wieso für das Landesarbeitsgericht eine Notwendigkeit zu entsprechenden Fragen bestanden habe. Vielmehr dienen sie dazu, neuen Tatsachenstoff in den Rechtsstreit einzuführen.

6. Im Ergebnis ist somit ein Abfindungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht gegeben. Die Revision muß mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückgewiesen werden.

 

Unterschriften

gez.: Bichler, zugleich für den Urlaubsabwesenden Richter Dr. Jobs, Dr. Seidensticker, Dr. Lohauß, Gnade

 

Fundstellen

Dokument-Index HI732496

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