Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Verdienstsicherung

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Abgruppierung im Sinne des § 5 des Tarifvertrages zur Sicherung der Eingruppierung und zur Verdienstsicherung bei Abgruppierung vom 3. April 1978 liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben und deshalb die Ausübung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit vereinbart wird.

 

Normenkette

TVG § 1; ArbGG § 61 Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.11.1984; Aktenzeichen 10 Sa 110/84)

ArbG Mannheim (Entscheidung vom 03.05.1984; Aktenzeichen 5 Ca 560/82 H)

 

Tatbestand

Der im Oktober 1932 geborene schwerbehinderte Kläger, der der Industriegewerkschaft Metall als Mitglied angehört, steht seit September 1964 in den Diensten der Beklagten. Die Beklagte, die eine Gießerei betreibt, ist Mitglied des Verbands der Metallindustrie Baden-Württemberg e.V. Der Kläger wurde bis zum Jahre 1977 als Ausleerer und Gießer beschäftigt und ab 1978 als Kerntaucher in der Kernmacherei. Diese Tätigkeit wurde nach Lohngruppe 8 vergütet.

Ab Februar 1978 war der Kläger, der sich in den Jahren 1978 und 1979 Magenoperationen unterziehen mußte, überwiegend krank. Er arbeitete im Jahre 1978 insgesamt nur an 36 Tagen und war arbeitsunfähig vom 20. Februar bis 31. Dezember 1978. Im Jahre 1979 arbeitete er nur an sieben Tagen, im Jahre 1980 an 13 Tagen. Im Jahre 1981 war er arbeitsunfähig vom 5. März bis 16. April und vom 25. August bis 31. Dezember.

Aufgrund seines Gesundheitszustands war der Kläger im Jahre 1982 nicht mehr in der Lage, die schweren Arbeiten in der Kernmacherei als Kerntaucher oder die frühere Tätigkeit als Ausleerer oder Gießer auszuüben. Seine Anträge auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente wurden rechtskräftig abgelehnt. Am 26. Januar 1982 schlug die Beklagte dem Kläger vor, in Zukunft als Reinigungsarbeiter tätig zu sein. Der bei diesem Gespräch anwesende Betriebsrat bestand hierbei auf der Beachtung des Tarifvertrags zur Sicherung der Eingruppierung und zur Verdienstsicherung bei Abgruppierung für Arbeiter und Angestellte vom 3. April 1978 (TV 1978). Der Kläger äußerte sich hierzu nicht. Mit Schreiben vom 27. Januar 1982 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie ihm wunschgemäß einen neuen Arbeitsplatz als Reinigungskraft im Sozialgebäude anbiete. Daraufhin nahm der Kläger am 28. Januar 1982 diese angebotene Tätigkeit auf. Mit Schreiben vom 3. Februar 1982 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß er ab 1. März 1982 nach der Lohngruppe 4 mit einem Stundenlohn von DM 8,91 zuzüglich einer Leistungszulage von DM 1,15 vergütet werde. Hierüber unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 10. Februar 1982, der darauf nicht reagierte. Infolge der Neufestsetzung des Lohns mit Wirkung vom 1. März 1982 erlitt der Kläger einen Lohnverlust in Höhe von DM 4,15 je Stunde.

Der Kläger hat vorgetragen, daß der TV 1978 einer Lohnminderung entgegenstehe, auch wenn sie einvernehmlich vereinbart sei. Der TV 1978 sei auch bei einer gesundheitsbedingten Abgruppierung anwendbar. Der Kläger verlangt daher von der Beklagten die Stundenlohndifferenz zwischen der von der Beklagten gezahlten Vergütung und seiner bisherigen Vergütung nach Lohngruppe 8, das sind DM 4,15 je Stunde. Für die Monate April bis September 1982 beträgt die Stundenlohndifferenz unstreitig DM 3.295,10 brutto.

Der Kläger hat demgemäß beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Klä-

ger DM 3.295,10 brutto nebst 4 % Zinsen

aus dem Nettobetrag ab dem 25. November

1982 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger

für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31.

Dezember 1982 eine Lohnabrechnung auf

der Basis eines Stundenlohns von DM 14,21

brutto zu erteilen und den sich aus der

Abrechnung ergebenden Betrag abzüglich

der bereits bezogenen Beträge an den

Kläger auszuzahlen nebst 4 % Zinsen aus

dem Nettodifferenzbetrag ab dem 1. No-

vember 1982.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der TV 1978 greife vorliegend nicht ein. Es liege überhaupt keine Abgruppierung vor, weil die Arbeitsbedingungen am bisherigen Arbeitsplatz des Klägers nicht geändert worden seien. Vielmehr sei zwischen den Parteien zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung ein neuer Arbeitsvertrag zu geänderten Arbeitsbedingungen und zu einem geringeren Lohn abgeschlossen worden. Ein solcher Arbeitsvertrag sei nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit zulässig. Auf arbeitsvertragliche Änderungen sei der TV 1978 nicht anwendbar. Im übrigen greife der TV 1978 nur bei betriebsbedingten Abgruppierungen ein, der Kläger werde aber unstreitig aus gesundheitsbedingten Gründen auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt. Darüber hinaus handele der Kläger rechtsmißbräuchlich, wenn er sich auf den TV 1978 berufe. Der Kläger habe ab 1978 praktisch keine Arbeitsleistung im Betrieb mehr erbracht. Er habe also zu dem Zeitpunkt der Vereinbarung eines neuen Arbeitsvertrags im Februar 1982 überhaupt keine Tätigkeit ausgeübt, die nach Maßgabe der Lohngruppen im Betrieb der Beklagten vergütungsfähig gewesen wäre. Die Lohnsicherung nach dem bisherigen Verdienst werde nach dem TV 1978 nur für die Dauer von 18 Monaten gewährt. Diese Frist sei während der Dauer der Untätigkeit des Klägers seit 1978 bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit als Reinigungskraft im Sozialgebäude mehrfach abgelaufen gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Grundurteil vom 27. Januar 1983 stattgegeben und durch Teilurteil vom 3. Mai 1984 nach dem Klageantrag zu 1) erkannt und die Beklagte nach dem Klageantrag zu 2) zur Erteilung der begehrten Lohnabrechnung verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage mit Recht stattgegeben. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger DM 3.295,10 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag ab 25. November 1982 zu zahlen und dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1982 eine Lohnabrechnung auf der Basis eines Stundenlohns von DM 14,21 brutto zu erteilen. Denn der Kläger hat Anspruch auf Verdienstausgleich nach dem Tarifvertrag zur Sicherung der Eingruppierung und zur Verdienstsicherung bei Abgruppierung für Arbeiter und Angestellte vom 3. April 1978 (TV 1978). Der danach dem Kläger zustehende Verdienstausgleich ist nach dem Lohn seiner bisherigen Lohngruppe 8 zu bemessen und ist in seiner rechnerischen Höhe von DM 3.295,10 brutto für die Monate April bis September 1982 und auf der Basis eines Stundenlohns von DM 14,21 brutto für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1982 unstreitig.

Die von der Beklagten eingelegten Rechtsmittel sind zulässig. Insbesondere konnte die Beklagte mit der Berufung vom 5. Juli 1984 gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts vom 3. Mai 1984 auch das der Beklagten am 1. September 1983 zugestellte Grundurteil des Arbeitsgerichts vom 27. Januar 1983 noch angreifen. Denn gegen das Grundurteil des Arbeitsgerichts ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren kein selbständiges Rechtsmittel statthaft, da das Grundurteil insoweit nicht als Endurteil anzusehen ist (§ 61 Abs. 3 ArbGG in Verb. mit § 64 Abs. 6 ArbGG und § 511 ZPO). Vielmehr ist das Grundurteil zusammen mit dem nach ihm ergehenden Endurteil (hier: Teilurteil vom 3. Mai 1984) anfechtbar.

Die Klageanträge sind zulässig. Bei dem Klageantrag zu 1) handelt es sich um einen unbedenklich zulässigen Leistungsantrag, der die begehrte Stundenlohndifferenz für die Monate April bis September 1982 betrifft. Zutreffend werden Zinsen nur aus dem Nettobetrag begehrt (vgl. BAG Urteil vom 13. Februar 1985 - 4 AZR 295/83 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Bei dem Klageantrag zu 2) handelt es sich um eine Stufenklage im Sinne von § 254 ZPO, deren Zulässigkeit sich aus dieser gesetzlichen Bestimmung selbst ergibt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der zwischen dem Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg e.V. und der Industriegewerkschaft Metall abgeschlossene Tarifvertrag zur Sicherung der Eingruppierung und zur Verdienstsicherung bei Abgruppierung für Arbeiter und Angestellte vom 3. April 1978 (TV 1978) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach erhält der Arbeitnehmer, der mindestens sechs Monate in der bisherigen Lohngruppe im Unternehmen eingruppiert war, bei einer Abgruppierung einen Verdienstausgleich für die Dauer von 18 Monaten (§ 5 TV 1978). Der Kläger ist im Sinne dieser tariflichen Vorschrift von Lohngruppe 8 nach Lohngruppe 4 des einschlägigen Lohntarifvertrags abgruppiert. Hierfür sind folgende Vorschriften des TV 1978 heranzuziehen:

§ 2

---

2.1 Maßnahmen, die zu einer Abgruppierung füh-

ren, ohne personen- oder verhaltensbedingt

zu sein, sind dem Betriebsrat unter Be-

rücksichtigung der Bestimmungen des § 90

BetrVG so rechtzeitig mitzuteilen, daß er

noch vor der Durchführung der Maßnahmen

Stellung nehmen kann und seine Anregungen

berücksichtigt werden können.

...

§ 3

---

3.1 Führt eine Maßnahme nach § 2.1 zum Weg-

fall von Arbeitsplätzen oder zu einer Än-

derung von Anforderungen, oder treten

sonstige Voraussetzungen für eine Abgrup-

pierung ein, so hat der Arbeitgeber, so-

weit möglich, dem betroffenen Arbeitneh-

mer einen gleichwertigen und zumutbaren

Arbeitsplatz im Betrieb in der bisheri-

gen Eingruppierung anzubieten.

3.2 Kann ein solcher Arbeitsplatz nicht ange-

boten werden, so hat der Arbeitgeber, so-

weit möglich, dem Arbeitnehmer die Um-

schulung auf einen anderen gleichwertigen

und zumutbaren Arbeitsplatz im Betrieb

unter Fortbestand des Arbeitsverhältnis-

ses anzubieten.

...

§ 4

---

...

4.2 Eine Abgruppierung ist erst zulässig, wenn

eine Umsetzung nach § 3.1 bzw. eine Um-

schulung nach § 3.2 nicht möglich ist.

...

Da es dem Kläger aus gesundheitlichen Gründen unmöglich war, seine bisherige Tätigkeit als Ausleerer und Gießer sowie als Kerntaucher in der Kernmacherei auszuführen, erfüllte er die "sonstigen Voraussetzungen für eine Abgruppierung" im Sinne von § 3.1 TV 1978. Der Begriff der Abgruppierung im Sinne des TV 1978 richtet sich in erster Linie nach Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen, die für die Tarifauslegung maßgebend sind (BAG 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Der Begriff der Abgruppierung wird vom Tarifvertrag selbst nicht näher bestimmt. Daher ist zunächst auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückzugreifen. Dieser versteht unter Abgruppierung die Einstufung in eine niedrigere Lohngruppe (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, 1980, S. 56). In arbeitsrechtliche Gesetze haben die Begriffe Eingruppierung und Umgruppierung Eingang gefunden, z. B. in § 99 Abs. 1 BetrVG. Die Abgruppierung ist eine besondere Form der Umgruppierung. Im Sinne des Betriebsverfassungsrechts versteht man unter Umgruppierung jede Änderung der Einreihung in die Tarifgruppen und demgemäß unter Herabgruppierung die Einreihung in eine niedrigere tarifliche Lohngruppe (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl. 1984, § 99 Rz 16). Das stimmt mit dem allgemeinen Sprachgebrauch überein. Hierbei ist es für den Begriff der Umgruppierung und Herabgruppierung unerheblich, ob die Änderung der Tarifgruppe kraft Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder im Wege der Änderungskündigung oder schon kraft tariflich festgelegten Direktionsrechts durchgeführt werden kann (Fitting/Auffarth/Kaiser, aaO, § 99 Rz 18; BAG Beschluß vom 12. Oktober 1955 - 1 ABR 1/54 -, AP Nr. 1 zu § 63 BetrVG; vgl. auch BAG Urteil vom 14. Juli 1965, BAG 17, 248 f. = AP Nr. 5 zu § 1 TVG Tarifverträge: BAVAV). Demgegenüber steht es den Tarifvertragsparteien zwar frei, dem Begriff der Abgruppierung in einem bestimmten Tarifvertrag einen anderen Sinn zu geben. Ist aber hierfür - wie vorliegend - aus dem Tarifvertrag kein Anhaltspunkt ersichtlich, ist der Begriff der Abgruppierung im allgemeinen rechtlichen Sinne zu verstehen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten setzt eine Abgruppierung im Sinne des TV 1978 nicht voraus, daß die Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers geändert werden. Für diese Auffassung scheint zunächst § 3.1 TV 1978 zu sprechen. Wenn dort davon die Rede ist, daß beim Eintritt sonstiger Voraussetzungen für eine Abgruppierung dem betroffenen Arbeitnehmer - soweit möglich - ein gleichwertiger und zumutbarer Arbeitsplatz im Betrieb mit der bisherigen Eingruppierung anzubieten ist, könnte daraus gefolgert werden, daß die Abgruppierung am bisherigen Arbeitsplatz eintreten muß, weil nur dann die Möglichkeit zum Angebot eines gleichwertigen anderen Arbeitsplatzes besteht. Wird hingegen der Arbeitnehmer einverständlich auf einem geringerwertigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt, ist dadurch die Abgruppierung eingetreten und für das Angebot eines dem bisherigen gleichwertigen Arbeitsplatzes kein Raum mehr. Diese Schlußfolgerung ist jedoch unzutreffend.

Nach § 3.1 TV 1978 kann die nach dem Tarifvertrag auszugleichende Abgruppierung die Folge einer betriebsbedingten Maßnahme des Arbeitgebers sein, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt. In diesem Fall ist eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht möglich. Die Abgruppierung tritt also bei einem anderen Arbeitsplatz ein. Aus diesem Grunde steht die Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz einer Abgruppierung im Sinne des TV 1978 nicht entgegen. Daraus folgt zugleich, daß unter "sonstigen Voraussetzungen für eine Abgruppierung" im Sinne von § 3.1 TV 1978 ebenso wie bei einer betriebsbedingten Maßnahme, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt, die tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit zu verstehen ist, den Arbeitnehmer an seinem bisherigen Arbeitsplatz zu beschäftigen. Dann hat der Arbeitgeber zunächst zu versuchen, dem Arbeitnehmer einen gleichwertigen Arbeitsplatz, gegebenenfalls nach einer Umschulung (§ 3.2 TV 1978), anzubieten; falls dies nicht gelingt, ist die Weiterbeschäftigung auf einem geringerwertigen Arbeitsplatz mit einer Abgruppierung zulässig (§ 4.2 TV 1978). Diese Auslegung ergibt einen vernünftigen Sinn und trägt damit auch dem Grundsatz Rechnung, daß die Tarifvertragsparteien im Zweifel eine vernünftige, gerechte, zweckorientierte und praktisch brauchbare Regelung anstreben (BAG 42, 244, 254 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II).

Entgegen der Auffassung der Beklagten enthält der Tarifvertrag keinen Anhaltspunkt dafür, daß unter einer Abgruppierung nur eine Maßnahme verstanden werden kann, die gegen den Willen des Arbeitnehmers durchgesetzt werden soll. Dies wäre eine Einschränkung des Begriffs der Abgruppierung im allgemeinen rechtlichen Sinne, für die der Tarifvertrag keinen Anhaltspunkt enthält. Darin liegt kein Verstoß gegen Art. 2 GG, wie die Beklagte meint. Dem Arbeitnehmer bleibt es unbenommen, mit dem Arbeitgeber andere Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Ob diese eine ausgleichspflichtige Abgruppierung darstellen, ist eine andere Frage, die nach dem TV 1978 zu beurteilen ist.

Danach gehört zu den "sonstigen Voraussetzungen für eine Abgruppierung" auch, daß der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Wenn die Beklagte unter den "sonstigen Voraussetzungen" im Sinne von § 3.1 TV 1978 nur betriebsbedingte Umstände verstehen will, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aus § 2.1 TV 1978 diese Folgerung nicht gezogen werden. § 2.1 TV 1978 betrifft Maßnahmen des Arbeitgebers, die nicht personen- oder verhaltensbedingt sind. Darauf nimmt § 3.1 TV 1978 zunächst Bezug. Wenn dann in § 3.1 TV 1978 weiter von "sonstigen Voraussetzungen für eine Abgruppierung" die Rede ist, wird damit die Begrenzung auf betriebsbedingte Gründe überschritten. Wollte man eine solche Begrenzung, die im Tarifwortlaut keine Stütze findet, vornehmen, wäre die Vorschrift über die "sonstigen Voraussetzungen für eine Abgruppierung" sinnlos, weil die betriebsbedingten Umstände bereits vom 1. Halbsatz des § 3.1 TV 1978 umfaßt sind, wenn es dort heißt: "Führt eine Maßnahme nach § 2.1 zum Wegfall von Arbeitsplätzen oder zu einer Änderung von Anforderungen ...". Die Fälle, die die Beklagte unter dem Begriff der "sonstigen Voraussetzungen" als betriebliche Umstände unterbringen will, nämlich Einführung der gleitenden Arbeitszeit, Einführung von neuen Produktionstechniken, Schaffung von neuen Verfahrens- und Fertigungsabläufen, lassen sich zwanglos unter den 1. Halbsatz von § 3.1 TV 1978 einordnen. Immer handelt es sich insoweit um eine betriebsbedingte Maßnahme des Arbeitgebers, die entweder auf die Wertigkeit des Arbeitsplatzes keinen Einfluß hat und daher auch nicht Anlaß für eine Abgruppierung sein kann, oder es handelt sich um eine Änderung von Anforderungen, die zu einer Geringerwertigkeit des Arbeitsplatzes führt und dann vom 1. Halbsatz des § 3.1 TV 1978 erfaßt wird. Somit sind unter den "sonstigen Voraussetzungen für eine Abgruppierung" vor allem personen- oder verhaltensbedingte Umstände zu verstehen.

Diese Auslegung wird auch durch den Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen bestätigt. So finden nach § 7.5 TV 1978 die Bestimmungen dieses Tarifvertrags keine Anwendung bei Abgruppierungen aus Gründen, die der Arbeitnehmer verschuldet hat, oder aus Gründen, die auf das Verhalten des Arbeitnehmers im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG zurückzuführen sind. Damit setzt § 7.5 TV 1978 voraus, daß der Tarifvertrag auch auf nicht betriebsbedingte Abgruppierungen Anwendung findet, und schließt insoweit nur bestimmte in § 7.5 TV 1978 ausdrücklich erwähnte Abgruppierungen aus. Unter diese Ausnahmebestimmungen fallen aber nicht unverschuldete personenbedingte Abgruppierungen, die - wie vorliegend - auf gesundheitlichen Beeinträchtigungen beruhen. Gerade der ausdrückliche Hinweis in § 7.5 TV 1978 auf § 1 Abs. 2 KSchG läßt erkennen, daß die Tarifvertragsparteien die Terminologie des Kündigungsschutzgesetzes kannten und auf sie Bezug nahmen und damit unter den Voraussetzungen für eine Abgruppierung die bei einer sozial gerechtfertigten Kündigung in Betracht kommenden betriebsbedingten, personenbedingten und verhaltensbedingten Umstände mit Ausnahme der in § 7.5 TV 1978 aufgeführten Fallgestaltungen erfassen wollten.

Nur bei dieser Auslegung erhält auch § 7.2 TV 1978 einen Sinn. Wenn nach dieser Vorschrift Ansprüche aus dem Tarifvertrag (Verdienstausgleich) nur insoweit entstehen, als der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf gleichwertige Leistungen gegenüber Dritten hat, kann sich dies nur auf Ansprüche beziehen, die ein Arbeitnehmer wegen eines zugefügten Gesundheitsschadens gegen Dritte oder wegen eingeschränkter Erwerbsfähigkeit gegen einen Versicherungsträger geltend machen kann. Das kann aber nur die Fälle betreffen, in denen der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Darauf weist das Landesarbeitsgericht zutreffend hin. Wenn demgegenüber die Beklagte meint, daß § 7.2 TV 1978 Ansprüche umschreibt, wenn die Folge der Abgruppierung die Arbeitslosigkeit sei, ist dies unverständlich. Die Abgruppierung setzt nämlich ein Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Nur dann kommen Verdienstausgleichsansprüche nach dem TV 1978 in Betracht.

Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung liegt auch keine Tariflücke vor, wenn nach langandauernder Arbeitsunfähigkeit die Voraussetzungen für die Abgruppierung eines Arbeitnehmers eintreten. Insoweit enthält der TV 1978 keine Einschränkung des Begriffs der Abgruppierung. Hätten die Tarifvertragsparteien Fälle langandauernder Arbeitsunfähigkeit vom Anwendungsbereich des TV 1978 ausschließen wollen, hätten sie - wie für die Fälle der verschuldens- und verhaltensbedingten Abgruppierung in § 7.5 TV 1978 - eine entsprechende Ausnahmeregelung getroffen. Es kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien die Fälle der Abgruppierung nach langandauernder Arbeitsunfähigkeit nicht bedacht hätten. Denn erfahrungsgemäß führen gerade gesundheitliche Beeinträchtigungen - insbesondere bei älteren Arbeitnehmern - dazu, daß Arbeitnehmer ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können und damit die Voraussetzungen für eine Abgruppierung erfüllen. Deshalb wird im allgemeinen mit Verdienstsicherungstarifverträgen bezweckt, ältere Arbeitnehmer bei gesundheitsbedingten Leistungsminderungen vor Verdiensteinbußen zu schützen. Dann aber werden von tariflichen Verdienstsicherungsregelungen auch Leistungsminderungen nach langer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erfaßt, sofern sich aus dem Tarifvertrag selbst nicht etwas anderes ergibt, wofür vorliegend kein Anhaltspunkt besteht.

Der Kläger erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Verdienstausgleich nach § 5 TV 1978. Bis Januar 1982 hatte er die Tätigkeit eines Kerntauchers in der Kernmacherei auszuführen und war danach nach Lohngruppe 8 zu vergüten. Die Auffassung der Beklagten, im Januar 1982 vor der Vereinbarung mit dem Kläger über seinen Einsatz als Reinigungskraft in den Sozialräumen sei sie nicht an die Eingruppierung als Kerntaucher gebunden gewesen, weil der Kläger sich durch Nichtarbeit und seinen Antrag beim Versicherungsträger auf Erwerbsunfähigkeitsrente von seiner Dienstverpflichtung gegenüber der Beklagten losgesagt habe, ist unzutreffend. Die hohen Fehlzeiten des Klägers in den Jahren 1978 bis 1982 und seine geringen Arbeitsleistungen in dieser Zeit lassen den Arbeitsvertrag unberührt. Aus hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten eines Arbeitnehmers kann nicht der Schluß gezogen werden, er wolle seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben. Auch der von dem Kläger gestellte Antrag beim Versicherungsträger auf Erwerbsunfähigkeitsrente läßt einen solchen Schluß nicht zu. Der Kläger wollte zwar offensichtlich eine Erwerbsunfähigkeitsrente erlangen und danach bei der Beklagten ausscheiden. Sein Antrag blieb jedoch erfolglos, so daß von weiterer Erwerbsfähigkeit des Klägers ausgegangen werden muß. Ebensowenig setzt entgegen der Auffassung der Beklagten § 5 TV 1978 voraus, daß der Arbeitnehmer vor seiner Abgruppierung die Tätigkeit nach der höheren Lohngruppe tatsächlich in einem bestimmten Umfang ausgeübt haben muß. Insoweit verlangt § 5 TV 1978 nur, daß der betroffene Arbeitnehmer mindestens sechs Monate in der bisherigen Lohngruppe eingruppiert war. Die Eingruppierung erfolgt nach dem Arbeitsvertrag. Eine tatsächliche Arbeitsleistung wird insoweit nicht vorausgesetzt.

Da der Kläger damit im Januar 1982 nach wie vor in Lohngruppe 8 eingruppiert war, bedeutete die Vereinbarung der Parteien, daß der Kläger ab Februar 1982 als Reinigungskraft im Sozialgebäude mit einer Tätigkeit der Lohngruppe 4 eingesetzt werde, eine Abgruppierung durch Änderungsvereinbarung. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann dabei von der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses nicht die Rede sein. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war zu keinem Zeitpunkt vorher unterbrochen oder beendet.

Die Abgruppierung des Klägers nach Lohngruppe 4 löst den Anspruch auf Verdienstausgleich nach § 5 TV 1978 aus. Die im Tarifvertrag vorgesehenen Ausnahmen von der Verdienstsicherung bei Abgruppierung liegen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und nach dem beiderseitigen Parteivortrag nicht vor. Die Beklagte hat dem Kläger keinen seinem bisherigen Arbeitsplatz gleichwertigen Arbeitsplatz oder eine entsprechende Umschulung angeboten. Dem Kläger stehen auch keine aus seiner Umsetzung entstandenen Ansprüche auf gleichartige Leistungen gegen Dritte zu. Seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind unverschuldet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt der Kläger auch nicht rechtsmißbräuchlich, wenn er von der Beklagten die Erfüllung des tariflichen Anspruchs auf Verdienstausgleich nach § 5 TV 1978 verlangt. Wenn die Beklagte meint, der Kläger habe seinen Bestandsschutz verloren, weil er seine bisherige Tätigkeit in den Jahren 1978 bis 1982 kaum ausgeübt habe, bei dem Verdienstausgleich handele es sich um leistungsbezogene Rechte, die derjenige nicht beanspruchen könne, der über Jahre hinweg leistungsunfähig gewesen sei, trifft diese Auffassung nicht zu. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien knüpft § 5 TV 1978 nicht an bestimmte tatsächliche Arbeitsleistungen an. Der Bestandsschutz eines Arbeitsverhältnisses kann nicht durch krankheitsbedingte Fehlzeiten verwirkt werden. Allerdings hätte der Beklagten in den Jahren 1978 bis 1981 unter Umständen die Möglichkeit offengestanden, dem Kläger durch Vereinbarung oder eventuelle Änderungskündigung einen anderen Arbeitsplatz mit geringerer Vergütung zuzuweisen. Dann hätte die Verdienstsicherung zu dem früheren Zeitpunkt begonnen und wäre gegebenenfalls auch schon vor 1982 abgelaufen. Wenn die Beklagte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kann sie dies dem Kläger jedoch nicht als rechtsmißbräuchliches Verhalten vorwerfen. Hätte die Beklagte den Kläger früher als Reinigungskraft im Sozialgebäude eingesetzt, wäre der Kläger möglicherweise in der Vergangenheit weniger häufig arbeitsunfähig gewesen und hätte vom Zeitpunkt seiner Umsetzung in der Vergangenheit an Verdienstausgleich bekommen können. Es wäre verfehlt, dem Kläger deshalb, weil die Beklagte dem Kläger nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt Gelegenheit zu anderweitiger Tätigkeit, geringerer Arbeitsunfähigkeit und damit verbundenen Verdienstausgleich gegeben hat, nunmehr den Verdienstausgleich zu versagen.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel

Koerner Lehmann

 

Fundstellen

DB 1986, 1880-1881 (LT1)

RdA 1986, 140

AP § 1 TVG, Nr 41

AR-Blattei, ES 1520 Nr 4 (LT1)

AR-Blattei, Tarifliche Alters- und Verdienstsicherung Entsch 4 (LT1)

EzA § 4 TVG Metallindustrie, Nr 22 (LT1)

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