Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für die Befristung von Lektorenverträgen

 

Normenkette

EWGVtr Art. 48 Abs. 2; HRG § 57b Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.02.1995; Aktenzeichen 3 Sa 99/94)

ArbG Reutlingen (Urteil vom 07.11.1994; Aktenzeichen 1 Ca 245/94)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Februar 1995 – 3 Sa 99/94 – aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 7. November 1994 – 1 Ca 245/94 – zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten der Revision und die der Berufung.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin ist italienische Staatsangehörige. Sie wurde durch Vertrag vom 20. Dezember 1989 für die Zeit vom 1. November 1989 bis zum 31. Oktober 1990 als Lektorin für Italienisch an der Universität T. beschäftigt. In § 1 des Arbeitsvertrages heißt es:

„Der Vertrag ist befristet abgeschlossen, weil die Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt (§ 57 b Abs. 3 HRG).”

Bestandteil des Arbeitsvertrages ist die „Verwaltungsvorschrift über die Beschäftigung von Lektoren an den Hochschulen des Landes vom 18. Januar 1984” (künftig: Verwaltungsvorschrift) in der jeweils geltenden Fassung. Nach § 2 der Verwaltungsvorschrift werden Lektoren befristet beschäftigt, „um einen laufenden kulturellen Austausch zu gewährleisten, ihre Entfremdung vom Herkunftsland zu vermeiden und ihnen Gelegenheit zu geben, sich durch ihre Tätigkeit während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland weiter zu qualifizieren”. Durch die Zusatzverträge vom 2. Oktober 1990 und vom 25. Oktober 1992 wurde das Arbeitsverhältnis insgesamt bis zum 31. Oktober 1994 verlängert. Entsprechend dem vereinbarten Vertragszweck wurde die Klägerin regelmäßig 12 bis 13 Semesterwochenstunden für die Ausbildung in ihrer Muttersprache beschäftigt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses sei nicht sachbegründet. Die auf § 57 b Abs. 3 HRG gestützte Befristungsvereinbarung verletze das europarechtliche Diskriminierungsverbot.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund einer Befristungsabrede mit Ablauf des 31. Oktober 1994 enden wird.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat die Auffassung vertreten, der Europäische Gerichtshof habe den in § 57 b Abs. 3 HRG normierten Befristungsgrund verkannt. Eine Diskriminierung gegenüber deutschen Staatsangehörigen finde nicht statt, da nur ausländische Staatsangehörige als Fremdsprachenlektoren in Betracht kämen, die alle befristet beschäftigt würden. Nach Art. 5 Abs. 3 GG müsse es Universitäten grundsätzlich frei stehen, bei der Begründung von Mitarbeiterverhältnissen eine aus ihrer Sicht sinnvolle Vertragsgestaltung zu wählen. Im übrigen habe die Befristung nach § 2 der Verwaltungsvorschrift auch der Weiterbildung bzw. dem kulturellen Austausch gedient.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Das beklagte Land hat die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts war der Klage stattzugeben. Die auf § 57 b Abs. 3 HRG gestützte Befristung des Arbeitsvertrages der Parteien vom 25. Oktober 1992 ist unwirksam. Sie ist nicht mit Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag vereinbar.

1. Die Klägerin ist Lektorin im Sinne des § 57 b Abs. 3 HRG. Nach der dortigen Legaldefinition handelt es sich bei einem Lektor um eine fremdsprachliche Lehrkraft für besondere Aufgaben, deren Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt. Lehrkraft für besondere Aufgaben ist nach § 56 HRG, wer in Studiengängen eingesetzt ist, bei denen die Vermittlung praktischer Fähigkeiten und Kenntnisse umfangreicher ist als die wissenschaftliche Ausbildung (Reich, HRG, 4. Aufl., § 57 b Rz 8, m.w.N.). Fremdsprachliche Lehrkraft ist, wer die fremde Sprache, für die sie ausbilden soll, als Muttersprache spricht. Die fremdsprachliche Lehrkraft vermittelt danach praktische Kenntnisse und Fertigkeiten in Fremdsprachen durch selbständige Wahrnehmung von Lehrveranstaltungen oder durch unterstützende Beschäftigung bei Lehrveranstaltungen (BAG Urteil vom 15. März 1995 – 7 AZR 737/94 – AP Nr. 10 zu § 2 BAT SR 2y, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).

Nach diesen Grundsätzen ist die Klägerin Lektorin. Sie spricht Italienisch als Muttersprache. Ihre Beschäftigung erfolgt überwiegend in der Fremdsprache Italienisch. Die Klägerin war arbeitsvertraglich verpflichtet, Studenten 12 bis 13 Wochenstunden Fremdsprachenunterricht zu erteilen.

2. Die Befristung des letzten Arbeitsvertrages der Parteien ist unwirksam. Der vereinbarte Befristungsgrund des § 57 b Abs. 3 HRG steht nicht in Einklang mit Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag.

a) Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag regelt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Die Freizügigkeit umfaßt die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Arbeits- und Erwerbsbedingungen, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist.

b) Fremdsprachenlektoren sind überwiegend ausländische Staatsangehörige. Während die Befristung der sonstigen Lehrkräfte für besondere Aufgaben nur bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes zulässig ist, läßt § 57 b Abs. 3 HRG seinem Wortlaut nach bereits die Lektorentätigkeit als Befristungsgrund genügen. Eine solche Auslegung steht nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs dem in Art. 48 Abs. 2 EWG-Vertrag normierten Diskriminierungsverbot entgegen, weil die unterschiedlichen Anforderungen an den Befristungsgrund bei Lektoren gegenüber den sonstigen Lehrkräften mit besonderen Aufgaben zu einer Ungleichbehandlung führen, die geeignet ist, ausländische Staatsangehörige zu diskriminieren. Diese Ungleichbehandlung kann nicht durch das Erfordernis der Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts gerechtfertigt werden. Denn die Gefahr, daß der Lektor durch einen längeren Auslandsaufenthalt den Kontakt mit seiner Muttersprache verliert, ist angesichts eines intensiven kulturellen Austausches und der zunehmenden Kommunikationserleichterungen gering zu schätzen (EuGH Urteile vom 20. Oktober 1993 – Rs C 272/92 – Spotti – AP Nr. 17 zu Art. 48 EWG-Vertrag = PersR 1994, 186 ff. und 2. August 1993 – Rs C 259/91, 331/91 und 332/91 – Allué II – JZ 1994, 94 ff.).

Dieser Rechtsprechung des EuGH hat sich der Senat in seiner Entscheidung vom 15. März 1995 (a.a.O.) angeschlossen und ergänzend – ausgeführt, es gebe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse für die unbewiesene These, daß der Aktualitätsbezug des Unterrichts eines Fremdsprachenlektors bei einem längeren Aufenthalt in Deutschland nicht mehr gewährleistet sei, schon weil der Kontakt mit dem Heimatland und der jeweils originären Sprache durch aktuelle Kommunikationsmittel und Medien aufrecht erhalten werden könne, was auch eine Entfremdung vom Herkunftsland vermeide. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

c) Entgegen der Auffassung der Revision ist kein Grund ersichtlich, Lektoren zwingend nur befristet zu beschäftigen. Die Vermittlung von Fremdsprachen ist eine Dauertätigkeit der Hochschulen, für die ein ständiger Bedarf an Lehrkräften besteht. Das Hochschulrahmengesetz räumt den Hochschulen aus Gründen der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Forschung die Möglichkeit ein, Arbeitsverhältnisse zu befristen. Diese Gründe treffen auf reine Dienstleistungen, wie sie Lektoren erbringen, nicht zu. Das ermöglicht es, Lektoren, obwohl sie zum wissenschaftlichen Personal im Sinne des HRG gehören, unbefristet zu beschäftigen.

Art. 5 Abs. 3 GG wird dadurch nicht verletzt. Die Wissenschaftsfreiheit gewährt den in den Universitäten tätigen Wissenschaftlern einen grundgesetzlich gesicherten Freiraum zur wissenschaftlichen Betätigung, ohne näher zu regeln, in welcher Weise dies zu geschehen hat. Welche Vertrags formen für die jeweils im Lehrbetrieb einer wissenschaftlichen Hochschule tätigen Person in Betracht kommen und zulässig sind, beurteilt sich infolgedessen nach den allgemeinen Bestimmungen und den hierzu entwickelten Grundsätzen. Die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht schrankenlos gewährt. Sie steht im Spannungsverhältnis zu den aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Grundrechten der dort Beschäftigten. Denen gegenüber ist ihr nicht schlechterdings der Vorrang einzuräumen (BVerfGE 57, 70, 99); zu beachten sind auch die sich aus arbeitsrechtlichen Vorschriften ergebenden Bindungen (BAGE 38, 372, 382 f. = AP Nr. 67 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu III der Gründe).

3. Dagegen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß sich das beklagte Land zur Rechtfertigung der Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht auf die weiteren in der Verwaltungsvorschrift genannten Zwecke berufen kann. Nach § 2 der Verwaltungsvorschrift in Verbindung mit § 2 des Arbeitsvertrages vom 20. Dezember 1989 werden Lektoren befristet unter anderem beschäftigt, um einen laufenden kulturellen Austausch zu gewährleisten oder ihnen Gelegenheit zu geben, sich durch ihre Tätigkeit während ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland weiter zu qualifizieren.

Eine Befristung unter dem Gesichtspunkt des kulturellen Austausches ist sachlich nur gerechtfertigt, wenn die konkrete Lektorenstelle dem internationalen Austausch von Hochschulabsolventen dient (BAGE 36, 179 = AP Nr. 59 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, ständige Rechtsprechung; zuletzt BAG Urteil vom 15. März 1995, a.a.O.). Dazu bedarf es entsprechender Vereinbarungen mit ausländischen Hochschulen, die das beklagte Land nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vorgetragen hat.

Aus den Darlegungen des beklagten Landes wird auch nicht ersichtlich, daß die Klägerin nur im Hinblick auf eine besondere Fort- und Weiterbildung befristet eingestellt worden ist. Die Tätigkeit eines Lektors ist ihrem Inhalt und ihrer Stellung nach im Hochschulbereich nur ausnahmsweise geeignet, weitere Qualifikationen zu vermitteln, die über eine allgemeine mit derartigen Tätigkeiten grundsätzlich verbundene Fort- und Weiterbildung hinausgehen. Eine allgemeine Fort- oder Weiterbildung, die zwangsläufig mit jeder mehrjährigen Berufsausübung einhergeht, ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtfertigung einer Befristung nicht geeignet. Vielmehr muß das Arbeitsverhältnis um eines speziellen Fort- und Weiterbildungszwecks willen befristet abgeschlossen werden (BAGE 39, 38 = AP Nr. 68 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, m.w.N.).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

 

Unterschriften

Weller, Steckhan, Schmidt, Kordus, Peter Haeusgen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1091212

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