Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltungsbereich des BauRTV

 

Orientierungssatz

1. Bodenbeschichtungen aus Kunststoff als bauliche Leistungen; Verlegen von Bodenbelägen; im Kalenderjahr arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit.

2. Auslegung des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe vom 19.12.1983 in der Fassung vom 12.12.1984 bzw 17.12.1985.

 

Normenkette

BauRTV; TVG § 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 23.09.1988; Aktenzeichen 15/14 Sa 109/88)

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 08.12.1987; Aktenzeichen 1 Ca 2271/86)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte auf Auskunftserteilung für die Monate Juli 1985 bis November 1986 in Anspruch.

Während des Anspruchszeitraums stellte die Beklagte Estriche her, verlegte Bodenbeläge (Parkett und PVC) und führte Bodenbeschichtungen mit Kunststoff aus. Die Bodenbeschichtungen werden in der Weise vorgenommen, daß ein Zwei-Komponenten-Reaktionsharz auf die gesamte zu bearbeitende Fläche eines Fußbodens durch Spachteln aufgetragen wird, wodurch sich eine ebene, rutschfeste Oberfläche ergibt. Im Handelsregister ist als Gegenstand des Unternehmens "die Herstellung und der Vertrieb von Industriefußböden" eingetragen. Die Handwerksrolle enthält die Eintragung "Estrichlegerbetrieb".

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß der Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe vom 19. Dezember 1983 in der Fassung vom 12. Dezember 1984 bzw. 17. Dezember 1985 (Verfahrens-TV) erfaßt werde, so daß die Beklagte nach näherer tariflicher Maßgabe zur begehrten Auskunftserteilung verpflichtet sei. Im Betrieb der Beklagten seien im Anspruchszeitraum arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten ausgeführt worden, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV fielen. So sei schon mehr als 50 v. H. der Arbeitszeit auf Estricharbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 10 Verfahrens-TV entfallen. Zu diesen Estricharbeiten rechneten auch die Beschichtungsarbeiten, die im übrigen als bauliche Leistungen nach § 1 Abs. 2 Abschnitt II oder III Verfahrens-TV unter den betrieblichen Geltungsbereich fielen. Soweit die Beklagte darüber hinaus auf den von ihr erstellten Estrichen Bodenbeläge wie Parkett und PVC verlege, fielen diese Tätigkeiten wegen ihrer Verbindung mit der Erbringung baulicher Leistungen nach § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 Verfahrens-TV ebenfalls unter den betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen For-

mular Auskunft darüber zu erteilen,

1.1 wieviel Arbeitnehmer, die eine nach

den Vorschriften der Reichsversiche-

rungsordnung über die Rentenversiche-

rung der Arbeiter (RV0) versicherungs-

pflichtige Tätigkeit ausübten, in den

Monaten

Juli 1985 bis November 1986

in dem Betrieb der Beklagten beschäf-

tigt wurden sowie in welcher Höhe die

lohnsteuerpflichtige Bruttolohnsumme

insgesamt für diese Arbeitnehmer und

die Beiträge für die Sozialkassen der

Bauwirtschaft in den genannten Monaten

angefallen sind.

2. Für den Fall, daß diese Verpflichtung zur

Auskunftserteilung innerhalb einer Frist von

zwei Wochen nach Urteilszustellung nicht er-

füllt wird, an die Klägerin zu zahlen:

Zu Nr. 1.1 DM 142.800,--.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet, daß im Anspruchszeitraum arbeitszeitlich überwiegend das Verlegen von Bodenbelägen wie Parkett und PVC durchgeführt worden sei, ohne daß eine Verbindung mit anderen baulichen Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 Verfahrens-TV bestanden habe. Zu diesen Bodenverlegearbeiten rechneten auch die Beschichtungsarbeiten. Bei diesen handele es sich auch nicht um bauliche Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt II oder III Verfahrens-TV, da sie zur Innenausstattung gehörten. Mit Estricharbeiten seien nur vier von 16 Arbeitnehmern beschäftigt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihren Klageantrag mit der Maßgabe weiterverfolgt, daß die Frist zur Auskunftserteilung auf sechs Wochen verlängert wurde. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht. Mit der von ihm gegebenen Begründung konnte das Landesarbeitsgericht die Klage nicht abweisen.

Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, daß die Beklagte nach § 13 Abs. 1 des allgemeinverbindlichen Verfahrens- TV zur Erteilung der begehrten Auskünfte verpflichtet ist, wenn ihr Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßt wird. Dies ist dann der Fall, wenn im Betrieb der Beklagten bezogen auf den Zeitraum eines Kalenderjahres von den Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die in § 1 Abs. 2 Verfahrens-TV aufgeführt sind. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an (vgl. BAG Urteil vom 22. April 1987 - 4 AZR 496/86 - AP Nr. 82 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau m. w. N.). Weiter ist davon auszugehen, daß unter den betrieblichen Geltungsbereich zunächst diejenigen Betriebe fallen, in denen arbeitszeitlich überwiegend die im Abschnitt V von § 1 Abs. 2 Verfahrens-TV genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt werden. Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob die im Betrieb ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III von § 1 Abs. 2 Verfahrens-TV erfüllen (BAGE 55, 67 = AP Nr. 79 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Urteil vom 28. September 1988 - 4 AZR 343/88 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Dabei werden die tariflich erfaßten Betriebe grundsätzlich in ihrer Gesamtheit in die Tarifgeltung einbezogen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt VI Satz 1 Verfahrens- TV).

Unstreitig wurden im Betrieb der Beklagten im Anspruchszeitraum Estriche hergestellt, Bodenbeläge wie Parkett und PVC verlegt und Beschichtungen aus Kunststoff ausgeführt. Ob der Betrieb im Hinblick auf die Ausführung dieser Arbeiten vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßt wird, ist damit zunächst nach folgenden tariflichen Bestimmungen des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Verfahrens-TV zu beurteilen:

Nr. 10

"Estricharbeiten (unter Verwendung von Zement,

Asphalt, Anhydrid, Magnesit, Gips, Kunststoffen

oder ähnlichen Stoffen)"

........

Nr. 37

"Verlegen von Bodenbelägen in Verbindung mit

anderen baulichen Leistungen."

Das Landesarbeitsgericht stellt fest, daß Estricharbeiten im Betrieb der Beklagten nicht arbeitszeitlich überwiegend ausgeführt wurden. Dagegen werden von der Klägerin mit der Revision keine Einwendungen erhoben. Das Landesarbeitsgericht nimmt ferner an, daß die Beschichtungsarbeiten als "Verlegen von Bodenbelägen" im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 Verfahrens-TV anzusehen seien, weil sie zur Innenausstattung der Gebäude gehörten und hygienischen Zwecken dienten. Die Ausführung dieser Bodenbelagsarbeiten falle ebenso wie die Verlegung von Parkett und PVC aber nur dann unter den betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV, wenn sie in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen stehen. Dies sei dann der Fall, wenn die Bodenbeläge auf den zuvor von der Beklagten selbst hergestellten Estrich aufgebracht würden. Insoweit lasse sich jedoch nicht feststellen, daß eine derartige Tätigkeit im Anspruchszeitraum arbeitszeitlich überwiegend vorgenommen worden sei. Auch die ausgeführten Estricharbeiten zusammen mit den Bodenbelagsarbeiten, die in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen ständen, hätten arbeitszeitlich nicht überwogen.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Aufbringen von Beschichtungen aus Kunststoff durch Spachteln auf einen vorhandenen Fußboden zur Herstellung einer ebenen, rutschfesten Oberfläche kann nicht als "Verlegung von Bodenbelägen" im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 Verfahrens-TV angesehen werden.

Der Senat hat im Urteil vom 28. September 1988 (- 4 AZR 343/88 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) ausgeführt, daß das Verlegen von Bodenbelägen als typische Aufgabe des Raumausstattergewerbes anzusehen sei, die grundsätzlich nicht unter den Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes falle. Zu den typischen Aufgaben des Raumausstatters gehört jedoch nicht das Herstellen einer Bodenbeschichtung aus Kunststoff durch Aufspachteln einer Kunststoffmasse. Aufgabe des Raumausstatters ist das Verlegen von textilen und Kunststoffbodenbelägen (Teppichböden, PVC-Belägen etc.) (Blätter zur Berufskunde, 1-III E 302, S. 1). Diese Tätigkeit setzt voraus, daß ein Bodenbelag in Form von Bahnen oder Platten bereits existiert und dieser zum Zwecke der Raumausstattung auf einen bereits vorhandenen Fußboden verlegt wird. Dem kann das Aufspachteln einer Kunststoffmasse auf den Fußboden zur Herstellung einer rutschfesten Oberfläche nicht gleichgesetzt werden. Die Kunststoffmasse stellt nämlich als solche noch keinen Bodenbelag dar, der wie ein Teppich oder ein Kunststoffbodenbelag "verlegt" werden könnte. Das Aufspachteln der Kunststoffmasse kann damit nicht als Aufgabe des Raumausstattergewerbes angesehen werden, die ohne die Verbindung mit anderen baulichen Leistungen nach § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 Verfahrens-TV vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV ausgenommen ist.

Ob es sich bei den von der Beklagten ausgeführten Bodenbeschichtungen aus Kunststoff um Estricharbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 10 Verfahrens-TV handelt, kann nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vom Senat nicht abschließend beurteilt werden. Die Ausführung von Bodenbeschichtungen aus Kunststoff wird aber nach § 1 Abs. 2 Abschnitt II Verfahrens-TV vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßt. Die tarifliche Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Betriebe, die, soweit nicht bereits unter

Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die

Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten

Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen

Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen

erbringen, die - mit oder ohne Lieferung von

Stoffen oder Bauteilen - der Erstellung, In-

standsetzung, Instandhaltung, Änderung oder

Beseitigung von Bauwerken dienen."

Mit den Bodenbeschichtungen aus Kunststoff erbringt die Beklagte bauliche Leistungen im Sinne dieser tariflichen Bestimmung. Die Bodenbeschichtung wird durch Spachteln auf einen bestehenden Fußboden aufgetragen, so daß eine ebene, rutschfeste Oberfläche entsteht. Diese Tätigkeit dient damit der Instandsetzung oder Änderung eines Bauwerkes. Sie erfolgt unter Einsatz von Kunstharzen als Werkstoffen des Baugewerbes und dem Einsatz entsprechender baugewerblicher Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden. Daraus ergibt sich eine bauliche Prägung der Tätigkeit.

Die Ausführung von Bodenbeschichtungen aus Kunststoff wird damit entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nur dann vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßt, wenn sie in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 Verfahrens-TV steht. Aus diesem Grunde ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann die Sache selbst nicht abschließend entscheiden, da es weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. Deshalb war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat die zeitlichen Anteile an der Gesamtarbeitszeit, die auf diejenigen Tätigkeiten entfallen, die vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßt werden und diejenigen, die nicht unter den betrieblichen Geltungsbereich fallen, nicht hinreichend festgestellt. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Estricharbeiten arbeitszeitlich nicht überwiegen. Insoweit handelt es sich nach dem übereinstimmenden Parteivortrag um Arbeiten, die nach § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 10 Verfahrens-TV vom betrieblichen Geltungsbereich erfaßt werden. Diesen Tätigkeiten sind die Bodenbeschichtungsarbeiten hinzuzurechnen, da sie nach § 1 Abs. 2 Abschnitt II Verfahrens-TV unter den betrieblichen Geltungsbereich fallen. Welchen zeitlichen Anteil an der Gesamtarbeitszeit der jeweils bezogen auf den Zeitraum eines Kalenderjahres beschäftigten Arbeitnehmer diese Tätigkeiten ausmachen, hat das Landesarbeitsgericht nicht abschließend festgestellt. Dies wird nachzuholen sein.

Überwiegen arbeitszeitlich die Estricharbeiten zusammen mit den Beschichtungsarbeiten, wird der Klage stattzugeben sein. Überwiegen sie nicht, wird das Landesarbeitsgericht gegebenenfalls nach erneutem substantiierten Vortrag der Klägerin festzustellen haben, welcher zeitliche Anteil an der Gesamtarbeitszeit auf das Verlegen von Bodenbelägen wie Parkett und PVC entfällt, das in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 Verfahrens-TV steht. Unter Berücksichtigung des Urteils des Senats vom 28. September 1988 (aaO) steht das Verlegen von Bodenbelägen - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - nur dann in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen, wenn beide Aufgaben nach der Üblichkeit im Arbeits- und Wirtschaftsleben, insbesondere aufgrund einheitlicher Auftragserteilung, zusammengehören, einander bedingen und insgesamt der Errichtung, Vollendung, Instandsetzung oder Änderung von Bauten oder Bauwerken dienen. Dies wird grundsätzlich dann anzunehmen sein, wenn die Beklagte Bodenbeläge auf dem von ihr selbst hergestellten Estrich verlegt. Der zeitliche Anteil dieser Tätigkeit ist dem zeitlichen Anteil der Estricharbeiten und dem der Bodenbeschichtungsarbeiten hinzuzurechnen. Ergibt sich auch hierbei, daß diese Tätigkeiten zusammen arbeitszeitlich nicht überwiegen, sondern die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit, wie die Beklagte vom Beginn des Rechtsstreits an behauptet hat, auf das Verlegen von Parkett und PVC ohne Zusammenhang mit anderen baulichen Leistungen entfällt, wäre die Klage abzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mit zu entscheiden haben.

Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Freitag

Fieberg Pahle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439569

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