Entscheidungsstichwort (Thema)

Gehaltsmehrung. Gleichbehandlung

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11.10.1995; Aktenzeichen 2 Sa 468/95)

ArbG Ludwigshafen (Teilurteil vom 30.11.1994; Aktenzeichen 3 Ca 3172/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Oktober 1995 – 2 Sa 468/95 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Gehaltsmehrung für die Jahre 1990, 1991 und 1992 in Anspruch.

Der 1940 geborene Kläger ist Elektroingenieur. Er hat eine entsprechende Hochschulausbildung abgeschlossen. Seit 1. Januar 1974 ist er bei der Beklagten als Elektroingenieur eingestellt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt dem „Manteltarifvertrag für akademisch gebildete Angestellte in der Chemischen Industrie” (MTV). Diese tarifliche Regelung gilt persönlich für Angestellte mit abgeschlossener naturwissenschaftlicher oder technischer Hochschulbildung, sofern sie überwiegend eine Tätigkeit ausüben, für welche diese Hochschulbildung Voraussetzung ist (§ 1 Nr. 1 a Satz 1 MTV). § 8 MTV lautet:

„Gehaltsbestimmungen

1. Das Gehalt wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Angestellten frei vereinbart.

Mindestjahresbezüge werden im allgemeinen für die ersten fünf Berufsjahre tariflich festgelegt. Die Jahresbezüge sollen nach Ablauf der tariflich erfaßten Berufsjahre die letzten tariflichen Mindestjahresbezüge angemessen überschreiten und bei entsprechender Leistung weiterhin steigen.

…”

Der Kläger wurde bei seiner Einstellung dem Gehaltsband GO der Beklagten zugeordnet, d.h. dem Gehaltsband für höhere außertarifliche Angestellte. Seine Bezüge entwickelten sich wie folgt:

Jahreszahl

Jahreseinkommen

Mehrung

1979

60.300,00 DM

1980

63.000,00 DM

2.700,00 DM

1981

68.000,00 DM

5.000,00 DM

1982

72.500,00 DM

4.500,00 DM

1983

76.000,00 DM

3.500,00 DM

1985

80.500,00 DM

4.500,00 DM

1986

83.700,00 DM

3.200,00 DM

1987

86.600,00 DM

2.900,00 DM

1988

89.600,00 DM

3.000,00 DM

1989

93.200,00 DM

2.900,00 DM

1990

93.200,00 DM

0,00 DM

1991

96.300,00 DM

3.100,00 DM

1992

96.300,00 DM

0,00 DM

1993

96.300,00 DM

0,00 DM.

Er begehrt folgende Gehaltsmehrungen:

Jahreszahl

Gehaltsmehrung

1990

5.000,00 DM

1991

8.650,00 DM

1992

7.250,00 DM.

Ferner begehrt er für 1993, den nicht in die Berufung gelangten Teil des Rechtsstreits, eine Mehrung um 4.700,00 DM brutto.

Das Landesarbeitsgericht hat im Berufungsurteil festgehalten:

„…

Weiterhin regelt die Betriebsvereinbarung Nr. 55 unter Ziff. 5:

5.1

Die Bezüge der AT-Mitarbeiter werden jährlich überprüft. Die effektiven, individuellen Jahresgehälter sollen auch bei gleichbleibender Funktion mit zunehmender Berufserfahrung und entsprechender Leistung angemessen steigen, wobei die allgemeine Einkommensentwicklung angemessen zu berücksichtigen ist.

5.2

Ändern sich die Mindestbezüge nach Ziff. 4 aufgrund einer allgemeinen Tariferhöhung, so ist dies spätestens bei der nächsten Gehaltsüberprüfung gemäß 5.1 zu berücksichtigen.

Die Protokoll-Notiz zur BV 55 … enthält die weitere Regelung, daß die Mindestmehrung für einen AT-Mitarbeiter in der Regel der Mehrungsbetrag in DM gemäß der allgemeinen Tariferhöhung des Vorjahres bei E 13 (höchste Tarifgruppe) ist und eine Unterschreitung der Mindestmehrung eine schriftliche Begründung erfordert. Zudem ist dem Betriebsrat vom Personalwesen nach jeder AT-Regulierung eine Liste aller Mitarbeiter, die eine Mehrung unterhalb der Mindestmehrung erhalten haben, zu übergeben.”

Für die Gehaltsmehrungen der außertariflichen Angestellten gab die Beklagte ihren Abteilungsleitern oder sonst hierfür zuständigen Mitarbeitern sog. Mehrungsspannen vor, wonach die Gehaltsmehrung von der Funktion und der Leistung des Mitarbeiters abhängig ist. Diese Mehrungsspannen wurden regelmäßig in entsprechenden Betriebsratsinformationen veröffentlicht. In den Jahren 1990 bis 1992 betrugen die Mehrungsspannen

für 1990

Spanne I

Spanne II

Spanne III

Mitarbeiter mit noch zufriedenstellender Leistung

Mitarbeiter mit guter Leistung

Mitarbeiter mit weit überdurchschnittlich guter Leistung

2.700–5.300

4.200–6.600

5.200–7.300

für 1991

Spanne I

Spanne II

Spanne III

5.800–7.900

6.500–9.800

7.500–11.500

für 1992

Spanne I

Spanne II

Spanne III

4.700–6.900

6.000–8.500

7.000–9.800.

I

In der entsprechenden Verlautbarung vom November 1991 für das Jahr 1992 heißt es u.a.:

”Gegenüber dem Vorjahr hat die Werksleitung die von der Leistungskennziffer abhängigen Mehrungsvorschläge weiter als früher gespreizt, um eine stärkere Leistungsdifferenzierung zu erreichen. Bei Leistungen mit erheblichen Einschränkungen (Leistungskennziffer ≪ 3,0) soll auch die Mehrung unter der Höhe des Grundbetrags von 3.000 DM liegen.

auch „Null”-Mehrung möglich

Auch eine Nullmehrung ist möglich – vorausgesetzt das Gehalt liegt über der Mindesthöhe von 12 % über E 13 K oder T bzw. 22 % über E 13 T im gehobenen AT-Bereich. In solchen Fällen ist eine schriftliche Begründung erforderlich.

Es ist aber auch in zu begründenden Fällen eine Überschreitung der Obergrenzen der Bandbreite möglich.

Mindestbezüge nach Betriebsvereinbarung Nr. 55 angehoben

Die Mindestbezüge für AT-Angestellte, die in den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung Nr. 55 für AT-Angestellte fallen, betragen in 1992:

Kaufmännische Angestellte im tarifnahen AT-Bereich

80.400,– DM

Technische Angestellte im tarifnahen AT-Bereich

83.700,– DM

Angestellte im gehobenen AT-Bereich

91.100,– DM

Mindestbezüge für technisch/naturwissenschaftlich ausgebildete Akademiker

Dies gilt nicht für Mitarbeiter, die dem Manteltarifvertrag für technische oder naturwissenschaftliche Akademiker mit Hochschulausbildung unterstehen. Für diese gelten die nach Berufsjahren gestaffelten Werte des Gehaltstarifvertrages für Akademiker:

Mindestjahresbezüge für 1991

im 1. Berufsjahr DM 67.650,–

im 2. Berufsjahr DM 73.050,–

im 3. Berufsjahr DM 78.450,–

im 4. Berufsjahr DM 83.850,–

im 5. Berufsjahr DM 89.250,–.

Die Einordnung der Leistungen erfolgte nach der Beklagten nach Leistungskennziffern (LKZ). Bis 1990 existierte bei der Beklagten eine Einordnung der Spannen der Leistungskennziffern wie folgt:

5,0–4,8

sehr gute Leistung, übertrifft Anforderungen

4,7–4,3

sehr gute Leistungen

4,2–3,8

gute Leistungen

3,7–3,2

zufriedenstellende bis gute Leistungen

3,1–2,8

zufriedenstellende Leistungen

2,7–2,0

zufriedenstellende Leistungen mit Einschränkungen

unter 2,0

nicht zufriedenstellende Leistungen.

Ab Mitte 1992 wurden bei der Beklagten die Leistungskennziffern neu definiert. Sie lauteten nunmehr:

5,0

eine ausgezeichnete Leistung (mit hohem Anerkennungsgrad)

4,5

sehr gute Leistungen

4,0

nachhaltig gute Leistungen

3,5

gute Leistungen

3,0

zufriedenstellende Leistungen

2,5

Leistungen mit Einschränkungen

2,0

Leistungen mit erheblichen Einschränkungen

1,0

unzureichende Leistungen.

Bei der Leistungsbeurteilung wurden bei der Beklagten folgende Kriterien verwendet:

  • unternehmerisches Entscheiden und Handeln
  • Führungsverhalten
  • geistige Leistungen
  • Fachwissen
  • Kooperations- und Kontaktverhalten.

Der Vorgesetzte des Klägers (Dr. S.) sah für den Kläger für 1990 eine sog. „Nullmehrung” vor und begründete dies in einer handschriftlichen Notiz, die ein Eingangsdatum vom 21. Dezember 1989 trägt, wie folgt:

„…

Wie Herrn Dr. R. schon mehrmals mündlich vorgehalten wurde, sind seine Vorgesetzten mit der von ihm erbrachten Leistung, insbesondere aber mit seinem Verhalten gegenüber seinen Vorgesetzten und den von ihm betreuten Dokumentationsnutzern, nicht einverstanden. Von letzteren liegen schriftliche Beschwerden vor. In einem als besonders schwerwiegend angesehenen Fall hat er die Interessen des Unternehmens dadurch verletzt, daß er an den Produkten einer Firma, zu denen die B. gute Geschäftsbeziehungen unterhält, öffentlich massive Kritik geäußert hat, obwohl die Kritik nicht gerechtfertigt war und es ihm von seinen Vorgesetzten vorher untersagt worden war, sich in diesem Sinne zu äußern. Sein Verhalten hat zu erheblichen Verstimmungen bei dem betreffenden Unternehmen geführt.

Diese Angelegenheit wird DPL noch ausführlich dargestellt werden.

Die genannten Vorgänge lassen es geraten sein, Herrn Dr. R. für 1990 keine Mehrung zuzumessen.

…”

Der Kläger erhielt für 1990 keine Gehaltsmehrung. Für 1991 erhielt der Kläger anstelle der von ihm gewünschten Gehaltsmehrung von 8.500,00 DM nur eine solche von 3.100,00 DM. Für 1992 erhielt er wiederum keine Gehaltsmehrung. Seine nunmehrige Vorgesetzte begründete dies in einer entsprechenden Notiz vom 14. November 1991:

„… Wir verweisen auf die Vorfälle, die z.Zt. bei Herrn Ass. H. DPL-P bearbeitet werden. …”

Bei der Beklagten werden zudem formalisierte Mitarbeitergespräche geführt. In der hierzu erteilten Anleitung heißt es, das Mitarbeitergespräch diene dazu, die Zusammenarbeit zu verbessern, das Verantwortungsbewußtsein zu stärken, Ziele zu vereinbaren, Arbeitsergebnisse zu diskutieren und Entwicklungsmöglichkeiten zu planen. Es beziehe sich auf das unmittelbare Arbeitsfeld des Mitarbeiters. Fragen, die den Mitarbeiter darüber hinaus beschäftigten wie Entgeltentwicklung oder Karriereplanung, seien nicht Bestandteil des Mitarbeitergesprächs und erforderten zusätzliche Gespräche mit den jeweils verantwortlichen Vorgesetzten. Dennoch sollte sich der direkte Vorgesetzte auch über diese Themen informieren und eine Anbindung des Mitarbeitergesprächs an die in der Einheit angewandten Führungsinstrumente sicherstellen. Vorgesehen ist, daß die Mitarbeitergespräche aufgezeichnet werden.

Der Kläger hat behauptet: Es sei allein auf seine Tätigkeit als Betriebsrat, dem er – unstreitig – seit dem 1. Juli 1989 angehöre, zurückzuführen, daß er sog. Nullmehrungen bzw. für 1991 eine geringere Gehaltsmehrung habe hinnehmen müssen. Weil er Betriebsratsmitglied sei, seien auch die nötigen Gespräche über die Gehaltsmehrung mit ihm nicht geführt worden, ebensowenig Mitarbeitergespräche. Wenn die Beklagte nunmehr behaupte, es sei nicht erforderlich gewesen, Aufzeichnungen über solche Gespräche zu führen, stehe dies in krassem Widerspruch zu ihrer Richtlinie über Mitarbeitergespräche. Die Begründungen für die Nullmehrungen seien ihm, dem Kläger, nicht eröffnet worden. Vielmehr habe er über die Gehaltshöhe im nächsten Jahr nur Formularschreiben bekommen.

Die Beklagte bewerte seine Tätigkeit willkürlich schlecht. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, daß er seit Jahren nur eine Leistungskennziffer von 2,0 haben solle. Zumindest in früheren Zeiten haben seine Leistungskennziffern, insbesondere während seiner Tätigkeit für die C., einem Tochterunternehmen der Beklagten, bei 4,2 bzw. 4,4 gelegen.

In den Mehrungsbeträgen sei ein Teuerungsausgleich enthalten. Auch hiervon sei er, der Kläger, willkürlich ausgeschlossen worden. Sein Anspruch ergebe sich auch aus der BV 55. Insgesamt schulde ihm die Beklagte Erhöhungen von 5.000,00 DM (1990), 8.650,00 DM (1991) und 7.250,00 DM (1992), auf die er sich die ihm zuerkannte Erhöhung für 1991 (3.100,00 DM) anrechnen lasse.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.800,00 DM brutto nebst 4 % p.a. Zinsen auf den sich heraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat entgegnet: Ihre Gehaltserhöhungen enthielten keinen Teuerungsausgleich, sondern seien im hier relevanten Bereich ausschließlich nach Leistungsgesichtspunkten vergeben worden. Zwischen 60 und 33 Mitarbeiter hätten in den fraglichen Jahren Nullmehrungen hinnehmen müssen. Dazu zähle auch der Kläger. Insoweit habe sie, wie sich aus den schriftlichen Begründungen der Vorgesetzten ergebe, gute Gründe gehabt. Tatsächlich habe der Kläger immer wieder seinen Arbeitsvertrag verletzt, insbesondere durch unerlaubte Publikationen oder unerlaubtes Auftreten als Mitarbeiter der Beklagten in der Fachöffentlichkeit. Die Bezüge des Klägers überstiegen die in der BV 55 vorgesehenen Mindestbeträge.

Das Arbeitsgericht hat ein Teilurteil über die Forderungen des Klägers für die Jahre 1990, 1991 und 1992 über insgesamt 17.800,00 DM erlassen. Es hat der Klage in Höhe von 10.100,00 DM nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Hiergegen haben die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlußberufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat durch Urteil vom 11. Oktober 1995 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und durch Ergänzungsurteil vom 10. Juli 1996 die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Das Ergänzungsurteil ist rechtskräftig geworden. Gegen das Berufungsurteil hat die Beklagte Revision mit dem Ziel eingelegt, die Klage insgesamt abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie hat die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur Folge. Die Begründung, mit welcher das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen hat, ist rechtsfehlerhaft. Mit dieser Begründung läßt sich nicht rechtfertigen, daß dem Kläger der zuerkannte Teil der Klageforderung zusteht. Vielmehr ist noch aufzuklären, ob Tatsachen vorliegen, die es rechtfertigen, den Kläger von der Gehaltsmehrung für die Jahre 1990 und 1992 völlig auszunehmen und ihm für 1991 nur einen Mehrungsbetrag von 3.100,00 DM brutto zuzubilligen.

I. Die Vorinstanzen sind zutreffend vom arbeitsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und dessen Anwendung auf freiwillige Gehaltserhöhungen ausgegangen.

1.a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung. Es verstößt nicht gegen Gleichbehandlungsregeln, wenn der Arbeitgeber auf sachgerecht gebildete Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedliche Vergütungsgrundsätze anwendet (BAG Urteil vom 20. November 1996 – 5 AZR 401/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Eine Gruppenbildung muß sachlichen Kriterien entsprechen. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. statt vieler: BAG Urteil vom 15. November 1994 – 5 AZR 682/93 – AP Nr. 121 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, m.w.N., unter I 1 der Gründe). Dieser dem Privatrecht zuzuordnende Gleichbehandlungsgrundsatz (u.a. § 242 BGB) ist inhaltlich bestimmt durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG; er gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem vorstaatlichen überpositiven Recht an (BVerfG 1, 208, 233; 6, 84, 91).

b) Im Bereich der Arbeitsvergütung ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz jedenfalls insoweit anzuwenden, als es sich um freiwillige Lohnerhöhungen handelt (so schon BAG Urteil vom 25. April 1959 – 2 AZR 363/58 – AP Nr. 15 zu § 242 BGB Gleichbehandlung m. Anm. G. Hueck). Dies betrifft nicht nur die Fälle, daß ein Arbeitgeber einer den Gesamtbereich des Arbeitslebens erfassenden Lohnwelle bei einer Mehrzahl seiner Arbeitnehmer Rechnung trägt. Auch in unterschiedlichen, nach Leistungsgesichtspunkten bemessenen Lohn- und Gehaltserhöhungen kann angesichts des Anstiegs der Preise und Gehälter in den Erhöhungsbeträgen eine lineare Komponente enthalten sein; jedenfalls von einem derartigen Grundbetrag darf der Arbeitnehmer nur unter Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgeschlossen werden (BAG Urteil vom 15. November 1994, a.a.O., unter I 1 a der Gründe, m.w.N.). Eine solche Regelhaftigkeit braucht andererseits nicht das Verhalten des Arbeitgebers zu einer bestimmten Frage, hier der Gehaltsmehrung, insgesamt zu bestimmen, sondern kann sich auch auf einen Teil der Entscheidung beschränken oder als einzelne Komponente nur einen bestimmten Teil der Entscheidung erfassen (BAG, a.a.O.).

c) Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Gehaltserhöhungen ist hiernach nicht auf die Fälle beschränkt, in denen die Gehälter insgesamt nach Maßgabe einer allgemeinen, gruppen- oder betriebseinheitlichen Regelung erhöht werden. Ein Leistungsanspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz kann aber bei Gehaltserhöhungen nur insoweit entstehen, als sich im tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers gegenüber anderen Arbeitnehmern eine Regelhaftigkeit feststellen läßt. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung einer Gehaltserhöhung in gleicher Höhe oder vergleichbarer Höhe, wie sie anderen Arbeitnehmern gewährt worden ist, besteht daher nur, wenn der begehrte Umfang der Gehaltserhöhungen insgesamt auf einer allgemeinen Regelung beruht. Auch bei unterschiedlichen Erhöhungen kann ein Teilbetrag auf einer allgemeinen Regelung beruhen, z.B. als Teuerungsausgleich gewährt werden (BAG Urteil vom 15. November 1994 – 5 AZR 682/93 – AP Nr. 121 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, unter I 1 b der Gründe, m.w.N.), ein anderer Teil dagegen nicht.

2. Die Vorinstanzen haben angenommen, § 8 MTV in Verb, mit der BV 55 (Ziff. 5.1, 5.2 sowie Protokollnotiz hierzu) enthielten eine solche Regelung nicht nur hinsichtlich der Tatsache der Gehaltsprüfung, sondern auch hinsichtlich der jeweiligen Gehaltserhöhung. Dem kann nicht gefolgt werden.

a) Aus § 8 MTV ergibt sich eine derartige Regelhaftigkeit nicht. Hiernach unterliegen nach Ablauf der tarifierten ersten fünf Jahre die Gehälter der unter diesen Tarifvertrag fallenden naturwissenschaftlichen und technischen Akademiker der freien Vereinbarung. Ihre Steigerung ist leistungsabhängig gestaltet.

b) Auch in Verbindung mit den Regelungen der BV 55 ergibt sich aus § 8 MTV eine solche Regelhaftigkeit für den Kläger und die mit ihm vergleichbaren Angestellten mit akademischer naturwissenschaftlicher oder technischer Ausbildung und entsprechendem Einsatz nicht.

aa) Die Vorinstanzen haben nicht geprüft, ob die BV 55 auf den Kläger und die sonstigen vom Geltungsbereich des genannten Manteltarifvertrags erfaßten akademischen Mitarbeiter im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich anzuwenden ist. Diese Frage hat die Beklagte erstmals in der Revision aufgeworfen, nachdem der Kläger wiederholt auf die BV 55 verwiesen hatte. Allerdings hat der Kläger nicht ausdrücklich behauptet, daß diese Betriebsvereinbarung auch für ihn bzw. für Arbeitnehmer gelte, die unter den genannten Tarifvertrag fallen.

bb) Die Vorinstanzen hätten Anlaß gehabt, dieser Frage nachzugehen. Der Kläger hat nicht etwa (vollständige) Urkunden der entsprechenden Betriebsvereinbarung vorgelegt, sondern Fotokopien von „Vorschlägen”. Er hat auch nicht ausdrücklich behauptet, daß diese Vorschläge akzeptiert und dementsprechend Betriebsvereinbarungen zustandegekommen seien. Es mag sein, daß bei der Beklagten eine BV 55 besteht. Ob der Geltungsbereich der im Streitzeitraum gültigen Fassung der BV 55 sich allerdings auch auf die Arbeitnehmer erstreckt, die vom MTV für naturwissenschaftlich-technisch ausgebildete Akademiker erfaßt sind, erscheint zweifelhaft. Nach Lage der Prozeßakte ist dies kaum anzunehmen. In der Verlautbarung des Betriebsrats über die Gehaltsmehrung für 1992 heißt es ausdrücklich, daß Regelungen der BV 55 für eben diese Akademiker nicht gelten. Schon daher war es erforderlich, der Frage des persönlichen Geltungsbereichs einer möglicherweise bestehenden BV 55 stärkere Beachtung zu schenken, als es in den Vorinstanzen von Gerichts wegen, aber auch von der Beklagten geschehen ist.

Die Beklagte hat zwar erst in der Revision auf die Nichtgeltung der BV 55 für naturwissenschaftliche und technische Akademiker hingewiesen. Ihr war indessen nicht verwehrt, dies in der Revision nachzuholen. Es handelt sich hinsichtlich der Frage des Anwendungsbereichs und damit der „Geltung” der BV nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine ungeprüfte rechtliche Annahme des Landesarbeitsgerichts. Daher bedurfte es auch keiner Verfahrensrüge.

II. Dem Landesarbeitsgericht kann aber auch nicht in der Annahme gefolgt werden, aus der bei der Beklagten praktizierten Regelung über die „Mehrungsspannen” in den Jahren 1990 bis 1992 ergebe sich als Regel, daß der jeweilige Mehrungsmindestbetrag mit der geringsten Spanne geschuldet werde, wenn die Beurteilung des betreffenden Mitarbeiters die Leistungskennziffer (LKZ) 2,0 erreicht (und nicht überschritten) habe. Eine solche Regelhaftigkeit ist nicht anzunehmen. Vielmehr zeigen die Beschreibungen dieser „Regeln” in den Verlautbarungen des Betriebsrats ihrerseits, daß auch Nullmehrungen unter dem Gesichtspunkt möglich sind, daß der einzelne Mitarbeiter keine hinreichenden Leistungen aufgewiesen hat oder ihm beispielsweise Vertragsverstöße vorzuwerfen sind.

III. Damit entfällt aber die Begründung, mit der die Vorinstanzen angenommen haben, dem Kläger stehe eine Gehaltserhöhung in Höhe der geringsten Beträge der jeweiligen Mehrungsspanne der Gruppe I zu. Andererseits hat das Landesarbeitsgericht keine Tatsachenfeststellungen darüber getroffen, was es mit den Vermerken der jeweiligen Vorgesetzten des Klägers für dessen Bezüge oder Bezügemehrung für 1990 und 1992 auf sich hat. Schon daher ist der Senat nicht in der Lage festzustellen, ob und wenn ja, in welcher Höhe dem Kläger ein Anspruch auf Gehaltsmehrung zustehen kann.

IV. Das Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob die Regelungen der BV 55 auch auf das Arbeitsverhältnis des Klägers im hier strittigen Zeitraum anzuwenden sind, sei es, weil die BV 55 sich in betriebsverfassungsrechtlich zulässiger Weise (§ 77 III BetrVG) ausdrücklich auch auf die Arbeitnehmer erstreckt, die (ab sechstem Tätigkeitsjahr) dem obengenannten Manteltarifvertrag unterfallen, sei es, daß die Beklagte dazu übergegangen ist, ohne Rücksicht auf den persönlichen Geltungsbereich der BV 55 auch diese Arbeitnehmer an den Regelungen teilhaben zu lassen.

Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, daß die BV 55 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien im hier strittigen Zeitraum nicht anzuwenden sind, so hat es zu prüfen, inwieweit dem Kläger nach den Grundsätzen der Gehaltsmehrung, wie sie von der Beklagten praktiziert werden und in den Verlautbarungen des Betriebsrats zum Ausdruck gekommen sind, ein Anspruch auf Gehaltsmehrung zusteht. Dabei wird insbesondere zu prüfen sein, ob der Beklagten hinreichend gute Gründe zur Seite standen, den Kläger in den Jahren 1990 und 1992 von einer Gehaltserhöhung auszunehmen und ihm im Jahre 1991 nur eine relativ geringe Bezügemehrung zuzubilligen.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Müller, Mandrossa

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087092

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