Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablösung des Liquidationsrechts eines Chefarztes

 

Orientierungssatz

War die Liquidationsbefugnis Teil der Vergütung, die der Krankenhausträger dem Arzt für seine Tätigkeit als Anästhesist im Krankenhaus zugesagt hatte, so muß dem Arzt eine angemessene Vergütung für den Verlust des Liquidationsrechts gezahlt werden.

 

Normenkette

BGB §§ 157, 242, 611, 133; BPflV § 3

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 16.10.1986; Aktenzeichen 2 Sa 454/86)

ArbG Aachen (Entscheidung vom 10.04.1986; Aktenzeichen 5 Ca 2106/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen finanziellen Ausgleich dafür zu gewähren, daß er ab 1. Januar 1983 ein Liquidationsrecht für die anästhesiologische Behandlung von Kassenpatienten auf der Belegstation (HNO-Abteilung) nicht mehr ausüben kann.

Der am 29. Mai 1934 geborene Kläger ist seit dem 1. Juli 1970 als Chefarzt der Abteilung Anästhesie des Knappschafts-Krankenhauses in W tätig, dessen Träger die Beklagte ist. Im Dienstvertrag der Parteien vom 25. Juni 1970 (im folgenden kurz DV) heißt es unter anderem in

§ 4

Dienstaufgaben, Rechte und Pflichten

(1) Dem Chefarzt obliegen insbesondere

a) die präoperative Vorsorge,

b) die Durchführung der Anästhesie aller

operativen Abteilungen,

c) die Leitung der Wach- bzw. Intensivpflegestation,

d) die postoperative Nachsorge, soweit das

Fachgebiet der Anästhesie berührt wird, in

Zusammenarbeit mit den zuständigen anderen

Ärzten,

e) außerhalb des chirurgisch-operativen

Bereichs in Zusammenarbeit mit den

zuständigen Abteilungsärzten alle Behandlungen,

die zum Fachgebiet der Anästhesie

gehören (z.B. Schockbehandlung, Dauerbeatmung,

Vergiftungen, Tetanus),

f) alle ambulanten Untersuchungen und Behandlungen

von Berechtigten der knappschaftlichen

Versicherung in seinem Fachgebiet,

g) die Erstattung der von der Bundesknappschaft

geforderten Gutachten und Befundberichte,

h) die ambulante Behandlung in Notfällen.

.....

Die Vergütung des Klägers ist geregelt in § 3 DV. Zunächst erhielt der Kläger Vergütung nach VergGr. I b KnAT mit einer persönlichen Zulage in Höhe des Unterschiedes zwischen den Vergütungsgruppen I a und I b KnAT. Nach dem Änderungsvertrag vom 16. August 1973 erhält der Kläger Bezüge nach VergGr. I a KnAT zuzüglich einer Zulage in Höhe der Hälfte der Endlebensaltersstufe der Grundvergütung nach Vergütungsgruppe I a KnAT. Die nach § 4 Abs. 1 Buchst. a) bis h) DV erbrachten Leistungen sollen - abgesehen von dem Liquidationsrecht nach §§ 5 und 6 DV - mit den in § 3 vereinbarten Bezügen abgegolten sein (§ 4 Abs. 1 Satz 2 DV).

Nach § 5 DV steht dem Kläger eine Liquidationsbefugnis im stationären Aufgabenbereich zu gegenüber Privatpatienten der ersten und zweiten Pflegeklasse und Selbstzahlern der dritten Pflegeklasse für die von ihm erbrachten ärztlichen Leistungen und für den Arztanteil bei ärztlichen Sachleistungen. Nach § 5 Abs. 4 DV ist der Kläger verpflichtet, dem Krankenhaus die Unkosten zu erstatten, die für Leistungen, für die er liquidationsberechtigt ist, entstehen. Diese Unkosten werden in pauschaler Form nach näherer Regelung erstattet. Weiter hat der Kläger nach § 5 Abs. 5 DV für die Inanspruchnahme von ärztlichem Personal und Hilfspersonal sowie für die Benutzung der Einrichtungen des Krankenhauses ein Nutzungsentgelt zu entrichten, das - je Bett und Pflegetag - 20 v.H. des jeweiligen, wegen besonders berechneter ärztlicher Leistungen ermäßigten Pflegesatzes der dritten Pflegeklasse beträgt. Im Dienstvertrag heißt es weiter in

§ 6

Nichtstationäre ärztliche Tätigkeit

(1) Dem Chefarzt ist es über den Rahmen seiner

Haupttätigkeit (§ 5) hinaus gestattet,

a) Gutachtertätigkeit in nichtstationären

Fällen auszuüben,

b) Selbstzahler (Privatpatienten) in der

Sprechstunde im Krankenhaus ambulant

zu beraten und zu behandeln,

c) überwiesene sozialversicherte Personen

der RVO- und Ersatzkassen zu beraten und

zu behandeln, soweit er hierzu ermächtigt

ist (§ 368 a Abs. 8 RVO),

d) andere Ärzte in nichtstationären Fällen

konsiliarisch zu beraten.

Die unter a) bis c) aufgeführten Tätigkeiten sollen

im Krankenhaus ausgeübt werden. .....

.....

.....

(4) Für die unter Abs. 1 aufgeführten Tätigkeiten

steht dem Chefarzt das Liquidationsrecht für

die rein ärztlichen Leistungen und für die

Arztanteile bei ärztlichen Sachleistungen zu.

.....

.....

(7) Mit den nach Abs. 6 zu erstattenden Kosten

sind die Unkosten für die Inanspruchnahme

von Räumen, Einrichtungen und Material des

Krankenhauses sowie für die Inanspruchnahme

des nichtärztlichen Personals abgegolten.

Für die Inanspruchnahme des nachgeordneten

ärztlichen Dienstes und der Arztschreibkräfte

hat der Chefarzt dem Krankenhaus ein Entgelt

in Höhe von 20 vom Hundert der aus der Nebentätigkeit

bezogenen Vergütung (nach Abzug der

Sachkosten) zu entrichten.

§ 7 DV sah in seiner ursprünglichen Fassung die Gewährleistung von Nebeneinnahmen durch die Beklagte vor. Diese Vertragsbestimmung, die insgesamt durch den Änderungsvertrag vom 16. August 1973 gestrichen worden ist, lautete in Absatz 1 wie folgt:

Der Krankenhausträger gewährleistet dem Chefarzt

neben den Bezügen nach § 3 aus den nach §§ 5 und 6

eingeräumten Liquidationsbefugnissen Einnahmen in

Höhe der in § 2 vereinbarten Bezüge (ohne die

Zulage, den Arbeitnehmeranteil und ohne Kinderzuschlag).

Auf die so gewährleisteten Einnahmen

sind die Einnahmen aus der ausgeübten Liquidationsbefugnis

einschließlich der aus Absprachen mit

anderen Krankenhaus- sowie Belegärzten resultierenden

Einkünfte anzurechnen. Vorbehaltlich einer

späteren Abrechnung kann der Chefarzt auf die

gewährleisteten Einnahmen Abschlagszahlungen

verlangen.

Unverändert heißt es in

§ 8

Vergütungen an nachgeordnete Ärzte

Der Chefarzt ist verpflichtet, aus seinen sich aus

der eingeräumten Liquidationsbefugnis ergebenden Einnahmen

bzw. den ihm gewährleisteten Einnahmen (§ 7)

den nachgeordneten Ärzten seiner Abteilung für die

von diesen erbrachten ärztlichen Leistungen angemessene

Vergütungen zukommen zu lassen, um dadurch

die Gewinnung geeigneter Ärzte und ein längeres

Verbleiben solcher Ärzte im Krankenhaus zu fördern

sowie einem unerwünscht häufigen Wechsel der nachgeordneten

Ärzte vorzubeugen.

In § 14 Abs. 1 Satz 1 DV ist vereinbart, daß Änderungen und Ergänzungen des Vertrages der Schriftform bedürfen.

Am 11. November 1970 und am 20. Januar 1971 schloß der Kläger mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und mit den Verbänden der Angestellten- und Ersatzkrankenkassen rückwirkend ab 1. November 1970 sogenannte Ermächtigungsverträge, durch die er das Recht erhielt, seine Anästhesieleistungen bei stationären Kassenpatienten der Belegstation des Krankenhauses gegenüber seinen Vertragspartnern gesondert zu liquidieren. Seit Erteilung der Liquidationserlaubnis hat der Kläger zunächst 20 %, ab 1. Januar 1972 10 % seiner Liquidationserlöse an die Beklagte abgeführt. Zum Jahresende 1982 sind die Ermächtigungsverträge aufgrund einer Kündigung der Kassenärztlichen Vereinigung ausgelaufen, so daß seit dem 1. Januar 1983 die gesonderte Liquidationsmöglichkeit auf der Belegstation für den Kläger entfallen ist.

Mit seiner am 13. Dezember 1985 eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte müsse ihm einen finanziellen Ausgleich für den Fortfall der Liquidationsmöglichkeit gewähren. Er versorge die Kassenpatienten auf der Belegstation weiter, ohne dafür nunmehr allerdings eine Vergütung zu erhalten. Zur Höhe seines Anspruchs hat der Kläger vorgetragen: Bis Ende 1982 habe er jährlich durchschnittlich 32.000,-- DM liquidieren können. Anschließend seien die Erlöse gestiegen. Er wolle jedoch nur von durchschnittlichen Liquidationserlösen von 37.000,-- DM ab 1. Januar 1983 ausgehen. Es erscheine angemessen, wenn die Beklagte die Ausfälle ab 1. Januar 1983 mit 26.700,-- DM brutto im Jahr und 2.225,-- DM brutto im Monat ausgleiche. Die Höhe des Ausgleichs ergebe sich aus den Empfehlungsvereinbarungen, die zwischen dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten und den Verbänden der Kostenträger in den Bundesländern Bayern und Rheinland-Pfalz getroffen worden sind.

Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, sämtliche Anästhesieleistungen seien durch die in § 3 DV vereinbarte Vergütung abgegolten. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Dienstvertrages sei die Beklagte weder vertraglich noch gesetzlich verpflichtet gewesen, die von Belegärzten eingewiesenen Patienten ärztlich zu versorgen. Daher könne die Versorgung dieser Patienten auch nicht zu seinen, des Klägers, Dienstaufgaben, wie sie im Vertrag mit der Beklagten geregelt sind, gehört haben. Jedenfalls ergebe sich aber aus § 6 Abs. 1 Buchst. c) DV, daß ihm, dem Kläger, ein Liquidationsrecht eingeräumt worden sei, für dessen Wegfall die Beklagte einen Ausgleich zahlen müsse.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn

80.000,-- DM zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn

zuzüglich zu den vertraglich vereinbarten

monatlichen Dienstbezügen ab dem 1. Januar

1986 weitere 2.225,-- DM zu zahlen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, vom Kläger auf

den Belegabteilungen des Krankenhauses der

Beklagten in W ab dem

01.01.1986 im stationären Bereich gegenüber

Patienten der RVO- und Ersatzkassen erbrachte

anästhesiologische Leistungen nach jeweils

quartalsmäßigem Nachweis nach den gültigen

Gebührensätzen zu vergüten unter Berücksichtigung

von pauschalen Abschlägen entsprechend

der Rheinland-Pfälzischen Empfehlungsvereinbarung

vom 01.01.1985.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Die stationäre Versorgung der Kassenpatienten der Belegabteilung habe gemäß § 4 Abs. 1 Buchst. b) DV immer zu den vertraglichen Aufgaben des Klägers gehört, auch wenn die Beklagte keine Möglichkeit gehabt habe, für diese Tätigkeit bei den Kassen zu liquidieren. Als der Kläger eingestellt worden sei, habe es nur in beschränkter Zahl ausgebildete Anästhesisten gegeben. Sie habe aber Wert darauf gelegt, die Krankenhäuser auch personell so auszustatten, wie es den Anforderungen einer guten medizinischen Versorgung entsprochen habe. Schon deshalb habe es in ihrem berechtigten Interesse gelegen, den Kläger auch zur Behandlung der Belegpatienten zu verpflichten. Die Betreuung der Belegpatienten werde von § 6 DV nicht erfaßt. Vielmehr sei die Tätigkeit des Klägers auf der Belegstation mit der in § 3 DV vereinbarten Vergütung abgegolten gewesen. Nicht abgegolten seien nur die in den §§ 5 und 6 DV aufgeführten Nebentätigkeiten, für die der Kläger selbständig liquidieren dürfe. Die Liquidationsmöglichkeit bei der Behandlung der stationären Kassenpatienten des Belegarztes sei nicht Gegenstand des Dienstvertrages des Klägers. Der Dienstvertrag enthalte darüber keine ausdrückliche Regelung, auch stillschweigend sei nichts vereinbart worden. Zudem könnten aus einer stillschweigenden Abmachung keine Rechte hergeleitet werden, weil dem der Schriftformvorbehalt des § 14 DV entgegenstünde.

Die Beklagte hat schließlich die Höhe der Klageforderung bestritten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger sein Klageziel weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Dem Kläger steht ein Ausgleich für den Wegfall der Liquidationsmöglichkeit zu. Die Höhe dieses Ausgleichs kann jedoch gegenwärtig noch nicht abschließend beurteilt werden. Daher muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine Verpflichtung der Beklagten, die Bezüge des Klägers nach den Grundsätzen über den Fortfall der Geschäftsgrundlage anzupassen, wäre nur dann zu bejahen, wenn die Liquidationserlöse des Klägers für die Behandlung der pflichtversicherten Patienten der Belegstation als Gegenleistung für vertraglich übernommene Dienstpflichten angesehen werden müßten. Das sei jedoch nicht der Fall.

Nach dem Dienstvertrag obliege dem Kläger "die Durchführung der Anästhesie aller operativen Abteilungen". Eine dieser Abteilungen sei die HNO-Abteilung. Zu ihren Patienten gehörten auch die vom Belegarzt eingewiesenen Kassenpatienten. Damit sei die anästhesiologische Betreuung dieser Patienten arbeitsvertragliche Verpflichtung des Klägers. Daß die Beklagte als Krankenhausträger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses möglicherweise kraft Gesetzes nicht verpflichtet gewesen sei, für die von Belegärzten eingewiesenen Patienten die anästhesiologische Betreuung sicherzustellen, könne bei der Auslegung des Dienstvertrages des Klägers keine Rolle spielen. Ohne Rücksicht auf eine gesetzliche Pflicht habe die Beklagte auf der Grundlage der damaligen Anschauungen dem Kläger vertraglich die anästhesiologische Betreuung aller Patienten übertragen. Als Gegenleistung für die im Vertrag begründeten Pflichten solle der Kläger die in § 3 DV vereinbarte Festvergütung erhalten. Außerdem seien ihm die Liquidationsrechte nach den §§ 5 und 6 DV eingeräumt. In § 4 DV heiße es ausdrücklich, daß damit die erbrachten Leistungen abgegolten seien, wobei nach dem Sachzusammenhang die in Abs. 1 Buchst. b) aufgeführten vertraglichen Verpflichtungen des Klägers gemeint seien.

In den §§ 5 und 6 DV seien die Liquidationserlöse nicht erfaßt, die der Kläger aufgrund der Ermächtigungsverträge erhalten habe. Daraus folge, daß die inzwischen fortgefallene Liquidationsmöglichkeit keine vertragliche Gegenleistung für die vom Kläger übernommenen Dienstpflichten gewesen sei. Es müsse angenommen werden, daß die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für beide Parteien absehbare Möglichkeit, weitere Liquidationserlöse durch Abschluß von Ermächtigungsverträgen zu erzielen, in den Augen der Parteien eine zusätzliche Verdienstchance des Klägers habe sein sollen, die jedoch nicht zu den vertraglichen Leistungen habe gehören und hinsichtlich Höhe und Entwicklung in die Risikosphäre des Klägers habe fallen sollen. Eine andere Auslegung sei auch nicht unter Berücksichtigung sonstiger Umstände geboten.

Daß der Kläger von den Liquidationserlösen auf der Belegabteilung 10 % an den Krankenhausträger abgeführt und die nachgeordneten Ärzte beteiligt habe, gebe für die Auslegung des Dienstvertrages nichts her. Schließlich habe der Kläger die medizinischen Einrichtungen der Beklagten benutzt, um seine Einnahmen zu erzielen. Es sei daher folgerichtig, wenn die Beklagte in entsprechender Anwendung der im Dienstvertrag vereinbarten Abgabeverpflichtung des Klägers ihren Anteil beanspruche. Der Kläger könne daher trotz der bei ihm eingetretenen Liquidationseinbußen von der Beklagten keinen Ausgleich verlangen.

Dieser Begründung kann nicht gefolgt werden.

II. Das Landesarbeitsgericht hat den ihm vorliegenden Auslegungsstoff nicht vollständig gewürdigt; seine Vertragsauslegung wird den gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) nicht gerecht. Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen (§ 133 BGB); Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). Daher sind für die Vertragsauslegung außer dem reinen Wortlaut sämtliche Umstände, die vernünftigerweise überhaupt von Bedeutung sein könnten, bei der Auslegung zu berücksichtigen (vgl. statt vieler BAG Urteil vom 17. April 1970 - 1 AZR 302/69 - AP Nr. 32 zu § 133 BGB, Bl. 2 R). Das Landesarbeitsgericht hat den Vertragstext nicht vollständig ausgeschöpft und die dem Kläger von der Kassenärztlichen Vereinigung eingeräumte Liquidationsmöglichkeit auf der Belegstation sowie das sich daran anknüpfende Abrechnungsverhalten der Parteien, das diese von 1971 bis 1982 geübt haben, nicht hinreichend gewürdigt und damit wesentlichen Auslegungsstoff vernachlässigt.

1. Mit dem Landesarbeitsgericht kann davon ausgegangen werden, daß die anästhesiologische Versorgung der Patienten auf der Belegabteilung gemäß § 4 Abs. 1 Buchst. b) DV zu den vertraglichen Verpflichtungen des Klägers gehören sollte. Dabei kann, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine Rolle spielen, ob die Beklagte ihrerseits gesetzlich oder vertraglich verpflichtet war, den Patienten der Belegabteilung eine anästhesiologische Versorgung sicherzustellen. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wurde einer solchen Verpflichtung noch keine besondere Bedeutung beigemessen. Der Beklagten muß aber zugestanden werden, ein von ihr getragenes Krankenhaus in jeder Beziehung auf den neuesten Stand der medizinischen Versorgung zu bringen. Um das zu erreichen, war sie ohne weiteres befugt, dem Kläger die anästhesiologische Betreuung der Patienten auf den Belegabteilungen als Vertragspflicht zuzuweisen.

Andererseits war die Betreuung der Belegpatienten als vertragliche Dienstleistung des Klägers schon nach der ursprünglichen Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Parteien nicht allein mit der in § 3 DV vereinbarten Vergütung abgegolten. Dagegen spricht bereits die in § 7 Abs. 1 DV - bei der Zusage der Gewährleistung von Nebeneinnahmen - erwähnte Anrechnung der Einnahmen aus der ausgeübten Liquidationsbefugnis "einschließlich der aus Absprachen mit anderen Krankenhaus- sowie Belegärzten" resultierenden Einkünfte. Aus dieser Vertragsklausel ergibt sich, daß die Parteien von Einkünften des Klägers auf den Belegabteilungen ausgegangen sind, die außerhalb des in § 3 DV vereinbarten Rahmens lagen. Wenn der Vertrag darüber auch keine näheren Regelungen enthält, so wurde die Rechtslage in der Folgezeit durch den Abschluß der sogenannten Ermächtigungsverträge geklärt. Aufgrund dieser Verträge war der Kläger befugt, für seine Leistungen auf den Belegabteilungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zu liquidieren. Der Umfang dieser Liquidationserlöse hat nach seiner nicht substantiiert bestrittenen Behauptung jährlich eine Summe von 32.000,-- DM erreicht. Hierbei handelt es sich um einen nicht unerheblichen Teil der Gesamteinkünfte des Klägers. Es kann schon von der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Einnahmeteiles her nicht angenommen werden, daß die Parteien darin nur eine außerhalb des Vertrages liegende zusätzliche Verdienstquelle gesehen haben.

Mit der Ermächtigung zur Liquidation war noch nicht gleichzeitig die arbeitsvertragliche Berechtigung des Klägers verbunden, auch tatsächlich zu liquidieren. Dazu gehörte das Einverständnis der Beklagten als Arbeitgeberin. Dieses Einverständnis hat sie dem Kläger erteilt. Sie hat sich von den Liquidationserlösen in entsprechender Anwendung bestimmter Vertragsregeln bestimmte Vomhundertsätze für die Benutzung ihrer Einrichtungen und für die Zurverfügungstellung ärztlicher und sonstiger Hilfskräfte auszahlen lassen. Diese über mehr als ein Jahrzehnt geübte Handhabung kann man nicht als außerhalb der Vertragsbeziehungen der Parteien liegend bewerten.

2. Vielmehr haben sich die Vertragsbeziehungen der Parteien gegenüber dem Wortlaut des Dienstvertrages vom 25. Juni 1970 durch stillschweigendes Verhalten der Parteien in einem ganz wesentlichen Punkt, nämlich dem des besonderen Liquidationshonorars, geändert. Dies darf man bei der Würdigung der Vertragsbeziehungen der Parteien nicht außer acht lassen, sondern muß diesen Umstand einbeziehen. Dann aber stellt sich die Rechtslage ebenso dar, wie sie aus den Entscheidungen des Senats bekannt ist, besonders aus dem Urteil vom 4. Mai 1983 (BAGE 42, 336 = AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag). Die Liquidationsbefugnis gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung war Teil der Vergütung, welche die Beklagte als Krankenhausträger dem Kläger für seine Tätigkeit als Anästhesist im Krankenhaus zugesagt hatte (§ 611 Abs. 1 BGB; zum Vergütungscharakter des Liquidationsrechts vgl. weiter BAGE 30, 1, 6 f. = AP Nr. 4 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag, zu II 2 der Gründe; BAGE 32, 249, 263 = AP Nr. 6 aaO, zu B II der Gründe; BAGE 42, 336, 344 = AP Nr. 12 aaO, zu I 2 b der Gründe). Dieses Liquidationsrecht konnte der Kläger ab 1. Januar 1983 nicht mehr ausüben. Daher muß die Beklagte ihm einen angemessenen Ausgleich für den Verlust des Liquidationsrechts zahlen. Das hat der Senat in der erwähnten Entscheidung vom 4. Mai 1983 mit näherer Begründung ausgeführt. Darauf wird Bezug genommen.

3. Die Vertragsänderung ist zustande gekommen, obwohl § 14 DV vom 25. Juni 1970 vorsieht, daß Änderungen und Ergänzungen des Vertrages der Schriftform bedürfen. Vereinbarter Formzwang kann von den Vertragspartnern jederzeit formlos aufgehoben werden, was ausdrücklich oder stillschweigend geschehen kann und sogar dann möglich ist, wenn sie an die Schriftformklausel nicht gedacht haben (BAG Urteil vom 4. Juni 1963 - 5 AZR 16/63 - AP Nr. 1 zu § 127 BGB; BGH Urteil vom 26. November 1964 - VII ZR 111/63 - AP Nr. 2 zu § 127 BGB, zu II 1 der Gründe; BGHZ 66, 378, 380 f., jeweils mit weiteren Nachweisen). Durch ihr jahrelanges Verhalten haben die Parteien sich stillschweigend über den ursprünglich vereinbarten Formzwang hinweggesetzt.

III. Eine Entscheidung über die Höhe des dem Kläger als Ausgleich zustehenden Betrages ist dem Senat nicht möglich. Dazu sind weitere Feststellungen erforderlich. Die Parteien könnten die Vergütung des Klägers nach den Regeln behandeln, die der Berufsverband Deutscher Anästhesisten mit bestimmten Krankenhausgesellschaften und Ersatzkassen abgeschlossen hat (z.B. in Bayern und in Rheinland-Pfalz). Das Landesarbeitsgericht wird deshalb zu erwägen haben, ob es die Vergütung des Klägers nach den bekannten Regelungen anpaßt.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Halberstadt Dr. Frey

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440304

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