Entscheidungsstichwort (Thema)

Lehrer an Sonderschulen nach dem Nichterfüllererlaß 1971

 

Normenkette

BAT § 22 Lehrer, § 23 Lehrer

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 08.11.1995; Aktenzeichen 2 Sa 869/95)

ArbG Wesel (Urteil vom 06.06.1995; Aktenzeichen 1 Ca 218/95)

 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. November 1995 – 2 Sa 869/95 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Eingruppierung der Klägerin.

Die Klägerin ist beim beklagten Land seit dem 15. Mai 1972 als Lehrerin im Angestelltenverhältnis an der Schule für Lernbehinderte (Sonderschule) in K. beschäftigt.

Die Klägerin ist als Kindergärtnerin und Hortnerin mit staatlicher Anerkennung ausgebildet. In der Zeit vom 1. Dezember 1972 bis zum 30. September 1974 besuchte sie den Lehrgang nach den Bestimmungen über Ausbildung, Prüfung und Anerkennung als Leiterin eines Schulkindergartens. Sie erhielt für die schriftliche Prüfung die Aufgabe, prägende Einflüsse auf die Entwicklung von Kindern der Vorklasse einer Sonderschule zu bestimmen. Der Lehrgang wurde mit dem Gesamturteil gut abgeschlossen.

Die Bestimmungen über Ausbildung, Prüfung und Anerkennung als Leiterin/Leiter eines Schulkindergartens gemäß Erlaß des Kultusministers NW vom 14. Januar 1972 – II A 4.70 – 7/3 – 7110/71 – haben u.a. folgenden Wortlaut:

Abschnitt I

§ 1

Allgemeiner Zweck der Ausbildung

(1) Die Ausbildung dient dem Zweck, geeignete Personen fachlich heranzubilden, die Aufgaben von Leiterinnen/Leitern des Schulkindergartens wahrzunehmen.

(2) …

Abschnitt II

§ 2

Aufgabe

Der Lehrgang hat die Aufgabe die Teilnehmer theoretisch, fachlich und methodisch so auszubilden, daß sie in der Lage sind, den geistig-seelischen und körperlichen Entwicklungsstand der schulpflichtigen, aber vom Schulbesuch zurückgestellten Kinder zu erkennen und sie so zu fördern, daß sie in die Schule aufgenommen werden können.

§ 5

Unterrichtsumfang

(1) Zur Ausbildung im Lehrgang gehören:

  1. die pädagogische Grundausbildung, sie umfaßt:

    • die Pädagogik, bezogen auf den Schulkindergarten,
    • antropologische Aspekte der Arbeit im Schulkindergarten,
    • psychologische Aspekte der Arbeit im Schulkindergarten,
    • soziologische Aspekte der Arbeit im Schulkindergarten;
  2. die fachliche und methodische Ausbildung mit den Bereichen

    • Sprache und ihre Förderung,
    • mathematische Grundbegriffe und Operationen,
    • Natur- und Sachbegegnung,
    • Sport, Spiel, Werken und Musik;
  3. die Schulkunde.

Die Klägerin unterrichtet in der 27-Stunden-Woche in den Fächern Deutsch, Mathematik, Sachkunde, katholische Religion, Kunst/Werken, Musik und Sport. Sie hat für ihren Einsatz in diesen wissenschaftlichen Fächern an Fortbildungsmaßnahmen des Schulamtes und des Regierungspräsidenten teilgenommen.

Nach den Arbeitsverträgen vom 6. März und 5. August 1975 war für die Eingruppierung der Klägerin der Runderlaß des Kultusministers des Landes NW vom 13. September 1971 – ZB 1–2–23/06–939/71 – (sog. Nichterfüllererlaß) vereinbart. Die Eingruppierung der Klägerin erfolgte zunächst nach VergGr. V c und mit Wirkung vom 1. Oktober 1974 nach der VergGr. V b. Mit Verfügung vom 10. März 1980 wurde die Klägerin dann mit Wirkung vom 1. Oktober 1979 gemäß Ziff. 6.3 des Runderlasses des Kultusministers des Landes NW vom 4. November 1979 – 7 B – 1/2–23/06–1031 – in die VergGr. IV b höhergruppiert.

Der Nichterfüllererlaß 1971 hat u.a. folgenden Wortlaut:

3. Lehrer an Sonderschulen

Die übrigen Lehrer werden wie die entsprechenden Lehrer an Realschulen eingruppiert.

2. Lehrer an Realschulen

2.4

Lehrer in der Tätigkeit von Realschullehrern

ohne Ausbildung nach der Fallgruppe 2.2 oder Fallgruppe 2.3 mit anderweitiger Ausbildung, (Lehrer mit abgeschlossenen Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule)

die überwiegend Unterricht in einem wissenschaftlichen Fach erteilen

IV b

nach mindestens sechsjähriger Bewährung in dieser Tätigkeit und dieser Vergütungsgruppe

IV a

3. Lehrer an Sonderschulen

4. Lehrer an Gymnasien

5. Lehrer an berufsbildenden Schulen

6. Schulkindergärten oder Vorschulklassen für schulpflichtige Kinder

6.3

Erzieher, Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen, Krankengymnastinnen, Logopäden und Beschäftigungstherapeuten

mit entsprechender staatlicher Prüfung oder staatlicher Anerkennung und Zusatzausbildung

als Leiter eines Schulkindergartens oder einer Vorschule

V b

nach mindestens sechsjähriger Bewährung in dieser Tätigkeit und dieser Vergütungsgruppe

IV b

Die Klägerin ist der Auffassung, sie verfüge über eine anderweitige Ausbildung im Sinne der Nr. 2.4 des Nichterfüllererlasses 1971, da die Ausbildung zur Leiterin eines Schulkindergartens eine auf den Lehrerberuf bezogene Ausbildung gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt

  1. festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, sie ab dem 1. Oktober 1993 nach der VergGr. IV a BAT zu vergüten.
  2. festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, die jeweiligen Nettodifferenzbeträge zwischen der VergGr. IV b BAT und der VergGr. IV a BAT ab Fälligkeit mit 4 % zu verzinsen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist der Auffassung, die Klägerin habe eine zusätzliche Ausbildung lediglich zur Schulkindergärtnerin absolviert. Die Zulassungsvoraussetzungen und der Umfang der Ausbildung als Leiterin eines Schulkindergartens unterschieden sich derart von der Ausbildung und Vorbildung zum Lehrerberuf, daß sich ein Vergleich mit der lehrerspezifischen Ausbildung nach dem Nichterfüllererlaß 1971 verbiete.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachaufklärung.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe ein arbeitsvertraglicher Anspruch aufgrund des sog. Nichterfüllererlasses 1971 Fallgruppe 2.4 der VergGr. IV a BAT zu, weil sie als Lehrerin ohne Hochschulausbildung jedoch mit anderweitiger Ausbildung überwiegend Unterricht in einem wissenschaftlichen Fach erteile. Mit ihrer Ausbildung als Leiterin eines Schulkindergartens erfülle sie die rechtlichen Voraussetzungen für die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten einer Lehrkraft in einem Schulbetrieb. Sie sei als Lehrkraft i.S. der Nr. 5 der Vorbemerkungen zu allen Vergütungsgruppen anzusehen.

Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen.

II. Die Klägerin hat nur dann einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf die VergGr. IV a BAT, wenn sie die Fallgruppe 2.4 des Runderlasses des Kultusministers des Landes NW vom 13. September 1971 – ZB 1–2–23/06–939/71 – erfüllt. Die Geltung dieses Runderlasses ist in den Arbeitsverträgen vom 6. März und 5. August 1975 vereinbart. Eine solche Vereinbarung beinhaltet, daß der Lehrkraft nicht nur die Vergütung der im Arbeitsvertrag genannten Vergütungsgruppe zustehen soll, sondern auch die Vergütung einer höheren Vergütungsgruppe, wenn die Voraussetzungen dafür nach dem Erlaß gegeben sind.

1. Nach der Fallgruppe 2.4 des Nichterfüllererlasses 1971 wird ein Lehrer mit der Tätigkeit von Realschullehrern ohne Hochschulausbildung aber mit einer anderweitigen Ausbildung, der überwiegend Unterricht in einem wissenschaftlichen Fach erteilt, nach mindestens sechsjähriger Bewährung in die VergGr. IV a BAT eingruppiert.

a) Die Klägerin ist als angestellte Lehrkraft seit mehr als sechs Jahren an der Sonderschule für Lernbehinderte tätig. Sie unterrichtet dort in den Klassen 1 und 2 die wissenschaftlichen Fächer Deutsch, Mathematik, Sachkunde, katholische Religion, Kunst/Werken, Musik und Sport. Da nach der Fallgruppe 3 Lehrer an Sonderschulen wie die entsprechenden Lehrer an Realschulen eingruppiert werden, ist die Klägerin, weil für sie keine Fallgruppe bei den Sonderschullehrern in Betracht kommt, als Lehrerin mit der Tätigkeit von Realschullehrern anzusehen. Davon gehen auch die Parteien aus.

b) Streitig ist zwischen den Parteien allein, ob die Klägerin eine Lehrerin „mit anderweitiger Ausbildung” im Sinne der Fallgruppe 2.4 des Nichterfüllererlasses ist. Dieser Begriff ist dahin auszulegen, daß durch die anderweitige Ausbildung die Befähigung zur Ausübung einer Lehrtätigkeit in einem Lehrberuf vermittelt worden sein muß, ohne das ein formeller Abschluß verlangt wird (so BAG Urteil vom 30. Mai 1990 – 4 AZR 40/90 – AP Nr. 149 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellt die Ausbildung der Klägerin als Leiterin eines Schulkindergartens im allgemeinen keine anderweitige Ausbildung dar, die die Befähigung zur Ausübung einer Lehrtätigkeit an einer Sonderschule vermittelt. Dies folgt bereits aus dem Nichterfüllererlaß 1971. Dort werden in den Fallgruppen 1–5 Lehrer erfaßt, die an Grund- und Hauptschulen (1), an Realschulen (2), an Sonderschulen (3), an Gymnasien (4) sowie an berufsbildenden Schulen (5) unterrichten, während bei der Fallgruppe 6 der Oberbegriff Lehrer fehlt und stattdessen durch die Begriffe Schulkindergärten oder Vorschulklassen für schulpflichtige Kinder ersetzt ist. Bereits aus dieser Systematik wird deutlich, daß die Ausbildung als Leiterin eines Schulkindergartens nach der Fallgruppe 6.3 des Erlasses keine Lehrerausbildung darstellt. Dies wird auch durch den Erlaß des Kultusministers vom 14. Januar 1972 über die Ausbildung, Prüfung und Anerkennung als Leiterin eines Schulkindergartens bestätigt. Nach § 1 des Erlasses ist allgemeiner Zweck der Ausbildung, geeignete Personen fachlich heranzubilden, die die Aufgaben von Leiterinnen/Leitern des Schulkindergartens wahrnehmen. Nach § 2 des Erlasses hat der Lehrgang die Aufgabe die Teilnehmer theoretisch, fachlich und methodisch so auszubilden, daß sie in der Lage sind, den geistig-seelischen und körperlichen Entwicklungsstand eines schulpflichtigen, aber vom Schulbesuch zurückgestellten Kindes zu erkennen und dieses so zu fördern, daß es in die Schule aufgenommen werden kann. Insbesondere der Unterrichtsumfang nach § 5 des Erlasses, wonach die pädagogische Grundausbildung nur auf die Arbeit im Schulkindergarten und die fachliche und methodische Ausbildung nur auf die Bereiche Sprache und ihre Förderung, mathematische Grundbegriffe und Operationen, Natur- und Sachbegegnung, Sport, Spiel, Werken und Musik bezogen ist, zeigt, daß mit diesem Lehrgang grundsätzlich keine Befähigung zur Ausübung einer Lehrtätigkeit in einem Lehrberuf vermittelt werden soll. Die Ausbildung bezieht sich allein auf die Leitung eines Schulkindergartens.

Die gegenteilige rechtliche Beurteilung durch das Landesarbeitsgericht führt somit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

2. Das Landesarbeitsgericht hat bisher keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin nicht aufgrund des tatsächlichen Ablaufs des Lehrgangs zur Leiterin eines Schulkindergartens eine anderweitige Ausbildung erfahren hat, die die Befähigung zur Ausübung einer Lehrtätigkeit in einer Schule für Lernbehinderte (Sonderschule) vermittelt. Die Klägerin hat dies behauptet und dazu vortragen, daß es sich bei der Ausbildung tatsächlich um eine lehrerbezogene Ausbildung für die wissenschaftlichen Fächer Deutsch, Mathematik, Sachkunde, katholische Religion, Kunst/Werken, Musik und Sport gehandelt habe. Sie habe in diesen Fächern schriftliche Unterrichtsentwürfe anfertigen und diese in den Klassen 1 und 2 der Sonderschule bei schulpflichtigen Kindern umsetzen müssen. Die Abschlußprüfung habe auch das Schulrecht umfaßt. Zwei Unterrichtsentwürfe und deren Durchführung seien wiederum vor den Klassen 1 und 2 der Sonderschule für Lernbehinderte erfolgt. Nach zwei weiteren Jahren habe erneut ein Unterrichtsbesuch des Schulrates stattgefunden. Dafür habe sie einen schriftlichen Unterrichtsentwurf für zwei Stunden gefertigt und in den bisherigen Klassen mit anschließendem Kolloquium durchgeführt. Darüber hinaus hat die Klägerin dargetan, daß sie in Fortbildungsmaßnahmen des Schulamtes und des Regierungspräsidenten für ihre Lehrtätigkeit fortgebildet worden sei.

Dieser Sachvortrag, für den die Klägerin Beweis angetreten hat, spricht dafür, daß sie tatsächlich anderweitig zur Lehrerin ausgebildet worden ist. Das Landesarbeitsgericht wird daher zu prüfen haben, ob es sich bei der tatsächlichen Ausbildung zur Leiterin des Schulkindergartens im Zusammenhang mit den übrigen Fortbildungsmaßnahmen nicht um eine anderweitige Ausbildung gehandelt hat, bei der die Befähigung zur Ausübung einer Lehrtätigkeit in einem der aufgezeigten wissenschaftlichen Fächer vermittelt worden ist.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Jobs, Richter Hauck ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert. Matthes, Walther, Staedtler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1090985

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