Entscheidungsstichwort (Thema)

Wartezeit bei vorzeitiger Invalidisierung

 

Leitsatz (redaktionell)

Bestimmt eine betriebliche Ruhegeldordnung, daß ein Versorgungsfall nicht schon beim Eintreten von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliegen soll, daß vielmehr darüber hinaus die Versetzung in den Ruhestand erforderlich ist, so kann eine vorgeschriebene Wartezeit auch von berufs- oder erwerbsunfähigen Arbeitnehmern noch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllt werden.

 

Normenkette

BGB § 242; BetrAVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 20.12.1983; Aktenzeichen 6 Sa 1309/83)

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 04.05.1983; Aktenzeichen 3 Ca 1329/82)

 

Tatbestand

Der im Jahre 1927 geborene Kläger trat am 1. Oktober 1971 als Kassierer und Geldzähler in die Dienste der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Tarifvertrag für das private Bankgewerbe in seiner jeweils gültigen Fassung. Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach einer Versorgungsordnung i.d.F. vom 1. Januar 1977. Hierin heißt es:

"A

Allgemeines

1. Die D AG gewährt ihren Betriebsange-

hörigen sowie deren Hinterbliebenen

V e r s o r g u n g s b e z ü g e

gemäß den Bestimmungen dieser Versorgungsordnung.

...

2. Die Versorgungsleistungen - Ruhestands- bzw.

Hinterbliebenenbezüge werden zusätzlich zu den

Renten der Versicherungsträger, nämlich

der gesetzlichen Rentenversicherung und des Beamten-

versicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankier-

gewerbes - BVV - oder anderer Versorgungseinrich-

tungen

gewährt.

3. Voraussetzung für j e d e Versorgungsleistung ist

eine ununterbrochene Bankzugehörigkeit von 10 vollen

Jahren.

4. ...

B

Ruhestandsbezüge

5. Ruhestandsbezüge (Bankrenten, Übergangszahlungen

und Kinderzulagen) werden mit der Versetzung in

den Ruhestand gewährt. Diese erfolgt, ohne daß

es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats,

in dem ein Betriebsangehöriger das 65. Lebensjahr

vollendet oder bereits vorzeitig, wenn und solan-

ge Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Sinne der

Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung ge-

geben ist. Eine vorzeitige Pensionierung durch die

Bank ist aus besonderen Gründen auch dann möglich,

wenn der Betriebsangehörige noch nicht berufs- oder

erwerbsunfähig ist. Hierzu bedarf es einer Kündigung.

...

10....

Die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist durch Vorlage

des Rentenbescheides eines Sozialversicherungsträgers,

hilfsweise durch ein amtsärztliches Attest, nachzu-

weisen."

Seit November 1978 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte bis zum 9. Februar 1979 sein Gehalt weiter. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 9. Dezember 1981 ab 15. Februar 1980 Erwerbsunfähigkeitsrente und setzte den Versicherungsfall auf den 24. Januar 1979 fest. Unter dem Datum vom 28. Januar 1982 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß er die Wartezeit nicht erfüllt und deshalb keinen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung habe. Zugleich wies sie ihn darauf hin, daß seine Personalkonten aufgelöst würden. Im April 1982 forderte sie seinen Dienstausweis zurück und im Mai 1982 erteilte sie ihm ein Zeugnis, wonach das Arbeitsverhältnis am 15. Februar 1980 geendet haben soll.

Der Kläger hat von der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1982 bis zum 30. Juni 1982 betriebliche Altersversorgung in Höhe von 2.820,-- DM verlangt. Er hat hierzu die Auffassung vertreten, daß das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum 31. Dezember 1981 bestanden habe. Zu diesem Zeitpunkt habe er die zehnjährige Wartezeit erfüllt gehabt. Daß er bereits seit November 1978 fortlaufend arbeitsunfähig krank gewesen sei, habe keine Bedeutung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

2.820,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem

28. Juni 1982 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat eine Verpflichtung zur Versorgungszahlung mit der Begründung abgelehnt, der Versorgungsfall sei am 24. Januar 1979 und damit vor Ablauf der zehnjährigen Wartezeit eingetreten. Danach habe die Wartezeit nicht mehr erfüllt werden können.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.359,84 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 1.362,-- DM verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf betriebliche Altersversorgung.

1. Nach der Versorgungsordnung (V0) der Beklagten werden Ruhestandsbezüge mit der Versetzung in den Ruhestand gewährt (Abschnitt B Nr. 5 Satz 1 V0). Voraussetzung der Ruhegeldgewährung ist jedoch, daß ein Versorgungsfall vorliegt (Abschnitt B Nr. 5 Satz 2 V0), daß der Arbeitnehmer deshalb in den Ruhestand versetzt wird (Abschnitt B Nr. 5 Satz 1 V0) und daß die zehnjährige Wartezeit zurückgelegt ist (Abschnitt A Nr. 3 V0). Diese drei Voraussetzungen waren bei dem Kläger im Streitzeitraum erfüllt.

Die Parteien sind sich darüber einig, daß der Kläger erwerbsunfähig ist und daß er aus diesem Grunde vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde. Ein Versorgungsfall im Sinne der Versorgungsordnung liegt also unstreitig vor. Streit besteht nur darüber, ob der Kläger auch die zehnjährige Wartezeit erfüllen konnte. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend bejaht.

2. Die Beklagte hat den Kläger erst nach Ablauf der Wartezeit in den Ruhestand versetzt.

a) Die Versetzung in den Ruhestand bedeutet die Umwandlung des Arbeitsverhältnisses in ein Versorgungsverhältnis, das den Arbeitnehmer nur noch zur Einhaltung von Restpflichten gegenüber dem Arbeitgeber, diesen hingegen zur Zahlung der Ruhestandsbezüge verpflichtet. In welcher rechtsgeschäftlichen Form die Versetzung in den Ruhestand erfolgen muß, kann unentschieden bleiben. In jedem Fall ist der Kläger erst im Jahre 1982 in den Ruhestand versetzt worden.

b) Bis zum 9. Februar 1979 hat die Beklagte Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle geleistet. Gehaltsfortzahlung wird nur in einem Arbeitsverhältnis geschuldet (§ 616 Abs. 2 BGB, § 63 HGB, § 133 c Gew0). Mit der Erfüllung dieser Pflicht hat die Beklagte zu erkennen gegeben, daß sie selbst vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ausging. Hieran hat sich auch in der Folgezeit nichts geändert. Die Beklagte hat frühestens mit ihrem Schreiben vom 28. Januar 1982 begonnen das Arbeitsverhältnis der Parteien abzuwickeln, als sie die Verpflichtung zur Zahlung einer Betriebsrente in Abrede stellte. Auch die Maßnahmen, mit denen sie das Arbeitsverhältnis beendete, indem sie den Dienstausweis zurückverlangte und dem Kläger ein Zeugnis über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilte, liegen alle im Jahre 1982, lange nach Ablauf der Wartezeit.

c) Die zehnjährige Wartezeit ist am 30. September 1981 abgelaufen. Nach § 187 Abs. 2 BGB wird der Beginn eines Tages bei der Berechnung einer Frist mitgerechnet, wenn dieser der für den Anfang der Frist maßgebende Zeitpunkt ist. Eine Wartefrist beginnt mit dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses, im vorliegenden Fall also mit dem 1. Oktober 1971. Nach § 188 Abs. 2 BGB endet eine Frist, die nach Jahren bestimmt ist, in den Fällen des § 187 Abs. 2 BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstage der Frist entspricht. Dies ist der 30. September 1981.

3. Unerheblich ist für den Lauf der Wartefrist, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte den Versorgungsfall bereits für den 24. Januar 1979 festgesetzt hat.

Nach der Versorgungsordnung ist für die Gewährung der Betriebsrente maßgebend, daß die Versetzung in den Ruhestand wegen Alters oder Invalidität nach zehnjähriger Bankzugehörigkeit erfolgt. Bankzugehörigkeit ist hier der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses. Versetzung in den Ruhestand ist, wie zu Ziffer 1 der Entscheidungsgründe dargelegt, die rechtliche Umgestaltung des Arbeits- in ein Versorgungsverhältnis, also die Beendigung der Bankzugehörigkeit aus Anlaß des Erreichens der Altersgrenze oder des Vorliegens von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Erfüllung eines einzelnen Tatbestandsmerkmals gilt nach der Versorgungsordnung noch nicht als Versorgungsfall (vgl. auch Urteil des Senats vom 5. Juni 1984 - 3 AZR 376/82 - AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente) und unterbricht daher auch nicht den Lauf der Wartefrist.

Dr. Dieterich Schaub Dr. Peifer

zugleich für den

ehrenamtlichen Lichtenstein

Richter Dr. Hro-

madka, dessen Amts-

zeit geendet hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 438794

NZA 1986, 608-609 (LT1)

RdA 1986, 268

AP § 1 BetrAVG Invaliditätsrente (LT1), Nr 4

EzA § 1 BetrAVG, Nr 35

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