Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung einer Werkschutzfachkraft in der Notrufzentrale

 

Orientierungssatz

Eine von der Industrie- und Handelskammer geprüfte, in der betriebseigenen Notrufzentrale eingesetze Werkschutzfachkraft ist nicht in einem „Objekt” iSd. § 2 c des Lohntarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Baden-Württemberg vom 15. Juli 1998 tätig. Ihr steht lediglich Vergütung als Separatwachkraft in „Notrufzentralen” nach § 2 b des Lohntarifvertrages zu.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 242; MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer im Bewachungsgewerbe in Baden-Württemberg vom 15. Juli 1998 i.d.F. vom 7. Juni 1999 §§ 2-3, 6; Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Baden-Württemberg vom 15. Juli 1998, gültig ab 1. Juli 1998 und vom 7. Juni 1999, gültig ab 1. Juli 1999 §§ 2, 4

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.12.2000; Aktenzeichen 13 Sa 55/00)

ArbG Mannheim (Urteil vom 06.04.2000; Aktenzeichen 3 Ca 393/99)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2000 – 13 Sa 55/00 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die tarifgerechte Vergütung der Klägerin nach dem Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Baden-Württemberg für die Monate Mai bis August 1999.

Die Klägerin war von 1995 bis zum 31. August 1999 in der Notrufzentrale der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Mitarbeiterin zu einem Stundenlohn von zuletzt 15,48 DM beschäftigt.

Der für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 30. Juni 1999 allgemein verbindliche Lohntarifvertrag vom 15. Juli 1998, gültig ab 1. Juli 1998, lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 2 Löhne

Der Stundengrundlohn beträgt für

a)

Separatwachdienst

a.1

Separatwachmänner/-frauen Werkschutzlehrgänge

ohne DM 12,68

a.2

Separatwachmänner/-frauen Werkschutzlehrgang I

mit DM 12,96

a.3

Separatwachmänner/-frauen Werkschutzlehrgang II

mit DM 13,25

Separatwachmänner/-frauen der Lohngruppe a), die auf Wunsch des Arbeitgebers erfolgreich an Werkschutzlehrgang I bzw. I und II teilgenommen haben, erhalten ab dem 1. des Folgemonats einen Grundlohn gemäß a.2, resp. a.3.

Die Werkschutzausbildung muß der Prüfungsordnung zur Geprüften Werkschutzfachkraft entsprechen.

Die Werkschutzausbildung muß je Lehrgang mindestens 32 zusammenhängende Unterrichtsstunden enthalten.

b)

Separatwachmänner/-frauen in Notrufzentralen

DM

15,48

c)

Separatwachmänner/-frauen mit Abschluß

IHK-geprüfte Werkschutzfachkraft, die vom Arbeitgeber an einem Objekt eingesetzt werden, für das der Arbeitgeber die IHK-Ausbildung voraussetzt

DM

16,77

§ 4 Sonderzulagen

Bestehende günstigere betriebliche Regelungen bleiben für die zum 31.08.1997 im Auftragsbestand des jeweiligen Unternehmens befindlichen Objekte erhalten, solange keine nachweisliche Preisreduzierung erfolgt.”

Der nachfolgende, hinsichtlich der Voraussetzungen den Vorgängertarifverträgen entsprechende und ebenfalls für allgemein verbindlich erklärte Lohntarifvertrag vom 7. Juni 1999 sah für die Zeit bis 30. Juni 2000 für Separatwachmänner/-frauen in Notrufzentralen einen Stundenlohn von 15,82 DM und für Separatwachmänner/-frauen mit Abschluß IHK-geprüfte Werkschutzfachkraft, die vom Arbeitgeber an einem Objekt eingesetzt werden, für das der Arbeitgeber die IHK-Ausbildung voraussetzt, einen Stundenlohn von 17,11 DM vor.

Die Beklagte ist seit 1995 ein vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. anerkanntes Wach- und Sicherheitsunternehmen.

In den von diesem Verband aufgestellten Richtlinien für Gefahrenmeldeanlagen vom Juni 1996 für die Anerkennung von Wach- und Sicherheitsunternehmen heißt es ua. wie folgt:

„4.1 …

Die Anerkennung ist schriftlich … zu beantragen. … Es sind folgende Unterlagen beizufügen:

  • Nachweis, daß die in der Notrufzentrale beschäftigten Personen die Qualifikation einer IHK-geprüften Werkschutzfachkraft oder eine mindestens gleichwertige Qualifikation aufweisen

4.4 …

Der Antragsteller verpflichtet sich,

  • in der Notrufzentrale nur Personen zu beschäftigen, die über die Qualifikation einer IHK-geprüften Werkschutzfachkraft oder eine mindestens gleichwertige Qualifikation verfügen.”

Bereits anerkannte Unternehmen mußten die Voraussetzungen der Richtlinie von 1996 bis zum 1. Juli 1998 nachweisen, um die Anerkennung zu behalten.

In den derzeit gültigen Richtlinien – vom Oktober 2000 heißt es hinsichtlich der Qualifikation des Personals in der Notruf- und Service-Leitstelle (NSL):

Das in der NSL eingesetzte Personal muss die Qualifikation als NSL Fachkraft gemäß VdS 2237 besitzen.

Für NSL Fachkräfte in zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bereits VdS- anerkannten Unternehmen gilt alternativ der Nachweis der folgenden Qualifikationen:

  • IHK geprüfte Werkschutzfachkraft und ein Jahr unbeanstandete Beschäftigung in einer NSL

    oder

  • IHK-geprüfter Werkschutzmeister

    oder

  • drei Jahre unbeanstandete Beschäftigung in einem VdS-anerkannten Wach- und Sicherheitsunternehmen im Bereich der NSL.

Mit Zeugnis vom 12. Juni 1997 wurde der Klägerin von der Industrie- und Handelskammer Pfalz der erfolgreiche Abschluß der Prüfung zur „Geprüften Werkschutzfachkraft” bescheinigt. Zu diesem Zweck besuchte die Klägerin ca. drei Monate lang zwei- bis dreimal wöchentlich eine Schulung der IHK. Die Kurs- und Prüfungsgebühren trug die Beklagte. Die Klägerin war ohne Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit freigestellt.

Mit ihrer am 13. September 1999 eingereichten Klage hat die Klägerin die Differenzvergütung zwischen der Lohngruppe 2 b und 2 c für die Monate Mai bis Juli 1999 begehrt. Sie hat die Klage mit dem am 29. September 1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz im Hinblick auf die Differenz für August 1999 und hinsichtlich zweier Tage Urlaubsentgelt erweitert.

Sie meint, auch die Notrufzentrale sei ein „Objekt” iSd. § 2 c des Tarifvertrages. Eine Eingruppierung nach Ziff. 2 b sei nur bei einem Einsatz von Arbeitnehmern in Notrufzentralen nicht vom Verband der Schadensversicherer anerkannter Firmen zutreffend. Sie hat behauptet, „gegenüber allen in der Notrufzentrale Beschäftigten sei ausdrücklich erklärt worden, die Prüfung sei wichtig und Voraussetzung; wer die Prüfung nicht bestehe, müsse gehen”. Die Beklagte habe veranlaßt, daß die Klägerin den Kurs besuche. Die Beklagte verhalte sich rechtsmißbräuchlich, wenn sie die Absolvierung der Ausbildung von der Klägerin verlange und dann keine entsprechende Vergütung zahle.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den Betrag iHv. 871,55 DM brutto für die Monate Mai, Juni, Juli nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin den Betrag von 1.097,06 DM brutto für den Monat August nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet, sie habe die Absolvierung der IHK-Ausbildung niemals gefordert, sondern nur unterstützt, um die Klägerin gegebenenfalls einmal an einem Objekt einsetzen zu können. Sie meint, bei einem „Objekt” müsse es sich um ein Fremdobjekt handeln. In der Zentrale stünden die Arbeitnehmer auch immer unter Aufsicht, während dies bei Objekten gerade nicht der Fall sei. Die Beklagte hält die Richtlinien der Versicherungswirtschaft im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis und die tarifliche Eingruppierung der Klägerin für unerheblich. Sie hat darauf verwiesen, daß die neuen Richtlinien die Forderung hinsichtlich der Ausbildung des Personals in der Notrufzentrale nicht mehr enthielten und die von der Klägerin vorgelegten Richtlinien gerade im Hinblick auf die Qualifikation des Personals in der Notrufzentrale nie angewandt worden seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Ausnahme der verlangten Verzinsung stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war – soweit das Urteil des Arbeitsgerichts zuletzt angegriffen worden ist – erfolgreich und führte zu einer entsprechenden Abänderung. Die auf die Zinszahlung gerichtete Anschlußberufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Mit der – zugelassenen – Revision wendet sich die Klägerin gegen das Berufungsurteil. Sie rügt unter anderem die Verletzung des § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO, unter Hinweis darauf, daß das Landesarbeitsgericht nicht aufgeklärt habe, daß die Beklagte die Absolvierung der Prüfung verlangt habe. Die Klägerin begehrt Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung nebst Zahlung von Zinsen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht Vergütung nach der VergGr. 2 c unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Das Landesarbeitsgericht hat den Tarifvertrag dahingehend ausgelegt, daß der Einsatz in einer Notrufzentrale trotz Vorliegens des in Ziff. 2 c geforderten Abschlusses nur eine Eingruppierung nach Ziff. 2 b rechtfertigt. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages gelten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 10. März 1999 – 4 AZR 516/98 – BAGE 91, 83 = AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 265; 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – BAGE 73, 364).

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich, daß eine Vergütung nach Lohngruppe 2 c nur in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer an einem Fremdobjekt eingesetzt ist.

Zunächst läßt schon der allgemeine Sprachgebrauch darauf schließen, daß es sich bei einem Objekt, an dem der Arbeitnehmer eingesetzt wird, um ein vom Unternehmen des Arbeitgebers unabhängiges Objekt handeln muß.

Auch der Lohntarifvertrag unterscheidet zwischen dem Betrieb bzw. den Betriebsabteilungen des Arbeitgebers und den in § 2 geregelten Einsatzorten. Dies entspricht auch dem Manteltarifvertrag vom 15. Juli 1998 idF vom 7. Juni 1999. § 2 Ziff. 7 und § 9 MTV unterscheiden beispielsweise zwischen dem Büro des Arbeitgebers, einer Sammelstelle und dem Arbeitsplatz. Der Tarifvertrag gibt damit bereits Hinweise darauf, daß zwischen betriebseigenen und betriebsfremden Einsatzorten unterschieden wird.

Im weiteren unterscheidet der Lohntarifvertrag hinsichtlich der einzelnen Lohngruppen zunächst nach der Qualifikation und dann nach Tätigkeitsfeldern.

Dabei sind lediglich in den Grundvergütungsgruppen 2 a.1 bis 2 a.3 ohne Nennung eines bestimmten Tätigkeitsbereichs die Arbeitnehmer eingruppiert, die über keine oder eine bestimmte Ausbildung des Bewachungsgewerbes verfügen. In diesen Grundvergütungsgruppen ist damit die Qualifikation das entscheidende Abgrenzungsmerkmal. Ab der Lohngruppe 2 b bis 2 l unterscheidet der Tarifvertrag dann aber nach bestimmten Einsatzorten (Notrufzentrale, Objekten, für das der Arbeitgeber die IHK-Ausbildung voraussetzt, Flughafen, Revieren, militärische Objekte, Geld- und Werttransport, Kurier- und Belegtransport, in kerntechnischen Anlagen, im Schienenverkehr).

Bereits hieraus folgt, daß der Tarifvertrag ab Lohngruppe 2 b nicht an das bloße Vorhandensein bestimmter Qualifikationen anknüpft, sondern an Tätigkeiten in bestimmten Einsatzfeldern. Dabei kommt im Hinblick auf die unterschiedliche Höhe der tariflichen Stundenlöhne zum Ausdruck, daß die Tarifvertragsparteien Einsätzen in verschiedenen Tätigkeitsfeldern eine verschiedene Wertigkeit beimessen. So wird eine Tätigkeit im militärischen Bereich oder in kerntechnischen Anlagen höher bewertet als im Kuriertransport.

Die Anknüpfung an bestimmte Einsatzbereiche stellt im Bewachungsgewerbe auch hinsichtlich weiterer Rechtsfolgen eine übliche Verfahrensweise der Tarifvertragsparteien dar, beispielsweise bei der Regelung der monatlichen Arbeitszeit (§ 2 MTV), der Mehrarbeitszuschläge (vgl. § 3 Ziff. 5 und 6 MTV) oder der Berücksichtigung anteilig erbrachter Arbeitsstunden (§ 6 Ziff. 2 MTV).

Damit zeigt sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, daß die Tarifparteien nicht das bloße Vorhandensein einer Qualifikation in Lohngruppe 2 c zum Anlaß genommen haben, einen höheren Stundenlohn vorzusehen, sondern eine bestimmte Tätigkeit verlangen, auch wenn dieser Einsatz eine höhere Qualifikation erfordert. Der Einsatzort und die Art der Tätigkeit sind damit ab Lohngruppe 2 b das entscheidende Merkmal.

Daraus folgt aber auch, daß wegen der zusätzlich geforderten Qualifikation zwischen den Lohngruppen 2 b und 2 c kein Spezialitätsverhältnis in dem Sinne besteht, daß § 2 b Lohntarifvertrag (Einsatz in einer Notrufzentrale) die allgemeine und § 2 c Lohntarifvertrag (Einsatz an einem Objekt, für das der Arbeitgeber die IHK-Ausbildung voraussetzt) die speziellere Norm darstellt.

Bei der Spezialität enthält eine Norm alle Tatbestandsmerkmale einer anderen Norm und zusätzlich weitere spezielle Merkmale. Der Grundsatz der Spezialität gilt auch bei der Auslegung von Tarifverträgen und besagt, daß eine speziellere Regelung einer allgemeinen Regelung vorgeht (BAG 6. Dezember 1989 – 4 AZR 485/89 – ZTR 1990, 157; 24. Januar 1990 – 4 AZR 491/89 – ZTR 1990, 202, 203). Bei den ab Lohngruppe 2 b bis 2 l tariflich geregelten Sachverhalten, die nicht an eine bestimmte Qualifikation anknüpfen, handelt es sich im wesentlichen um eine reine Aufzählung verschiedener Tätigkeitsbereiche, die nicht in einem Spezialitätsverhältnis stehen. Es wurden keine Regelungen getroffen, die gegenüber vorhergehenden an das zusätzliche Merkmal einer bestimmten Qualifikation anknüpfen. Die Qualifikation stellt innerhalb der mit Buchstaben unterteilten Gruppen nicht das speziellere Merkmal dar. Nur innerhalb der mittels Buchstaben abgegrenzten Regelungsbereiche gibt es vereinzelt Spezialitätsverhältnisse (zB Konsolenbedienung in 2 f).

Auch der weitere tarifliche Zusammenhang bestätigt dieses Ergebnis: Der Begriff „Objekt” wird im Manteltarifvertrag immer nur als Fremdobjekt verstanden. Dies zeigt sich in § 2 Ziff. 4, § 6 Ziff. 2 MTV. Entsprechendes findet sich in § 2 f und 2 g, § 3 Ziff. 1 am Ende Lohntarifvertrag. Hier werden Sachverhalte bei einem Einsatz in militärischen Objekten geregelt, bei denen es sich naturgemäß um Fremdobjekte handeln muß. Auch im Lohntarifvertrag wird der Begriff „Objekt” ebenfalls nur als Fremdobjekt verstanden. Der entscheidende Beleg hierfür findet sich in § 4 Lohntarifvertrag am Ende. Danach bleiben nämlich „bestehende günstigere betriebliche Regelungen für die zum 31.8.1997 im Auftragsbestand des jeweiligen Unternehmens befindlichen Objekte erhalten, solange keine nachweisliche Preisreduzierung erfolgt”. Im „Auftragsbestand” eines Bewachungsunternehmens können sich nur Kunden-, dh. Fremdobjekte befinden. Nicht zu den im Auftragsbestand befindlichen Objekten kann die eigene Zentrale des Arbeitgebers gehören. Damit haben die Tarifvertragsparteien den Bedeutungsgehalt des Begriffs „Objekt” innerhalb des tariflichen Gesamtzusammenhangs eindeutig bestimmt.

Die von der Klägerin angeführten Richtlinien des Verbandes der Versicherungswirtschaft sind für die Eingruppierung der Klägerin unerheblich. Da diese keine Rechtsquelle für das Arbeitsverhältnis darstellen, was nicht einmal die Klägerin selbst behauptet, könnten diese Regelungen allenfalls im Rahmen des Hilfsauslegungskriteriums „praktische Tarifübung” Berücksichtigung finden. Eine dahingehende Tarifübung besteht jedoch nicht. Bei den Richtlinien handelt es sich lediglich um vereinheitlichte Vorgaben der Kunden der Wach- und Sicherheitsunternehmen, nämlich der Versicherungswirtschaft gegenüber den Wach- und Sicherheitsunternehmen selbst. Die Schadensversicherer treffen mittels dieser Vorgaben eine vereinfachte Auswahl unter den Bewachungsunternehmen. Die Richtlinien betreffen somit ein anderes Rechtsverhältnis als das zwischen den Beschäftigten und den Wach- und Sicherheitsunternehmen und lassen keine unmittelbaren Rückschlüsse auf eine Übung in dem dortigen Rechtsverhältnis zu. Die Gestaltung dieser Richtlinien ist zudem ständig im Fluß. Gerade im Hinblick auf das streitige Merkmal, nämlich die Qualifikation der Beschäftigten der Notrufzentralen, hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, daß die Vorgaben der Richtlinie 1996 nie so angewandt worden seien und – wie sich aus den von der Klägerin selbst vorgelegten Richtlinien aus 2000 zeigt – vom generellen Prüfungserfordernis auch wieder Abstand genommen wurde. Die Richtlinie 2000 läßt nämlich bereits eine dreijährige unbeanstandete Beschäftigung in einem VDS-anerkannten Wach- und Sicherheitsunternehmen im Bereich der Notruf- und Serviceleitstelle als Qualifikationserfordernis ausreichen.

Die Klage ist auch nicht auf Grund einer Zusage der Beklagten begründet. Eine solche ist von ihr nicht vorgetragen.

Soweit die Klägerin in der Revision meint, daß das Verhalten der Beklagten rechtsmißbräuchlich sei, weil die Beklagte nicht die Ausbildung unter Hinweis auf eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses verlangen könne und dann keine Vergütung nach § 2 c Lohntarifvertrag leiste und insoweit Verfahrensverstöße des Landesarbeitsgerichts rügt, so ist dem nicht zu folgen.

Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist nicht gegeben. Denn zum einen hat das Landesarbeitsgericht den Vortrag der Klägerin, daß die Beklagte die Ausbildung verlangt habe, nicht übersehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet die Verpflichtung des Gerichts, durch die mit dem Verfahren befaßten Richter die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (zB BVerfG 2. Juli 1979 – 1 BvR 1292/78 – AP GG Art. 103 Nr. 31; 3. August 1989 – 1 BvR 1178/88 – AP GG Art. 103 Nr. 40 mwN). Es ist davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG 3. August 1989 – 1 BvR 1178/88 – aaO; BAG 18. Oktober 2000 – 2 AZR 380/99 – AP BGB § 123 Nr. 59, zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Das Landesarbeitsgericht hat den Vortrag der Klägerin aber zur Kenntnis genommen, denn es hat ihn in den streitigen Tatbestand aufgenommen und ferner den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze und das erstinstanzliche Parteivorbringen allgemein in Bezug genommen. Das Landesarbeitsgericht hat den Sachvortrag demnach vollständig erfaßt, der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lassen.

Zum anderen ist die Entscheidungserheblichkeit des Vorbringens zu verneinen.

Nach dem Grundsatz des sog. „venire contra factum proprium” (widersprüchliches Verhalten) wird ein Verhalten ua. dann als rechtsmißbräuchlich angesehen, wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. BAG 4. Dezember 1997 – 2 AZR 799/96 – BAGE 87, 200, 204 f. mwN). Das Bundesarbeitsgericht hat ausgeführt (8. Juni 1972 – 2 AZR 336/71 – BAGE 24, 292, 298 f.), daß die Unzulässigkeit des „venire contra factum proprium” eine von Amts wegen zu prüfende Schranke jeder Rechtsanwendung darstellt. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen werde, was unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden ist. Widersprüchliches Verhalten ist dann rechtsmißbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (BAG 1. März 1995 – 4 AZR 986/93 – ZTR 1995, 313; BGH 22. Mai 1985 – IV a ZR 153/83 – BGHZ 94, 344, 354; 20. März 1986 – III ZR 236/84 – NJW 1986, 2104, 2107). Dabei kann der Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens auch anspruchsbegründend wirken (vgl. BAG 8. Oktober 1997 – 4 AZR 167/96 – AP BAT § 23 b Nr. 2).

Die Klägerin hat keine Umstände dafür vorgetragen, daß sie – selbst unterstellt, die Beklagte habe sie aufgefordert, die Prüfung abzulegen-, darauf vertrauen konnte, daß die Beklagte im Hinblick auf diesen Umstand eine übertarifliche Vergütung leisten werde. Die Beklagte hat der Klägerin keine dahingehenden Zusagen gemacht. Auch weitere Umstände, die für einen Vertrauenstatbestand sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Dies gilt noch nicht einmal dann, wenn man den Vortrag der Klägerin als wahr unterstellt, daß die Beklagte für den Fall der Nichtablegung der Prüfung den Bestand des Arbeitsverhältnisses in Frage gestellt hätte. Es besteht kein vertrauensbildender Zusammenhang zwischen dem von der Klägerin geschilderten Verhalten der Beklagten und der Vergütungsfrage. Sollte die Klägerin diesbezügliche Erwartungen gehegt haben, waren sie nicht von der Beklagten veranlaßt, schon gar nicht durch ein widersprüchliches und rechtsmißbräuchliches Verhalten.

Unbeachtlich ist demgemäß auch die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe die angebotenen Beweise nicht erhoben.

Soweit die Klägerin erstmals in der Revision einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen der Eingruppierung und dem Wunsch der Beklagten herstellt, indem sie behauptet, daß die Beklagte zu verstehen gegeben habe, daß sie die IHK-Ausbildung als vergütungsrechtliches Merkmal bezogen auf die Tätigkeit der Klägerin in der Notrufzentrale verstehe, so ist dieses Vorbringen nicht hinreichend konkret und enthält außerdem in der Revisionsinstanz unerheblichen neuen Sachvortrag.

Die Klage ist letztlich mangels näherer Darlegung der klagebegründenden Tatsachen unschlüssig, soweit die Klägerin mit der Klageerweiterung vom 27. September 1999 Urlaubsentgelt für zwei Tage geltend gemacht hat.

Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Hauck, Dr. Wittek, Laux, Harnack, Zankl

 

Fundstellen

BuW 2002, 784

NZA 2002, 871

NJOZ 2002, 1936

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