Entscheidungsstichwort (Thema)

Karenzentschädigung bei Aufnahme eines Studiums

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Aufnahme eines Studiums berührt den Anspruch des Angestellten auf die vertraglich geschuldete Karenzentschädigung nicht (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt Urteil vom 3. Juli 1990 - 3 AZR 96/89 - AP Nr 61 zu § 74 HGB).

Der Arbeitgeber ist dafür darlegungspflichtig, daß sein früherer Mitarbeiter es unterlassen hat, eine mögliche und nach den gesamten Umständen zumutbare anderweite Tätigkeit aufzunehmen und den vom Gesetz geforderten Mindestverdienst zu erzielen.

 

Normenkette

HGB § 74 c Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 20.06.1994; Aktenzeichen 10 Sa 1682/93)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 01.09.1993; Aktenzeichen 14 Ca 424/92)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Zahlung einer Karenzentschädigung.

Der Kläger ist diplomierter Betriebswirt. Er war seit Januar 1987 bei der Beklagten zuletzt als Product-Manager mit einem Jahresgehalt von 116.600,00 DM beschäftigt. Die Parteien schlossen außer ihrem Arbeitsvertrag eine Vereinbarung über ein nachträgliches Wettbewerbsverbot. Danach war dem Kläger für die Dauer von zwei Jahren jede Tätigkeit auf den Arbeitsgebieten der Beklagten untersagt. Für die Dauer des Wettbewerbsverbots sagte die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 50 % der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen zu.

Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1991. Danach war er vom 1. Juli bis 31. Oktober 1991 außerhalb des Geschäftsbereichs der Beklagten tätig. Seit dem 1. November 1991 studiert er in einem Zweitstudium die Fächer Politologie, Philosophie, Geschichte und später Öffentliches Recht. Er möchte nach Abschluß des Studiums Journalist werden.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Karenzentschädigung für die Zeit vom 1. November 1991 bis 30. Juni 1993. Er hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für

die Monate November 1991 bis einschließlich Juni

1993 Karenzentschädigung in Höhe von 4.858,33 DM

brutto monatlich (insgesamt 97.166,60 DM) nebst

4 % Zinsen aus dem sich jeweils aus 4.858,33 DM

ergebenden Nettobetrag seit dem jeweils ersten

des Folgemonats zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, sie schulde keine Karenzentschädigung, weil es der Kläger durch die Aufnahme eines Zweitstudiums böswillig unterlassen habe, anderweiten Verdienst zu erzielen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision will der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der vertraglich vereinbarten Karenzentschädigung nach § 74 Abs. 1 und 2 HGB für die Zeit von November 1991 bis Juni 1993 in der unstreitigen Höhe. Die Aufnahme eines Studiums berührt den Anspruch des Klägers auf die vertraglich geschuldete Karenzentschädigung nicht. Der Vortrag der Beklagten, der Kläger habe es böswillig unterlassen, durch anderweite Verwertung seiner Arbeitskraft Verdienst zu erzielen, kann den Anspruch nicht hindern.

I. Der Anspruch auf Karenzentschädigung ergibt sich aus der vertraglichen Wettbewerbsabrede der Parteien vom 13. November 1986 i.V.m. § 74 HGB.

II. Der Anspruch des Klägers bleibt durch die Aufnahme eines Studiums unberührt.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein Anspruch auf Karenzentschädigung sei nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung in § 74 Abs. 2 HGB ausgeschlossen, wenn sich der Arbeitnehmer durch Aufnahme eines Studiums ein im wesentlichen völlig neues Berufsfeld erschließen und eine auf seiner bisherigen beruflichen Qualifikation und seinem bisherigen beruflichen Werdegang gründende Erwerbstätigkeit nicht mehr aufnehmen wolle. Der Gesetzgeber sei bei der Normierung der §§ 74 ff. HGB wie selbstverständlich von einer weiteren Verwertung der Arbeitskraft, wenigstens aber von der Bereitschaft zur Teilnahme am Erwerbsleben während der Karenzzeit ausgegangen. Nach der beabsichtigten Ausgleichsfunktion der Karenzentschädigung sei eine kausale Verknüpfung zwischen der vertraglich vereinbarten Beschränkung und der unterbliebenen Wettbewerbsunterlassung notwendig, die bei Aufnahme eines neuen Studiums unter Aufgabe des bisher ausgeübten Berufs fehle.

2. Dem kann nicht zugestimmt werden. Weder aus dem Gesetz noch aus der Wettbewerbsvereinbarung der Parteien folgt die Einschränkung, daß der Anspruch entfällt, wenn der Angestellte seine bisherige berufliche Tätigkeit aufgibt. Der für die Gesetzesauslegung maßgebende Wortlaut des § 74 HGB läßt keinen Schluß darauf zu, der Gesetzgeber sei wie selbstverständlich von der Absicht einer weiteren Verwertung der Arbeitskraft als anspruchsbegründende Voraussetzung ausgegangen. Voraussetzung für das Entstehen des Anspruch auf Karenzentschädigung und dessen Fortbestand ist - abgesehen vom Sonderfall der Verbüßung einer Freiheitsstrafe nach § 74 c Abs. 1 Satz 3 HGB - nur, daß der Angestellte keine Konkurrenz betreibt. Außer nach § 74 c Abs. 1 Satz 3 HGB ist es gleichgültig, aus welchem Grund der Arbeitnehmer sich der Konkurrenz enthält (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Urteil vom 3. Juli 1990 - 3 AZR 96/89 - AP Nr. 61 zu § 74 HGB, Urteil vom 18. Oktober 1976 - 3 AZR 376/75 - AP Nr. 1 zu § 74 b HGB, zu I 2 a der Gründe, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Das gilt auch für den Fall der Aufnahme eines Studiums (BAG Urteil vom 26. Mai 1981 - 3 AZR 419/78 - n.v.; Urteil vom 9. August 1974 - 3 AZR 350/93 - AP Nr. 5 zu § 74 c HGB; Urteil vom 8. Februar 1974 - 3 AZR 519/73 - AP Nr. 4 zu § 74 c HGB), selbst wenn der Student wegen der mit dem Studium verbundenen zeitlichen und inhaltlichen Belastungen gar nicht in der Lage sein sollte, dem ehemaligen Arbeitgeber Konkurrenz zu machen. Der Senat hält an dieser gefestigten Rechtsprechung fest. Die Beklagte hat keine Gesichtspunkte vorgebracht, die eine Änderung der Rechtsprechung begründen könnten.

III. Die Beklagte wendet ohne Erfolg ein, der Kläger habe durch sein Studium im Sinne des § 74 c Abs. 1 HGB böswillig unterlassen, seine Arbeitskraft anderweitig zu verwerten, und er müsse sich schon deshalb den Betrag auf die Entschädigung anrechnen lassen, den er hätte verdienen können.

1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann zwar die Aufnahme eines Studiums in der Karenzzeit ein böswilliges Unterlassen anderweiten Erwerbs i.S.v. § 74 c Abs. 1 HGB darstellen. Danach gibt es aber keinen Rechtssatz, wonach ein Studium stets oder nie als ein böswilliges Unterlassen zu würdigen sei. Vielmehr kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalls an (BAG Urteil vom 9. August 1974 - 3 AZR 350/73 - AP Nr. 5 zu § 74 c HGB und Urteil vom 8. Februar 1974 - 3 AZR 519/73 - AP Nr. 4 zu § 74 c HGB).

2. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann dahingestellt bleiben, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, oder ob nicht bei Aufnahme eines Studiums diese Einwendung nach § 74 c Abs. 1 Satz 1 zweite Alternative HGB grundsätzlich ausscheidet. Die Tatsache, daß ein ehemaliger Arbeitnehmer in der Karenzzeit ein Studium aufnimmt, erfüllt jedenfalls allein noch nicht den gesetzlichen Tatbestand. Dieser setzt voraus, daß der Arbeitnehmer eine ihm mögliche oder nach den gesamten Umständen zumutbare anderweite Tätigkeit nicht aufgenommen hat und daß die Entschädigung unter Hinzurechnung des unterlassenen Verdienstes den Betrag der zuletzt vom Angestellten bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als 1/10, bei Wohnsitzwechsel um mehr als 1/4 übersteigen würde. Für die tatbestandlichen Voraussetzungen der rechtshindernden Einwendung ist der Schuldner der Karenzentschädigung darlegungspflichtig (BAG Urteil vom 3. Juli 1990 - 3 AZR 96/89 - AP Nr. 61 zu § 74 HGB).

Dem ist die Beklagte nicht hinreichend nachgekommen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie weder zu den Beschäftigungsmöglichkeiten des Klägers noch zu dem von ihm erzielbaren Arbeitseinkommen substantiiert vorgetragen. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, statistische Zusammenstellungen von Stellenanzeigen in verschiedenen Zeitungen vorzulegen, ohne daß daraus allein ersichtlich wäre, welche konkrete Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten für den Kläger bestanden haben. Der Hinweis auf die Tätigkeit des Klägers vor Aufnahme des Studiums genügt nicht. Dies ist kein hinreichendes Indiz für eine anderweite Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers in der Folgezeit und schon gar nicht für die Höhe etwaigen Verdienstes.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Leinemann Düwell Dörner

Volpp Furche

 

Fundstellen

BAGE 00, 00

BAGE, 157

BB 1996, 1512

BB 1996, 1512 (L1)

BB 1996, 1720

BB 1996, 1720-1721 (LT1)

BB 1996, 486

NJW 1996, 2677

NJW 1996, 2677 (LT1)

BuW 1996, 604 (K)

AiB 1997, 116-117 (LT1)

DRsp, VI(610) 256b-c (LT1)

WiB 1996, 850 (L)

EWiR 1996, 889 (L1)

NZA 1996, 1039-1040 (LT1)

RdA 1996, 263 (L1)

ZIP 1996, 1482

ZIP 1996, 1482-1483 (LT1)

AP § 74 HGB (L1), Nr 68

AP § 74c HGB (LT1), Nr 18

AR-Blattei, ES 1830 Nr 174 (LT1)

ArbuR 1996, 322 (S1)

EzA-SD 1996, Nr 15, 3-5 (LT1)

EzA § 74 HGB, Nr 58 (LT1)

MDR 1996, 1267-1268 (LT1)

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