Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnfortzahlung bei Alkoholabhängigkeit - Rückfall

 

Orientierungssatz

Auch bei einem durch Rückfall in den Alkoholmißbrauch arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Krankheit. Dann geht es aber nicht mehr darum, ob der Arbeitnehmer die Entstehung seiner Alkoholabhängigkeit verschuldet hat oder nicht, sondern nunmehr darum, ob er sich ein Verschulden an der wiederholten Erkrankung entgegenhalten lassen muß.

 

Normenkette

ZPO § 286; ArbGG § 72 Abs. 5; ZPO § 565a S. 1; GewO § 133c S. 1; HGB § 63 Abs. 1 S. 1; LFZG § 1 Abs. 1 S. 1; BGB § 616 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.03.1987; Aktenzeichen 15 Sa 892/86)

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 24.04.1986; Aktenzeichen 5 Ca 99/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 3. bis zum 17. Dezember 1985 Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle schuldet.

Der am 24. April 1937 geborene Kläger war bei der Beklagten erstmals vom 3. Juli 1981 bis zum 3. Mai 1985 als Former beschäftigt. Im Herbst 1985 bewarb er sich um eine Neueinstellung. Dabei wurde er gefragt, ob er weiterhin "trocken" sei. Diese Frage bejahte er. Daraufhin wurde er am 4. Oktober 1985 erneut eingestellt.

Ab 2. Dezember 1985 erschien der Kläger nicht mehr zur Arbeit. Er wurde vom 3. bis zum 16. Dezember 1985 wegen Alkoholmißbrauchs stationär im Krankenhaus behandelt ("Entgiftung"). Vom 3. bis zum 17. Dezember 1985 war er arbeitsunfähig krank.

In der Zeit vom 10. Dezember 1980 bis zum 1. Juni 1981 hat sich der Kläger in der Rheinischen Landesklinik L, einer Fachklinik für Psychiatrie und Neurologie, einer stationären Entziehungskur wegen Alkoholabhängigkeit unterzogen.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte müsse ihm für die Zeit seiner Erkrankung im Dezember 1985 den Lohn weiterzahlen. Er habe die damalige Arbeitsunfähigkeit nicht verschuldet. Er sei vor seinem Rückfall von seiner Alkoholkrankheit nicht geheilt gewesen. Auch ein trockener Alkoholiker bleibe Zeit seines Lebens alkoholkrank. Er, der Kläger, habe auch während seiner mehrjährigen Trockenheit das Verlangen nach Alkohol nicht überwunden. Nach einem Streit mit seiner damaligen Partnerin habe er eine schwache Minute gehabt und wieder Alkohol getrunken. Nachdem er drei Tage hintereinander getrunken habe, sei er ins Krankenhaus eingewiesen worden.

Demgemäß hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.713,09 DM

brutto abzüglich 863,55 DM netto (erhaltenes

Krankengeld) zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich

daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 17. Januar

1986 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Kläger habe seine Arbeitsunfähigkeit verschuldet. Er habe genau gewußt, daß er keinen Alkohol mehr trinken dürfe. Bei seiner Entziehungskur sei er darüber aufgeklärt worden, daß er immer rückfallgefährdet bleibe. Dies sei dem Kläger auch bewußt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger sein Klageziel weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht für die Zeit vom 3. bis zum 17. Dezember 1985 ein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle nicht zu. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

I. 1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält der Arbeiter den Anspruch auf Arbeitsentgelt bis zur jeweiligen Dauer von sechs Wochen, wenn er seine Arbeitsleistung infolge unverschuldeter Krankheit nicht erbringen kann. Entsprechendes gilt für Angestellte, die Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB oder § 133 c Satz 1 GewO haben. "Schuldhaft" im Sinne dieser Entgeltfortzahlungsbestimmungen handelt der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt (vgl. statt vieler BAGE 43, 54, 58 = AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG, zu I 3 a der Gründe; ferner die zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung des Senats vom 11. November 1987 - 5 AZR 497/86 -, zu I 1 der Gründe, DB 1988, 402; BB 1988, 407).

2. Alkoholabhängigkeit (Alkoholismus) ist eine Krankheit im medizinischen und damit auch im lohnfortzahlungsrechtlichen Sinne. Sie ist rechtlich wie jede andere Krankheit zu behandeln. Gegen den Anspruch des aufgrund Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts kann der Arbeitgeber einwenden, der Arbeitnehmer habe sich die Krankheit schuldhaft zugezogen. Das Verschulden des Arbeitnehmers als anspruchshindernden Umstand muß der Arbeitgeber beweisen. Für den Fall einer krankhaften Alkoholabhängigkeit des Arbeitnehmers gilt nichts anderes, abgesehen davon, daß der Arbeitnehmer zur Mithilfe bei der Aufklärung aller Umstände verpflichtet ist, die zu seiner Alkoholabhängigkeit geführt haben. Insoweit wird auf die eingehende Begründung im Urteil des Senats vom 1. Juni 1983 verwiesen (BAGE 43, 54 = AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG, m.w.N.).

3. Auch bei einem durch Rückfall in den Alkoholmißbrauch arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Krankheit. Dann geht es aber nicht mehr darum, ob der Arbeitnehmer die Entstehung seiner Alkoholabhängigkeit verschuldet hat oder nicht, sondern nunmehr darum, ob er sich ein Verschulden an der wiederholten Erkrankung entgegenhalten lassen muß.

Der Arbeitnehmer, der eine mehrmonatige stationäre Entziehungskur in einer Fachklinik durchgemacht hat, kennt die Gefahren des Alkohols für sich sehr genau. Er ist bei der Behandlung eingehend darauf hingewiesen und weiter dringend ermahnt worden, in Zukunft jeden Alkoholgenuß zu vermeiden. Wird der Arbeitnehmer nach erfolgreicher Beendigung einer stationären Entwöhnungskur in einer Fachklinik und nach anschließender längerer Zeit der Abstinenz dennoch wieder rückfällig, so spricht die Lebenserfahrung dafür, daß er die ihm erteilten dringenden Ratschläge mißachtet und sich wieder dem Alkohol zugewandt hat. Dieses Verhalten begründet im allgemeinen den Vorwurf eines "Verschuldens gegen sich selbst": der Arbeitnehmer verstößt in einem derartigen Falle gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise und handelt damit schuldhaft im Sinne des Lohnfortzahlungsrechts.

Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, die Beweisführung des Arbeitgebers zu widerlegen und zunächst im einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sein Verhalten als nicht schuldhaft anzusehen sei.

Diese - vom Senat in dem oben erwähnten und zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 11. November 1987 - 5 AZR 497/86 - zu II 1 und 2 der Gründe näher ausgeführten - grundsätzlichen Überlegungen hat das Landesarbeitsgericht in allen wesentlichen Punkten bereits selbst entwickelt und zutreffend auf den von ihm festgestellten Sachverhalt angewandt.

II. 1. Der Kläger hat von Dezember 1980 bis zum 1. Juni 1981 eine stationäre Entwöhnungsbehandlung durchlaufen. Er kannte die Gefahren des Alkohols für sich und seine Gesundheit. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß bei fachklinisch durchgeführten Alkoholentwöhnungskuren von mehrmonatiger Dauer großer Wert auf die psychische Festigung der Patienten gelegt wird. Dazu gehört auch, daß sie über die Gefahren des Alkohols eingehend unterrichtet werden. Die Gewinnung von Einsicht in bestimmte Zusammenhänge ist für die Entwöhnungskur von großer Bedeutung, weil die Patienten mit dem Willen allein gegen ihre Abhängigkeit nicht ankämpfen können.

Dem Kläger war es gelungen, nach erfolgreicher Durchführung einer Entwöhnungskur längere Zeit abstinent zu bleiben. Wenn er dann doch wieder rückfällig wurde, spricht dies für ein schuldhaftes Verhalten seinerseits.

2. Für das Gegenteil hat der Kläger keine Tatsachen schlüssig vorgetragen, die ein Verschulden ausräumen könnten. Sein Vorbringen, er habe Streit mit seiner damaligen Lebensgefährtin gehabt und sei wegen seiner partnerschaftlichen Probleme wieder in den Alkoholmißbrauch zurückgeglitten, reicht in dieser allgemeinen Form dafür nicht aus und muß als nicht hinreichend substantiiert angesehen werden.

Der vom Landesarbeitsgericht schriftlich angehörte Gutachter hat ausgeführt, der Kläger sei nicht besonders gut in der Lage, schwierige partnerschaftliche Situationen problemlos und für sich allein zu bewältigen. Insbesondere bei Partnerproblemen sei es vorstellbar, daß er in eine Situation gerate, die an der Grenze seiner Steuerungsfähigkeit liege. Hieraus hat das Landesarbeitsgericht geschlossen, daß es sich bei dem Rückfall des Klägers nicht um ein unvermeidbares, nicht zurechenbares Fehlverhalten gehandelt habe. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Mag der Kläger bei seinen partnerschaftlichen Problemen an der Grenze seiner Steuerungsfähigkeit gewesen sein, so hat er nach dem Gutachten des Sachverständigen diese Grenze jedenfalls nicht überschritten. Sein Rückfall in den Alkoholmißbrauch ist daher vom Landesarbeitsgericht zu Recht als schuldhaft im Sinne des Lohnfortzahlungsrechts bewertet worden.

III. Der Senat hat die Verfahrensrügen der Revision geprüft, sie jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG, § 565 a ZPO abgesehen.

Dr. Gehring Dr. Olderog Ascheid

Schleinkofer Dr. Koffka

 

Fundstellen

EEK, I/934 (ST1-3)

WzS 1992, 760 (L)

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