Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 19.04.1972; Aktenzeichen 2 (3) Sa 85/72)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf – 2. Kammer Köln – vom 19. April 1972 – 2 (3) Sa 85/72 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1931 geborene Kläger, ein türkischer Gastarbeiter, war seit 18. August 1969 als Hilfsarbeiter, und zwar überwiegend als “Eintrager bzw. Abklopfer”, bei dem Beklagten, dem Inhaber der I…-Glashütte, beschäftigt. In dem Formular-Arbeitsvertrag, der durch Vermittlung der “Deutschen Verbindungsstelle in der Türkei der Bundesanstalt für Arbeit” am 5. August 1969 zustande kam, sind ein Stundenlohn von 2,50 DM und eine Vertragsdauer von einem Jahr vereinbart. Die Parteien sind nicht tarifgebunden.

Mit der Klage verlangt der Kläger für die Zeit von 18. August 1969 bis 31. Mai 1970 die Differenz zwischen dem ihm gezahlten Stundenlohn von 2,50 DM und dem tariflichen Stundenlohn von 3,44 DM in der rechnerisch unstreitigen Gesamthöhe von 799,94 DM. Der Kläger hält den Stundenlohn von 2,50 DM, den er erhalten hat, für sittenwidrig. Außerdem ergebe sich aber der Anspruch auf Zahlung eines Stundenlohnes mindestens in Höhe des Tariflohnes aus den Bestimmungen unter II und III des Arbeitsvertrages.

Dort heißt es:

  • Der türkische Arbeitnehmer erhält hinsichtlich des Arbeitsentgelts, der sonstigen Arbeitsbedingungen und des Arbeitsschutzes keinesfalls eine ungünstigere Behandlung als die vergleichbaren deutschen Arbeitnehmer des Betriebes.
  • Der Arbeitnehmer erhält für seine Arbeit denselben Lohn wie ein vergleichbarer deutscher Arbeiter des Betriebes.

Da in dem Betrieb des Beklagten vergleichbare deutsche Arbeitnehmer zu einem Stundenlohn von nur 2,50 DM nicht beschäftigt seien, könne der ihm zustehende Stundenlohn nur an dem tariflichen Mindestlohn der Hilfsarbeiter anderer Mundglashütten in Nordrhein-Westfalen gemessen werden.

Der Kläger hat deshalb beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 799,94 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Klageerhebung zu bezahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er hat vorgetragen, in seinem Betrieb hätten 28 als Hilfsarbeiter beschäftigte deutsche Arbeitnehmer keinen höheren Lohn als der Kläger erhalten. Von einem sittenwidrigen Lohn könne keine Rede sein. In einer Reihe anderer Industriezweige seien die tariflichen Stundenlöhne für Hilfsarbeiter im Anspruchszeitraum niedriger als 2,50 DM gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage (hinsichtlich des noch im Streit befindlichen Anspruchs) abgewiesen. Das Landsarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung u.a. ausgeführt: Die Vereinbarung von 2,50 DM Stundenlohn sei weder wegen Sittenwidrigkeit noch aus dem Gesichtspunkt des Lohnwuchers nichtig. Bei der Prüfung, ob ein Stundenlohn von 2,50 DM in einem auffälligen, nicht zu billigenden Mißverhältnis zu der erbrachten Arbeitsleistung stehe, sei nicht nur auf den in der Hohlglasindustrie in Nordrhein-Westfalen gültiger Tariflohn für Hilfsarbeiter, sondern auch auf die Tariflöhne anderer Wirtschaftszweige abzustellen. Wenn bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Lohnvereinbarung allein auf den Tariflohn des in Frage stehenden Wirtschaftszweiges abzustellen wäre, so liefe das im Ergebnis darauf hinaus, daß der Tariflohn durch Gerichtsurteil für allgemein-verbindlich erklärt würde. Dies aber wäre weder mit der geltenden Tarifrecht noch mit der bestehenden Wirtschaftsordnung zu vereinbaren. Als Maßstab bleibe daher allein das allgemeine Lohnniveau. Ein Stundenlohn von 2,50 DM habe in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 und in der ersten Hälfte des Jahres 1970 an der untersten Grenze dessen gelegen, was in dieser Zeit in der Bundesrepublik an Hilfsarbeiterlohn gezahlt worden sei. Nach den unangefochten gebliebenen Feststellungen der Vorinstanz habe es in dem angesprochenen Zeitraum aber auch noch im Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen in der Industrie tarifliche Hilfsarbeiterlöhne gegeben, die zum Teil nur wenige Pfennige über dem vom Beklagten dem Kläger gezahlten Stundenlohn von 2,50 DM und zum Teil sogar darunter gelegen hätten. Deshalb könne nicht gesagt werden, der vereinbarte Lohn mit dem Kläger sei sittenwidrig, sei ein Hungerlohn gewesen. Auch aus den Regelungen des Formular-Arbeitsvertrages könne der Kläger seinen Anspruch nicht herleiten. Selbst wenn man in diesen mehr als eine Absichtserklärung sehe, sei der Anspruch des Klägers auf Zahlung des tariflichen Stundenlohnes nicht begründet. Dem Kläger könne nämlich nicht in der Auffassung gefolgt werden, sein Lohn müsse sich nach dem Lohn von Hilfsarbeitern anderer Glashütten ausrichten, weil im Betrieb keine vergleichbaren deutschen Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien. Der Arbeitsvertrag stelle allein auf den Betrieb und nicht auf den Wirtschaftszweig ab. Im übrigen habe nicht der Beklagte darzutun, daß vergleichbare deutsche Arbeitnehmer den gleichen – niedrigen – Lohn wie der Kläger gehabt hätten, sondern der Kläger sei darlegungs- und beweispflichtig dafür, daß vergleichbare deutsche Arbeitnehmer einen höheren Stundenlohn gehabt hätten als er.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter, während der Beklagte die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

1. Entgegen der Auffassung der Revision läßt sich der Klageanspruch nicht aus dem Formular-Arbeitsvertrag vom 24. April/5. August 1969 herleiten. Dieser, mit dem Durchgangsvermerk der Deutschen Verbindungsstelle in der Türkei der Bundesanstalt für Arbeit versehene Vertrag entspricht vollinhaltlich dem Muster zur deutsch-türkischen Vereinbarung vom 30. Oktober 1961 über die Regelung der Vermittlung türkischer Arbeitnehmer nach der Bundesrepublik Deutschland (BArbBl. 1962 S. 69-71) und unterliegt damit als typischer Vertrag auch der Auslegung durch das Revisionsgericht. Die Auslegung dieses Vertrages führt indessen nicht zu dem von der Revision erstrebten Ergebnis.

a) Aus der Tatsache, daß in dem zwischen den Parteien geschlossenen Formularvertrag unter Ziffer III im deutschen Text das Wort “Tarifvertrag” gestrichen und durch das Wort “Betriebsvereinbarung” ersetzt worden ist, diese Änderung aber im türkischen Text fehlt, schließt die Revision die tariflichen Regelungen seien nach dem türkischen Text vereinbart worden, der mangels anderer Abrede in gleicher Weise wie der deutsche Text verbindlich sei. Selbst wenn man dieser Auffassung der Revision folgen will, bleibt doch festzuhalten, daß die Parteien – was die Revision des Klägers übersieht – im Vertrag, und zwar sowohl nach dem deutschen als auch nach dem türkischen Text, einen Bruttolohn von 2,50 DM stündlich vereinbart haben. Damit hätten die Parteien des Arbeitsvertrages, selbst wenn im übrigen die Tarifbedingungen des im fachlichen und örtlichen Geltungsbereich einschlägigen Tarifvertrags zwischen ihnen einzelvertraglich vereinbart worden wären, jedenfalls die Lohnhöhe abweichend vom Tarifvertrag vereinbart, was mangels Tarifgebundenheit zulässig war. Der Senat hält aber die Auffassung der Revision schon deshalb für unzutreffend, weil der Formularvertrag in Ziffer III vorsieht, daß die dort vorhandenen Leerspalten auch ausgefüllt werden. Nach dem ergänzungsbedürftigen vorgedruckten Text sollen der Tarifvertrag, seine Vertragspartner und sein Abschlußtag benannt werden. Da die Ausfüllung dieser Leerspalten unterblieben ist, blieb die erwähnte Stelle im Formularvertrag eine bloße Leerformel, denn der vorgedruckte Text bleibt ohne die vorgesehenen Ergänzungen unvollständig, er ergibt für sich allein keinen Sinn.

b) Unerheblich ist entgegen der von der Revision vorgetragenen Meinung auch die Ersetzung des Wortes “Tarifvertrag” durch “Betriebsvereinbarung” im deutschen Text des Formular-Arbeitsvertrages. Hat – wie die Revision vorträgt – eine Betriebsvereinbarung im Betriebe des Beklagten nicht bestanden, so ist konkret ein Verstoß gegen § 59 BetrVG 1952 gar nicht möglich. Aber auch dann, wenn eine Betriebsvereinbarung bestanden haben sollte, ist nirgendwo im Vertrag gesagt, daß sich die Lohnhöhe aus dieser ergäbe. In beiden Fällen ist deshalb – wie bereits früher ausgeführt – der Lohn durch einzelvertragliche Abrede vereinbart worden.

c) Auch aus den Vertragsvereinbarungen, die auf “vergleichbare deutsche Arbeitnehmer – des Betriebes” bzw. “vergleichbare deutsche Arbeiter – des Betriebes” verweisen, kann der Kläger aus den vom Landesarbeitsgericht zutreffend gewürdigten Gründen seinen Anspruch nicht ableiten. Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, wonach der Kläger die Darlegungspflicht und Beweislast für seine Behauptung hat, er sei nicht wie vergleichbare deutsche Arbeiter des Betriebes behandelt worden. Es handelt sich dabei um eine anspruchsbegründende Tatsache, deren Vorliegen derjenige behaupten und beweisen muß, der sich auf sie beruft (§ 282 ZPO). Es wäre damit Sache des Klägers gewesen, zu behaupten und zu beweisen, daß vergleichbare deutsche Arbeiter des Betriebes einen höheren Stundenlohn als er erhalten hätten. Dazu hat aber der Kläger nichts vorgetragen; im Gegenteil, er behauptet – auch noch in der Revision –, vergleichbare deutsche Arbeiter habe es im Betrieb des Beklagten, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, nicht gegeben. Der einzige unmittelbar vergleichbare deutsche Arbeitnehmer, so trägt der Kläger weiter vor, sei aber seinerseits ungleich behandelt worden. Damit muß das auf die erwähnte Vertragsklausel gestützte Begehren des Klägers schon daran scheitern, daß nach seinem eigenen Vortrag höher entlohnte vergleichbare deutsche Arbeitnehmer im Betrieb des Beklagten nicht beschäftigt waren.

d) Die Revision meint nun aber, weil vergleichbare deutsche Arbeitnehmer im Betrieb des Beklagten nicht beschäftigt gewesen seien – eine Behauptung, deren Richtigkeit der Senat hier unterstellen kann – müsse zum Vergleich auf den Lohn abgestellt werden, den vergleichbare Arbeitnehmer anderer Glashütten erhielten. Diese Meinung findet im Vertrag keinerlei Stütze; sie kann auch dann nicht im Wege der Vertragsauslegung gewonnen werden, wenn die Streichungen in den erwähnten Vertragsklauseln – wovon mit der Revision ausgegangen werden kann – bewußt und gewollt unterblieben sind. Denn gerade weil der Beklagte die Streichung der Wörter “des Betriebes” unterlassen hat, muß dies nach den allgemeinen Auslegungsregeln wie auch nach den Erfahrungen des Lebens dahin verstanden und ausgelegt werden, er habe damit zum Ausdruck bringen wollen, daß er sich dem Lohnniveau anderer Betriebe seines Wirtschaftszweiges gerade nicht habe unterwerfen wollen. Jedenfalls steht aber der Wortlaut des Vertrages einer Auslegung, wie sie die Revision für richtig hält, klar entgegen.

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist der zwischen den Parteien vereinbarte Lohn auch nicht wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) oder als sogenannter Lohnwucher (§ 138 Abs. 2 BGB) nichtig.

a) Gegen die bereits vom Arbeitsgericht getroffene und – weil in der Berufungsinstanz unangefochten geblieben – vom Landesarbeitsgericht übernommene Feststellung, im Anspruchszeitraum hätten tarifliche Hilfsarbeiterlöhne in der Industrie des Tarifgebietes Nordrhein-Westfalen zum Teil nur wenige Pfennige über dem vom Beklagten dem Kläger gezahlten Stundenlohn von 2,50 DM und zum Teil sogar darunter gelegen, ist kein Revisionsangriff geführt worden. Sie ist deshalb für den Senat bindend (§ 561 ZPO) und seiner rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils zugrundzulegen.

b) Zu Recht geht das Landesarbeitsgericht bei Prüfung der Frage, ob der dem Kläger versprochene und gewährte Lohn sittenwidrig ist, von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet Nordrhein-Westfalen und nicht nur von den Tariflöhnen für die Arbeitnehmer anderer Glashütten im Tarifgebiet aus; denn die Beurteilung, ob eine Lohnabrede sittenwidrig ist, bemißt sich nicht, wie die Revision meint, nach der Verkehrssitte der jeweiligen Branche, sondern nach dem Rechtsgefühl aller gerecht und billig Denkenden. Nach deren Anschauung muß objektiv ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegen und das Verhalten des Begünstigten auf einer verwerflichen Gesinnung beruhen (BAG AP Nr. 1 zu § 138 BGB). Bei der Beurteilung, ob Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Mißverhältnis stehen, wird in aller Regel auf die Arbeitsleistung als solche, auf deren Dauer und Schwierigkeitsgrad, auf die körperliche und geistige Beanspruchung, die Arbeitsbedingungen schlechthin (Hitze, Kälte, Lärm) abzustellen sein und nicht etwa – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erwogen hat – auf den sogenannten Aneignungswert für den Unternehmer. Eine sich nicht durch besonders erschwerte Arbeitsbedingungen auszeichnende Arbeitsleistung – für die Annahme des Gegenteils fehlt jeglicher Sachvortrag und Anhaltspunkt – ist aber jedenfalls noch in einem von der Rechtsordnung gebilligten Maße entlohnt, wenn auch andere Arbeiten ähnlichen Zuschnitts (Hilfsarbeiten in der Industrie) – wie hier unangegriffen festgestellt – nicht oder doch nur unwesentlich höher entlohnt worden sind. Der Senat braucht deshalb nicht mehr erörtern, ob das Landesarbeitsgericht auch noch aus seinen anderen Erwägungen zutreffend den Tatbestand der sittenwidrigen Lohnabrede für objektiv nicht gegeben erachtet hat.

c) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich die Erwägung des Berufungsgerichts, auch in subjektiver Hinsicht sei der Tatbestand der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 Abs. 1 und 2 BGB schon deshalb nicht erfüllt, weil die Vermittlungsstelle der Bundesanstalt für Arbeit gegen die vom Beklagten gemachten Lohnzusagen keine Einwendungen erhoben habe. Die Revision kann dieser Erwägung nicht damit begegnen, für die Bundesanstalt sei als Mindestlohn der Tariflohn, gegebenenfalls der Lohn einer Betriebsvereinbarung maßgebend gewesen. Einer solchen Annahme steht – wie schon erörtert-entgegen, daß im Vertrag betragsmäßig genau der Stundenlohn festgelegt ist.

d) Wenn die Revision schließlich der Klage auch noch dadurch zu einem Erfolg verhelfen will, daß sie vom Gericht neben und über die Grenzen des § 138 BGB hinaus eine Inhaltskontrolle der Vertragsabrede unter Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Inhaltsgrenzen der im Rechtsverkehr weitgehend üblich gewordenen allgemeinen Geschäftsbedingungen fordert oder erwartet, so verkennt sie, daß der im vorliegenden Falle verwendete Formulararbeitsvertrag nicht als Produkt eines Vertragsteils offeriert oder gar diktiert worden ist, sondern – wie eingangs erwähnt – dem Mustervertrag nach der deutsch-türkischen Vereinbarung vom 30. Oktober 1961 entspricht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Schröder, Siara, Bichler, M. Kempe, E. Krebs

 

Fundstellen

Dokument-Index HI870932

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