Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbandsmitgliedschaft bei Betriebsinhaberwechsel

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Amtszustellung eines Urteils an einen prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt ist bei einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nur dann rechtswirksam, wenn das Empfangsbekenntnis von einer der in § 212a ZPO, § 30 BRAO genannten Personen eigenhändig unterzeichnet worden ist. Hierzu gehört nicht eine lediglich für einen bestimmten Rechtsstreit benannte Zustellungsbevollmächtigte. Ein sich hieraus ergebender Zustellungsmangel kann im Einzelfall durch eine nachträgliche Genehmigung des Prozeßbevollmächtigten geheilt werden.

2. Nach §§ 58, 59 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR - Kommunalverfassung - vom 17. Mai 1990 konnten die Gemeinden die volkseigenen Wohnungswirtschaftsbetriebe als Eigenbetriebe weiterführen. Es bleibt offen, ob die Gemeinden bereits mit Inkrafttreten dieses Gesetzes Rechtsnachfolger der volkseigenen Betriebe wurden, oder ob es hierfür eines zusätzlichen Verwaltungshandelns bedurfte.

3. Die Mitgliedschaft einer juristischen Person des Privatrechts in einem Arbeitgeberverband setzt sich nicht bei deren Rechtsnachfolgerin fort (§ 3 Abs 5 des Gesetzes über Vereinigungen der DDR vom 21. Februar 1990; § 38 BGB). Die Mitgliedschaft muß vom Nachfolgeunternehmen neu begründet werden.

4. Schließt ein Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag ab, sind hieran nur die Mitglieder bei Tarifabschluß tarifgebunden, nicht auch deren Rechtsnachfolger.

 

Verfahrensgang

BezirksG Erfurt (Entscheidung vom 27.11.1991; Aktenzeichen Sa 53/91)

KreisG Arnstadt (Entscheidung vom 06.05.1991; Aktenzeichen Ca 351/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im wesentlichen um die Anwendbarkeit eines Vergütungstarifvertrages auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis sowie darum, wie der Kläger nach diesem Tarifvertrag einzugruppieren ist.

Der Kläger, der der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen angehört, war seit dem 3. April 1989 aufgrund eines Überleitungsvertrages als Abteilungsleiter Investitionen beim VEB Gebäudewirtschaft A beschäftigt.

Im Juli 1990 gründete die Stadt A eine als Wohnungsbaugesellschaft mbH i.G. im Rechtsverkehr auftretende Gesellschaft (im folgenden: Wohnungsbaugesellschaft). Diese Gesellschaft führte unter Beibehaltung des bisherigen Betriebszwecks des volkseigenen Betriebes die Verwaltung des Wohnungsbestandes der Stadt A fort. Sie wurde nicht in das Handelsregister eingetragen. Am 16. November 1990 gründete die Stadt A eine weitere Gesellschaft, die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH, die in der Folgezeit die Verwaltung des kommunalen Wohnungsbestandes übernahm, aber ebenfalls nicht in das Handelsregister eingetragen wurde. Die jetzige Beklagte entstand im Juni 1991 durch Umwandlung. Die Stadt A brachte ihren Wohnungsbestand als Sacheinlage in diese Gesellschaft ein, die im Laufe des Rechtsstreits auch in das Handelsregister eingetragen wurde.

Unter dem 3. August 1990 schlossen der Verband der Wohnungsgenossenschaften der DDR e.V. auf Arbeitgeberseite sowie die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen/DDR, die Deutsche Angestelltengewerkschaft und die Industriegewerkschaft Bau-Holz mit Wirkung ab dem 1. Juli 1990 einen Vergütungstarifvertrag ab. Dieser Tarifvertrag erstreckte seinen räumlichen Geltungsbereich u.a. auf das Land Thüringen und fachlich auf Unternehmen aller Rechtsformen, die wohnungswirtschaftliche Leistungen erbringen. In § 11 dieses Tarifvertrages hieß es ursprünglich, er gelte nur unter der Voraussetzung, daß die Regierung der DDR die entsprechenden Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen zweckgebunden bereitstelle. Diese Vorschrift ist durch eine u.a. von den Parteien des Vergütungstarifvertrages unterzeichnete Protokollnotiz vom 21. September 1990 ersatzlos gestrichen worden. In der Protokollnotiz wird weiter der Beginn der Geltung des Vergütungstarifvertrages auf den 1. September 1990 neu festgelegt und für die Zeit bis zum 31. Dezember 1990 bestimmt, daß Unternehmen, die diesen Vergütungstarifvertrag noch nicht finanzieren können, dies unter Vorlage geeigneter Unterlagen den Tarifvertragsparteien nachzuweisen haben; diese sollen dann in jedem Einzelfall Regelungen zur Umsetzung des Tarifvertrages festlegen.

Am 1. Juli 1990 war u.a. der am 20. April 1990 gegründete Landesverband Thüringen-Wohnungswirtschaftsbetriebe e.V. Mitglied des Verbandes der Wohnungsgenossenschaften der DDR e.V. geworden. In der Satzung des Landesverbandes Thüringen, die die Entscheidung über die Aufnahme von Mitgliedern dem Verbandsbeirat des Landesverbandes zuweist, heißt es u.a., es gehöre zu den Aufgaben des Verbandes, die Interessen der Verbandsmitglieder in allen Bereichen und auf allen Ebenen, insbesondere durch Zusammenarbeit mit den territorialen Leitungen der Gewerkschaft wahrzunehmen. In einer Liste des Landesverbandes Thüringen, die den Mitgliederstand zum 20. September 1990 wiedergibt, wird die von der Stadt A im Juli 1990 gegründete Wohnungsbaugesellschaft als Mitglied geführt. Bis zum Jahresende 1990 wurden von dieser Gesellschaft auch Mitgliedsbeiträge an den Landesverband entrichtet. Dem war vorausgegangen, daß der Geschäftsführer des VEB Gebäudewirtschaft A bereits am 17. April 1990 in einem Schreiben gegenüber einer mit der Gründung des Landesverbandes betrauten Organisation, der Erzeugnisgruppe der Kommunalen Wohnungsverwaltung E , seine Absicht erklärt hatte, dem zu gründenden Landesverband beizutreten.

Anfang November 1990 wurden in Gesprächen zwischen der Personalleitung und dem Betriebsrat die Beschäftigten der Wohnungsbaugesellschaft den Vergütungsgruppen des Vergütungstarifvertrages vom 3. August 1990 zugeordnet. Danach bat der Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft die Stadt A schriftlich um Bereitstellung der errechneten Fehlbedarfsmittel für die sich aus der erfolgten Einstufung ergebenden Personalkosten. Dem Schreiben war als Anlage eine Liste der Arbeitnehmer der Wohnungsbaugesellschaft beigefügt, die die bisherige und die neue Vergütung sowie die Bezeichnung der Vergütungsgruppe nach dem Vergütungstarifvertrag enthielt. In dieser Liste war auch der Kläger aufgeführt. Er war der Vergütungsgruppe VI zugeordnet. Das in der Liste vorgesehene Gehalt entsprach der Einstufung ab dem zehnten Berufsjahr der Gehaltsgruppe. Hiernach stünde dem Kläger eine monatliche tarifliche Vergütung von 3.058,-- DM brutto zu.

Der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt ein Monatsgehalt in Höhe von 1.800,-- DM brutto bezog, hat die Auffassung vertreten, auf sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten finde seit dem 1. September 1990 kraft beiderseitiger Tarifbindung der Vergütungstarifvertrag vom 3. August 1990 Anwendung. Seine vertraglich zu erledigende Tätigkeit entspreche auch der Vergütungsgruppe VI des Vergütungstarifvertrages.

Der Kläger hat vor dem Kreisgericht zunächst die Vergütungsdifferenz von monatlich 1.258,-- DM nur für den Zeitraum vom 1. September bis zum 30. November 1990 geltend gemacht. In der Berufungsinstanz hat er diesen Anspruch im Wege der Anschlußberufung in zwei Teilbeträgen um insgesamt 12.580,-- DM brutto für den Zeitraum bis zum 30. September 1991 erweitert.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

3.774,-- DM brutto zu zahlen.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

weitere 12.580,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen

aus dem sich aus 7.548,-- DM brutto ergebenden

Nettobetrag seit dem 28. August 1991 und wei-

teren 4 % Zinsen aus dem sich aus 5.032,-- DM

brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 25. Ok-

tober 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei zu keiner Zeit an den Vergütungstarifvertrag gebunden gewesen. Sie sei selbst nie Mitglied des Landesverbandes Thüringen geworden. Auch der ehemalige VEB Gebäudewirtschaft sei diesem Verband nicht beigetreten. Der Verbandsbeirat habe einem Beitritt nicht ausdrücklich zugestimmt. Die Beklagte sei auch nicht Rechtsnachfolgerin des VEB Gebäudewirtschaft oder der von der Stadt A gegründeten Vorgesellschaften gewesen. Der abgeschlossene Vergütungstarifvertrag sei auch unwirksam, weil es sich beim Landesverband Thüringen nicht um einen tarifwilligen Arbeitgeberverband gehandelt habe. Im übrigen bestreitet die Beklagte, daß der Kläger einen einzelvertraglichen oder auch tarifvertraglichen Anspruch auf Zahlung der Vergütung nach der Gehaltsgruppe VI, zehntes Berufsjahr, nach dem Vergütungstarifvertrag habe.

Das Kreisgericht hat dem bei ihm gestellten Klageantrag entsprochen. Die Zustellung des Urteils des Kreisgerichts an die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ist auf einem durch Frau Assessorin Sch unterzeichneten Empfangsbekenntnis bestätigt worden. Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kreisgerichts durch einen nicht unterzeichneten Schriftsatz Berufung eingelegt, was aber in der Berufungsinstanz nicht bemerkt wurde. Das Bezirksgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Beklagte auf die Anschlußberufung des Klägers zur Zahlung auch der Differenzvergütung für den Zeitraum bis zum 30. September 1991 verurteilt.

Die Beklagte, die ihren Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz in der Revisionsinstanz den Streit verkündet hat, verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach dem Vergütungstarifvertrag vom 3. August 1990. Dieser Tarifvertrag findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung.

A. Die Revision ist zulässig. Die Beklagte ist prozeßfortsetzungsbefugt, weil das Urteil des Kreisgerichts nicht rechtskräftig geworden ist.

Der Berufungsschriftsatz der Beklagten vom 29. Mai 1991 ist zwar entgegen § 130 Nr. 6 ZPO nicht eigenhändig unterschrieben worden. Den Anforderungen an eine formwirksame Berufungseinlegung genügt jedoch auch der ordnungsgemäß unterzeichnete, die Berufung begründende Schriftsatz der Beklagten vom 28. Juni 1991, der am 3. Juli 1991 beim Berufungsgericht eingegangen ist. Zum Zeitpunkt des Einganges dieses Schriftsatzes lagen die Prozeßakten erster Instanz dem Berufungsgericht bereits vor. Für das Berufungsgericht war deshalb mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar, welches Urteil Gegenstand der Berufung sein sollte, und für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wurde. Aus der Berufungsbegründung gehen auch ohne förmlichen Berufungsantrag Umfang und Ziel des Rechtsmittels zweifelsfrei hervor.

Durch den am 3. Juli 1991 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz wurde die Berufung gegen das Urteil des Kreisgerichts auch rechtzeitig eingelegt. Frau Assessorin Sch bestätigt zwar bereits für den 6. Mai 1991 auf dem an den Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt P der Beklagten gerichteten Empfangsbekenntnis den Eingang des erstinstanzlichen Urteils. Hierdurch ist dieses Urteil jedoch nicht formwirksam zugestellt worden. Die Berufungsfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG hat deshalb hierdurch nicht zu laufen begonnen. Die Amtszustellung eines Urteils an einen prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt ist bei einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nur dann rechtswirksam erfolgt, wenn das Empfangsbekenntnis von einer der in § 212 a ZPO genannten Personen eigenhändig unterzeichnet ist. Die Empfangsbestätigung ist Nachweis für die erfolgte Aushändigung des Schriftstücks und Ausdruck der notwendigen Empfangsbereitschaft seines Adressaten, zu der dieser prozessual nicht verpflichtet ist. Nur bei eigenhändiger Unterzeichnung ist der tatsächliche Zugang des Schriftstücks hinreichend sicher nachgewiesen. Dasselbe gilt für die subjektive Bereitschaft des Zustellungsadressaten, die erfolgte Zustellung als eine förmliche Zustellung im Sinne von § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzuerkennen (BAG Urteil vom 3. Oktober 1975 - 2 AZR 339/74 - AP Nr. 5 zu § 212 a ZPO; BGH Beschluß vom 21. April 1982 - IV a ZB 20/81 - NJW 1982, 1650 f.). Hiernach liegt ein rechtswirksames Empfangsbekenntnis vom 6. Mai 1991 nicht vor. Adressat der Urteilsausfertigung war Rechtsanwalt P . Frau Assessorin Sch , die den Empfang durch ihre Unterschrift bestätigt hat, war weder dessen amtlich bestellte Vertreterin, noch eine nach § 30 BRAO zur Zustellungsbevollmächtigten bestellte Person. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten mit Schriftsatz vom 22. März 1991 gebeten haben, künftige Zustellungen an Frau Assessorin Sch vorzunehmen. § 30 BRAO eröffnet die Möglichkeit, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, nur für die Fälle, in denen der Anwalt aus den in der BRAO genannten Gründen nicht verpflichtet ist, am Gerichtsort eine Kanzlei zu unterhalten (vgl. Feuerich, BRAO, 2. Aufl., § 30 Rz 2). Es ist schon zweifelhaft, ob diese Sondervorschrift im arbeitsgerichtlichen Verfahren überhaupt gilt. Jedenfalls aber ist ein Zustellungsbevollmächtigter im Sinne von § 30 BRAO allgemein beim betreffenden Gericht zu bestellen und nicht lediglich für einen bestimmten Rechtsstreit (vgl. Feuerich, aaO, § 30 Rz 11 f.), wie dies durch den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 22. März 1991 geschehen ist.

Eine ordnungsgemäße Zustellung der Urteilsausfertigung am 6. Mai 1991 gemäß § 212 b ZPO scheitert schon daran, daß die offenbar im Gericht gegen Empfangsbekenntnis übergebene Urteilsausfertigung nicht an den Adressaten persönlich ausgehändigt worden ist. Die Übergabe an einen mit Empfangsvollmacht versehenen Vertreter genügt für eine formgerechte Zustellung nach § 212 b ZPO nicht (Zöller/Stöber, ZPO, 18. Aufl., § 212 b Rz 2).

Der Zustellungsmangel ist auch nicht geheilt worden. § 187 Satz 1 ZPO ist unanwendbar, weil es um die Einhaltung einer Notfrist geht (§ 187 Satz 2 ZPO). Für eine nachträgliche Genehmigung der wegen eines Verstoßes gegen § 212 a ZPO formunwirksamen Zustellung durch den Zustellungsadressaten (vgl. hierzu Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., Vorbem. § 166 Rz 15) fehlt jeder Anhaltspunkt. Allein der Umstand, daß die Beklagte sich durch ihre Prozeßbevollmächtigten gegen das erstinstanzliche Urteil gewendet hat, reicht hierfür nicht aus, zumal die Beklagtenvertreter weder in der nichtunterzeichneten Berufungsschrift, noch in der Berufungsbegründungsschrift die Zustellung einer Urteilsausfertigung am 6. Mai 1991 bestätigt haben.

B. Die Revision der Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kann der Kläger nicht verlangen, nach dem Vergütungstarifvertrag vom 3. August 1990 bezahlt zu werden. Es gibt deshalb keine Rechtsgrundlage für die mit der Klage geltend gemachten Gehaltsdifferenzen, so daß die Klage unter Aufhebung und Abänderung der Urteile der Vorinstanzen insgesamt abzuweisen ist.

I. Es spricht entgegen der Auffassung der Beklagten viel dafür, daß der Vergütungstarifvertrag vom 3. August 1990 in der ab dem 1. September 1990 geltenden Fassung rechtswirksam zustande gekommen ist.

Der Landesverband Thüringen - Wohnungswirtschaftsbetrieb e.V. - ist als Mitglied des tarifschließenden Verbandes der Wohnungsgenossenschaften der DDR e.V. tariffähig gewesen. Die Bereitschaft zum Abschluß von Tarifverträgen (vgl. zu diesem Erfordernis BAG Urteil vom 22. Dezember 1960 - 2 AZR 140/58 - AP Nr. 25 zu § 11 ArbGG 1953; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 2 Rz 181) kommt in der Satzung des Landesverbandes mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck. Sie findet in der Satzungsbestimmung ihren Niederschlag, wonach die Interessen der Verbandsmitglieder auch im Zusammenwirken mit den territorialen Leitungen der Gewerkschaft wahrzunehmen sind.

Auch inhaltlich bestehen gegen die Bestimmungen des Tarifvertrages in der Fassung vom 21. September 1990 keine durchgreifenden Bedenken. Der Tarifvertrag enthielt zwar ursprünglich die aufschiebende Bedingung, daß er nur in Kraft treten solle, wenn die Regierung der früheren DDR die zu seiner Finanzierung erforderlichen Mittel zweckgebunden zur Verfügung stelle. Darauf, ob diese in ihrer Wirksamkeit zweifelhafte Bedingung eingetreten ist, kommt es nicht an. Die Tarifvertragsparteien haben diese Festlegung in der Protokollnotiz vom 21. September 1990 ersatzlos gestrichen. Sie haben den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Vergütungstarifvertrages neu und unbedingt auf den 1. September 1990 festgelegt. Bedenken gegen die Wirksamkeit des Vergütungstarifvertrages ergeben sich schließlich nicht aus der Regelung zum Überforderungsschutz in der Protokollnotiz vom 21. September 1990. Hierin liegt nicht die erneute Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung, sondern nur eine § 4 Abs. 3 TVG ähnliche Bestimmung darüber, daß die Tarifvertragsparteien im Einzelfall Abweichungen von dem unbedingt in Kraft getretenen Vergütungstarifvertrag zulassen können.

II. Einer abschließenden Feststellung, ob der Vergütungstarifvertrag vom 3. August 1990 in der Fassung vom 21. September 1990 rechtswirksam zustande gekommen ist, bedarf es nicht. Der Kläger hat in keinem Fall Gehaltsansprüche nach diesem Tarifvertrag. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bestand während des gesamten Anspruchszeitraums seit Inkrafttreten des Vergütungstarifvertrages am 1. September 1990 auf Arbeitgeberseite keine Tarifbindung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

1. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, der VEB Gebäudewirtschaft sei Mitglied des Landesverbandes Thüringen geworden.

Die Auslegung des Schreibens des VEB Gebäudewirtschaft vom 17. April 1990 als Aufnahmeantrag kann in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt überprüft werden. Der Überprüfung unterliegt allein, ob bei der Auslegung die Rechtsvorschriften über die Auslegung richtig angewendet worden sind, ob dabei die Denkgesetze und Erfahrungssätze eingehalten wurden und der Tatsachenstoff vollständig verwertet wurde (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 73 Rz 16, m.w.N.). Nach diesem Maßstab ist die Auslegung des Schreibens vom 17. April 1990 ebensowenig zu beanstanden, wie die Folgerung des Berufungsgerichts aus den vorliegenden Unterlagen, daß das zuständige Organ des Landesverbandes den Aufnahmeantrag angenommen hat.

2. Die Mitgliedschaft des VEB Gebäudewirtschaft beim Landesverband Thüringen hat aber nicht zu einer Bindung beider Arbeitsvertragsparteien an den Vergütungstarifvertrag vom 3. August 1990 geführt.

a) Nach den nicht gerügten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat bereits im Juli 1990 und damit vor Abschluß des Vergütungstarifvertrages die von der Stadt A gegründete Wohnungsbaugesellschaft mit den Arbeitnehmern und sächlichen Betriebsmitteln des VEB Gebäudewirtschaft die Verwaltung des Wohnungsbestandes der Stadt A übernommen. Die hierauf beruhende Annahme des Landesarbeitsgerichts, beim Kläger habe deshalb im Monat Juli 1990 ein Arbeitgeberwechsel stattgefunden, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Rechtsgrundlage hierfür ist das Gesetz über das Vermögen der Gemeinden, Städte und Landkreise (Kommunalvermögensgesetz - KVG) der früheren DDR vom 6. Juli 1990 (GBl DDR I S. 660 f.). Nach § 2 Abs. 1 a des Gesetzes gehen u.a. alle volkseigenen Betriebe, die zur Erfüllung der kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben benötigt werden, in das Vermögen der Gemeinden und Städte über. Hierzu zählen nach § 6 Abs. 1, 4. Spiegelstrich Kommunalvermögensgesetz die "Betriebe und Einrichtungen, die zur Verwaltung und Erhaltung des kommunalen Wohnungsfonds" erforderlich sind. Nach §§ 58, 59 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR - Kommunalverfassung - vom 17. Mai 1990 (GBl DDR I S. 255, 264) konnten die Gemeinden die volkseigenen Wohnungswirtschaftsbetriebe als Eigenbetriebe weiterführen und ggf. durch Beschluß des kommunalen Vertretungsorgans in eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft umwandeln (§ 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Umwandlung volkseigener Wohnungswirtschaftsbetriebe in gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften und zur Übertragung des Grundeigentums an die Wohnungsgenossenschaften vom 22. Juli 1990; GBl DDR I S. 901). Es kann dahinstehen, ob die Gemeinden bereits mit Inkrafttreten des Kommunalvermögensgesetzes Rechtsnachfolger der volkseigenen Betriebe geworden sind, oder ob es hierfür eines zusätzlichen Verwaltungshandelns bedurfte (vgl. § 7 Kommunalvermögensgesetz). Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Stadt A im Juli 1990 bereits das Unternehmen des volkseigenen Betriebes und dessen Arbeitgeberstellung übernommen und fortgeführt.

Dies ist in der Form eines kommunalen Eigenbetriebes geschehen, der unter der Bezeichnung Wohnungsbaugesellschaft mbH i.G. im Rechtsverkehr aufgetreten ist. Die von der Stadt A gegründete Wohnungsbaugesellschaft hat, da sie nicht in das Handelsregister eingetragen worden ist, nach § 11 Abs. 1 des seit dem 1. Juli 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR geltenden GmbHG keine eigene Rechtspersönlichkeit erlangt. Es ist auch keine teilrechtsfähige Vorgesellschaft entstanden. Bei der Umwandlung eines kommunalen Eigenbetriebes entsteht wie bei einer Einzelunternehmung erst mit der Eintragung ohne das Durchgangsstadium der Vorgesellschaft die GmbH (vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., S. 310).

b) Der Vergütungstarifvertrag vom 3. August/21. September 1990 hätte hiernach nur dann kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung finden können, wenn der neue Arbeitgeber des Klägers zum Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses, der kommunale Eigenbetrieb, Mitglied des Landesverbandes Thüringen gewesen wäre. Dies ist nicht der Fall. Die Mitgliedschaft des VEB Gebäudewirtschaft hat sich weder bei der Stadt A und deren unter der Bezeichnung Wohnungsbaugesellschaft mbH i.G. handelnden Eigenbetrieb fortgesetzt, noch ist sie dort neu begründet worden.

Einem Übergang der Mitgliedschaft steht § 3 Abs. 5 des im Juli 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR geltenden Gesetzes über die Vereinigungen (Vereinigungsgesetz) vom 21. Februar 1990 (GBl DDR I S. 75) entgegen. Nach dieser § 38 BGB entsprechenden Bestimmung war die Mitgliedschaft in einem Verein weder vererblich noch übertragbar. Beim VEB Gebäudewirtschaft und der Stadt A handelte es sich um verschiedene Rechtsobjekte, zwischen denen Rechts- und Funktionsnachfolge eingetreten ist. Auch in einem solchen Fall schließt § 3 Abs. 5 Vereinigungsgesetz den Übergang oder die Übertragung des Mitgliedschaftsrechtes aus (vgl. BGH Urteil vom 30. Juni 1980 - II ZR 186/79 - WM 1980, 1286).

Die Stadt A ist dem Landesverband Thüringen auch nicht selbst beigetreten. Eine Beitrittserklärung der Stadt oder des für die Stadt handelnden Eigenbetriebes hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Sie kann auch nicht aus der Erwähnung der Wohnungsbaugesellschaft in der Mitgliederliste des Landesverbandes oder aus dessen Beitragszahlungen gefolgert werden. Die allein vom Verband geführte Mitgliederliste läßt keinen Schluß auf Erklärungen der dort aufgeführten Rechtspersönlichkeiten zu, die auf eine Begründung des Mitgliedschaftsverhältnisses gerichtet waren. Die Angaben in der Liste können ebenso wie die Weiterzahlung der Mitgliedschaftsbeiträge auf der rechtsirrigen Vorstellung beruhen, die Mitgliedschaft des VEB Gebäudewirtschaft habe sich ohne weiteres bei den Rechtsnachfolgern fortgesetzt. Gleiches gilt für die Erklärungen des Geschäftsführers der Beklagten vor und im Rechtsstreit. Auch hier wurden keine Tatsachen angesprochen, aus denen auf eine Neubegründung der Vereinsmitgliedschaft geschlossen werden könnte.

c) Es kann offenbleiben, ob durch die Gründung der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft mbH eine weitere Rechts- und Funktionsnachfolge eingetreten ist. Die Mitgliedschaft beim VEB Gebäudewirtschaft könnte nach § 3 Abs. 5 Vereinigungsgesetz auf dieses Unternehmen ebensowenig übergehen, wie auf die später gegründete Beklagte. Für eine Neubegründung der Mitgliedschaft im Anspruchszeitraum ist auch hier nichts vorgetragen und festgestellt.

III. Der Vergütungstarifvertrag vom 3. August/21. September 1990 findet für die Zeit seit dem 1. September 1990 auch weder nach § 59 a Abs. 1 Satz 2 AGB-DDR 1990, noch nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Anwendung. Er stammt aus der Zeit nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf die Stadt A . Eine Fortgeltung tarifvertraglicher Vorschriften nach rechtsgeschäftlichem Betriebsübergang setzt aber stets voraus, daß der Tarifvertrag zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges kraft Tarifbindung gegolten hat. Ein Tarifvertrag, der erst nach dem Betriebsübergang abgeschlossen worden ist, wird nicht nach den Vorschriften über den Betriebsübergang Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem neuen Arbeitgeber.

IV. Der Kläger hat schließlich keinen Anspruch auf eine Vergütung nach der VergGr. VI, zehntes Berufsjahr, aufgrund einzelvertraglicher Zusage.

Der Geschäftsführer der Beklagten ist offenbar von einer Geltung des Vergütungstarifvertrages ausgegangen und hat dies auch zum Ausdruck gebracht. Er hat aber keine Erklärung dahin abgegeben, der Vergütungstarifvertrag und seine Eingruppierungsbestimmungen sollten unabhängig davon maßgeblich sein, ob dieser Tarifvertrag überhaupt im Verhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien gilt. Die Liste, die der Geschäftsführer der Beklagten an die Stadt A übersandt hat, ist eine interne Mitteilung ohne rechtsgeschäftlichen Erklärungswert gegenüber dem Kläger.

C. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 ZPO zu tragen.

Schaub Schneider Bepler

Dr. Reinfeld Bruse

 

Fundstellen

Haufe-Index 439259

BB 1994, 1642

DB 1994, 2638-2640 (LT1-4)

D-spezial 1994, Nr 40, 7-8 (K)

D-spezial 1995, Nr 7, 10 (T)

EWiR 1994, 1027 (L)

NZA 1994, 948

NZA 1994, 948-951 (LT1-4)

ZAP-Ost, EN-Nr 476/94 (S)

AP § 3 TVG Verbandszugehörigkeit (LT1-4), Nr 13

AR-Blattei, ES 1550.3 Nr 8 (LT3-4)

AR-Blattei, ES 160.7.1 Nr 1 (LT1)

EzA § 3 TVG, Nr 9 (LT1-4)

NJ 1994, 488 (L)

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