Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung von Elektromechanikern bei der Bundespost. Eingruppierung von Handwerkern an Brief- und Paketverteilanlagen

 

Leitsatz (amtlich)

  • Normieren die Tarifvertragsparteien als subjektive Ausbildungsvoraussetzung für eine bestimmte Eingruppierung einen Meisterbrief oder eine sonstige zusätzliche fachliche Fortbildung, so ist im allgemeinen davon auszugehen, daß die sonstige Ausbildung der Meisterausbildung vergleichbar sein muß.
  • Im Einzelfall kann sich aber dann etwas anderes ergeben, wenn die sonstige Zusatzausbildung für bestimmte technische Anlagen erfolgen muß, in die wegen der technischen Innovation auch ein Meister eingewiesen werden muß. Insoweit entspricht es auch dem Interesse des Arbeitgebers, Arbeitnehmer nur insoweit auszubilden, daß sie die Anlagen bedienen können.
  • In § 17 TV Arb Lohngruppe 9 Ziff. 1 erfordert die zusätzliche Ausbildung nicht eine der Meisterausbildung entsprechende Ausbildung.
 

Normenkette

Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) Anlage 2 § 5 Lohngruppe 9, § 6 Lohngruppe 9, § 12 Lohngruppe 9, § 17 Lohngruppe 9

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 08.07.1994; Aktenzeichen 4 Sa 5/94)

ArbG Bremen (Urteil vom 05.05.1993; Aktenzeichen 5 Ca 5490/92)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Kläger nach Lohngruppe 9 des § 17 der Anlage 2 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955 (TV Arb) in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 406 zu entlohnen sind.

Der Kläger zu 1), R…, ist seit dem 11. Juli 1988 als Posthandwerker beschäftigt. Er ist mit Wirkung vom 1. April 1993 vom Postamt B… zum Postamt Bi… versetzt worden. Seit dem 1. Oktober 1994 wird der Kläger nach der Lohngruppe 8a TV Arb vergütet. Befristet auf das gesamte Jahr 1996 ist eine Wochenarbeitszeit von 34 Stunden vereinbart.

Der Kläger zu 2), G…, ist seit dem 27. Januar 1989 als Posthandwerker mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden beim Postamt 5 B… beschäftigt. Seit dem 1. April 1995 ist er in die Lohngruppe 8a eingruppiert.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gilt für die Parteien aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb). Beide Kläger haben eine abgeschlossene Ausbildung als Elekromechaniker mit einer Ausbildungsdauer von 3½ Jahren, aber keinen Meisterbrief. Die Kläger sind auf Arbeitsposten für Beamte der Besoldungsgruppe A 5/A 6 tätig. Es sind keine zusammengesetzten Arbeitsposten im Sinne des § 11 der Anlage 2 des oben genannten Tarifvertrages.

Der Kläger zu 1) ist im Aufsichtsbereich 176-11 als Instandsetzungskraft tätig. Er ist zuständig für die Förder- und Verteilanlagen, und zwar die rechnergesteuerten Paketverteilanlagen, eine Päckchenverteilanlage, eine Stückbriefverteilanlage, eine Elektrohängebahn (Beutelverteilung und Rollbehälter), sieben Rollbehälterkippanlagen, einen Horizontalförderer, einen Vertikalförderer.

Die Förder- und Verteilanlagen, für die der Kläger zu 1) zuständig ist, sind rund um die Uhr in Betrieb. Die täglich anfallenden Meß- und Prüfarbeiten, Sicherheitsprüfung nach VDE und Reparaturen werden möglichst während der betriebsschwachen Zeit durchgeführt. Bei diesen Arbeiten werden sowohl elektronische wie auch mechanische Bauteile ausgewechselt. Die Parteien streiten darüber, ob die reinen Wartungsarbeiten wie Nachstellen, Auswechseln, Ergänzen, Schmieren und Reinigen getrennt von Inspektionsarbeiten durchzuführen sind.

Der Kläger zu 2) arbeitet als Instandsetzungskraft im Aufsichtsbereich 176-12 (automatische Briefverteilanlagen). Dabei handelt es sich um rechnergesteuerte Einrichtungen, nämlich drei Anschriftenleser, eine Videocodieranlage, zwei Feinverteilmaschinen, 20 Abschnittsförderer, eine Formattrenn- und Aufstellanlage.

Der Kläger zu 2) ist während des Spätdienstes von 15.00 Uhr bis 23.00 Uhr alleinverantwortlich für die Beseitigung kurzfristig auftretender Störungen an den automatischen Briefverteil- und sonstigen im Aufsichtsbereich 176-12 in Betrieb befindlichen Maschinen. Es handelt sich um Maschinen mit empfindlicher Hoch-technologie. Die Fehlereingrenzung ist häufig nur mit besonderen Meßgeräten und Computerhilfen möglich. Während der Tagesschichten ist die Briefverteilanlage, von Ausnahmen abgesehen, nicht in Betrieb. In diesen Zeiten werden die nach der Arbeitsanweisung täglich durchzuführenden Messungen, Einstellungen, Funktionsprüfungen sowie Sicherheitsprüfungen nach VDE auch hier vorgenommen. Dabei werden mechanische und elektronische Bauteile geprüft, ausgetauscht und auch Staubpartikel aus dem Elektronikbereich entfernt. Da es sich um feinjustierte empfindliche Geräte handelt, erfolgt auch hier wie in den übrigen Bereichen die Säuberung mit kleinen Pinseln. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Wartungsarbeiten gesondert durchführbar sind.

Der Kläger zu 1) wurde im Schulungsbetrieb und in der Fehlersuchdiagnose von einem Ausbildungsingenieur der Firma AEG vor Ort geschult. Er hat für die von ihm ausgeübten Inspektionsarbeiten bei den jeweiligen Herstellerfirmen folgende fachliche Fortbildungsveranstaltungen besucht:

– 

PktVA-Fern und Nah, Fa. Beumer

7 Tage

StBVA, Fa. Kosan Christlant

40 Std.

PnVA, Fa. Kosan Christlant

40 Std.

Beutelhängebahn, Fa. Schierholz

5 Tage

Bedas (zentrale Betriebslenkung),Fa. Detaline

4 Tage

“Systemkurs S 15” für die von Siemens gelieferten Anteile der Anlagensteuerungen, Fa. Siemens 

5 Tage

Der Kläger zu 2) hat seine Tätigkeit aufgenommen, nachdem er eine Fortbildung an der Briefverteilanlage durch die Firma AEG mit einer Dauer von 2 1/2 Monaten und einen FAM-Lehrgang (Formattrenn- und Aufstellmaschine) von drei Wochen absolviert hatte. Bei allen Lehrgängen wurden den Klägern neben dem Aufbau und Inhalt der Mechanik schwerpunktmäßig der elektrische und vor allem der rechnergesteuerte Bereich theoretisch wie praktisch vor Ort erläutert.

Mit Schreiben vom 18. Juli 1991 teilte die Generaldirektion der Deutschen Bundespost – Postdienst – den Oberpostdirektionen ergänzende Hinweise zur Auslegung des Tarifvertrages Nr. 406 mit. Darin heißt es:

“6.3 Tätigkeitsmerkmal der LoGr 9 Nr. 1

Die in dem Tätigkeitsmerkmal geforderte zusätzliche fachliche Fortbildung umfaßt solche speziellen Fortbildungsmaßnahmen, die den Handwerker befähigen, die in dem Tätigkeitsmerkmal aufgeführten Tätigkeiten auch selbständig auszuüben. Lehrgänge, die lediglich ein Grundwissen vermitteln, sind hierzu nicht geeignet. Die fachliche Fortbildung ist auch mit der Erbringung der Laufbahnbefähigung BPt erfüllt.”

Der für den Aufsichtsbereich zuständige Mitarbeiter des Postamtes 5 B… hat zur Eingruppierung der an den oben aufgeführten Anlagen arbeitenden Posthandwerker und der Tätigkeiten der Kläger am 2. Dezember 1991 eine Stellungnahme abgegeben. In dem an die Beklagte gerichteten Vermerk heißt es u.a., daß jeder einzelne eigenverantwortlich schwierige Fehler eingrenzen kann, Schadensdiagnosen erstellen und die erkannten Fehler und Schäden beseitigen kann.

Die Differenz zwischen Lohngruppe 8 und Lohngruppe 9 beträgt für die Zeit vom 1. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1992 unstreitig für den Kläger zu 1) nach dessen Berechnung 4.604,15 DM und für den Kläger zu 2) nach dessen Berechnung 4.539,22 DM.

Die Kläger sind der Auffassung, sie erfüllten die Voraussetzungen des § 17 Lohngruppe 9 Ziff. 1 der Anlage 2 zum TV Arb. Da im Tarifvertrag von einer zusätzlichen, nicht aber von einer gleichwertigen fachlichen Fortbildung gesprochen werde, müsse diese nicht der Meisterprüfung ebenbürtig sein. Es sei auch keine Aufteilung in Wartungs-, Instandhaltungs- und Inspektionsarbeiten möglich.

Der Kläger zu 1) hat beantragt,

  • festzustellen, daß er ab 1. Oktober 1990 in die Lohngruppe 9 des § 17 der Anlage 2 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost einzugruppieren ist;
  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückwirkend für die Zeit vom 1. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1992 den Unterschiedsbetrag zwischen Lohngruppe 8 und Lohngruppe 9 in Höhe von insgesamt 4.604,15 DM zuzüglich 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit Klagehängigkeit zu zahlen.

Der Kläger zu 2) hat beantragt,

  • festzustellen, daß er ab 1. Oktober 1990 in die Lohngruppe 9 des § 17 der Anlage 2 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost einzugruppieren ist;
  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn rückwirkend für die Zeit vom 1. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1992 den Unterschiedsbetrag zwischen Lohngruppe 8 und Lohngruppe 9 in Höhe von insgesamt 4.539,22 DM zuzüglich 4 % Zinsen auf den Nettobetrag ab Klagehängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, die zusätzliche fachliche Fortbildung müsse einer Meisterausbildung gleichwertig sein. Verlangt werde ein gewisses theoretisches allgemeingültiges und formalisiertes Anforderungsprofil, das durch die von den Klägern besuchten Lehrgänge nicht gegeben sei. Es fehle an einer fundierten Weiterbildung, die sich nicht in einer praktischen Einweisung in die nunmehr anfallenden Arbeitsaufgaben erschöpfe. Die von den Klägern vorgenommenen Arbeiten seien keine Inspektions-, sondern Instandhaltungsarbeiten im Sinne der Arbeitsanweisung.

Das Landesarbeitsgericht hat die Verfahren – 4 Sa 5/94 – und – 1 Sa 6/94 – zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden. Das Arbeitsgericht Bremen hat in dem Parallelverfahren – 7 Ca 7501/92 – den Zeugen V… vernommen. Das Landesarbeitsgericht hat diese Akte beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer haben die Parteienvertreter übereinstimmend klargestellt, daß die Arbeitsabläufe an den Arbeitsplätzen der Kläger identisch sind. Sie haben sich mit einer Verwertung der Beweisaufnahme aus der beigezogenen Akte in diesem Rechtsstreit einverstanden erklärt und auf eine erneute Vernehmung des Zeugen V… verzichtet.

Das Arbeitsgericht Bremen hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Bremen hat die Berufungen der Beklagten unter Klarstellung des Tenors zu Ziff. 1 der Entscheidung des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren ursprünglichen Abweisungsantrag weiter. Die Kläger begehren die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Klagen sind zulässig. Es handelt sich bei den jeweiligen Anträgen zu 1) um Eingruppierungsfeststellungsklagen, die innerhalb des öffentlichen Dienstes allgemein üblich sind und gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch für in der Vergangenheit liegende Zeiträume keine Bedenken bestehen (BAG Urteil vom 26. Juli 1995 – 4 AZR 280/94 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, mit weiteren Nachweisen). Dies gilt auch für die Zeit, für die die Kläger eine Leistungsklage erhoben haben. Insoweit sind die Klagen als Inzidentfeststellungsklagen gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig, da aus dem Rechtsverhältnis, dessen Feststellung begehrt wird, noch für die Folgezeit der Anspruch auf eine höhere Eingruppierung erwächst.

Das Feststellungsinteresse der Kläger ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Beklagte privatisiert worden ist, da Eingruppierungsfeststellungsklagen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch außerhalb des öffentlichen Dienstes unbedenklich zulässig sind (BAG Urteile vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 358/92 –, – 4 AZR 382/92 – und – 4 AZR 383/92 – AP Nr. 2, 3 und 4 zu § 12 AVR Caritasverband, jeweils mit weiteren Nachweisen).

II. Die Klagen sind auch begründet.

Entgegen der Auffassung der Revision steht beiden Klägern ein Anspruch auf Entlohnung nach Lohngruppe 9 des § 17 in Verb. mit § 9 der Anlage 2 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955 zu.

1. Auf die Arbeitsverhältnisse der Kläger findet der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955 kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung und somit auch die Anlage 2 (Lohngruppenverzeichnis in der Fassung des Tarifvertrages Nr. 406).

2. Da die Kläger von der Beklagten unstreitig auf Dienstposten für Beamte nach der Besoldungsgruppe A 5/A 6 beschäftigt werden, wären die Kläger nach § 5 Abs. 1 der Anlage 2 des TV Arb zu entlohnen und nach § 6 Abs. 1 der Anlage 2 des TV Arb einzugruppieren, wenn nicht – wie in diesem Fall – die Entlohnung und Eingruppierung nach § 17 nach § 9 (Günstigkeitsvergleich) günstiger ist. Dies gilt auch für den Kläger zu 1), da sich dessen Tätigkeit nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien durch die Versetzung von B… nach Bi… nicht geändert hat.

Demgemäß sind für die Eingruppierung der Kläger folgende Vorschriften der Anlage 2 des TV Arb heranzuziehen:

“§ 9

Günstigkeitsvergleich

Soweit Tätigkeitsmerkmale des Verzeichnisses der Tätigkeitsmerkmale nach § 17 eine günstigere Entlohnung oder Eingruppierung ergeben, sind diese maßgebend.”

§ 17 Lohngruppe 9 Ziff. 1 hat folgenden Wortlaut:

“Handwerker mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in einem einschlägig anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens drei Jahren mit Meisterbrief oder einer zusätzlichen fachlichen Fortbildung, die an betriebswichtigen betriebs- und haustechnischen Einrichtungen mit umfangreichen elektronischen Bauteilen selbständig Inspektionsarbeiten ausführen und bei Störungen und Ausfällen auch schwierige Fehler eingrenzen, Schadensdiagnosen erstellen sowie Fehler und Schäden beseitigen können (z.B. an Förder- und Verteilanlagen mit Zielsteuerung, automatischen Briefverteilanlagen, Einrichtungen zur Informationsverarbeitung, zentralen Meß-, Steuer- und Regelanlagen für Heiz-, Klima-, Belüftungs- und Elekrotechnik).”

3. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, die Kläger erfüllen die Voraussetzungen der Tätigkeitsmerkmale des § 17 Lohngruppe 9 Ziff. 1 der Anlage 2 des TV Arb.

a) Die Kläger sind unstreitig Handwerker mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in einem einschlägig anerkannten Ausbildungsberuf (Elektromechaniker) mit einer Ausbildungsdauer von mindestens drei Jahren (3½ Jahren).

b) Die Kläger haben mit ihrer Teilnahme an den im Tatbestand aufgeführten Schulungen durch die jeweiligen Hersteller der Anlagen auch eine “zusätzliche fachliche Fortbildung” absolviert. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht das Tarifmerkmal “oder einer zusätzlichen fachlichen Fortbildung” dahingehend ausgelegt, daß es sich nicht um eine der Meisterausbildung gleichwertige Fortbildung handeln muß.

Das Landesarbeitsgericht ist dabei von der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Tarifauslegung ausgegangen. Nach dieser hat die Tarifauslegung entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zu erfolgen. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tarifvertraglichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. BAGE 73, 364 = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).

aa) Der Wortlaut des Tarifmerkmals “oder einer zusätzlichen fachlichen Fortbildung” sagt nichts über die Wertigkeit dieser zusätzlichen fachlichen Fortbildung aus. Die fachliche Fortbildung muß nur neben die erfolgreich abgeschlossene Ausbildung treten. Denn zusätzlich heißt “ergänzend hinzukommend” (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, 1984, S. 890). Aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt sich, daß die zusätzliche fachliche Fortbildung die Handwerker in die Lage versetzen muß, die in Ziff. 1 aufgeführten Arbeiten zu erfüllen, wie die Beklagte selbst in ihrem Schreiben vom 18. Juli 1991 ausgeführt hat. Wenn die Tarifvertragsparteien eine der Meisterausbildung zeitlich und qualitativ gleichwertige Ausbildung für die Erfüllung dieses Tätigkeitsmerkmals hätten festlegen wollen, wäre es naheliegend gewesen, dies auch im Tarifvertrag sprachlich niederzulegen. Die Parteien haben aber weder formuliert, daß es um eine “gleichwertige” noch daß es sich um eine “entsprechende” fachliche Fortbildung handeln muß. Aus dem Wortlaut ergeben sich daher keine Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei der zusätzlichen fachlichen Fortbildung um eine entsprechende oder gleichwertige fachliche Fortbildung handeln muß. Denn die Tarifvertragsparteien haben in Ziff. 1 exakt festgelegt, welche weiteren Fähigkeiten und Arbeiten die Eingruppierung in die Lohngruppe 9 rechtfertigen sollen. Daraus läßt sich ableiten, daß die fachliche Fortbildung nur geeignet sein muß, dem Handwerker die selbständige Erledigung der in Ziff. 1 beschriebenen Aufgaben und Arbeiten zu ermöglichen. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß bei alternativen persönlichen Anforderungen an die fachliche Qualifikation innerhalb einer Vergütungsgruppe grundsätzlich von einer Vergleichbarkeit der beiden Merkmale auszugehen ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um einen Ausnahmefall, wie sich aus der Aufzählung der einzelnen Tätigkeiten in der Vergütungsgruppe, für deren Ausführung die genannten alternativen Qualifikationen erforderlich sind, ergibt. Es wäre auch sinnwidrig, eine weitere zweijährige Ausbildung zum Meister zu verlangen, wenn eine kürzere Zeit zur Ausübung der bezeichneten Tätigkeiten ausreicht. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Tarifvertragsparteien nicht, wie in anderen vergleichbaren Fällen, eine “entsprechende” oder “gleichwertige” zusätzliche Ausbildung verlangen (z.B. Teil II Abschn. G VergGr. Vc Fallgruppe 5 – 7 der Anlage 1a zum BAT).

bb) Auch aus einem Vergleich mit der Ziff. 3 der Lohngruppe 9 wird deutlich, daß die zusätzliche fachliche Fortbildung keine darüber hinausgehende fachliche Qualifikation erfordert, die einem Meisterbrief gleichkommt. Wenn dort für die zusätzliche fachliche Fortbildung ausdrücklich eine bestimmte Qualifikation (Qualifikation zum technischen Fachwirt Telekom oder Laufbahnbefähigung BFt) gefordert wird, nicht aber in Ziff. 1, spricht dies im Umkehrschluß dafür, daß die zusätzliche fachliche Fortbildung einem Meisterbrief oder einer entsprechend fundierten fachlichen Fortbildung nicht entsprechen muß, sondern eine anlagenbezogene Fortbildung ausreicht.

cc) Das Abstellen auf eine mit einem Meisterbrief vergleichbare Qualifikation wäre auch aus einem weiteren Grund sinnwidrig. Nach dem Sinn und Zweck der Norm sollen diejenigen Handwerker in die Lohngruppe 9 eingruppiert werden, die an den bestimmten komplizierten Anlagen bestimmte Arbeiten ausführen können und im Zusammenhang damit bestimmte Fähigkeiten aufweisen. Dies kann aber nicht von der formalen Qualifikation eines Meisterbriefes abhängen.

Zu Recht führt das Landesarbeitsgericht auch aus, daß die Interpretation des Begriffs der zusätzlichen fachlichen Fortbildung durch die Tarifvertragspartei der Beklagten selbst ihrer eigenen Rechtsauffassung widerspricht. Denn nach dem Rundschreiben der Generaldirektion der Beklagten vom 18. Juli 1991 umfaßt (im Sinne von “besteht aus”) die zusätzliche fachliche Fortbildung solche speziellen Fortbildungsmaßnahmen, die den Handwerker befähigen, die in dem Tätigkeitsmerkmal aufgeführten Tätigkeiten auch selbständig auszuüben.

dd) Dies entspricht auch der Praktikabilität. Es ist nämlich nicht ersichtlich, anhand welcher sonstigen Kriterien darauf geschlossen werden kann, ob jemand die Voraussetzungen für eine zusätzliche fachliche Fortbildung erfüllt oder nicht. Die Revision hat dies jedenfalls nicht aufzeigen können, so daß auch deshalb der Tarifauslegung des Landesarbeitsgerichts zu folgen ist.

c) Die Kläger führen auch selbständig Inspektionsarbeiten an Förder- und Verteilanlagen mit Zielsteuerung bzw. automatischen Briefverteilanlagen, die als Beispiele für betriebswichtige betriebs- und haustechnische Einrichtungen mit umfangreichen elektronischen Bauteilen in der Klammer aufgeführt sind, aus. Zu Recht führt das Landesarbeitsgericht aus, unter dem Begriff Inspektion, abgeleitet aus dem lateinischen inspectio = das Hineinsehen, Besichtigung, Untersuchung (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl.), werde nach allgemeinem Sprachgebrauch die prüfende Besichtigung, Aufsicht und Überwachung (vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Ausgabe 1992) etwa einer Anlage in dem Sinne verstanden, die Sicherheit und Funktionsfähigkeit einer solchen Anlage regelmäßig zu gewährleisten. In diesem Sinne ist auch der Begriff der Inspektionsarbeiten zu verstehen. Entgegen der Ansicht der Revision steht die von der Beklagten selbst eingereichte Arbeitsanweisung zur Instandhaltung dem nicht entgegen. Soweit dort der Begriff Instandhalten unterteilt wird in Warten, Inspizieren und Instandsetzen, diese Begriffe dann wieder unterteilt werden und zwar der Begriff Warten in die sechs Begriffe Reinigen, Konservieren, Schmieren, Ergänzen, Auswechseln und Nachstellen, der Begriff Inspizieren in die Begriffe technische Prüfung, Funktionsprüfung und Zustandsprüfung unterteilt wird und der Begriff Instandsetzen in Ausbessern und Austauschen untergliedert wird, kann daraus entgegen der Auffassung der Revision nicht gefolgert werden, daß das Landesarbeitsgericht die Tätigkeit der Kläger nicht unter Inspektionsarbeiten, sondern unter Instandhaltungsarbeiten subsumiert hat. Die Beklagte verkennt bereits, daß ihre Arbeitsanweisung keine Definition des Tarifbegriffs Inspektionsarbeiten darstellt und diese auch nicht zu ersetzen vermag.

aa) Nach dem Sinn und Zweck des Tarifmerkmals Inspektionsarbeiten fallen darunter alle Arbeiten, die darauf gerichtetet sind, die Funktionsfähigkeit und Sicherheit der in Ziff. 1 aufgeführten technischen und betriebswichtigen betriebs- und haustechnischen Einrichtungen zu überprüfen und zu gewährleisten. Die Arbeitsanweisung der Beklagten ist daher nur als eine Art verbindlicher Hilfestellung für die Instandsetzungskräfte zu verstehen, wie dieses Ziel im einzelnen unter Beachtung welcher konkreten Tätigkeiten zu erreichen ist. Es kann daher nicht sinnvoll zwischen Warten, Inspizieren und Instandsetzen differenziert werden.

bb) Zu Recht führt das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang aus, daß die Tarifvertragsparteien dann, wenn sie warten und inspizieren getrennt bewertet wissen wollten, sie die Wartungsarbeiten in einer Tarifnorm gesondert aufgeführt hätten, was aber nicht der Fall ist. Daß der Begriff Inspektionsarbeiten auch Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten umfaßt, ergibt sich nicht zuletzt aus der verwerteten Zeugenaussage des Verfahrens – 7 Ca 7501/92 – = – 4 Sa 321/93 – LAG Bremen. In diesem Verfahren hatte der Zeuge V… zwar nicht wörtlich, aber dem Sinn nach bekundet, daß die von der Beklagten in der Arbeitsanweisung beschriebenen Arbeiten ineinander übergehen und er in seinem Vermerk deshalb letztlich nicht zwischen Wartungstätigkeit und Instandsetzung bzw. Inspektionstätigkeit unterschieden habe.

Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, daß es lediglich einen einheitlichen Tätigkeitsbereich gibt, der alle von der Beklagten als Instandhalten im Sinne der Arbeitsanweisung bezeichneten Arbeiten umfaßt, eine Trennung der Aufgaben nicht erfolgt, auch nicht erfolgen kann, wie aufgrund der Aussage des Zeugen V… feststeht, ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

cc) Die dagegen von der Beklagten erhobenen Rügen, die ausschließlich mit einer fehlerhaften Anwendung des § 286 ZPO begründet werden, sind durchweg unbegründet. Aufgrund der sehr freien Stellung der Tatsachengerichte in der Auswahl und Würdigung der Beweismittel ergibt sich nur eine beschränkte Möglichkeit der Überprüfung der Anwendung des § 286 ZPO durch die Revisionsgerichte. Sie beschränkt sich auf die Wahrung der gesetzlichen Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO, so daß das Revisionsgericht lediglich überprüfen kann, ob der gesamte Inhalt der Verhandlung berücksichtigt worden ist, ob die Würdigung aller erhobenen Beweise stattgefunden hat und ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ist (Senatsurteile vom 30. Mai 1984 – 4 AZR 146/82 – AP Nr. 2 zu § 21 MTL II; vom 3. April 1986 – 2 AZR 324/85 – AP Nr. 18 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl., § 75 Rz 19; Zöller/Schneider, ZPO, 19. Aufl., § 550 Rz 13). Im Hinblick auf die beschränkte Überprüfungsmöglichkeit ist die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Soweit die Revision die Würdigung des Landesarbeitsgerichts durch eine eigene Würdigung zu ersetzen versucht, hat sie damit weder eine widersprüchliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts noch einen Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze aufgezeigt. Eine mögliche andere Beweiswürdigung reicht dafür nicht aus.

d) Die Kläger erfüllen auch die weiteren Voraussetzungen der Lohngruppe 9 Ziff. 1 des § 17 der Anlage 2 des TV Arb.

Nach den insoweit bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die Kläger aufgrund der Teilnahme an den fachlichen Schulungsveranstaltungen der Hersteller auch in der Lage, bei Störungen und Ausfällen auch schwierige Fehler an den betriebswichtigen betriebs- und haustechnischen Einrichtungen mit umfangreichen elektronischen Bauteilen einzugrenzen, Schadensdiagnosen zu erstellen sowie Fehler und Schäden zu beseitigen.

Soweit die Revision rügt, daß der Zeuge V… dies nicht bekundet habe, ist dies schon deshalb unerheblich, weil das Landesarbeitsgericht seine diesbezüglichen Ausführungen nicht auf eine Zeugenaussage des Zeugen V… gestützt hat, sondern auf den von ihm festgestellten unstreitigen Sachverhalt, dessen Berichtigung aber von der Beklagten nicht beantragt worden ist.

e) Da die Kläger die Tätigkeitsmerkmale des Verzeichnisses der Tätigkeitsmerkmale nach § 17 der Anlage 2 des TV Arb erfüllen und diese eine günstigere Eingruppierung ergeben, sind diese nach § 9 der Anlage 2 des TV Arb maßgebend, so daß die Kläger nicht nach § 5, sondern nach § 17 Lohngruppe 9 der Anlage 2 des TV Arb zu entlohnen sind.

4. Da die Kläger nach § 17 Lohngruppe 9 der Anlage 2 des TV Arb zu entlohnen sind, haben sie nach § 10 Abs. 1, 2, 3 TV Arb auch Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen Lohngruppe 8 und Lohngruppe 9 für den geltend gemachten Zeitraum vom 1. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1992 nebst der Zinsen ab Rechtshängigkeit. Die Höhe dieser Nachzahlungsansprüche ist zwischen den Parteien unstreitig.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Bott, Schneider, Wiese, E. Wehner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI875303

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