Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortzahlung der Nahauslösung bei Betriebsratstätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Der steuerpflichtige Teil der Nahauslösung gemäß § 7 Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues vom 30. April 1980 gehört bei Betriebsratsmitgliedern zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne des § 37 Abs 2 BetrVG.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG § 13; LFZG § 2 Abs. 3; BetrVG § 37 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.11.1986; Aktenzeichen 16 Sa 1083/86)

ArbG Essen (Entscheidung vom 29.04.1986; Aktenzeichen 6 Ca 222/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der steuerpflichtige Teil der tariflichen Nahauslösung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei der Berechnung der Urlaubsvergütung und bei der Entgeltzahlung für Zeiten der Betriebsratstätigkeit, insbesondere auch für in deren Rahmen angefallene Reisezeiten, zu berücksichtigen ist.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1960 als Montagestammarbeiter beschäftigt. Er ist Mitglied des Betriebsrats in der Niederlassung der Beklagten in E. Für das Arbeitsverhältnis gelten kraft Tarifbindung der Bundes-Tarifvertrag vom 30. April 1980 für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues mit Anmerkungen (BMTV) und jedenfalls kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV-Metall NW). Die hier wesentlichen Tarifvorschriften lauten:

§ 8 Nr. 8 MTV-Metall NW:

"In Fällen unverschuldeter mit Arbeitsunfähigkeit verbundener

Krankheit ... ist der regelmäßige Arbeitsverdienst

... weiterzuzahlen ...

Die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes erfolgt

für Arbeitnehmer gemäß § 15."

§ 12 Nr. 1 MTV-Metall NW:

"Bei der Berechnung der Urlaubsvergütung sind zugrunde

zu legen

a) bei den Arbeitern hinsichtlich der Lohnhöhe 150 %

des regelmäßigen Arbeitsverdienstes (Berechnung

siehe § 15); ..."

§ 15 Nr. 1 MTV-Metall NW:

"In allen Fällen, in denen dieser Tarifvertrag Anspruch

auf Zahlung des "regelmäßigen Arbeitsverdienstes"

regelt, wird für die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes

folgendes zugrunde gelegt:

a) Gewerbliche Arbeitnehmer

Hinsichtlich der Lohnhöhe der durchschnittliche

Stundenverdienst in den letzten drei abgerechneten

Monaten ... (Gesamtverdienst des Arbeitnehmers in

dem betreffenden Zeitraum einschließlich aller Zuschläge,

jedoch ohne einmalige Zuwendungen sowie

Leistungen, die Aufwendungsersatz darstellen, z.B.

Auslösungen, soweit sie nicht Arbeitsentgelt sind,

geteilt durch die Zahl der bezahlten Arbeitsstunden);

..."

§ 7 BMTV:

"Nahmontage

7.1.1 Begriff

Nahmontage ist eine Montage, bei der dem Montagestammarbeiter

die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt

zumutbar ist...

7.3. Nahauslösung

7.3.1 Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die

den Mehraufwand bei auswärtigen Arbeiten abdecken

soll...

Dazu bestimmt Anmerkung 6:

Die Regelung über Nahauslösung trägt dem Umstand Rechnung,

daß die Beschäftigung auf einer außerbetrieblichen Arbeitsstelle

eine längere Abwesenheit des Montagestammarbeiters

von zu Hause erfordert. Die längere Abwesenheit

bedingt Mehraufwendungen während des Erreichens der Montagestelle

und auf der Montagestelle, die pauschal erstattet

werden. Eine Vergütung für den Zeitaufwand erfolgt

nicht.

7.3.11 Soweit und solange Auslösungen zu versteuern

sind, werden sie nach Maßgabe der gesetzlichen

und tariflichen Bestimmungen wie Arbeitsentgelt

behandelt."

Mit der Klage hat der Kläger folgende, der Höhe nach unstreitige Beträge an steuerpflichtiger Nahauslösung verlangt:

a) 119,20 DM brutto (Arbeitsunfähigkeitszeit im

November 1984),

b) 595,92 DM brutto (Urlaubszeiten von Juli 1984 bis

November 1985),

c) 290,20 DM brutto (Betriebsratstätigkeit von Juli

bis Dezember 1985),

d) 919,95 DM brutto (Reisen im Rahmen der Betriebsratstätigkeit

von September 1983 bis

Dezember 1985; davon entfallen auf

das Jahr 1983 304,00 DM brutto).

Die Dienstreisen, für die der Kläger gemäß d) den steuerpflichtigen Teil der Nahauslösung geltend macht, sind zwischen den Parteien nach Beleg abgerechnet worden. Eine pauschale Vergütung hat der Kläger dafür nicht erhalten.

Der Kläger hält die von ihm verlangten Beträge für fortzuzahlendes Arbeitsentgelt und hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.925,27 DM

brutto nebst 4 % Zinsen seit 28. Januar 1986 zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, die Nahauslösung sei kein Arbeitsentgelt, sondern Aufwendungsersatz; dies werde durch ihre pauschale Abgeltung nicht verändert. Die Nahauslösung sei nur zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen von Montagetätigkeiten entsprechende Aufwendungen habe; dies sei während einer Arbeitsunfähigkeit, während des Urlaubs und während der Betriebsratstätigkeit nicht der Fall. Die steuerrechtliche Behandlung sei für den arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff unerheblich. Insbesondere für die Zeit seiner durch die Betriebsratstätigkeit veranlaßten Dienstreisen könne der Kläger keine Nahauslösung verlangen, da sie den Anspruch des Klägers auf Erstattung seiner dafür gemachten Aufwendungen bereits nach ihrer Dienstreiseordnung erfüllt habe. Wäre eine Dienstreise als Montagefahrt anzusehen, so erhielte der Kläger zweifachen Aufwendungssatz.

Das Arbeitsgericht hat die Forderungen des Klägers zu a) bis c) für berechtigt gehalten und die Beklagte dementsprechend zur Zahlung von 1.005,32 DM brutto nebst Zinsen verurteilt. Die Klageforderung hinsichtlich der Dienstreisen (919,95 DM brutto) hat es mit der Begründung abgewiesen, der Kläger könne keinen doppelten Aufwendungsersatz verlangen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Beklagte auf die Berufung des Klägers hin verurteilt, an den Kläger weitere 919,95 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat der Kläger seine Klage in Höhe von 304,-- DM brutto nebst Zinsen (Dienstreisen des Klägers im Jahre 1983) mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen und erklärt, Zinsen nur aus dem sich aus den geltend gemachten Beträgen ergebenden Nettobetrag zu verlangen. Im übrigen beantragt der Kläger die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Denn in ihrer noch rechtshängigen Höhe von 1.621,27 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 28. Januar 1986 ist die Klageforderung berechtigt.

I. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ergibt sich der Anspruch auf Zahlung des steuerpflichtigen Teils der Nahauslösung (119,20 DM brutto) aus § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 3 LohnFG in Verbindung mit den einschlägigen tariflichen Vorschriften. Soweit die Tarifvertragsparteien die Höhe der dem Arbeitnehmer im Krankheitsfalle fortzuzahlenden Bezüge selbst geregelt haben, wozu sie aufgrund der Tariföffnungsklausel des § 2 Abs. 3 LohnFG berechtigt sind, kommt es nur auf diese Regelung an.

Gerade die auch für den Entscheidungsfall einschlägigen Tarifvorschriften (§ 8 Nr. 8, § 15 Nr. 1 Buchstabe a MTV-Metall NW, § 7 BMTV) hat der für den Bereich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle zuständige Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 14. August 1985 (- 5 AZR 76/85 - AP Nr. 14 zu § 2 LohnFG) dahin ausgelegt, daß die Tarifvertragsparteien den steuerpflichtigen Teil der Nahauslösung als Bestandteil des bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlenden Arbeitsentgelts bestimmt haben. Dieser rechtlichen Würdigung schließt sich der erkennende Senat an, zumal sich im vorliegenden Rechtsstreit insoweit keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben.

II. Entsprechendes gilt für die Frage der Einbeziehung des steuerpflichtigen Teils der Nahauslösung in die Berechnung der Urlaubsvergütung des Klägers (595,92 DM brutto). Aufgrund der Tariföffnungsklausel des § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG dürfen die Tarifvertragsparteien (jedenfalls bei Beachtung des sogenannten Lebensstandardprinzips; vgl. dazu z.B. BAG Urteil vom 8. Oktober 1981 - 6 AZR 296/79 - AP Nr. 3 zu § 47 BAT) den Umfang der dem Arbeitnehmer während seines Urlaubs zustehenden Zahlungen selbst festlegen mit der Folge, daß es dann nur auf die tarifliche Regelung und nicht auf den Begriff des "Arbeitsverdienstes" im Sinne des § 11 BUrlG ankommt. Die im Entscheidungsfall einschlägigen Tarifvorschriften (§ 12 Nr. 1 Buchstabe a, § 15 Nr. 1 Buchstabe a MTV-Metall NW und § 7 BMTV) hat der für das Urlaubsrecht zuständige Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 10. März 1987 (- 8 AZR 494/84 - n.v.) dahin ausgelegt, daß Nahauslösungen zum während des Urlaubs fortzuzahlenden Arbeitsentgelt gehören, soweit sie versteuert werden müssen. Auch insoweit gibt der vorliegende Rechtsstreit dem erkennenden Senat keine Veranlassung, die genannten Tarifvorschriften abweichend auszulegen.

III. Begründet ist auch der Anspruch des Klägers auf Fortzahlung des steuerpflichtigen Teils der Nahauslösung für die Zeit seiner Betriebsratstätigkeit (290,20 DM brutto). Er folgt, wie das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, aus dem Verbot des § 37 Abs. 2 BetrVG, das Arbeitsentgelt infolge der Arbeitsbefreiung des Betriebsratsmitglieds zu mindern. Zum Arbeitsentgelt im Sinne dieser Vorschrift gehört der steuerpflichtige Teil der gemäß § 7.3.1 BMTV pauschal, d.h. unabhängig von der Höhe der im Einzelfall tatsächlich entstehenden Aufwendungen, zu zahlenden Nahauslösung.

Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Frage, welche Bezüge des Arbeitnehmers für Zeiten seiner Betriebsratstätigkeit fortzuzahlen sind, im Gegensatz zu den oben behandelten Fragen des Krankenlohns und der Urlaubsvergütung nicht durch Auslegung tariflicher Vorschriften, sondern allein nach § 37 Abs. 2 BetrVG beantwortet. Denn wegen des Fehlens einer Tariföffnungsklausel in § 37 Abs. 2 BetrVG und wegen des Benachteiligungs- und Begünstigungsverbots des § 78 Satz 2 BetrVG können die Tarifvertragsparteien nicht regeln, ob bestimmte, im Tarifvertrag für den Fall der Arbeitsleistung vorgesehene Zahlungen des Arbeitgebers Arbeitsentgelt im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG sind und deshalb auch während der Arbeitsfreistellung eines Betriebsratsmitglieds zu erbringen sind. Maßgeblich ist mithin, ob die hier umstrittene tarifliche Nahauslösung sich der Sache nach als echter Aufwendungsersatz darstellt. Dagegen ist es unerheblich, wie die Tarifvertragsparteien die Nahauslösung deklarieren, so daß dem Umstand, daß die Tarifvertragsparteien die Nahauslösung als Pauschalerstattung eines Mehraufwands betrachten (§ 7.3.1 BMTV mit Anm. 6) und den steuerpflichtigen Teil lediglich wie Arbeitsentgelt behandelt wissen wollen (§ 7.3.11 BMTV), im vorliegenden Falle keine unmittelbare rechtliche Bedeutung zukommt.

Ist die tarifliche Nahauslösung echter Aufwendungsersatz, dann ist sie keine Gegenleistung für arbeitsvertraglich zu erbringende Dienste und gehört damit auch nicht zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG. Die Nahauslösung ist jedoch jedenfalls in ihrem steuerpflichtigen Teil kein Ersatz von Mehraufwendungen, die dem Arbeitnehmer bei Nahmontagearbeiten zwangsläufig oder doch wenigstens gewöhnlich entstehen.

Der tarifliche Anspruch auf die Nahauslösung hängt nicht davon ab, ob und in welchem Umfange dem Montagestammarbeiter Aufwendungen, die durch die Nahauslösung abgegolten werden sollen, tatsächlich entstanden sind. Es handelt sich um eine Pauschalleistung (§ 7.3.1 BMTV). Anspruchsvoraussetzung ist allein, daß der Montagestammarbeiter auswärtige Montagearbeiten verrichtet, bei denen ihm die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt zumutbar ist (§ 7.1.1 BMTV). Die Höhe der Nahauslösung richtet sich nach tariflich festgelegten Zeitzonen (§ 7.3.2 BMTV) oder Entfernungszonen (§ 7.3.5 BMTV) und nicht nach der Höhe tatsächlicher Aufwendungen.

TEXTEs kann auch nicht gesagt werden, daß Nahmontagearbeiten für den Montagestammarbeiter bei normaler Lebensführung in aller Regel Aufwendungen in Höhe der tariflichen Nahauslösung mit sich bringen. Zwar wollten die Tarifvertragsparteien - wie es in der Anmerkung 6 zu § 7.3.1 BMTV heißt - mit der Regelung über Nahauslösung dem Umstand Rechnung tragen, daß die Beschäftigung auf einer außerbetrieblichen Arbeitsstelle eine längere Abwesenheit des Montagestammarbeiters von zu Hause erfordert, die Mehraufwendungen während des Erreichens der Montagestelle und auf der Montagestelle bedinge; diese Mehraufwendungen sollen durch die Nahauslösung pauschal erstattet werden. Damit stellen die Tarifvertragsparteien jedoch auf Aufwendungen ab, die zwar entstehen können, die aber nicht tatsächlich entstehen müssen. Es kann Fälle geben, in denen die Nahauslösung zum Ersatz echter Aufwendungen dient, aber auch Fälle, in denen die Möglichkeit naheliegt, daß sie nicht für Mehraufwendungen ausgegeben, sondern zur Verbesserung des Lebensstandards verwendet wird und damit als Arbeitsentgelt zu behandeln ist (BAG Urteil vom 24. September 1986 - 4 AZR 543/85 - AP Nr. 50 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG Urteil vom 8. November 1962 - 1 AZR 109/62 - AP Nr. 15 zu § 2 ArbKrankhG). Das zeigt schon ein Blick auf die für die Höhe der Nahauslösung maßgeblichen tariflichen Zeitzonen (§ 7.3.2 BMTV) und Entfernungszonen (§ 7.3.5 BMTV). Danach wird Nahauslösung in der ersten Zeitzone bereits bei einem Zeitaufwand mit öffentlichen Verkehrsmitteln für Hin- und Rückweg von bis zu einer Stunde und in der ersten Entfernungszone bereits bei einer Entfernung von 0 bis 5 km zwischen dem betrieblich festgelegten Ausgangspunkt und der Montagestelle gezahlt. In diesen Fällen geht die Wegezeit nicht über das auch sonst im Arbeitsleben übliche Maß hinaus, so daß dadurch Mehraufwendungen gar nicht entstehen können (vgl. BAG Urteil vom 24. September 1986 - 4 AZR 523/85 - aaO). Aber auch bei den Zeit- und Entfernungszonen 2 bis 6 müssen durch die längere Abwesenheit von zu Hause keine Mehraufwendungen entstehen. In Frage kämen hier nur Mehraufwendungen für Verpflegung. Da der Montagestammarbeiter bei der Nahmontage täglich nach Hause zurückkehrt, kann er Frühstück und Abendessen zu Hause einnehmen. Ob er seine übrige Verpflegung von zu Hause mitbringt oder ob er sie unterwegs kauft und dadurch Mehrausgaben verursacht, liegt in seinem Belieben. Er kann, ohne sich in seiner Lebensführung besonderen Einschränkungen zu unterwerfen, Mehraufwendungen wegen der längeren Abwesenheit von zu Hause vermeiden und die Nahauslösung zur Erhöhung seines Lebensstandards verwenden. Das gilt jedenfalls für den zu versteuernden Teil der Nahauslösung, über den hier allein zu befinden ist. Nahauslösungen sind als dienstlich veranlaßte Mehraufwendungen für Verpflegung bis zu arbeitstäglich 3,-- DM steuerfrei, sofern die tägliche Abwesenheit des Arbeitnehmers von seiner Wohnung über 12 Stunden hinausgeht; bei ständig wechselnden Einsatzstellen und mehr als 10stündiger Abwesenheit von der Wohnung sind arbeitstäglich 5,-- DM steuerfrei (Lohnsteuerrichtlinien Abschnitt 8 in Verbindung mit Abschnitt 22). Mit dieser Regelung wird der Erfahrungstatsache Rechnung getragen, daß ein Arbeitnehmer, der ungewöhnlich lange von seiner Wohnung abwesend ist, typischerweise auf den Bezug von Stärkungs- und Erfrischungsmitteln oder auf die Einnahme einer zusätzlichen Mahlzeit angewiesen ist und ihm dadurch Ausgaben entstehen, die er nicht haben würde, wenn er wie die Mehrzahl der Arbeitnehmer täglich früher nach Hause kommen könnte. Bei ständig wechselnden Einsatzstellen können die Arbeitnehmer sich nicht so gut wie andere Arbeitnehmer auf preisgünstigere Möglichkeiten der Essenseinnahme einstellen und haben deshalb typischerweise einen beruflich veranlaßten Mehraufwand (vgl. BFH Urteil vom 30. März 1979 - VI R 123/76 - BStBl. II 1979, 498 ff.).

Soweit die Nahauslösung über diesen steuerlich anerkannten Verpflegungsmehraufwand hinausgeht, steht die Verwendung dieser Arbeitgeberleistung im freien Belieben des Arbeitnehmers; er ist nicht wegen seiner Nahmontagetätigkeit darauf angewiesen, entsprechende Mehraufwendungen zu machen. Steht dem Arbeitnehmer aber der steuerpflichtige Teil der Nahauslösung in der genannten Weise zur beliebigen Verwendung zur Verfügung, dann ist er seinem Wesen nach zusätzliches Arbeitsentgelt, das nicht wegen einer Betriebsratstätigkeit gemindert werden darf.

Diese Beurteilung entspricht der gesetzlichen Wertung in § 2 Abs. 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes, das ebenfalls auf dem Lohnausfallprinzip beruht. Nach dieser Vorschrift sind vom fortzuzahlenden Arbeitsentgelt Auslösungen nur ausgenommen, soweit der Anspruch auf sie im Falle der Arbeitsfähigkeit davon abhängig ist, ob und in welchem Umfange dem Arbeiter Aufwendungen, die durch diese Leistungen abgegolten werden sollen, tatsächlich entstanden sind. Alle anderen Auslösungen werden dem Arbeitsentgelt zugerechnet.

IV. Nach diesen Grundsätzen steht dem Kläger der steuerpflichtige Teil der Nahauslösung auch für die Zeit seiner Betriebsratsreisen in den Jahren 1984 und 1985 zu (615,95 DM brutto).

Auch Reisetätigkeit in Betriebsratsangelegenheiten ist Betriebsratstätigkeit; auch sie darf daher - soweit sie, wie hier unstreitig, erforderlich ist - nicht zu einer Minderung des Arbeitsentgelts im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG führen. Da der Kläger, hätte er die Reisen nicht unternommen, auf Nahmontage gewesen wäre und daher einen Anspruch auch auf Zahlung des steuerpflichtigen Teils der Nahauslösung gehabt hätte, ohne auch in Höhe dieses Teils Aufwendungen machen zu müssen, ist ihm die Nahauslösung als Arbeitsentgelt auch während der genannten Reisetätigkeit zu zahlen. Der Einwand der Beklagten, der Kläger, der seine Reisekosten bereits nach den Spesenrichtlinien der Beklagten aufgrund Einzelnachweises erstattet erhalten hatte, dürfe für dieselben Aufwendungen keinen doppelten Ersatz erhalten, greift nicht durch, weil der steuerpflichtige Teil der Nahauslösung der Sache nach eben kein Aufwendungsersatz, sondern Arbeitsentgelt ist.

V. Die Klarstellung, daß sich der Zinsanspruch nur auf die sich ergebenden Nettobeträge bezieht, beruht auf § 308 ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2, § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Seidensticker Richter Schliemann Dr. Steckhan

ist im Urlaub

Dr. Seidensticker

Nehring Bea

 

Fundstellen

Haufe-Index 441249

BAGE 58, 1-9 (LT1)

BAGE, 1

DB 1988, 2006-2007 (T)

DB 1988, 2367-2367 (T)

AiB 1988, 310-310 (LT1)

DOK 1989, 227 (K)

EEK, I/939 (ST1-2)

NZA 1989, 112-114 (LT1)

RdA 1988, 379

USK, 8853 (KT)

WzS 1989, 94 (K)

AP § 37 BetrVG 1972 (LT1), Nr 64

AR-Blattei, Auswärtszulage (Auslösung) Entsch 11 (LT1)

AR-Blattei, Betriebsverfassung VIII Entsch 18 (LT1)

AR-Blattei, ES 360 Nr 11 (LT1)

AR-Blattei, ES 530.8 Nr 18 (LT1)

EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 91 (LT1)

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