Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegezulage nach Anlage 1 b zum BAT. halbgeschlossene Abteilung

 

Normenkette

BAT § 33; BAT Anlage 1b Abschn. A Protokollerklärung Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 30.05.1994; Aktenzeichen 3 Sa 1144/92)

ArbG Hannover (Urteil vom 01.06.1992; Aktenzeichen 3 Ca 355/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. Mai 1994 – 3 Sa 1144/92 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 01. Juni 1992 – 3 Ca 355/91 – wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung und der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer tariflichen Pflegezulage.

Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 1980 als Kinderkrankenschwester bei der Beklagten beschäftigt. Sie arbeitet im Kinderkrankenhaus A. auf einer psychiatrischen Station.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.

Die Station 15 im Kinderkrankenhaus A., in der die Klägerin eingesetzt ist, ist eine psychiatrische Station für Kinder; sie ist täglich von 12.00 bis 14.00 Uhr und von 19.00 bis 9.00 Uhr verschlossen.

Die Klägerin verlangt rückwirkend für die Zeit vom 1. Oktober 1989 bis zum 31. Dezember 1991 die Zulage nach Abs. 1 Buchst. b der Protokollerklärung Nr. 1 des Abschnitts A der Anlage 1 b zum BAT; die Protokollerklärung hat folgenden Wortlaut:

„Nr. 1 (1)

Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr. I bis Kr. VII, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei

  1. an schweren Infektionskrankheiten erkrankten Patienten (z.B. Tuberkulose-Patienten), die wegen der Ansteckungsgefahr in besonderen Infektionsabteilungen oder Infektionsstationen untergebracht sind,
  2. Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Open-door-system) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen,
  3. Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen,
  4. gelähmten oder an multipler Sklerose erkrankten Patienten,
  5. Patienten nach Transplantationen innerer Organe oder von Knochenmark,
  6. an AIDS (Vollbild) erkrankten Patienten,
  7. Patienten bei denen Chemotherapien durchgeführt oder die mit Strahlen oder mit inkorporierten radioaktiven Stoffen behandelt werden,

ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,– DM.

(1a)

…”

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 27. Juni 1990 die Zahlung der Pflegezulage abgelehnt mit der Begründung, die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie sei eine offene Einrichtung.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie arbeite auf einer halbgeschlossenen psychiatrischen Station im Sinne der Protokollerklärung. Außerhalb der festen Schließungszeiten der psychiatrischen Abteilung dürften die minderjährigen Patienten die Station nur mit Zustimmung einer verantwortlichen Pflegeperson verlassen. Außerdem sei es üblich, daß sich Besucher vor einer Entfernung von der Station mit den Kindern beim zuständigen Pflegepersonal abzumelden haben.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.430,00 DM nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an sie über den Dezember 1991 hinaus eine monatliche Zulage von 90,00 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie meint, es liege keine halbgeschlossene Station vor. Die Patienten könnten auch außerhalb der Zeiten, in denen die Stationstüren üblicherweise verschlossen seien, jederzeit die Station verlassen, auch ohne die Zustimmung des Pflegepersonals einholen zu müssen. Eine Kontrolle an den Stationstüren finde nicht statt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Stationsschwester Ulrike K. und des Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. C. S. stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die geltend gemachte Pflegezulage nicht zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner klagestattgebenden Entscheidung ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Zahlung der Zulage nach Abs. 1 Buchst. b der Protokollerklärung Nr. 1 des Abschn. A der Anl. 1 b zum BAT, weil sie zeitlich überwiegend die Pflege bei Kranken in einer halbgeschlossenen psychiatrischen Station ausübe. Die tariflichen Ausschlußfristen seien gewahrt. Bei der Station, in der die Klägerin tätig sei, handele es sich um eine Station mit kontrolliertem Zugang, die dem Typus einer halbgeschlossenen Station entspreche. Auch außerhalb der festen Schließungszeiten der Station von 19.00 Uhr bis 9.00 Uhr morgens and von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr mittags bestehe ein kontrollierter Zugang. Aus den Zeugenaussagen folge, daß es sich zwar nicht um eine völlig geschlossene Station handele, aber eben auch nicht um eine offene. Auch wenn die Stationstüren nicht verschlossen seien, seien sie nur kontrolliert durchlässig. Dem stehe nicht entgegen, daß sich die Patienten und Besucher nicht vollständig an die gegebenen Regeln zur An- und Abmeldung hielten.

Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.

II. Die Klägerin kann die Zahlung der tariflichen Pflegezulage für ihre Tätigkeit auf der psychiatrischen Abteilung, Station 15, im Kinderkrankenhaus A. nicht verlangen; die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt.

1. Nach Abs. 1 Buchst. b der Protokollerklärung Nr. 1 des Abschn. A der Anl. 1 b zum BAT wird die sog. Pflegezulage bezahlt, wenn die Pflegeperson ihre Pflegetätigkeit bei Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Open-door-system) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen ausübt.

Die Klägerin ist nicht in einer geschlossenen Abteilung tätig; insoweit bestehen zwischen den Parteien auch keine Meinungsverschiedenheiten.

2. Die Klägerin ist auch nicht in einer halbgeschlossenen psychiatrischen Abteilung oder Station eingesetzt.

a) Eine halbgeschlossene Abteilung oder Station liegt vor, wenn die Schlüsselgewalt ausschließlich dem Pflegepersonal zusteht, der einzelne Patient jedoch mit Zustimmung einer verantwortlichen Pflegeperson die Station verlassen darf (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Teil II VergO BL, Stand Februar 1995, Anm. 437 II c zu Protokollerklärung Nr. 1; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT, Stand 1. September 1995, Erl. 85 zu Anl. 1 b – Psychiatrie).

Ob eine geschlossene oder halbgeschlossene Abteilung oder Station vorliegt, ist im wesentlichen im Hinblick auf die dort betreuten Patienten zu beurteilen. Die von psychisch kranken Menschen ausgehende Gefahr für sich selbst, für andere Patienten und für das Pflegepersonal muß es erforderlich machen, die Station in gewissem Umfang geschlossen zu halten, um so eine ständige Übersicht über den Aufenthalt der Patienten und die Anwesenheit von Personen zu haben, die durch die Patienten gefährdet werden können. Der Abgeltung der durch diese besonderen Gegebenheiten bedingten Erschwernisse der Arbeit dient die Erschwerniszulage.

b) Die Station, auf der die Klägerin arbeitet, ist in diesem Sinne weder geschlossen noch halbgeschlossen. Auch ohne ständige und strikte Kontrolle können Patienten die Station verlassen und Dritte die Station betreten und diese – auch zusammen mit Patienten – wieder verlassen.

Das folgt aus dem Ergebnis der vom Landesarbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme. Die Stationsschwester Ulrike K hat ausgesagt, daß die Kinder die Möglichkeit haben, zum Telefonieren oder in die Cafeteria zu gehen. Zur Anmeldepflicht von Besuchern hat die Zeugin erklärt, es wäre ihr „lieb” und sie „fände es gut”, wenn sich die Besucher anmelden würden. Auch die Aussage der Zeugin, „wenn ich ein Kind nicht mehr sehe, dann gucke ich schon mal nach in der Caféteria”, zeigt, daß die Patienten die Station auch ohne Zustimmung einer verantwortlichen Pflegeperson verlassen können.

Auch die Aussage des Zeugen Dr. C. S. spricht gegen die Annahme einer „halbgeschlossenen Abteilung oder Station”. Danach gehen viele Besucher, obwohl eine Anmeldung gewünscht ist, direkt zu den Kindern. Ob dies der Fall ist, und ob die Besucher sich beim Verlassen der Station mit den Kindern abmelden, wird nach der Aussage des Zeugen Dr. S. nicht kontrolliert.

c) Daß die Station während der Nacht- und Mittagszeit im Hinblick auf einen geordneten Ablauf der Arbeit auf der Station abgeschlossen ist, ändert an diesem Befund nichts. Es verstößt daher gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze, wenn das Landesarbeitsgericht die Zeugenaussagen dahin gewürdigt hat, daß die Klägerin auf einer Station mit „kontrolliertem Zugang” arbeitet. Der Senat ist daher an diese Würdigung nicht gebunden (BAG Urteil vom 30. Mai 1984 – 4 AZR 146/82 – AP Nr. 2 zu § 21 MTL II; Urteil vom 3. April 1986 – 2 AZR 324/85 – AP Nr. 18 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

3. Da die Klägerin nach allem nicht auf einer halbgeschlossenen Abteilung bzw. Station arbeitet, hat sie keinen Anspruch auf die Pflegezulage nach Abs. 1 Buchst. b der Protokollerklärung Nr. 1 des Abschn. A der Anl. 1 b zum BAT. Darauf, ob sie ihren Anspruch rechtzeitig geltend gemacht hat, kommt es damit nicht mehr an.

Das Arbeitsgericht hat damit die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil war daher zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 und § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Böck, Thiel, Tirre

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1086580

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