Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Freischichtenanspruch in der Papierindustrie

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zum Senatsurteil vom 5. September 1995 (– 3 AZR 216/95 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen)

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 24.08.1994; Aktenzeichen 14 Sa 310/94)

ArbG Herford (Urteil vom 21.12.1993; Aktenzeichen 3 Ca 636/93)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. August 1994 – 14 Sa 310/94 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die tarifgebundenen Parteien streiten darum, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf eine Freischicht nach § 2 b des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Fassung vom 1. Juli 1991 (im folgenden MTV) erworben wird.

In dieser Vorschrift heißt es:

  1. „Arbeitnehmer, die ständig in gleichmäßig verteilter Wechselschicht arbeiten oder ständig Nachtarbeit leisten, erhalten ab 01.01.1992 für jeweils 12, ab 01.01.1993 für jeweils 6 Kalendermonate erbrachter Arbeitsleistung eine Freischicht. Für die Freischichten wird der Arbeitsverdienst fortgezahlt.
  2. Der nach Ziffer 1 fortzuzahlende Arbeitsverdienst errechnet sich entsprechend § 15 III Ziffer 1.

    Die Ansprüche auf Freischichten gemäß Ziffer 1 sind grundsätzlich im Zeitraum ihres Entstehens zu gewähren. Bei der Inanspruchnahme ist auf betriebliche Belange Rücksicht zu nehmen. In Übereinstimmung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die jährlichen Ansprüche auch zusammenhängend gewährt werden. In diesem Fall ist der Zeitpunkt der Inanspruchnahme 6 Monate vorher anzumelden. Eine Abgeltung der Ansprüche ist unzulässig.”

Im Anhang F zum MTV haben die Tarifvertragsparteien die folgende Protokollnotiz zu § 2 b (Freischichten) vereinbart:

  1. „Der Anspruch auf Freischichten besteht auch bei Teilzeitbeschäftigten, soweit sie die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 b Ziffer 1 erfüllen. Freischichten wegen Nachtarbeit werden jedoch nur dann gewährt, wenn mindestens täglich vier Stunden in den Zeitraum der zuschlagspflichtigen Nachtarbeitszeit gemäß § 3 Ziffer 4 fallen.

    Teilzeitbeschäftigte, welche nicht an allen wöchentlichen Arbeitstagen beschäftigt werden, nehmen nur dann an der Freischichtenregelung teil, wenn sie mindestens an vier Tagen pro Woche arbeiten und dabei mindestens die Hälfte der tariflichen Wochenarbeitszeit erbringen.

  2. Der Anspruch auf Freischichten entsteht auch dann, wenn aus betrieblichen Gründen innerhalb des Bemessungszeitraums in mindestens 22 Wochen pro 6-Monats-Zeitraum in Wechselschicht oder Nachtarbeit gearbeitet worden ist.
  3. Der Begriff der „gleichmäßig verteilten” Wechselschicht erfordert, daß der Anteil der Spät- oder Nachtschichten im Bemessungszeitraum mindestens ein Drittel der Gesamtschichtzeit betragen muß.
  4. Als Wechselschicht im Sinne von § 2 b Ziffer 1 gelten auch versetzte Arbeitszeiten, bei denen die Zeitversetzung hinsichtlich des Arbeitsbeginns mindestens sechs Stunden beträgt.

    Dabei ist es weder erforderlich, daß eine Ablösung auf dem gleichen Arbeitsplatz stattfindet, noch daß die Wechselschichten nach festen Plänen durchgeführt werden.

  5. Nachtarbeit im Sinne von § 2 b Ziffer 1 ist gegeben, wenn die tägliche Arbeitszeit mindestens zur Hälfte in den gemäß § 3 Ziffer 4 bestimmten zuschlagspflichtigen Zeitraum fällt.

    „Ständige Nachtarbeit” liegt vor, wenn im Bemessungszeitraum mindestens 85 % der gesamten Arbeitszeit des Arbeitnehmers Nachtarbeit im Sinne von Absatz 1 ist.

  6. Bei der Berechnung des Bemessungszeitraumes wird der Monat des Beginns des Arbeitsverhältnisses als voller Kalendermonat gerechnet, wenn der Arbeitnehmer an mehr als der Hälfte der Arbeitstage dieses Kalendermonats im gleichen Betrieb gearbeitet hat. Bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muß der Bemessungszeitraum jedoch voll erfüllt werden, d.h. eine Aufrundung findet nicht statt.
  7. Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen wird nicht gemindert durch Zeiten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sowie Kuraufenthalt des Arbeitnehmers, für welche ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht; weiterhin nicht durch Zeiten bezahlten Urlaubs sowie sonstiger in der Person liegender Arbeitsverhinderungen im Sinne von § 10.

    Gleichgestellt sind Freistellungszeiten gemäß § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG; die Freischichtengewährung erfolgt auch an freigestellte Betriebsräte, welche bei Nichtfreistellung die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen würden.

    Die Entstehung des Freischichtenanspruchs wird bei Schwangeren nicht dadurch verhindert, daß sie infolge des Mutterschutzes von einer bis dahin geleisteten Wechselschicht oder Nachtarbeit befreit werden.

    In der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe, aus denen heraus er an einzelnen Tagen die Arbeit nicht erbringt, sind abgesehen von den vorstehenden Absätzen, für die Entstehung des Freischichtenanspruchs unschädlich, wenn sie den Umfang von vier Arbeitstagen im Bemessungszeitraum nicht übersteigen.

  8. Ein Rechtsanspruch auf Gewährung der Freischichten entsteht nach Erfüllung der in § 2 b Ziffer 1 genannten Voraussetzungen im Einzelfall. Eine Quotelung des Anspruchs findet nicht statt.”

Die Klägerin ist seit dem 15. Januar 1982 bei der Beklagten, als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Sie arbeitete während des Jahres 1992 im regelmäßigen Wechsel in der Früh- und Spätschicht, war aber über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt. An 26 Krankheitstagen, nämlich vom 30. März bis zum 4. Mai 1992, mußte die Beklagte keine Lohnfortzahlung leisten.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe für das Jahr 1992 Anspruch auf eine Freischicht nach § 2 b MTV. Voraussetzung für diesen Anspruch sei nur, daß sie mindestens an 77 Arbeitstagen in Nacht- oder Spätschicht gearbeitet habe. Diese Voraussetzung erfülle sie. Auf die Krankheitstage ohne Lohnfortzahlung komme es nicht mehr an, wenn sie nur im übrigen die erforderliche Arbeitszeit in Spät- oder Nachschicht gearbeitet habe. Nur in diesem Zusammenhang seien die in Nr. 7 Abs. 4 der Protokollnotiz genannten Fehlzeiten zu berücksichtigen. Die Mindestarbeitszeit von 77 Arbeitstagen in Spät- oder Nachtschicht ergebe sich, wenn man zunächst von den 52 Arbeitswochen pro Jahr den Tarifurlaub von sechs Wochen abziehe. An einem Drittel der verbleibenden 46 Arbeitswochen, also 15,33 Wochen oder 77 Arbeitstagen, müsse dann nach der Protokollnotiz Nr. 3 in Spät- oder Nachtschicht gearbeitet worden sein, damit der Anspruch auf eine Freischicht erworben werde.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr für das Jahr 1992 eine bezahlte Freischicht zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Freischichtenanspruch der Klägerin stehe jedenfalls die Protokollnotiz Nr. 7 entgegen. Dort seien abschließend diejenigen Fehlzeiten genannt, die für den Freischichtenanspruch unschädlich sein sollten. Alle übrigen Fehlzeiten schlössen die Entstehung des Anspruchs aus. Hierzu zähle auch die unbezahlte krankheitsbedingte Fehlzeit der Klägerin von mehr als vier Arbeitstagen.

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprochen und die Berufung gegen sein Urteil zugelassen. Auf die Berufung hat das Landesarbeitsgericht das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision strebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

A. Die Klage ist zulässig. Der Leistungsantrag der Klägerin ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Klägerin muß braucht nicht im Antrag anzugeben, an welchem Tag der Arbeitgeber die bezahlte Freischicht nach § 2 b Abs. 2 MTV gewähren soll. Nach dieser Vorschrift ist es Sache des Arbeitgebers, den Zeitpunkt der Freischicht in Abstimmung mit dem Arbeitnehmer festzulegen.

B. Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 2 b Abs. 1 MTV auf eine bezahlte Freischicht für zwölf Kalendermonate erbrachte Arbeitsleistung im Jahre 1992.

I. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 2 b Abs. 1 MTV. Nach dieser Bestimmung muß ein Arbeitnehmer nicht nur, wie die Klägerin meint, eine Voraussetzung, die Ableistung einer bestimmten Zahl von Spät- oder Nachtschichten im Bezugszeitraum, sondern zwei Voraussetzungen erfüllen, für welche die Protokollnotiz der Anlage F zum MTV nähere Bestimmungen trifft: Der Arbeitnehmer muß während des Bezugszeitraums ständig in gleichmäßig verteilter Wechselschicht gearbeitet haben und darüber hinaus grundsätzlich während des gesamten Bezugszeitraums, im Jahre 1992 also während zwölf Kalendermonaten, Arbeitsleistung erbracht, also tatsächlich gearbeitet haben.

1. Der Wortlaut von § 2 b Abs. 1 MTV und der formgerecht (§ 1 Abs. 2 TVG) als Ergänzungsnorm hierzu vereinbarten Protokollnotiz spricht dafür, daß es für den Freischichtenanspruch nicht nur auf den in Nr. 3 der Protokollnotiz genannten Anteil an Spät- oder Nachtschichten ankommt, sondern auch auf die Jahresarbeitsleistung insgesamt.

a) § 2 b Abs. 1 MTV bestimmt zunächst seinen persönlichen Geltungsbereich. Er berechtigt Arbeitnehmer, die ständig in gleichmäßig verteilter Wechselschicht arbeiten oder ständig Nachtarbeit leisten. Danach legt er fest, wofür diese Arbeitnehmer die in Aussicht gestellte Gegenleistung, die bezahlte Freischicht, erhalten. Der Tarifvertrag bestimmt nicht lediglich einen Bemessungszeitraum, indem er etwa anordnet, daß ein entsprechender Arbeitnehmer im Jahre 1992 nach zwölf Monaten eine bezahlte Freischicht erhält. Er nennt vielmehr die Leistung, für die der Arbeitnehmer die Gegenleistung erhalten soll: Zwölf Kalendermonate erbrachte Arbeitsleistung. Dabei machen die Tarifvertragsparteien durch die Verwendung des Wortes „erbrachte” Arbeitsleistung deutlich, daß es auf die tatsächliche Arbeitsleistung während zwölf Kalendermonaten insgesamt ankommen soll, nicht darauf, daß während Spät- oder Nachtschichten gearbeitet wurde. Dies steht auch in Übereinstimmung damit, daß es um eine zusätzliche Leistung für Wechselschichtarbeiter geht. Die besondere Belastung für solche Arbeiter liegt weniger darin, daß sie zu atypischen Zeiten arbeiten müssen als vielmehr darin, daß die Einsatzzeiten dauernd wechseln. Der Arbeitnehmer hat unter diesen Umständen nur sehr schwer die Möglichkeit, sich auf einen bestimmten Belastungs- und Ruherhythmus einzustellen.

b) Ein entsprechender Regelungsinhalt ergibt sich aus Nr. 7 Abs. 4 der Protokollnotiz. Nach dieser Bestimmung ist es anspruchsunschädlich, wenn die Arbeit an bestimmten einzelnen Tagen nicht erbracht wird. Auf den Ausfall von Spät- oder Nachtschichten wird dort ebensowenig abgestellt, wie in Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 der Protokollnotiz. Deshalb handelt es sich auch nicht um eine Ergänzung zu Nr. 3 der Protokollnotiz, mit deren Hilfe eine bestimmte Mindestzahl von Spät- oder Nachtschichten bei nicht ausreichender tatsächlicher Arbeitsleistung in diesen Zeiten festgestellt werden könnte. Die Protokollnotiz Nr. 7 betrifft die Jahresarbeitsleistung insgesamt unabhängig davon, zu welcher Tageszeit sie erbracht wurde.

2. Damit erschließt sich zugleich ein sinnvoller, wenn auch nicht völlig durchgehaltener Regelungszusammenhang von § 2 b MTV und der Protokollnotiz hierzu. Den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 2 b Abs. 1 MTV können jeweils ergänzende, konkretisierende oder klarstellende Bestimmungen in der Protokollnotiz zugeordnet werden.

  1. Nr. 1 der Protokollnotiz bestimmt, unter welchen Bedingungen eine Teilzeitkraft als Wechselschichtarbeitnehmer im Sinne von § 2 b MTV in Betracht kommt.
  2. Wann „ständige” Wechselschicht vorliegt, bestimmt Nr. 2 der Protokollnotiz näher. Dieses Tatbestandsmerkmal ist auch dann erfüllt, wenn aus betrieblichen Gründen mit der Wechselschichtarbeit in einem Halbjahr nicht mehr als vier Wochen ausgesetzt worden ist.
  3. Aus der Anspruchsnorm selbst ergibt sich bereits, daß für einen Anspruch aus § 2 b Abs. 1 MTV die verschiedenen Schichten in regelmäßigem Wechsel angefallen sein müssen. Nr. 3 der Protokollnotiz konkretisiert diese Anspruchsvoraussetzungen der „gleichmäßig verteilten” Wechselschicht aber insoweit, als sie eine bestimmte Dichte des Wechsels von der Früh- oder Tagschicht in die Spät- oder Nachtschicht fordert. Es genügte beispielsweise nicht, wenn ein Arbeitnehmer nur in jeder vierten Arbeitswoche in Spät- oder Nachtschicht eingeteilt war. Auch hier war die Wechselschichtarbeit „regelmäßig verteilt”. Der Anteil der Spät- oder Nachtschicht erreichte aber nicht das für die Anspruchserfüllung erforderliche Maß eines Drittels der gesamten Arbeitszeit.
  4. Nr. 4 der Protokollnotiz behandelt die besondere Arbeitszeitgestaltung der versetzten Arbeitszeit im Hinblick darauf, von wann an auch hier von Wechselschicht i.S. des § 2 b Abs. 1 MTV gesprochen werden kann.
  5. Nr. 5 definiert „Nachtarbeit” mit Hilfe einer Verweisung auf die tariflichen Zuschlagsregelungen und bestimmt, daß „ständige” Nachtarbeit schon dann vorliegt, wenn 85 % der Gesamtarbeitszeit in Nachtarbeit erbracht worden sind.
  6. Die Behandlung angebrochener Monate zu Beginn und am Ende des Bezugszeitraums wird in Nr. 6 der Protokollnotiz festgelegt.
  7. Nr. 7 der Protokollnotiz schließlich regelt, wie die in Betracht kommenden individuellen Hindernisse bei der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 2 b MTV zu behandeln sind.

    Die Abs. 1, 2 und 4 behandeln jeweils Zeiten, in denen aus verschiedenen Gründen Arbeit – wann auch immer – tatsächlich nicht geleistet worden ist. Entgeltfortzahlungspflichtige Krankheits-, Kur- sowie Urlaubszeiten stehen der Erfüllung des Anspruchsmerkmals „zwölf Kalendermonate erbrachte Arbeitsleistung” ebensowenig entgegen, wie die in § 10 MTV aufgelisteten, entsprechend § 616 BGB entgeltfortzahlungspflichtigen persönlichen Arbeitsverhinderungen oder Leistungshindernisse in Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit. Selbst Arbeitsausfälle, die ihre Ursache nicht in den eben genannten Umständen haben, sind nicht anspruchsschädlich, wenn sie nicht mehr als vier Arbeitstage im Bezugszeitraum ausmachten. Hierzu zählen insbesondere unbezahlter Urlaub, Krankheitszeiten über den Entgeltzahlungszeitraum hinaus sowie unentschuldigte Fehlzeiten.

    Nr. 7 Abs. 3 der Protokollnotiz stellt insoweit eine Besonderheit dar, als es hier nicht um eine Arbeitsverhinderung insgesamt, sondern darum geht, daß eine Arbeitnehmerin wegen ihrer Schwangerschaft zeitweise nicht in Wechselschicht oder Nachtarbeit arbeiten kann. Mit dieser Regelung sind die Tarifvertragsparteien noch einmal auf den Begriff des Wechselschichtarbeitnehmers zurückgekommen. Die Einordnung in Nr. 7 der Protokollnotiz erklärt sich aber daraus, daß es auch hier wie in den Abs. 1, 2 und 4 um persönliche Hindernisse bei der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 2 b MTV geht.

  8. Nachdem die Tarifvertragsparteien die einzelnen Tatbestands merkmale des § 2 b Abs. 1 MTV näher bestimmt haben, schließen sie die Protokollnotiz in Nr. 8 mit der Festlegung der Anspruchsentstehung nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen ab. Mit dem Quotelungsverbot stellen sie klar, daß eine teilweise Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nicht zu einem anteiligen Freischichtenanspruch führt.

3. Die hier vorgenommene Auslegung von § 2 b Abs. 1 MTV und der Protokollnotiz steht in Übereinstimmung mit dem von den Tarifvertragsparteien erkennbar verfolgten Zweck des Freischichtenanspruchs. Die Tarifvertragsparteien haben mit diesem Anspruch die besondere Arbeitssituation der Wechselschicht- und Nachtarbeiter gewürdigt. Es stand ihnen im Rahmen der Gesetze frei, die einzelnen Voraussetzungen festzulegen, nach deren Erfüllung Arbeitnehmer, die unter diesen erschwerten Bedingungen arbeiten, den Anspruch auf die zusätzliche Gegenleistung erhalten. In § 2 b Abs. 1 MTV und der Protokollnotiz haben sie bestimmt, daß diese Arbeitnehmer den zusätzlichen bezahlten freien Tag erhalten, wenn sie die Arbeit unter den erschwerten Bedingungen zwölf Monate lang tatsächlich erbracht haben. Dabei haben sie in Übereinstimmung mit den Wertungen sozialer Schutzgesetze bestimmte Fehlzeiten den Zeiten tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung gleichgestellt. Eine solche Regelung ist einleuchtend, in sich stimmig und bedarf keiner gerichtlichen Korrektur.

4. Die von der Klägerin vertretene Auslegung von Nr. 7 der Protokollnotiz wäre demgegenüber weder sinnvoll noch führte sie zu plausiblen Ergebnissen.

Die Annahme, in Nr. 7 der Protokollnotiz gehe es nur darum, inwieweit ein Arbeitnehmer im Bezugszeitraum das nach Nr. 3 der Protokollnotiz erforderliche Drittel an Spät- oder Nachtschichten geleistet hat, steht schon im Widerspruch zum Wortlaut der Bestimmung. Darüber hinaus hätte hiernach ein Arbeitnehmer, der einen großen Teil des Jahres ausschließlich während der Frühschicht gefehlt hat, einen Freischichtenanspruch, obwohl er aufgrund dieser Fehlzeiten nicht unter den besonderen Erschwerungen der Wechselschicht gearbeitet hat.

Weiter hat der typische Wechselschichtarbeiter im Zweischichtbetrieb während der Hälfte der Gesamtarbeitszeit, im Dreischichtbetrieb während zwei Dritteln der Gesamtarbeitszeit in Spät- oder Nachtschicht zu arbeiten. Vom Normverständnis der Klägerin ausgehend bedeutete dies, daß dann, wenn Fehlzeiten nur in den Spät- oder Nachtschichten anfielen, solche Fehlzeiten in einem Umfang von einem Sechstel bis einem Drittel der Gesamtarbeitszeit von vornherein nicht anspruchsschädlich wären. Erst bei darüber hinausgehenden Fehlzeiten stellte sich die Frage, ob sie gleichwohl nach Nr. 7 der Protokollnotiz anspruchsunschädlich sind. Bei auf alle Schichten in etwa gleichmäßig verteilten Fehlzeiten würde eine Gesamtausfallzeit von etwa der Hälfte der Gesamtarbeitszeit nicht verhindern, daß sogar ohne Rückgriff auf Nr. 7 der Protokollnotiz der Freischichtenanspruch „für zwölf Kalendermonate erbrachte Arbeitsleistung” entstünde. Ein dahingehender Regelungswille kann den Tarifvertragsparteien nicht unterstellt werden.

5. Gegen die tarifliche Anspruchsbeschränkung, wie sie sich aus Nr. 7 der Protokollnotiz ergibt, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Tarifvertragsparteien können eine zusätzliche Leistung auch davon abhängig machen, daß der Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbracht hat.

Insoweit kann es Grenzen aus sozialen Schutzgesetzen geben. Dies kommt aber allenfalls bei solchen Ausfallzeiten in Betracht, für die der Gesetzgeber angeordnet hat, daß Lohn auch ohne Arbeit zu zahlen ist. Darauf, ob eine solche Grenze einzuhalten ist, kommt es hier nicht an. Die Tarifvertragsparteien des MTV haben nicht nur festgelegt, daß entgeltfortzahlungspflichtige Fehlzeiten anspruchsunschädlich sind. Sie haben den Anspruch darüber hinaus auch für den Fall erhalten, daß der Arbeitnehmer nicht mehr als vier Fehltage im Bezugszeitraum aufzuweisen hat, in denen keine Entgeltfortzahlungspflicht bestand.

II. Die Klägerin hat für das Kalenderjahr 1992 keinen Anspruch auf eine bezahlte Freischicht nach § 2 b MTV. Sie hat keine zwölf Kalendermonate Arbeitsleistung „erbracht”. Die Krankheitszeiten der Klägerin, in denen die Beklagte nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet war, gehöre nicht zu den von vornherein anspruchsunschädlichen Fehlzeiten nach Nr. 7 Abs. 1 bis 3 der Protokollnotiz. Diese Krankheitszeiten waren damit nach Nr. 7 Abs. 4 der Protokollnotiz nur anspruchsunschädlich, soweit sie vier Arbeitstage nicht überstiegen. Da die Klägerin an insgesamt 26 Arbeitstagen krankheitsbedingt ohne Entgeltfortzahlungsanspruch fehlte, ist für sie kein Anspruch auf eine bezahlte Freischicht entstanden.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Furchtbar, H. Frehse

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951922

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