Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Betriebsbußen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber allgemeine Regeln aufstellt, nach denen seine Arbeitnehmer ermäßigte Flugscheine erwerben können. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auch auf die Beschreibung von Tatbeständen, die zum Verlust dieser Rechte führen sollen.

2. Der Entzug dieser Vergünstigung kann nur dann eine Betriebsbuße im Sinne von § 87 Abs 1 Nr 1 BetrVG sein, wenn der Arbeitgeber damit auf Verstöße des Arbeitnehmers gegen die betriebliche Ordnung oder gegen die nach § 87 Abs 1 Nr 1 BetrVG begründeten Verhaltenspflichten reagiert.

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1; BetrVG § 23 Abs. 3; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 10

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 07.12.1982; Aktenzeichen 4 TaBV 44/82)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 16.12.1981; Aktenzeichen 11 BV 12/81)

 

Gründe

A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten darüber, ob der Arbeitgeber die den Mitarbeitern eingeräumte Möglichkeit, zu ermäßigtem Flugpreis zu fliegen, in Einzelfällen ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats oder ohne Spruch einer Einigungsstelle entziehen darf.

Der Arbeitgeber ist ein Luftfahrtunternehmen. Er gewährt den im Landbetrieb beschäftigten Mitarbeitern Flugpreisermäßigungen nach Grundsätzen, die er in einem "Handbuch für das Personalwesen" festgelegt hat (Abschnitt 7). Danach handelt es sich um "Vergünstigungen seitens der Firma, die jederzeit aufgehoben oder geändert werden können. Ein Rechtsanspruch des LH-Mitarbeiters auf diese Leistungen besteht nicht". Die Voraussetzungen für die Gewährung von ermäßigten Flugscheinen sind im einzelnen geregelt; nicht geregelt sind die Voraussetzungen, unter denen die Berechtigung entzogen werden kann.

In der Vergangenheit hat der Arbeitgeber einzelnen Mitarbeitern die Berechtigung, zu ermäßigtem Flugpreis zu reisen, für bestimmte Zeiträume entzogen. In den Vorinstanzen wurden drei Einzelfälle erörtert (L, K und B).

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber dürfe die Berechtigung, Flugscheine zu ermäßigten Preisen zu beziehen, nicht ohne seine Zustimmung entziehen. Er hat beantragt,

1. festzustellen, daß der im Zusammenhang

mit einer verhaltensbedingten Abmahnung

ausgesprochene Entzug der Möglichkeit,

gemäß DV PER Kapitel 7 ermäßigt zu flie-

gen, gegenüber Mitarbeitern eine mitbe-

stimmungspflichtige (§ 87 Abs. 1 Nr. 1

BetrVG) Sanktion ist;

2. der Deutschen Lufthansa AG aufzugeben,

ohne Einvernehmen mit dem Betriebsrat

ausgesprochene Sanktionen nach Ziff. 1

gegenüber Mitarbeitern des Betriebs

Frankfurt am Main aufzuheben;

hilfsweise, der Deutschen Lufthansa AG

zu verbieten, gegenüber Mitarbeitern

die Möglichkeit ermäßigt zu fliegen,

gemäß DV PER Kapitel 7 ohne vorherige

Zustimmung des Betriebsrats oder Spruch

einer Einigungsstelle zu entziehen.

Der Arbeitgeber hat beantragt, diese Anträge zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, er könne in Fällen des Mißbrauchs einzelne Arbeitnehmer befristet von den freiwillig gewährten Vergünstigungen ohne Zustimmung des Betriebsrats ausschließen.

Das Arbeitsgericht hat dem Hilfsantrag zu 2) stattgegeben. Gegen diesen Beschluß hat der Arbeitgeber Beschwerde eingelegt, die jedoch im wesentlichen zurückgewiesen wurde. Das Landesarbeitsgericht schränkte das Verbot auf die im Landbetrieb in Frankfurt am Main tätigen Arbeiter und Angestellten - ohne leitende Angestellte - ein. Gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts richtet sich die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers, mit der er erreichen will, daß die Anträge des Betriebsrats abgewiesen werden.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist begründet. Der Antrag des Betriebsrats muß abgewiesen werden.

I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. a) Der Senat hat nur darüber zu entscheiden, ob das Landesarbeitsgericht dem Arbeitgeber zu Recht untersagt hat, den im Bodenbetrieb in Frankfurt am Main tätigen Mitarbeitern (mit Ausnahme der leitenden Angestellten) die Möglichkeit, zu ermäßigtem Flugpreis zu fliegen, in Einzelfällen ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats oder ohne Spruch einer Einigungsstelle zu entziehen. Dies ist die Beschlußformel des Landesarbeitsgerichts. Die übrigen Anträge des Betriebsrats sind rechtskräftig abgewiesen worden. Der Betriebsrat hat weder gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts noch gegen die teilweise Abweisung seines Antrags durch das Landesarbeitsgericht Beschwerde oder Rechtsbeschwerde eingelegt.

b) Nach dem Antrag des Betriebsrats soll dem Arbeitgeber untersagt werden, in allen künftigen Einzelfällen die Ermäßigung ohne Zustimmung des Betriebsrats zu entziehen. Der Antrag enthält weder im Wortlaut noch in der Begründung eine Einschränkung. Es soll insbesondere nicht darauf ankommen, aus welchen Gründen der Arbeitgeber in Einzelfällen die Berechtigung entzogen hat.

Dagegen ist in diesem Verfahren nicht über die Berechtigung des Entzugs in den drei genannten Einzelfällen zu entscheiden. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Arbeitgeber im Einzelfall berechtigt war, diese Vergünstigung zu entziehen.

2. Der Antrag des Betriebsrats ist bestimmt genug.

Ein Antrag im Beschlußverfahren muß ebenso bestimmt sein wie die Klageschrift im Urteilsverfahren. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist auf das Beschlußverfahren und die in ihm gestellten Anträge entsprechend anwendbar (BAG 44, 226, 232 f. = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu B der Gründe).

Diesen Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt der gestellte Antrag des Betriebsrats. Er erfaßt alle denkbaren Fallgestaltungen. Die materielle Reichweite des vom Betriebsrat erstrebten Verbots läßt sich damit genau bestimmen. Daß das gewünschte Verbot der Sache nach sehr weit geht, berührt nicht die Zulässigkeit des Antrags, sondern allenfalls seine Begründetheit (vgl. für das Urteilsverfahren zuletzt das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 -, zu B II 1 b der Gründe).

3. Der Antrag auf künftige Unterlassung eines bestimmten Verhaltens ist ein Leistungsantrag. Für die Beurteilung dieses Antrags braucht der Betriebsrat kein besonderes Rechtsschutzinteresse darzulegen (anders als für Feststellungsklagen und Anträge auf Feststellung, § 256 Abs. 1 ZPO).

II. Der Antrag des Betriebsrats ist jedoch nicht begründet.

1. Das Landesarbeitsgericht sieht die Grundlage des Anspruchs auf Unterlassung - allerdings ohne nähere Begründung - in § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Es hat die Anspruchsgrundlage des § 23 Abs. 3 BetrVG und die dort genannten besonderen materiellen Voraussetzungen nicht erörtert. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Unterlassungsanspruch auch begründet sein, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG nicht vorliegen.

Mit dieser rechtlichen Beurteilung setzt sich das Landesarbeitsgericht in Widerspruch zu dem später ergangenen Beschluß des Senats vom 22. Februar 1983 (1 ABR 27/81 - BAG 42, 11 = AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972). Danach gibt es bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten (§ 87 BetrVG) keinen "allgemeinen" Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Unterlassungsansprüche des Betriebsrats wegen Verletzung seiner Beteiligungsrechte sind danach in § 23 Abs. 3 BetrVG abschließend geregelt (BAG 42, 11, 17, zu II der Gründe). Allerdings hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts im Beschluß vom 18. April 1985 (6 ABR 19/84 - zu B II 1 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen) Bedenken geäußert, ob dieser Auffassung des Ersten Senats zu folgen wäre. Doch braucht der Senat im vorliegenden Verfahren die Rechtsfrage nicht zu entscheiden. Es kann offenbleiben, ob es zur Sicherung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 BetrVG neben § 23 Abs. 3 BetrVG noch einen allgemeinen Unterlassungsanspruch gibt. Denn der Antrag des Betriebsrats ist schon deshalb nicht begründet, weil mit dem Entzug der Vergünstigung jedenfalls kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt wird.

2. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wird bei künftigem Entzug der Vergünstigungen nicht verletzt. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.

a) Die Verhängung einer Betriebsbuße ist in § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl hat das Bundesarbeitsgericht die Verhängung von Betriebsbußen jedenfalls dann als zulässig angesehen, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat eine Bußordnung vereinbart haben, die die Bußtatbestände, die Art der Bußen, das Verfahren und die Verwendung der Bußgelder regelt, und wenn im Einzelfall bei der Verhängung der Buße der Betriebsrat mitbestimmt hat (vgl. BAG 27, 366 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße). Bedenken gegen die Zulässigkeit von Betriebsbußen werden bis heute jedoch weiter erhoben (vgl. Nachweise bei Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 76). Auf diese Kritik braucht der Senat nicht näher einzugehen. Auch auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ist die Forderung des Betriebsrats nicht begründet. Der Entzug der Vergünstigung ist - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - keine Betriebsbuße im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, jedenfalls nicht in allen Fällen.

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Arbeitgeber verhänge beim Entzug der Vergünstigung eine Betriebsbuße. Es hat seine Auffassung damit begründet, daß der Arbeitgeber über sein Recht, den Arbeitnehmer wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten abzumahnen, hinausgegangen sei. Im vorliegenden Fall werde dem betroffenen Arbeitnehmer ein Vermögensnachteil zugefügt. Eine solche "Einbuße in der Vermögenslage" sei mehr als eine Abmahnung.

Damit ist nicht gesagt, daß der Arbeitgeber mit dieser Maßnahme in jedem Fall eine Betriebsbuße verhängt.

Dem Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen: Die Erklärung des Arbeitgebers, er werde einem Arbeitnehmer nicht mehr die Möglichkeit geben, zu verbilligten Preisen zu fliegen, geht über die Abmahnung vertragswidrigen Verhaltens hinaus. Um eine Abmahnung handelt es sich, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf eine Vertragsverletzung hinweist, für die Zukunft die Einhaltung der vertraglichen Pflichten fordert und bei einer erneuten Vertragsverletzung individual-rechtliche Konsequenzen androht (vgl. BAG Urteil vom 30. Januar 1979 - 1 AZR 342/76 - AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu I 1 b der Gründe; Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 1 b der Gründe; Urteil vom 19. Juli 1983 - 1 AZR 307/81 - AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 2 der Gründe). Auf eine solche Abmahnung hat sich der Arbeitgeber in allen drei Fällen, die in den Vorinstanzen erörtert wurden, nicht beschränkt. Er wird sich nach seinen Erklärungen im Rechtsstreit auch in Zukunft bei Vertragsverletzungen nicht immer auf eine Abmahnung beschränken; er behält sich das Recht vor, die Vergünstigung zeitweise zu streichen. Dabei kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, mit welchen privatrechtlichen Mitteln er die Vergünstigung entziehen kann.

Richtig ist weiter die Annahme des Landesarbeitsgerichts, jede Maßnahme des Arbeitgebers, die über die Abmahnung hinausgehe, "könne" eine Betriebsbuße darstellen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich mehrfach mit der Abgrenzung einer Abmahnung von einer Betriebsbuße befaßt (vgl. BAG 27, 366, 371 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu 1 der Gründe; Urteil vom 30. Januar 1979 - 1 AZR 342/76 - AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu I 1 der Gründe; Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 1 der Gründe; Urteil vom 19. Juli 1983 - 1 AZR 307/81 - AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 2 der Gründe). In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß es sich um eine mitbestimmungsfreie Abmahnung nur dann handele, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers keinen über den Warnzweck hinausgehenden Sanktionscharakter habe. Sie dürfe insbesondere kein Unwerturteil über die Person des Arbeitnehmers enthalten (BAG Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 -, aaO, zu II 1 b der Gründe).

Zu Unrecht schließt das Landesarbeitsgericht jedoch daraus, jede über eine Abmahnung hinausgehende Maßnahme des Arbeitgebers sei allein aus diesem Grunde schon eine Betriebsbuße. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die zur Abgrenzung der Abmahnung von der Betriebsbuße entwickelten Rechtssätze in unzulässiger Weise verallgemeinert. Nicht alles, was über die Abmahnung hinausgeht, ist bereits eine Betriebsbuße. Daß es sich um eine Betriebsbuße handelt, muß positiv begründet werden. Der Arbeitgeber kann auf Vertragsverletzungen nicht nur mit Abmahnungen oder Betriebsbußen reagieren. Er kann kündigen oder die Vertragsverletzungen zum Anlaß nehmen, von vertraglich vereinbarten Widerrufsrechten bei der Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen Gebrauch zu machen, er kann mit allen ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mitteln versuchen, die Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers zu ändern. Bei diesen zuletzt genannten Reaktionen auf Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers handelt es sich weder um Abmahnungen noch um Betriebsbußen.

Um eine Betriebsbuße im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG kann es sich nur handeln, wenn der Arbeitgeber auf Verstöße des Arbeitnehmers gegen die betriebliche Ordnung reagiert. Betriebsbußen - wenn man sie für zulässig hält - dienen der Durchsetzung der zur Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb aufgestellten Regeln (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Betriebsbußen kommen deshalb nur für Verstöße in Betracht, die sich gegen die betriebliche Ordnung richten, die mithin ein gemeinschaftswidriges Verhalten darstellen. Insoweit muß ein kollektiver Bezug vorhanden sein (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 1 a der Gründe, mit weiteren Nachweisen). An diesem kollektiven Bezug kann es fehlen, wenn der Arbeitgeber in Zukunft die Vergünstigung einzelnen Arbeitnehmern entzieht. Es sind Fallgestaltungen denkbar - sie liegen sogar nahe -, in denen der Arbeitgeber mit dem Entzug der Vergünstigung keine Verstöße der Arbeitnehmer gegen die betriebliche Ordnung oder gegen Verhaltensregeln im Betrieb ahnden will, sondern nur Verletzungen anderer arbeitsvertraglicher Pflichten. Die Beispielsfälle, die in den Vorinstanzen zur Erläuterung der Praxis des Arbeitgebers herangezogen wurden, bestätigen dies. Dem Arbeitnehmer L wurden Unkorrektheiten bei Krankmeldungen, unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst und unberechtigte Inanspruchnahme verbilligter Flüge vorgeworfen. Das alles sind Vertragsverletzungen, die keinen Bezug zur kollektiven Ordnung und zu den Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer im Betrieb aufweisen. Der Vorwurf der unberechtigten Inanspruchnahme verbilligter Flüge steht darüber hinaus noch in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser zusätzlichen Leistung des Arbeitgebers; der Entzug dieser Leistung beruht weitgehend auf dem Mißbrauchsgedanken. Das gleiche gilt für den Fall B. Auch ihm warf der Arbeitgeber vor, er habe sich für Familienangehörige unberechtigterweise Flugpreisermäßigungen gewähren lassen. Dem Arbeitnehmer K wurde ein Fehlverhalten außerhalb des Betriebs, aber im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme dieser Vergünstigung vorgeworfen. Die in den Vorinstanzen erörterten Beispiele zeigen also mit aller Deutlichkeit, daß der Arbeitgeber mit dem Entzug der Vergünstigung jedenfalls nicht nur auf Verstöße gegen die kollektive Ordnung reagiert hat. Folglich kann der Senat nicht davon ausgehen, der Arbeitgeber werde in Zukunft diese Sanktion nur bei Verstößen gegen die kollektive Ordnung einsetzen.

3. Aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ergibt sich jedenfalls unmittelbar kein Recht des Betriebsrats, künftig in jedem Einzelfall beim Entzug der Vergünstigung beteiligt zu werden.

Zwar hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. Dazu gehört die Ausgestaltung aller vermögenswerten Arbeitgeberleistungen, bei denen die Bemessung nach bestimmten Grundsätzen oder nach einem System erfolgt. Die Mitbestimmung ist nicht beschränkt auf die unmittelbar leistungsbezogenen Entgelte, sondern erfaßt alle Formen der Vergütung, die aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses gewährt werden. Gerade in diesem Bereich soll bei leistungsbezogenen, aber auch bei zusätzlichen sozialen Leistungen ein umfassendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sichergestellt werden. Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat betriebliche Versorgungsleistungen als Teil der betrieblichen Lohngestaltung angesehen (BAG 27, 194, 200 ff. = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung, zu II B 1 bis 4 der Gründe). Vom Ersten und Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts sind auch sonstige betriebliche Sozialleistungen wie Arbeitgeberdarlehen, Ermäßigungen des Elternbeitrags für Kindergärten und im Wettbewerb zu gewinnende Reisen diesem Mitbestimmungsrecht unterworfen worden (BAG 34, 297, 301 = AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B I 2 der Gründe; BAG 36, 385, 390 = AP Nr. 10 zu § 76 BetrVG 1972, zu III 2 der Gründe; BAG Beschluß vom 30. März 1982 - 1 ABR 55/80 - AP Nr. 10 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu I 2 der Gründe). Das gleiche gilt für Personalfahrten des Arbeitnehmers von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück, die der Arbeitgeber kostenlos oder verbilligt anbietet (vgl. Urteil des Senats vom 9. Juli 1985 - 1 AZR 631/80 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Danach bestehen keine Bedenken, auch die Ausgestaltung der Möglichkeit, Flugscheine verbilligt erwerben zu können, als Frage der betrieblichen Lohngestaltung zu verstehen.

Daraus folgt: Der Betriebsrat hat mitzubestimmen bei der Aufstellung der Voraussetzungen, unter denen Mitarbeiter diese Leistungen in Anspruch nehmen können. Er hat aber auch mitzubestimmen über die Voraussetzungen, unter denen der Anspruch der Arbeitnehmer erlöschen soll oder der Arbeitgeber von individual- rechtlich zulässigen Widerrufsrechten Gebrauch machen darf. Dies alles gehört zu den Fragen der Lohngestaltung im Betrieb.

Daraus folgt jedoch noch nicht, daß der Betriebsrat in jedem Einzelfall, in dem der Entzug der Vergünstigung in Betracht kommt, zu beteiligen ist, oder daß der Arbeitgeber die Vergünstigung nur mit Zustimmung des Betriebsrats entziehen darf. Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bezieht sich zunächst auf die Aufstellung von allgemeinen Regeln über Anspruchsvoraussetzungen und anspruchsvernichtende Merkmale. Es müssen danach die Tatbestände genannt werden, die einen Entzug der sozialen Leistungen rechtfertigen sollen. Daneben sind allerdings Regelungen denkbar, die dem Betriebsrat im Verfahren vor Ausspruch des Entzugs ein Beteiligungsrecht sichern. Auf solche Regelungen müssen sich Arbeitgeber und Betriebsrat jedoch verständigen. Sie bestehen nicht schon kraft Gesetzes, sondern liegen nur in der Regelungskompetenz der Parteien einer Betriebsvereinbarung (vgl. BAG 36, 385, 391 = AP Nr. 10 zu § 76 BetrVG 1972, zu III 4 der Gründe). Zu solchen Regelungen ist es im Betrieb des Arbeitgebers bisher nicht gekommen.

4. Danach ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, in allen Fällen, in denen er mit den ihm möglichen individual-rechtlichen Mitteln einem Arbeitnehmer die Vergünstigung, Flugscheine verbilligt beziehen können, nehmen will, zuvor die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Der Antrag des Betriebsrats muß deshalb abgewiesen werden.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Dr. Hoffmann Breier

 

Fundstellen

Haufe-Index 436874

BAGE 50, 29-37 (LT1-2)

BAGE, 29

DB 1986, 384-386 (LT1-2)

ARST 1986, 147-148 (LT1-2)

NZA 1986, 299-300 (LT1-2)

RdA 1986, 67

SAE 1986, 157-159 (LT1-2)

AP § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung (LT1-2), Nr 18

AR-Blattei, Betriebsbußen Entsch 13 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 480 Nr 13 (LT1-2)

EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, Nr 10 (LT1-2)

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