Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung an Verweisungsbeschluß

 

Leitsatz (amtlich)

  • Das Gericht, an das der Rechtsstreit von einem Gericht eines anderen Rechtsweges verwiesen worden ist, kann wegen örtlicher Unzuständigkeit innerhalb “seines” Rechtsweges weiterverweisen (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. – vergleiche Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – NZA 1992, 1047).
  • Der wegen örtlicher Unzuständigkeit weiterverweisende Beschluß ist seinerseits nach § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. bindend, es sei denn, es liegt ausnahmsweise eine offensichtliche Gesetzwidrigkeit vor.
  • Eine offensichtliche Gesetzwidrigkeit des verweisenden Beschlusses kann sich auch daraus ergeben, daß sich das weiterverweisende Gericht willkürlich über die vom Kläger oder vom verweisenden Gericht nach § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG n.F. unter mehreren zuständigen Gerichten getroffene Wahl hinwegsetzt.
 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6; ArbGG § 48 Abs. 1 n.F.; GVG § 17a Abs. 2 n.F.

 

Verfahrensgang

ArbG Weiden (Beschluss vom 04.10.1993; Aktenzeichen 2 Ca 1261/93 S)

 

Tenor

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Regensburg bestimmt.

 

Tatbestand

I. Der Kläger, handelnd unter der Firma Hermann F… – …, macht gegen den Beklagten, handelnd unter der Firmanbezeichnung Gottfried Z…, Vergütungsansprüche für Bodenverlegearbeiten geltend, die er in A… ausführte. Die Beklagte wiederum macht gegen den Kläger im Wege der Widerklage Schadensersatzsansprüche geltend. Der Wohnort des Klägers und A… liegen im Bezirk des Arbeitsgerichts Regensburg, während der Beklagte im Bezirk des Arbeitsgerichts Weiden/Oberpfalz – Kammer Schwandorf – wohnt.

Das Verfahren begann mit einem Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheides, der an das für den Wohnsitz des Klägers örtlich zuständige Amtsgericht Regensburg gerichtet war. Dieses erließ den beantragten Mahnbescheid. Der Rechtspfleger gab nach Erhebung des Widerspruchs mit Beschluß vom 30. Dezember 1992 die Streitsache an das Amtsgericht Schwandorf – Zweigstelle Burglengenfeld – ab.

Im Termin vor dem dortigen Amtsgericht vom 10. März 1993 legten die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung vom selben Tage vor, in der sie als Gerichtsstand das Landgericht Regensburg vereinbart hatten. Daraufhin erklärte sich das Amtsgericht Schwandorf – Zweigstelle Burglengenfeld – für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Regensburg.

Dieses erklärte sich nach Beweisaufnahme durch rechtskräftigen Beschluß vom 24. April 1993 für “funktionell unzuständig” und verwies den Rechtsstreit an das “funktionell zuständige” Arbeitsgericht Regensburg und zwar mit der Begründung, der Kläger sei für die Beklagte im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden. Die Parteien waren zuvor darauf hingewiesen worden, daß die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts in Betracht käme. Die Parteienvertreter hatten daraufhin die Ansicht geäußert, daß dies nicht der Fall sei; vorsorglich hatten sie “die Verweisung an das zuständige Arbeitsgericht Regensburg” beantragt.

Nach einem Aktenvermerk des Arbeitsgerichts Regensburg teilte der Richter, der als Einzelrichter der Kammer des Landgerichts Regensburg den Verweisungsbeschluß erlassen hatte, auf Anfrage mit, er sei davon ausgegangen, daß der Wohnsitz der Beklagten im Bezirk des Arbeitsgerichts Regensburg liege und daß hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit durch den Verweisungsbeschluß keine Bindung habe eintreten sollen. Dies sei dadurch zum Ausdruck gebracht worden, daß im Tenor lediglich von der funktionellen Zuständigkeit gesprochen werde. Dieser Aktenvermerk wurde den Parteien zur Kenntnis gegeben. Ihnen wurde eine Äußerungsfrist bis zum 19. Juli 1993 eingeräumt. Die Parteien äußerten sich nicht. Daraufhin erklärte sich das Arbeitsgericht Regensburg durch Kammerbeschluß vom 23. Juli 1993 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit weiter an das Arbeitsgericht Weiden/Oberpfalz – Kammer Schwandorf–. Mit Schriftsatz vom 1. September 1993 legte die Beklagte diesem eine Gerichtsstandvereinbarung der Parteien vom 25./27. August 1993 vor, worin die Parteien für diesen Rechtsstreit als örtlich zuständiges Arbeitsgericht Regensburg vereinbarten. Daraufhin erklärte sich das Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – durch Beschluß vom 7. September 1993 “aufgrund der Gerichtsstandvereinbarung … für örtlich unzuständig” und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Regensburg. Dieses lehnte durch Beschluß vom 22. September 1993 die Übernahme des Verfahrens ab und sandte die Akten zurück an das Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf –. Dieses hat den Rechtsstreit gemäß § 36 Ziff. 6 ZPO dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II. Örtlich zuständig ist das Arbeitsgericht Regensburg. Dessen Verweisungsbeschluß bindet das Arbeitsgericht Weiden/Oberpfalz – Kammer Schwandorf – nicht.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte Regensburg und Weiden/Oberpfalz – Kammer Schwandorf – haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt und zwar durch formell unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse vom 23. Juli und 7. September 1993.

2.a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO). Nur so kann der Zweck des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: regelmäßig ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist (BGHZ 17, 168, 171; BayObLGZ 1991, 387, 389).

Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – EzA § 17a GVG Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 36 Rz 25, 28; einschränkend zum neuen Recht Zöller/Gummer, aaO, GVG § 17a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, aaO, zu II 3a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).

b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Regensburg als offensichtlich gesetzwidrig.

Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß der Rechtsstreit zuvor bereits vom Amtsgericht Schwandorf – Zweigstelle Burglengenfeld – an das Landgericht Regensburg und von diesem an das Arbeitsgericht Regensburg verwiesen worden war.

Es ist anerkannt, daß die Verweisung des Rechtsstreits an ein Gericht desselben Rechtsweges die Weiterverweisung in einen anderen Rechtsweg nicht ausschließt (Senatsbeschluß vom 4. Januar 1993 – 5 AS 12/92 – EzA § 36 ZPO Nr. 17 = NZA 1993, 522 = NJW 1993, 1878). Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts hinderte das Landgericht also nicht, den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Regensburg weiterzuverweisen.

Hinsichtlich der Beschlüsse, die den Rechtsstreit an ein Gericht eines anderen Rechtsweges verweisen, bestimmt § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F., daß sie hinsichtlich des Rechtsweges bindend sind. Das Gericht, an das verwiesen worden ist, ist daher nicht daran gehindert, wegen örtlicher Unzuständigkeit innerhalb “seines” Rechtsweges weiter zu verweisen (Senatsbeschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – EzA § 17a GVG Nr. 1 = NZA 1992, 1047 –, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Der Beschluß, der wegen örtlicher Unzuständigkeit weiterverweist, ist seinerseits nach § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n. F. bindend, es sei denn, es liege – ausnahmsweise – eine offenbare Gesetzwidrigkeit vor. Um einen solchen Ausnahmefall handelt es sich hier.

Das Arbeitsgericht Regensburg hat nämlich nicht berücksichtigt, daß die Parteien vor dem Landgericht Regensburg beantragt hatten, den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Regensburg zu verweisen. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG bestimmt, daß der Rechtsstreit “an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs” zu verweisen ist. § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG lautet: “Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger und Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte”. Setzt sich das Gericht, an das zunächst verwiesen worden ist, über die vom Kläger getroffene Wahl oder die Bestimmung durch das verweisende Gericht willkürlich hinweg, so ist der weiterverweisende Beschluß nicht bindend.

So liegen die Dinge hier. Für die Entscheidung des Rechtsstreits waren mehrere Arbeitsgerichte örtlich zuständig, das Arbeitsgericht Regensburg nach § 29 Abs. 1 ZPO (Klage) und §§ 33, 13 ZPO (Widerklage) und das Arbeitsgericht Weiden/Oberpfalz – Kammer Schwandorf – nach § 13 ZPO (Klage) und § 33 (Widerklage). Das hat das Arbeitsgericht Regensburg auch nicht verkannt. Es hat aber darauf verwiesen, daß der Kläger im Mahnbescheidsantrag das “Amtsgericht Burglengenfeld” und nicht das Amtsgericht Regensburg angegeben hatte. Es hat daraus geschlossen, der Kläger habe sich für den allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12 ff. ZPO) entschieden. Das erlaubte aber dem Arbeitsgericht Regensburg keinesfalls, sich über die vom Kläger gegenüber dem verweisenden Gericht (Landgericht Regensburg) getroffene Auswahlentscheidung hinwegzusetzen. Das gilt um so mehr, als auch der Beklagte Verweisung an das Arbeitsgericht Regensburg beantragt hatte.

Daher ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den späteren Verweisungsbeschluß, also den des Arbeitsgerichts Weiden/Oberpfalz – Kammer Schwandorf – gelangt ist. Das ist das Arbeitsgericht Regensburg.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 856659

BB 1994, 2075

BB 1994, 652

NJW 1994, 1815

JR 1995, 220

NZA 1994, 478

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