Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an Wirtschaftsausschußsitzungen

 

Orientierungssatz

1. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat, ohne die Frage der richtigen Verfahrensart überhaupt aufzuwerfen, in seinem Beschluß vom 4. Juni 1987 (- 6 ABR 70/85 = BAGE 55, 332 = AP Nr 2 zu § 22 SchwbG) über die Frage des Teilnahmerechts der Schwerbehindertenvertretung an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses im Beschlußverfahren entschieden.

2. Auch der erkennende Senat hält im Entscheidungs fall das Beschlußverfahren für die richtige Verfahrensart. Bei der Frage des Teilnahmerechts der Schwerbehindertenvertretung an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses geht es in der Sache nicht so sehr um die Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung, sondern um die Organisation und die Verfahrensweise des Wirtschaftsausschusses. Entscheidungserheblich ist die Zusammensetzung der Teilnehmer an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses und damit eines Betriebsverfassungsorgans; letztlich geht es damit um die betriebsverfassungsrechtliche Organisation des Unternehmens und seiner Betriebsverfassungsorgane.

 

Normenkette

BetrVG §§ 32, 107; SchwbG § 25 Abs. 4, § 27 Abs. 6; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 01.10.1986; Aktenzeichen 2 TaBV 13/86)

ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 14.11.1985; Aktenzeichen 5 BV 46/85)

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beteiligte zu 1) als Gesamtvertrauensmann der Schwerbehinderten berechtigt ist, an den Sitzungen des bei der Beteiligten zu 2) gebildeten Wirtschaftsausschusses beratend teilzunehmen.

Der Antragsteller ist seit 28. Februar 1983 aufgrund der Wahl vom 8. Februar 1983 Gesamtvertrauensmann der Schwerbehinderten im Unternehmen der Beteiligten zu 2). In dieser Eigenschaft als Gesamtvertrauensmann wandte sich der Antragsteller an den Gesamtbetriebsrat, den Beteiligten zu 3), mit dem Begehren, an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses teilnehmen zu dürfen. Der Beteiligte zu 3) beschloß, die Teilnahme des Antragstellers an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses zu dulden und es dem Antragsteller zu überlassen, die Frage seines Teilnahmerechts selbst zu klären. Auf eine entsprechende Mitteilung des Beteiligten zu 3) an die Geschäftsleitung der Beteiligten zu 2) vom 5. Juni 1984 antwortete die Geschäftsleitung dem Sprecher des Wirtschaftsausschusses mit Schreiben vom 18. Juli 1984, nach ihrer Kenntnis gebe es keine Notwendigkeit, daß der Antragsteller an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses teilnehme. Sie könne zwar diese Teilnahme nicht verhindern, lehne es aber ab, bei Anwesenheit des Antragstellers gemeinsame Beratungen durchzuführen; sie werde deshalb an der Sitzung vom 18. Juli 1984 nicht teilnehmen. Tatsächlich hat allerdings der Wirtschaftsausschuß an diesem Tage unter Teilnahme der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 2) und in Abwesenheit des Antragstellers getagt.

Mit zwei Schreiben vom 23. Januar 1985 verfolgte der Antragsteller durch seinen Prozeßbevollmächtigten sein Begehren auf Teilnahme an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses gegenüber der Beteiligten zu 2) und gegenüber dem Beteiligten zu 3) weiter. Die Beteiligten zu 2) und 3) blieben bei ihrer ablehnenden Haltung.

Mit Schriftsatz vom 16. Juli 1985 leitete daraufhin der Antragsteller gegen die Beteiligte zu 2) das vorliegende Beschlußverfahren mit folgendem Antrag ein,

der Beteiligten zu 2) aufzugeben, dem Gesamtvertrauensmann der Schwerbehinderten, Herrn Reinhold M, die beratende Teilnahme an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses zu gestatten.

Die Beteiligte zu 2) hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat gemeint, dem Antragsteller stehe als Gesamtvertrauensmann der Schwerbehinderten ein Teilnahmerecht an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses nicht zu.

Das Arbeitsgericht hat, ohne den Beteiligten zu 3) am Verfahren zu beteiligen, nach dem Antrag des Antragstellers erkannt.

Gegen diesen Beschluß hat die Beteiligte zu 2) Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller seinen Antrag auch gegen den Beteiligten zu 3) gerichtet und dementsprechend neben seinem Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde den Antrag gestellt,

auch dem Beteiligten zu 3) aufzugeben, dem Antragsteller als Gesamtvertrauensmann der Schwerbehinderten die beratende Teilnahme an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses zu gestatten.

Außerdem hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren hilfsweise beantragt,

gegenüber den Beteiligten zu 2) und 3) festzustellen, daß dem Antragsteller als Vertrauensmann der Schwerbehinderten das Recht zur Teilnahme an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses einschließlich des Rechts auf Information über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens zusteht.

Der Beteiligte zu 3) hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag des Antragstellers einschließlich der Erweiterungen im Beschwerderechtszug zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Anträge seien in der gewählten Verfahrensart (Beschlußverfahren) nicht statthaft, sondern müßten im Urteilsverfahren verfolgt werden. Eine Abgabe in das Urteilsverfahren sei wegen Fehlens eines entsprechenden Antrags nicht möglich.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Zurückweisung der Beschwerde einschließlich der gegen den Beteiligten zu 3) gerichteten Antragserweiterung und des Hilfsantrages weiter. Ferner beantragt er hilfsweise, das vorliegende Beschlußverfahren ins Urteilsverfahren abzugeben und nach Maßgabe der vorstehenden Anträge durch Urteil zu entscheiden. Die Beteiligte zu 2) beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag zu Unrecht bereits mit der Begründung abgewiesen, das eingeschlagene Beschlußverfahren sei die falsche Verfahrensart. Da sich das Landesarbeitsgericht aufgrund dieser Rechtsansicht mit den weiteren Zulässigkeitsfragen und der Frage der Begründetheit der gestellten Sachanträge überhaupt noch nicht befaßt hat, war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Für die gestellten Sachanträge ist das vom Antragsteller gewählte Beschlußverfahren die richtige Verfahrensart, denn es handelt sich um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz (§ 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG).

1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung im wesentlichen ausgeführt, bei dem hier vorliegenden Streit handele es sich um eine Angelegenheit aus dem Schwerbehindertenrecht. Rechtsgrundlage des Begehrens des Antragstellers sei nicht § 32 BetrVG, sondern allein § 22 Abs. 4 Satz 1 SchwbG (jetzt § 27 Abs. 6 i.Verb.m. § 25 Abs. 4 Satz 1 SchwbG i.d.F. der Bekanntmachung vom 26. August 1986, BGBl. I S. 1421). Auch inhaltlich handele es sich nicht um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz, denn Rechtsstellung und Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung seien im Schwerbehindertengesetz eigenständig und unabhängig vom BetrVG geregelt. Da eine Gesetzeslücke nicht vorliege, sei es auch nicht möglich, das Teilnahmerecht der Gesamtschwerbehindertenvertretung an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses aus einer analogen Anwendung des § 32 BetrVG herzuleiten. Auch eine analoge Anwendung des § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG komme nicht in Betracht, weil die vorliegende Angelegenheit unter § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a bzw. unter § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG falle und es daher auch insoweit an einer Gesetzeslücke fehle.

2. Dieser Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann sich der Senat nicht anschließen.

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat, ohne die Frage der richtigen Verfahrensart überhaupt aufzuwerfen, in seinem Beschluß vom 4. Juni 1987 (- 6 ABR 70/85 - BAGE 55, 332 = AP Nr. 2 zu § 22 SchwbG) über die Frage des Teilnahmerechts der Schwerbehindertenvertretung an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses im Beschlußverfahren entschieden.

Auch der erkennende Senat hält im Entscheidungsfall das Beschlußverfahren für die richtige Verfahrensart. Bei der Frage des Teilnahmerechts der Schwerbehindertenvertretung an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses geht es in der Sache nicht so sehr um die Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung, sondern um die Organisation und die Verfahrensweise des Wirtschaftsausschusses. Entscheidungserheblich ist die Zusammensetzung der Teilnehmer an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses und damit eines Betriebsverfassungsorgans; letztlich geht es damit um die betriebsverfassungsrechtliche Organisation des Unternehmens und seiner Betriebsverfassungsorgane. Vom Schwerpunkt des Regelungsgegenstandes her handelt es sich daher um eine dem Betriebsverfassungsrecht zugehörende Streitigkeit und damit um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne des § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Der formale Gesichtspunkt, daß die zu entscheidenden Fragen nicht gerade im Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich geregelt sind, muß demgegenüber zurücktreten. Von der Fallgestaltung, die dem vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 16. August 1977 (- 1 ABR 49/76 - AP Nr. 1 zu § 23 SchwbG) zugrundelag, unterscheidet sich der vorliegende Streitfall schon dadurch, daß es sich dort um einen Individualanspruch auf Kostenerstattung handelte, während es hier um die Mitwirkung der Schwerbehindertenvertretung an Sitzungen eines Betriebsverfassungsorgans geht.

3. Eine abschließende Entscheidung zur Sache ist dem Senat nicht möglich. Hierzu bedarf es tatsächlicher Feststellungen, die das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsansicht folgerichtig nicht getroffen hat und die in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht getroffen werden können.

Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gelten für den dritten Rechtszug des arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahrens u.a. die §§ 564 und 565 ZPO entsprechend. Gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kann das Revisionsgericht, anstatt gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dann in der Sache selbst entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Entscheidung reif ist.

Diese Voraussetzungen liegen im Entscheidungsfalle nicht vor. Zunächst fehlt es bereits an einem festgestellten Sachverhältnis im Sinne des § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, da das Landesarbeitsgericht die Anträge bereits als unzulässig abgewiesen und daher tatsächliche Feststellungen allenfalls in diesem Rahmen getroffen hat. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen ist daher die Sache auch nicht zur Endentscheidung reif. Überdies aber entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß der Rechtsstreit regelmäßig an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, wenn das Berufungsurteil die Klage als unzulässig abgewiesen hatte, das Revisionsgericht sie aber jedenfalls nicht aus diesem Grunde für unzulässig hält (vgl. z.B. BGHZ 11, 222; 46, 281; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., § 565 Anm. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 565 Anm. 1).

Ein Ausnahmefall, in dem nach der angeführten Rechtsprechung die Sache als im dritten Rechtszug spruchreif angesehen werden kann, obwohl die Klage im zweiten Rechtszuge als unzulässig abgewiesen worden war, ist hier nicht gegeben. Zwar ließe sich auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts die abstrakte materiellrechtliche Frage entscheiden, ob die Gesamtschwerbehindertenvertretung ein Teilnahmerecht an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses hat; diese Frage dürfte auf der Grundlage des bereits oben angeführten Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 4. Juni 1987 (aaO) zu bejahen sein.

Indessen geht es nach den im Entscheidungsfall gestellten Anträgen nicht unmittelbar um diese Rechtsfragen. Der Antragsteller möchte vielmehr den Beteiligten zu 2) und 3) aufgegeben wissen, ihm die Teilnahme an den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses "zu gestatten". Insoweit ergeben sich zahlreiche Vorfragen, so z.B. schon, ob dieser Antrag hinreichend bestimmt ist. Zielt er auf Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung oder auf eine tatsächliche Gestattungshandlung, und wenn letzteres, auf welche? Oder geht es dem Antragsteller in erster Linie darum, daß die Beteiligten zu 2) und 3) sein Teilnahmerecht nicht (evtl. durch eigenes Fernbleiben) entwerten; sollen sie also ein bestimmtes Verhalten, das den Antragsteller behindert, unterlassen? Alle derartigen Fragen dürfen nicht dem Vollstreckungsverfahren vorbehalten bleiben, sondern sind vorab durch Auslegung zu klären. Schon diese Auslegung aber ist ohne weitere tatsächliche Feststellungen nicht möglich. Denn aus dem umfangreichen vorgelegten Schriftverkehr bleibt insbesondere unklar, ob dem Begehren des Antragstellers durch einen auf "Gestattung" gerichteten Beschluß hinreichend gedient ist, wenn die Beteiligte zu 2) den Sitzungen des Wirtschaftsausschusses weiterhin fernbliebe bzw. der Beteiligte zu 3) weiterhin formal erklärt, gegen die Teilnahme des Antragstellers keine Einwände zu haben. Angesichts dieser zahlreichen Unsicherheiten muß es im Entscheidungsfall bei der Grundregel des § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO verbleiben, daß die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen wird.

Dr. Seidensticker Dr. Becker Dr. Steckhan

Wagner Schmalz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441039

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