EuGH, Urteil vom 27.4.2023, C 192/22

Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des EU-Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung i. V. m. Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 BUrlG entgegensteht, wenn dort vorgesehen ist, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer durch die Ausübung seiner Arbeit im Rahmen einer Altersteilzeitregelung erworben hat, mit Ablauf des Urlaubsjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt erlischt, wenn der Arbeitnehmer vor der Freistellungphase wegen Krankheit daran gehindert war, diesen Urlaub zu nehmen.

Sachverhalt

Der Kläger war von 1986 bis Ende September 2019 bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Ende 2012 schlossen die Parteien einen Altersteilzeitvertrag in Blockmodell, wonach der Kläger vom 1.2.2013 bis zum 31.5.2016 arbeiten und vom 1.6.2016 bis zum 30.9.2019 freigestellt werden sollte. Um seinen Resturlaub für das Jahr 2016 vor Beginn der Freistellungsphase vollständig aufzubrauchen, nahm der Kläger vom 4. bis zum 25.5.2016 Urlaub. Wegen Erkrankung konnte er jedoch 2 2/3 der Urlaubstage nicht nehmen. Im Jahr 2019 klagte er nun auf Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage. Er machte geltend, dass er diese Urlaubstage krankheitsbedingt nicht habe nehmen können.

Sowohl vor dem Arbeitsgericht wie auch vor dem LAG hatte die Klage keinen Erfolg. Man begründete dies damit, dass der Urlaubsanspruch für das Jahr 2016 am 31.3.2017 um Mitternacht verfallen sei. Es sei hier unerheblich, dass die Beklagte den Kläger nicht auf die Notwendigkeit hingewiesen hätte, seinen Urlaub vollständig zu nehmen, da dies aufgrund der Freistellung des Klägers ab Juni 2016 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses unmöglich gewesen sei.

Auf die Revision des Klägers hatte das BAG das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 oder Art. 31 Abs. 2 der Charta einer nationalen Bestimmung (hier: § 7 Abs. 3 BUrlG) entgegenstehe, nach der bezahlte Jahresurlaubstage, die während der im Rahmen der Altersteilzeitregelung geleisteten Arbeitsphase erworben, aber nicht genommen wurden, erlöschen können, da sie im Freistellungszeitraum nicht genommen werden können.

Die Entscheidung

Der EuGH hat diese Frage bejaht.

Der Gerichtshof entschied, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sei, dass er einer nationalen Regelung (hier: § 7 Abs. 3 BUrlG) entgegenstehe, die vorsieht, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer durch die Ausübung seiner Arbeit im Rahmen einer Altersteilzeitregelung erworben hat, mit Ablauf des Urlaubsjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt erlischt, wenn der Arbeitnehmer vor der Freistellungphase wegen Krankheit daran gehindert war, diesen Urlaub zu nehmen. Dies gelte auch dann, wenn es sich nicht um eine lange Abwesenheit handelt.

Der EuGH führte insoweit aus, dass Umstände wie im vorliegenden Verfahren keine Abweichung von dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 aufgestellten Grundsatz rechtfertigen könnten, wonach ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlöschen könne, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen.

Die Unmöglichkeit des Klägers, den erworbenen Urlaub vollständig zu nehmen, resultiere vorliegend zwar nicht aus einer längeren krankheitsbedingten Abwesenheit (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 22.11.2011, KHS (C‐214/10)), sondern daraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund der Altersteilzeitvereinbarung von der Arbeit freigestellt hatte. Und auch wenn die Abwesenheit des Arbeitnehmers aus gesundheitlichen Gründen für den Arbeitgeber nicht vorhersehbar sei, müsse berücksichtigt werden, dass eine solche Abwesenheit, die den Arbeitnehmer daran hindern kann, seinen Anspruch auf Jahresurlaub zu nehmen, wenn es sich um ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis handelt, normalerweise nicht unvorhersehbar sei. Der Arbeitgeber könne ein solches Risiko ausschließen oder verringern, indem er mit dem Arbeitnehmer vereinbart, dass dieser seinen Urlaub rechtzeitig nimmt.

Darüber hinaus stelle der Anspruch auf Jahresurlaub nur einen der beiden Aspekte des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub als tragender Grundsatz des Sozialrechts der Union dar. Ein weiterer Aspekt sei die finanzielle Vergütung, die dem Arbeitnehmer zustehe, wenn er aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in der Lage sei, seinen Urlaub zu nehmen. Würde man einem Arbeitnehmer, der wie vorliegend aufgrund eines unvorhergesehenen Umstands wie Krankheit daran gehindert sei, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, jeglichen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung versagen, liefe dies darauf hinaus, dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 i. V. m. Art. 31 Abs. 2 der Charta vorgese...

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