Zwei Entscheidungen des EuGH zur Richtlinie 93/104/EG betreffend Bereitschaftsdienste haben sowohl für das ArbZG als auch für die zugrunde liegende Richtlinie 2003/88/EG weit reichende Konsequenzen.[1] In beiden Urteilen, die den ärztlichen Bereitschaftsdienst in Spanien und Deutschland betrafen, stellte der EuGH fest, dass der Bereitschaftsdienst Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie ist. Bereitschaftsdienst war bis dahin in Deutschland arbeitszeitrechtlich als Ruhezeit bewertet worden. Die erforderliche Anpassung des ArbZG erfolgte zum 1. Januar 2004. Da die Neubewertung des Bereitschaftsdienstes in mehreren Mitgliedsstaaten der EU zu erheblichen finanziellen und organisatorischen Problemen gerade im Bereich der medizinischen Versorgung zu führen drohte, nutzte die Europäische Kommission die nach Artikel 19 und 22 der Richtlinie 2003/88/EG anstehende Überprüfung einzelner Vorschriften zu einem umfassenden Konsultationsverfahren. Das Konsultationsverfahren endete mit einem Vorschlag der Kommission zur Änderung der Richtlinie 2003/88/EG im September 2004. Nach einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments formulierte die Kommission am 21. September 2005 einen Kompromissvorschlag.

Kernpunkte des Vorschlags waren

  • die Erweiterung des Artikels 2 ("Begriffsbestimmungen") um zwei Definitionen "Bereitschaftsdienst" und "inaktiver Teil von Bereitschaftsdienst". Der inaktive Teil des Bereitschaftsdienstes soll – vorbehaltlich einer anders lautenden nationalen Entscheidung – nicht Arbeitszeit sein. Durch nationales Gesetz, Tarifvertrag oder eine Vereinbarung der Sozialpartner kann die Zuordnung zur Arbeitszeit erfolgen. Der Umfang der inaktiven Zeit kann aufgrund von Erfahrungswerten durch Gesetz, Tarifvertrag oder sonstige Vereinbarung der Sozialpartner vereinbart werden. Es soll auf nationaler Ebene möglich sein, den inaktiven Teil des Bereitschaftsdienstes zur Ruhezeit zu zählen.
  • Ausgleich bei Verkürzung der Ruhezeit innerhalb von 72 Stunden
  • Möglichkeit für den nationalen Gesetzgeber und durch Tarifvertrag, den Referenzzeitraum (Bezugszeitraum für die Einhaltung der zulässigen Höchstarbeitszeit) auf bis zu 12 Monate zu verlängern.
  • Nach einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments formulierte die Kommission am 21. November 2005 einen Kompromissvorschlag.
  • Opt-out: Von der Möglichkeit des opt-out kann generell noch drei Jahre nach In-Kraft-Treten der neuen Richtlinie Gebrauch gemacht werden. Haben Mitgliedstaaten von der Möglichkeit des opt-out Gebrauch gemacht, können sie bei der Kommission eine Verlängerung beantragen. Die Überschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist auf 55 Stunden begrenzt, sofern nicht in Tarifverträgen abweichende Regelungen getroffen werden. Die Vereinbarung eines opt-out bei Vertragsschluss oder innerhalb einer Probezeit ist nicht zulässig.

Nach mehrjährigen Verhandlungen hatte sich der Rat der Europäischen Union am 11.6.2008 auf einen gemeinsamen Standpunkt zur Änderung der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung verständigt, der im Wesentlichen dem Kompromissvorschlag der Kommission folgte. Folgerichtig schloss sich die Kommission dem gemeinsamen Standpunkt am 18.9.2008 an. Am 17.12.2008 lehnte das Europäische Parlament die Vorlage des Rats und der Kommission in weiten Teilen ab. Im anschließenden Vermittlungsverfahren konnte in der abgelaufenen Legislaturperiode keine Einigung mehr erzielt werden.

Wann und wie die Richtlinie 2003/88/EG in der laufenden Legislaturperiode des Europäischen Parlamentes neu verhandelt werden soll, ist derzeit ungewiss.

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