Pflegereform mit Pflicht zur Bezahlung nach Tarifvertrag

Der Bundesrat hat am 25.6.2021 der zuvor vom Bundestag beschlossenen Pflegereform zugestimmt. Mit der Reform soll die Bezahlung von Pflegekräften nach Tarif Pflicht werden, ohne dass Mehrkosten auf Pflegebedürftige durchschlagen. 

Entlastung bei Zuzahlungen im Pflegeheim, höhere Löhne für Pflegekräfte, eine neue Finanzspritze für die Pflege vom Bund: Das sieht die Pflegereform vor, die der Bundesrat am 25. Juni 2021 gebilligt hat. Zuvor hatte der Bundestag am 11. Juni 2021 die Reform beschlossen. Die Neuregelungen sollen 2022 greifen. Zur Finanzierung soll der Pflegebeitrag für Kinderlose leicht steigen. Von Sozialverbänden, Gewerkschaftern, Pflegebetreibern und Opposition kam breiter Protest.

Attraktivität der Pflegeberufe soll erhöht werden

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, eine dauerhaft bessere Bezahlung solle die Attraktivität des Pflegeberufs erhöhen. Klatschen und Bonuszahlungen seien wichtig, dies reiche aber eben nicht. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, es sei gelungen, dass Pflegekräfte nicht gegen Pflegebedürftige ausgespielt würden. «Ordentliche Tariflöhne» seien eine Frage von Anstand und Vernunft.

Die Opposition lehnte das Gesetz ab. Kordula Schulz-Asche (Grüne) sagte, es sei «bestenfalls ein Pflegereförmchen». Die Zuschläge für Pflegebedürftige lösten Verarmungsprobleme nicht. Nicole Westig (FDP) sprach von einer «Mogelpackung», die nicht solide gegenfinanziert und verfassungsrechtlich fragwürdig sei. Harald Weinberg (Linke) sagte, die Baustellen für die nächste Regierung seien noch größer geworden. Ulrich Oehme (AfD) sprach von «billiger Wahlkampftaktik».

Nur knapp die Hälfte der Pflegekräfte erhält Tariflohn

Der Handlungsbedarf in der Pflege ist groß: Denn die Eigenanteile für Heimbewohner steigen seit Jahren rasant. Und um dringend benötigte Pflegekräfte zu gewinnen, steht neben Arbeitserleichterungen auch die Bezahlung im Blick. In der Altenpflege mit rund 1,2 Millionen Beschäftigten bekommt laut Arbeitsministerium nur knapp die Hälfte Tariflohn. Und ein Anlauf für einen Tarifvertrag, den die Regierung für die gesamte Branche verbindlich machen wollte, war gescheitert.

Mit diesen Neuregelungen muss sich abschließend auch noch der Bundesrat befassen soll:

Zuschlag für Heimbewohner

Heimbewohner sollen ab 1. Januar 2022 neben den Zahlungen der Pflegekasse einen neuen Zuschlag bekommen, der mit der Pflegedauer steigt. Der Eigenanteil für die reine Pflege soll so im ersten Jahr im Heim um 5 Prozent sinken, im zweiten um 25 Prozent, im dritten um 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 70 Prozent.

Eine Beispielrechnung zeigt, was das bringen würde - ausgehend vom Bundesschnitt von 911 Euro Pflege-Eigenanteil inklusive eines Anteils für Ausbildungskosten pro Monat: Die Entlastung liegt ab dem 1. Monat bei 45 Euro. Bei mehr als 12 Monaten sinkt der Eigenanteil um 228 auf 683 Euro, ab mehr als 36 Monaten um 638 Euro auf 273 Euro.

Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten trägt. Allerdings kommen für Heimbewohner auch noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu. Unter dem Strich kamen damit zuletzt 2.068 Euro pro Monat im Bundesschnitt zusammen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte vor Überforderung trotz der Reform. Die finanzielle Situation der 900.000 Heimbewohner werde sich im ersten Jahr nicht verbessern, sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa. Er kritisierte, dass eine generelle Anhebung der Leistungen der Pflegeversicherung angesichts der Reform zurückgestellt worden sei.

Versorgungsverträge nur noch bei Zahlung nach Tarif ab September 2022

Ab 1. September 2022 soll es Versorgungsverträge nur noch mit Einrichtungen geben dürfen, die nach Tarifverträgen oder mindestens in entsprechender Höhe bezahlen. Laut Spahn soll dies vor allem für Pflegekräfte in Ostdeutschland Unterschiede machen. Heil zufolge sollen 500.000 Pflegekräfte profitieren, die bisher nicht nach Tarif bezahlt werden - mit bis zu 300 Euro mehr im Monat.

Die Gewerkschaft Verdi warnte vor Enttäuschung bei Pflegekräften. Es sei offen, ob dies Wirkung entfalte, sagte der Vorsitzende Frank Werneke. Es gebe im Gesetz keinen Mechanismus, der Gefälligkeitstarifverträge zwischen Pseudogewerkschaften und Anbietern ausschließt, die weiter keine fairen Löhne zahlen wollen. Der Arbeitgeberverband bpa, der private Anbieter vertritt, sprach von einem «schwarzen Tag» für die Pflege und die Tarifautonomie. Die Lohn-Regulierung nehme vielen Einrichtungen die Luft zum Atmen.

Zuschüsse des Bundes

Der Bund soll ab 2022 erstmals einen dauerhaften Zuschuss von jährlich einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung geben. Krankenkassen monierten aber schon, das reiche nicht aus, und warnten vor Beitragssteigerungen. Zugleich soll der Pflegebeitrag für Menschen ab 23 Jahre ohne Kinder von 3,3 auf 3,4 Prozent steigen.

Weitere Inhalte der Neuregelung

Pflegefachkräfte sollen künftig mehr direkt selbst entscheiden dürfen, wie das Gesundheitsministerium erläuterte: etwa wenn es in der häuslichen Krankenpflege um Anwendungen mit Kompressionsverbänden geht.

Für Pflegebedürftige soll ein neuer Anspruch auf eine bis zu zehntägige Übergangspflege eingeführt werden - für den Fall, dass im Anschluss an einen Klinikaufenthalt die Pflege im eigenen Haushalt oder in einer Kurzzeitpflege nicht möglich ist. Die Beträge für ambulante Sachleistungsbeträge steigen um 5 Prozent.

Stellungnahme des Beamtenbundes dbb

Der dbb sieht die vom Bundestag am 11. Juni 2021 verabschiedete Pflegereform kritisch. Sie sei in sich nicht stimmig, betonte dbb Chef Ulrich Silberbach: Leider seien einige ursprünglich geplante Vorhaben zusammengestrichen worden. So wurde etwa die ursprünglich vorgesehene Deckelung der pflegebezogenen Eigenbeiträge bei stationärer Pflege massiv gekürzt. „Ein Zuschuss in Höhe von fünf Prozent im ersten Jahr lässt die Betroffenen nun immer noch mit 95 Prozent der Eigenbeträge allein“, erklärte Silberbach, auch wenn sich diese Selbstbeteiligung von Jahr zu Jahr reduziere.

Verbesserungen muss es laut dbb auch bei der immer stärker werdenden Abwanderung aus der Altenpflege hin zur Krankenpflege geben. „Lohndumping in der Pflege darf es nicht geben“, machte der dbb Chef deutlich. „Der Fachkräftemangel ist eklatant und wird sich durch einen möglichen Pflexit nach der Coronakrise wohl noch weiter verschlimmern.“

Eine klare Absage erteilte Silberbach dem Plan, die ursprünglich eingeplanten Mittel für die 5-prozentige Dynamisierung der Leistungen umzuwidmen, um damit die nun beschlossenen Leistungsausweitungen zu finanzieren. „So wird auf Kosten der zu Hause gepflegten und ihren Angehörigen umverteilt. Besonders die ambulante Pflege ist jedoch eine entscheidende Säule für die Stabilität und Nachhaltigkeit der deutschen Pflegeversicherung“ betonte der dbb Chef.

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dpa, dbb
Schlagworte zum Thema:  Tarifvertrag , Pflege, Fachkräftemangel